Kindheit
Leben vor 400 Jahren

Die Familie
Über die Größe der Familien im 17. Jahrhundert gibt es sehr unterschiedliche Informationen. In den meisten Familien lebten fünf bis sechs Geschwister. Es gab aber auch Familien mit ein bis zwei Kindern sowie Großfamilien wie die von Moritz von Hessen mit vierzehn Kindern oder mehr. Diese Schwankungen ergeben sich aus der besonders hohen Sterblichkeit unter Säuglingen und Kleinkindern, aber auch aus den unterschiedlichen hygienischen Verhältnissen. Hinzu kommt, daß die Ärzte gegenüber Infektionskrankheiten wie Masern, Keuchhusten und Scharlach oder Seuchen wie der Pest oft machtlos waren. Weil so viele Kinder früh starben, fand die Taufe ohne großen Aufwand bereits nach wenigen Lebenstagen statt. Reichere Familien übergaben ihre Sprößlinge meist der Obhut einer Amme und später einer Kindermagd. In ärmeren Familien waren die Kinder weitgehend sich selbst oder älteren Geschwistern überlassen.
Die Kirche ließ die Menschen glauben, der Mensch sei sündhaft von Geburt an. Deshalb hielt sie allzu große Elternliebe ebenfalls für eine Sünde und forderte eine strenge Kindererziehung und harte Strafen. Nichtsdestotrotz spricht aus vielen Gemälden und Briefen des 17. Jahrhunderts eine liebevolle Zuneigung der Eltern zu ihren Kindern und aufrichtige Sorge um ihr Wohlergehen. Und viele Frauen wünschten sich eine große Familie, obwohl sie wußten, daß sie mit jedem Kind ihr Leben riskierten, denn damals starben viele Mütter und Babys bei der Geburt oder kurz danach. Nicht immer waren weitere Kinder ersehnt, wenn die Eltern z.B. nicht wußten, wie sie die vielen Mäuler stopfen sollten, wenn nur der älteste Sohn Haus und Hof erben konnte und für die Töchter eine Aussteuer aufgebracht werden mußte.

Kinderarbeit
Die Kindheit war damals schnell vorüber. Mit zwölf Jahren galten die Mädchen als erwachsen, die Jungen mit vierzehn. Nach dem fünften Geburtstag wurden Kinder zur Arbeit herangezogen, nicht zuletzt deshalb, weil ihre Arbeitskraft zum Überleben der Familie nötig war. Bauernkinder mußten auf Hof und Feld mithelfen. Besonders gern gingen sie Vieh hüten, weil sie draußen auf der Weide vorübergehend der elterlichen Aufsicht entrinnen konnten. Söhne adeliger Familien schickte man häufig als Pagen an einen anderen Hof, wo man sie Umgangsformen lehrte. Bürgersöhne erlernten z.B. ein Handwerk. Mit vierzehn Jahren standen ihnen schließlich auch höhere Schulen und Universitäten offen, sofern sie es sich leisten konnten.
Mädchen wurden mit Haus- und Handarbeit vertraut gemacht und auf ihre zukünftige Rolle als Ehefrau vorbereitet. Mit einer frühen Eheschließung wechselten sie aus der Vormundschaft der Eltern in die des Ehemannes.
Allgemein gilt, je höher der gesellschaftliche Stand war, desto weniger mußten Kinder arbeiten.

