Aus dem Fenster geworfen - die Vorgeschichte und der Anlaß des Krieges

Eine Gruppe böhmischer Aufständischer drang am 23. Mai 1618 in den Hradschin, die Prager Burg, ein und warf die kaiserlichen Statthalter Jaroslaw von Martinitz und Wilhelm von Slavata samt einem Sekretär aus dem Fenster. Die drei Männer überlebten dank eines Misthaufens, auf den sie fielen. Doch der Prager Fenstersturz wurde zum Anlaß für den Ausbruch des Dreissigjährigen Krieges, der bis 1648 dauerte. Wie konnte es geschehen, dass sich ein böhmisches Ereignis zu einem langen Krieg ausweitete, an dem fast alle Länder Europas beteidigt waren - auch wenn er hauptsächlich auf dem Boden des HEILIGEN RÖMISCHEN REICHES DEUTSCHER NATION ausgetragen wurde? In den Dreissigjährigen Krieg mündete eine Reihe von zum Teil lange schwelenden Konflikten und Kriegen, die vor allem KONFESSIONELLE, aber auch STÄNDISCHE, machtpolitische und wirtschaftliche Ursachen hatten. Auch die Interessen der herrschenden Familien (Dynastien) spielten eine wichtige Rolle: Im Westen Europas fühlte sich Frankreich seit dem frühen 16. Jahrhundert von den mächtigen HABSBRUGERN „eingekreist“, aus deren österreichischer Linie der Kaiser und aus deren spanischer Linie der König von Spanien kam. In mehreren Kriegen strebte Frankreich nach Ausweitung seiner Grenzen und seines Einflusses. In den Niederlanden, die zur spanischen Krone gehörten, wütete seit 1568 der spanisch- niederländische oder auch Achtzigjährige Krieg: Die sieben nördlichen, KALVINISTISCHEN Provinzen der Niederlande hatten sich zusammengeschlossen und fochten für ihre Unabhängigkeit von dem katholischen spanischen König. Denn sie waren unzufrieden mit den spanischen Machthabern, die Politik und Verwaltung zentralisieren wollten, die sich ausbreitende RREFORMATION unterdrückten und so hohe Abgaben forderten, dass die Wirtschaft geschwächt wurde. Das letzte Drittel dieses Krieges fällt zusammen mit dem Dreissigjährigen Krieg. Seit 1621 kämpften die Schweden und Polen um die Vorherrschaft im Ostseeraum. Beide stellten Herrschafts- und Gebietsansprüche und verfolgten konfessionelle und wirtschaftliche Interessen. Diese Machtkonflikte waren gleichzeitig auch Handelskonflikte. Erst durch die Intensivierung der Wirtschafts- und Verkehrsverflechtungen wurde die Wirtschaft leistungsfähig genug, um einen Krieg dieses Ausmaßes und dieser Dauer zu ermöglichen. Der Kampf um die (hauptsächlich spanischen) Kolonien in Südamerika und Asien wurde auch als Kampf um die Ressourcen für die Kriegsfinanzierung geführt. Die verschiedenen Konflikte in Europa und im Reich konnten sich überhaupt erst deshalb zuspitzen, weil mit dem Waffenstillstand von 1606 die permanente Bedrohung durch die Türken weggefallen und Einigkeit der christlichen Herrscher nicht mehr notwendig war. Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation herrschte seit der Reformation 1517 eine tiefe Konkurrenz zwischen den KONFESSIONEN. Daneben rangen einerseits der Kaiser mit den REICHSFÜRSTEN und andererseits die einzelnen Landesherren mit den STÄNDEN um die Erweiterung ihrer politischen Macht. Ziel des katholischen Kaisers war die religiöse und politische Einheit im Reich. Besonders deutlich traten diese Konflikte in Böhmen seit Anfang des 17. Jahrhunderts auf. 1609 waren den mehrheitlich kalvinistischen böhmischen Ständen vom Kaiser im sogenannten Majestätsbrief religiöse und politische Freiheiten zugestanden worden. Als sich der katholische, habsburgische König Ferdinand II. von Böhmen 1617 weigerte, diese Freiheiten weiterhin zu garantieren, sahen die böhmischen Stände zunehmend ihre Unabhängigkeit bedroht. Der berühmte Prager Fenstersturz war also kein spontaner Akt, sondern eine gezielt vorbereitete Provokation des böhmischen Königs und des Kaisers. Die Botschaft war unmissverständlich: Aufstand! Die Böhmen setzten eine provisorische Regierung ein, die ein gutes Jahr später König Ferdinand für abgesetzt erklärte und den kalvinistischen Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz zum neuen König von Böhmen wählte. AF

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