Europa in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts
Am Anfang des 17. Jahrhunderts war das spanische Königshaus (Familie der HABSBURGER) unter Philipp III. und Philipp IV. die führende Macht in Europa. Zu ihm gehörten unter anderem auch Portugal, die Niederlande und die Kolonien in Übersee. Die österrreichischen Habsburger stellten den Kaiser des HEILIGEN RÖMISCHEN REICHES DEUTSCHER NATION. Der Kaiser stand zwar an der Spitze des Reiches, hatte aber tatsächlich nur Macht über Böhmen und Österreich. Das restliche Reich zerfiel in über 100 weltliche und kirchliche Gebiete und REICHSSTÄDTE. Deshalb konnten große politische Entscheidungen nur im REICHSTAG, der Versammlung aller Landesherren, getroffen werden. Die sieben Kurfürsten wählten 1619 Ferdinand II. zum Kaiser.
In der zweiten Jahrhunderthälfte stieg Frankreich unter dem „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. zur führenden Großmacht auf.
Rund 90% der Bevölkerung lebte damals von der Landwirtschaft, sie bestimmte nach wie vor das wirtschaftliche Leben. Nach der Jahrhundertwende gewannen Obst und Gemüseanbau an Bedeutung. So wurde 1621 im hessischen Herborn die erste Kartoffel im Reich gepflanzt. Aber es blühten auch andere Wirtschaftszweige auf: der Bergbau, Färbereien, die Tuchherstellung und das Bankwesen.
Die Niederlande zum Beispiel erlebten ein wahres „Wirtschaftswunder“, das sich unter anderem auf Schiffsbau, Geldwirtschaft, Gewürzhandel gründete. Hinzu kam eine besondere Offenheit gegenüber anderen Glaubensbekenntnissen (KONFESSIONEN) und RELIGIONEN wie dem Judentum.
Ohne die Neuentdeckung des Menschen und seines Daseins als Teil des Universums, ohne den Entdeckergeist und das Erneuerungsstreben des 16. Jahrhunderts ist auch das kulturelle Leben im 17. Jahrhundert undenkbar. Die Ideen der RENAISSANCE und des HUMANISMUS und der REFORMATION machten sich in allen Lebensbereichen bemerkbar. In den Naturwissenschaften und der Philosophie wird das Bemühen deutlich, die Natur und ihre Gesetze unabhängig vom göttlichen Weltenlenker zu erklären; zum Beispiel bei dem französischen Philosophen und Mathematiker René Descartes und bei dem italienischen Physiker und Philosophen Galileo Galilei. Galilei hatte ein astronomisches Fernrohr gebaut, mit dem er die Planetenbewegungen um die Sonne beobachten konnte. Damit bewies er die Theorie, dass sich auch die Erde um die Sonne dreht. Das wiederum akzeptierte die katholische Kirche nicht. Sie hielt an ihrer Auffassung fest, alle Planeten drehten sich um die Erde und verklagte Galilei als KETZER. 1633 zwang sie ihn, seine Lehre zurückzunehmen. Galileis trotziger Ausspruch „Und sie (die Erde) bewegt sich doch!“ wurde zur Legende.
Mit einer Vielzahl von Entdeckungen und Erfindungen knüpften Gelehrte an die Errungenschaften der Renaissance an.
Dazu gehören zum Beispiel die Entdeckung des doppelten Blutkreislaufes durch den englischen Arzt William Harvey im Jahr 1616 oder die Bekämpfung der Malaria mit Hilfe von Chinarinde (Chinin) seit 1632. Der Holländer Snellius entdeckte 1621 das Gesetz der Lichtbrechung und Santorio Santorio entwickelte die Methode der Fiebermessung mittels Thermometer. Blaise Pascal erfand 1642 eine Rechenmaschine für Addition und Subtraktion. Mit Hilfe der Algebra waren dank Descartes und anderen Mathmatikern nun genauere Berechnungen in der Naturwissenschaftlichen Forschung möglich.
Claudio Monteverdi komponierte 1607 seinen „Orfeo“, und damit begann der Triumphzug der Oper durch Europa. Auch die anderen Künste erlebten eine neue Blüte. Von Italien ausgehend, setzte sich in Europa nach 1600 ein neuer Kunststil durch: der BAROCK. Mit seiner Vorliebe für überschwengliche, gefühlsbetonte und bewegte Ausdrucksformen breitete er sich besonders in katholischen Ländern aus, denn er eignete sich hervorragend dazu, das Repräsentationsbedürfnis der katholischen Kirche und die Inbrunst der Gläubigen darzustellen. Man wollte die Menschen beeindrucken und für den katholischen Glauben gewinnen. Zu den berühmtesten Künstlern gehören der italienische Architekt und Bildhauer Gian Lorenzo Bernini und der flämische Maler Peter Paul Rubens. In Spanien wirkte der Maler Diego Velàzquez. Die PROTESTANTEN dagegen lehnten Pomp und Überschwang ab. Dennoch erlebte auch die Malerei im protestantischen Norden der Niederlande parallel zum wirtschaftlichen Aufschwung eine unvergleichliche Blüte. Sie setzte allerdings andere Schwerpunkte. Landschaften, Stilleben und Szenen des täglichen von überraschender Naturtreue, Unbeschwertheit und großem Einfühlungsvermögen entstanden, stellvertretend sei hier Rembrandt Harmensz. van Rijn genannt. In Frankreich und England bevorzugte man regelmäßige und symmetrische Bauten und Parkanlagen und an die Antike angelehnte Darstellungen in der Malerei, zum Beispiel bei Nicolas Poussin.
Die Fabeln Jean de La Fontains wurden in Frankreich berühmt, und Marie-Madeleine de La Fayette verfasste den ersten französischen Roman. 1623 erschien die erste Gesamtausgabe von William Shakespeares Werken. In Spanien erwachten die Helden Don Quijote und Sancho Pansa unter der Feder Miguel de Cervantes’ zum Leben.
Kunst und Wissenschaften blühten überall in Europa, während in Deutschland als der Austragungsstätte des Krieges das kulturelle Leben zunächst weitgehend brach lag. Dennoch verliehen auch hier Künstler ihrem Entsetzen über das Kriegsgeschehen und schließlich ihrer Friedenssehnsucht Ausdruck. Stellvertretend sei der Dichter Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen genannt, der selbst als Junge in den Dreissigjährigen Krieg hineingezogen worden war. Gemeinsam mit seinem berühmtesten Helden „Simplicius Simplicissimus“ kann der Leser noch heute die Ereignisse dieses Krieges nacherleben. MW