Schule
Bis zum siebten Lebensjahr blieben adelige und bürgerliche Kinder meist bei ihren Eltern, danach begann für sie die Erziehung außer Haus. Kinder aus Adelsfamilien bekamen zunächst einen Hauslehrer (Hofmeister), meist einen Geistlichen, bei dem sie Lesen, Schreiben, Rechnen und Latein lernten. Latein war als Kirchen-, Gelehrten-, Geschäfts- und Amtssprache Voraussetzung für jeden kirchlichen und höheren weltlichen Beruf. Danach wurden sie auf eine Schule geschickt, es gab z.B. Domschulen, Klosterschulen, Stadt- oder Gemeindeschulen.
Bürgerkinder besuchten meist eine Stadt- oder Gemeindeschule oder aber eine Lateinschule, wenn sich die Eltern für ihr Kind eine besondere Karriere erhofften. Das war zum Beispiel bei dem kleinen Martin Luther der Fall, der bereits mit vier Jahren auf eine Lateinschule kam. Er konnte zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht einmal den langen Schulweg bewältigen und mußte huckepack dorthin getragen werden. Der Unterricht begann in aller Frühe zwischen sechs und sieben Uhr und verlief in mehreren Blöcken. Erst gegen vier oder fünf Uhr gingen die Kinder nach Hause.
Den Lehrer erkennt man auf den Bildern an der Rute, denn die Eltern erwarteten von ihm Strenge. Seit dem Mittelalter galt die Rute als unverzichtbares Erziehungs- und Lehrmittel, das Wissen wurde oft buchstäblich eingebleut. Kein Wunder, daß Martin Luther später die Lehrer als “Tyrannen und Stockmeister” bezeichnete, die oft allzu schnell auf Rücken und Hinterteil der Schüler das “Fegefeuer der Hölle” entfachten.
Die Schulmeister wurden in der Regel schlecht bezahlt und traten wenig oder gar nicht vorbereitet in ihr Berufsleben. Die wenigen Lehrbücher, die es gab, waren alt und langweilig geschrieben, so daß der Unterricht wahrscheinlich wenig Freude machte. Der Unterrichtsstoff (Merksätze, Lieder, Gebete, Vokabeln) mußte auswendig gelernt werden. ABC-Schützen bekamen eine Fibel: ein Tafelbüchlein mit den Buchstaben des Alphabetes und einigen deutschen Sätzen.

Kleidung
Kinder wurden im 17. Jahrhundert als kleine Erwachsene betrachtet, und so waren sie auch gekleidet:
Nach 1600 beeinflußte die spanische Mode mit ihrer Zweiteilung in Oberteil und Rock bzw. Hose die Kleidung. Jungen trugen eine hochgeschlossene, enganliegende Jacke oder ein Wams über Hemd, Kniehosen und genähten Strümpfen, die Mädchen einen steifen, V-förmigen Brustlatz über den Röcken und Strümpfen. Flügelärmel waren bei beiden Geschlechtern beliebt. Unterhosen gab es noch nicht.
In der sogenannten “Hätschelperiode” bis zum vierten oder fünften Lebensjahr steckte man Mädchen wie Jungen aller Bevölkerungsschichten in Kleider oder Kittelchen. Das war praktischer, solange die Kinder noch nicht sauber waren. Erst wenn sie auch Lätzchen, Schürze und Häubchen ablegten, erhielten Jungen einen Anzug und taten den ersten Schritt zum Erwachsenwerden.
Bei Mädchen war dieser Schritt weniger offensichtlich. Für sie begann nun die Qual der eng geschnürten Miederkorsetts. In falscher Sorge um einen schönen Wuchs zwängte man sie in fischbein- oder holzversteifte Schnürleibchen. Das hatte teilweise schlimme gesundheitliche Folgen, zum Beispiel Wirbelsäulen- und Lungenschäden.
Bauernkinder hatten es da viel besser. Sie kannten solche Zwänge nicht und zogen an, was gerade zur Hand war: Im Sommer einfache Leinenkittel, vielleicht noch Rock oder Hose darüber. Wenn es kälter wurde, kamen weitere Kleiderschichten hinzu, Röcke, Hosen, Jacken, Tücher, Hüte.


Zwei Kirchen und ein Gott: Reformation und Gegenreformation
Im 15. und 16. Jahrhundert steckte das Christentum in einer großen Krise. Alle Bemühungen, die Kirche umzugestalten und zu erneuern, waren gescheitert. Die Bestechlichkeit und das ausschweifende Leben von Päpsten und Mönchen und die Angst der Gläubigen vor ewiger Verdammnis hatten zu einer tiefen Verunsicherung geführt. Die Menschen fühlten sich von ihrer Kirche im Stich gelassen, zumal die Messen in lateinischer Sprache von den meisten nicht verstanden wurden.
Die Reformation( Lateinisch reformatio: Umgestaltung, Erneuerung) der Kirche nahm 1517 in Deutschland ihren Anfang, als Martin Luthers berühmte Lehrsätze (Thesen) bekannt wurden. Darin prangerte er Mißstände innerhalb der katholischen Kirche an, vor allem das Freikaufen von Sünde anstelle der Buße (Ablaßhandel): Wenn der Papst in Geldnöten war, zogen die Prediger scharenweise durchs Land. Sie nutzten die Angst der Menschen aus und ließen sie glauben, man könne sich den Eingang in den Himmel mit einer Geldspende sichern. Luther sah in der Bibel die wichtigste Glaubensgrundlage. Auch erkannte er den Papst nicht länger als Stellvertreter Christi auf Erden an. Er war der Meinung, jeder Gläubige könne anhand der Bibel seinen eigenen Weg zu Gott finden und sprach von der “allgemeinen Freiheit eines Christenmenschen”. Luthers Schriften verbreiteten sich wie ein Lauffeuer im Land und fanden in allen Bevölkerungsteilen so rasch Anhänger, daß sich die Spaltung der Kirche nicht mehr aufhalten ließ. 1521 wurde Luther vom Papst aus der Kirche ausgeschlossen (exkommuniziert), weil er seine Lehre nicht widerrufen wollte. Als Fürsten und Reichsstädte dagegen protestierten, erhielten die Anhänger Luthers ihren neuen Namen: “Protestanten”.
Nach 1531 begann die Organisation der protestantischen Kirche. Damals waren bereits drei Viertel der deutschen Bevölkerung protestantisch. Auch in anderen Ländern fand Luther rasch Anhänger. Neben Ulrich Zwingli gehörte Johannes Calvin zu den drei großen Reformatoren. Er setzte 1641 in Genf eine neue kirchliche Ordnung durch (Kalvinismus) und verbannte Bilder und anderen Schmuck aus den Kirchen. Der Besuch des Abendmahls wurde Pflicht. Darüber hinaus forderte er Sittenstrenge und unbedingten Bibelgehorsam: teure Kleidung, Tanz, Spiele und der Besuch von Wirtshäusern waren verboten. Dabei schreckte er auch vor Gewaltanwendung gegen Andersdenkende nicht zurück. Anders als Luther glaubte Calvin, am Schicksal eines Menschen ablesen zu können, ob er von Gott zu ewiger Seligkeit oder Verdammnis vorherbestimmt ist (Prädestination). Calvin und Zwingli setzten sich in den folgenden Jahren von Luther ab. Aus iher Lehre entwickelte sich die reformierte Kirche, womit ein weiteres religiöses Lager entstand. 1555 mußte der Kaiser die neue Religion im “Augsburger Religionsfrieden” anerkennen und den Landesherren freie Religionswahl zugestehen. Die Bevölkerung hatte sich in ihrem Glauben nach dem Landesherren zu richten, konnte aber in ein Gebiet ihres Glaubens übersiedeln. Den Kalvinismus erkannte der Kaiser nicht an. Die Reformation sollte ursprünglich eine Erneuerung des Glaubens und der Kirche bringen, zog jedoch bis weit ins 17. Jahrhundert hinein heftige religiöse Auseinandesetzungen nach sich: Auch nach dem Augsburger Religionsfrieden bekämpften sich Katholiken und Protestanten. Das Reichund Europa zerfielen in zwei religiöse Lager. Viele Fürsten und Könige sahen ihre Stunde gekommen, sich vom Einfluß der katholischen Kirche zu lösen und ihre Macht zu erweitern. Sie verknüpften religiöse mit politischen und persönlichen Interessen. Aufstände und Kriege waren die Folge, in denen sich Menschen unterschiedlichen Glaubens und unterschiedlicher Bevölkerungsschichten erbittert bekämpften. (Bauernkrieg, Hugenottenkriege).
Als Gegenreformation bezeichnet man das Bestreben der katholischen Kirche, die Reformation und ihre Ausbreitung aufzuhalten und rückgängig zu machen. Papst Paul III. rief die Bischöfe zusammen (“Konzil von Trient” 1545-63). Die katholische Glaubenslehre wurde neu untersucht und verändert. Das Streben nach Veränderung und Erneuerung erfaßte noch andere gesellschaftliche Bereiche. Neue Kirchen wurden gebaut, alte neu gestaltet. Beide Glaubensrichtungen förderten die Entstehung von Schulen und Universitäten. Der Katholizismus breitete sich wieder aus, nicht zuletzt, weil die Protestanten untereinander so zerstritten waren. Deshalb schlossen sich 1608 die protestantischen Fürsten unter Führung des Kurfürsten von der Pfalz (Friedrich V.) zu einer politischen und militärischen Gemeinschaft zusammen, der “Union”. Die katholischen Fürsten dagegen gründeten in den folgenden Jahren die “Liga”, deren Führung der bayerische Kurfürst (Maximilian I.) übernahm. Die Liga wurde zu einer wichtigen Machtstützen des Kaisers zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges.