SUSANNE TAUSS "...daß die Räuberei das alleradeligste Exercitium ist..."* - Kunstschätze als Beute im Dreißigjährigen Krieg |
I. Einleitung
Zur Kunstbeute im Dreißigjährigen Krieg liegt bis heute keine zusammenfassende Arbeit vor; eine Untersuchung des komplexen Phänomens, die mit Weschers Arbeit zum Kunstraub unter Napoleon vergleichbar wäre, fehlt [1], und Redlichs fundierte Untersuchung ist bewußt auf den rein militärischen Aspekt von Kriegsbeute beschränkt. [2] Wenn Treue 1957 noch feststellte: "Merkwürdigerweise hat [...] kein Thema, kein Gegenstand die Zeitgenossen und die späteren Historiker so wenig interessiert wie der Kunstraub im Dreißigjährigen Krieg." [3], so stellt sich die Situation vierzig Jahre später deutlich anders dar. Zum einen sorgt die aktuelle Beutekunst-Debatte für eine gewisse Sensibilisierung; zum anderen liefert eine Vielzahl fundierter Einzelanalysen hervorragendes Material für die weitere Forschung. [4] Trevor-Ropers essayistische Darstellung, "The Plunder of the Arts in the Seventeenth Century" [5], kann somit in zahlreichen Punkten ergänzt werden. Eine umfassende Synthese kann und soll freilich nicht Ziel des vorliegenden Beitrags sein, da sie den Rahmen des Unterfangens bei weitem sprengen würde. Vielmehr soll auf einige grundsätzliche Fragen zum Thema hingewiesen werden: Welche Motive lagen dem Kunstraub im Dreißigjährigen Krieg zugrunde, bzw. wie wurde das alte Recht der Sieger auf Beute genutzt? Welche völkerrechtlichen Regelungen sahen der Westfälische Friede und die ihm vorausgehenden Verhandlungen vor? Wie verhielten sich in der Praxis Rechtsanspruch, Restitutionsgebot und Sonderregelungen zueinander, und in welchem Maße wirkte die Beutenahme aus Prag auf die Verhandlungen in Westfalen ein? Es geht also nicht so sehr um den einzelnen Beute-Fall als vielmehr um generelle Aspekte des Phänomens. [6]
II. Zur Attraktivität von Kunstbesitz und -raub: Ästhetik und Macht
Diese ideellen Werte, die fürstliche Kunstsammler und ihren kostbaren Besitz aufs engste zusammenschlossen, spiegeln die Sensibilität des Konstrukts im Falle von Beschädigung und Raub: In den Objekten wurde die Person oder Dynastie, deren Machtbefugnis und Sittlichkeit sie spiegelten, geschädigt und getroffen.
Wenn Müller lapidar feststellt: "Höfische Kunst wurde auf unterschiedliche Weise akquiriert", so trägt dies der enormen Vielfalt an Erwerbsmöglichkeiten gerade im 17. Jahrhundert Rechnung, die zum großen Teil über einen gut organisierten Kunstmarkt bedient wurden. [12] Gleichzeitig war aber eine unfriedliche Kunstwanderung im Gange, wie sie laut Wescher seit der Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer (1204) nicht mehr praktiziert wurde. [13]
Das im Ius Belli verbriefte Beuterecht ist Teil eines uralten kulturgeschichtlichen Phänomens, das in kriegerischen Auseinandersetzungen neben der physischen die "psychische" Schädigung erlaubte (und noch immer erlaubt). [14] War dies zunächst eine religiöse Schädigung, bei der das Heilige der Unterlegenen zerstört, die eigenen Götter an dessen Stelle gesetzt und somit ein identitätsstiftendes "Mana" oder "Numen" weggenommen werden konnte, so ist hiervon die von religiösen Absichten tendenziell freie Motivation des "Kunstraubs" zu unterscheiden. So führte schon im Rom der späten Republik die Kunst- und Sammelleidenschaft einzelner Feldherren - so z.B. Sullas - zu maßlosen Plünderungsaktionen. [15] Das profanierte Kunstwerk war bereits fest eingeplanter Bestandteil militärischer Beute.
Nach römischem Kriegsrecht, das noch Alberico Gentili und Hugo Grotius in zahlreichen Exempla lebendig hielten (s.u.), legitimierte die Rechtlosigkeit der Besiegten die Aneignung jeglichen "herrenlosen" Guts. [16]
Interesse, Vorgehensweise und Quantität erfolgreicher "Kunsträubereien" mochten in der Folgezeit variieren, nahmen aber aus genannten Gründen seit der Renaissance Formen an, die im Dreißigjährigen Krieg regelrecht aufblühten: Das Interesse, die Kenntnisse, die Möglichkeiten und nicht zuletzt ausgezeichnet bestückte Sammlungen waren in den Kriegsgebieten in vorher ungekanntem Maße vorhanden. Die Kriegsschauplätze wechselten häufig, und mit den Routen der Heereszüge verlängerten sich die Wege, die kostbare Beute aus kirchlichem wie privatem Besitz zurücklegte - vorausgesetzt, sie kam jemals am "Bestimmungsort" an -, und verminderten so oftmals die Möglichkeit der Restitution.
III. Die rechtlichen Grundlagen für Kunstraub im Dreißigjährigen Krieg
An den von Grotius und Gentili genannten antiken Exempla wird ablesbar, wie die Motivationen für Kunstraub divergieren konnten. So zeigt das Beispiel der beginnenden Sammelleidenschaft der Römer für griechische Kunst, in welchem Maße militärische Mittel für ästhetische Argumente instrumentalisierbar waren. [19]
Gemäß römischem Kriegsrecht galt, so Grotius (III 6), auch für das 17. Jahrhundert, daß das auf dem Schlachtfeld in direkter Konfrontation Erbeutete dem einzelnen Soldaten gehörte, alles weitere aber - d.h. sogenanntes "herrenloses" Gut - in den Staatsbesitz überging und nach einem bestimmten Schlüssel verteilt wurde, den die militärische Hierarchie vorgab. Grotius' Werk legte den Verbleib (oder auch die Weitergabe) von Beute fest (III 6 xiv-xx). Dieser nur vordergründig klaren Abwicklung stand von alters her eine Regelung entgegen, die dem Feldherrn einen "Extraanteil" in Aussicht stellte. Aufschlußreich ist hierfür eine Ilias-Stelle, die Grotius als Exemplum dient: Prinzipiell wird der Staat zwar Eigentümer der Beute, doch steht dem Feldherrn - hier Agamemnon - als von Amts wegen moralisch höherstehender Person der größte Teil des "Kuchens" zu (Grotius III 6, xiv). [20] Klare Beutezuweisungen sind anhand dieses wie auch anderer Beispiele bei Grotius kaum zu definieren. Künstlerisch und wissenschaftlich hochrangige Stücke verblieben aber noch aus einem anderen Grund unter Umständen für immer in den genannten "Abnehmerkreisen": bei nicht erfüllter Restitution des "unrechtmäßig" Beschlagnahmten (Grotius III 20, xx). Sprechend ist die Hierarchie, die Restitutionspflichten am "Wert" der jeweiligen Beute bemißt. Ihr zufolge rangieren Menschen vor Sachen, unbewegliche Sachen (Immobilien) vor beweglichen (Mobilien) und dem Staat gehörende Mobilien vor privaten (III 20, xxi). So zählt alles, was heute unter den Begriff der "Kulturgüter" fallen würde, zur letztgenannten Kategorie staatlicher oder privater Mobilien. Das Verhältnis zwischen staatlichem bzw. Kronbesitz und privatem Eigentum war außerdem nicht immer eindeutig definiert. [21] Um so bemerkenswerter ist es, daß die Rückgabe der letztgenannten Gegenstände - Archive, Bibliotheken, Kunstsammlungen - in den Friedensverträgen von 1648 ausdrücklich gefordert wurde. Die von Grotius aufgeführte Hierarchie wird den Zeitgenossen bewußt gewesen sein. Der Anspruch auf Restitution war aber wohl von Anbeginn zum Scheitern verurteilt in Anbetracht der kaum zu bewältigenden Satisfaktions- und Restitutionsabwicklungen, die zunächst wichtigere (für die politische Landschaft lebenswichtige) Bereiche zum Inhalt hatten als Kulturgüter - mit der einzigen Ausnahme dynastisch und politisch hochwichtiger Archive.
IV. Das "alleradeligste Exercitium" im Dreißigjährigen Krieg
Grundsätzlich ist festzustellen, daß die jeweilige Raub-Intention sich durchaus von der Beute-Verteilung unterscheiden konnte. Paradigmatisch für ein solches Mißverhältnis ist die Bücherentführung aus der Palatina.
Schon fast ein Jahr vor der tatsächlichen Eroberung Heidelbergs durch kaiserliche und ligistische Truppen äußerte Papst Gregor XV. (1621-1623) sein Interesse an der zu ihrer Zeit berühmtesten Bibliothek. Er ließ früh schon seine weitgespannten kirchlichen Verbindungen spielen, um sich frühzeitig der potentiellen Beute zu bemächtigen. Für Maximilian von Bayern und Ferdinand II. wurde dadurch letztlich jede Hoffnung auf einen eigenen Beuteteil zerstört. Unglücklicherweise konnte Gregor XV. aber nicht mehr die Früchte seiner Bemühungen ernten, da er noch vor Ankunft der Palatina in Rom verstarb. Als komplette Schenkung der Eroberer an Dritte bildet die Bibliotheca Palatina jedoch eine Ausnahme im Kunstbeute-Geschehen der Zeit, sieht man von den üblichen Donationen ab.
Die organisatorische Abwicklung war durch den päpstlichen Bibliothekar Leone Allacci gewährleistet, der auch den Abtransport nach München und weiter bis Rom begleitete. Er selbst profitierte in Anbetracht seiner Anstrengungen nur wenig davon - wenngleich auch er für seinen Beuteteil zu sorgen wußte.
Die "Mutter der Bibliotheken" hörte mit der Plünderung auf zu existieren. Diese kulturelle Demütigung zog längerfristige Vergeltungsmaßnahmen nach sich, da der schon angeschlagene Friedrich V., der flüchtige Winterkönig, mit diesem Coup einen weiteren empfindlichen Statusverlust erlitt. Schreibt man die Geschichte der Kunstbeute in diesem Krieg fort, so zeigt sich eine eigenwillige Dynamik, ein Schlagabtausch zwischen Verlust und Revanche. Auch wenn nicht alle weiteren großen Beuteaktionen des Dreißigjährigen Krieges als konsequente Folge aus dem Raub der Palatina zu erklären sind, so fällt doch auf, von welcher Wirkung die Gewinnung der Heidelberger Palatina war.
Nach der Schlacht bei Rain am Lech (1632), die den Eroberer Heidelbergs, Tilly, das Leben kostete, nährte Ludwig Camerarius, einer der wichtigsten Berater Friedrichs V., Hoffnungen darauf, der Feldzug werde bis nach Rom führen und die symbolträchtige Rückeroberung der Palatina als Zeichen der Wiedereinsetzung des Winterkönigs ermöglichen. Auch das fortdauernde Interesse des enttäuschten Maximilian an der ehemaligen kurfürstlichen Bibliothek markiert, mit welcher Energie und welchem Ehrgeiz das begehrte Objekt im Auge behalten wurde. Warum sonst hätte er den Papst um Bewahrung der Büchersammlung in ihrer Komplexität gebeten?
1632 ließ Gustav Adolf entgegen verbrieften Schutzversicherungen die bedeutende Sammlung Maximilians in München hatte plündern (s.u.); hierbei war u.a. Friedrich V. beteiligt - diese Raubaktion kann durchaus als Antwort auf den Palatina-Raub gedeutet werden. Selbst noch 1634/35 blieb die Heidelberger Plünderung Teil fortgesetzten Revanchedenkens, da kaiserliche und bayerische Truppen die Sammlungen Stuttgarts und Tübingens plünderten und so wiederum ostentativ auf Gustav Adolfs Münchener Beute reagierten. Dieses Wechselspiel, in dem durch Kunstraub innerhalb eines Krieges mehrfach Gleiches mit Gleichem vergolten wurde, dürfte einmalig sein.
Aufschlußreich ist Gustav Adolfs Vorgehen in den Bistümern Würzburg und Mainz: Um sich einen geschlossenen, d.h. nicht schon gefledderten Beuteanteil zu sichern, schöpfte er alle ihm zu Gebote stehenden juristischen Möglichkeiten aus. Sein Vorgehen in Mainz (1631) ist hierfür paradigmatisch. Zusätzlich zu seinen eigenen hervorragenden Kenntnissen von Ius belli und Grotius sicherte er sich durch das Urteil Rechtsgelehrter ab, die im Einzelfall über die Rechtmäßigkeit einer Konfiskation entschieden. Er sorgte dafür, daß das Ius belli gewahrt blieb und ausschließlich "herrenloses" Gut beschlagnahmt wurde. Erst nach Gustav Adolfs Tod lockerte Oxenstierna diese Regelungen und gab unbeschränkt alle Bibliotheken und Archive in Mainz zur Konfiskation frei. Mit dieser Form des Bibliotheken-"Erwerbs" hatte Gustav Adolf schon Jahre zuvor im Baltikum begonnen. Sie erklärt sich begründet durch widersprüchlich erscheinende, einerseits anti-katholische und andererseits bildungspolitische Absichten, die sich in Schenkungen an die Universität Uppsala und weitere Bildungseinrichtungen (Linköping, Strängnäs, Västerås) ausdrückten. Gustav Adolfs Einzug in Mainz und sein Donationsbrief an die Bibliothek von Uppsala (November 1631), der einen enormen Zustrom an erbeuteter Literatur nach Schweden eröffnete, fielen zeitlich praktisch zusammen.
Seine strengen Beute-Kriterien ließ er in München (1632) jedoch fallen. Die Plünderung von Kunstkammer und Bibliothek Maximilians geschah nicht ohne sein Wissen. Immerhin konnten er und seine Begleiter sich der bedeutendsten Kunstkammer der Zeit - nächst der kaiserlichen - bemächtigen. Was davon nach Schweden gelangte, wurde der noch im Aufbau befindlichen königlichen Kunstsammlung im Stockholmer Schloß Tre Kronor einverleibt. Als Förderer von Wissenschaft und Künsten schrieb sich Gustav Adolf so in die Kulturgeschichte Schwedens ein. Hiervon profitierte nicht zuletzt seine Tochter Christina, die die Akquisition - neben regulären Käufen - im Jahr 1648 durch Beute in ungleich größerem Stil fortsetzte.
Maximilian bemühte sich mehrfach um Wiedererlangung seiner Sammlungen. Daß er die Verletzung der Salvaguardia Gustav Adolfs für München nicht akzeptieren wollte und Erstattung forderte, daß er ferner den Rat der Stadt Nürnberg um Nachforschungen zu seinen verstreuten Schätzen bat, ist Zeichen genug, welche Werte er einbüßte. Einen dritten Versuch unternahm er nach der Schlacht bei Nördlingen: Nach der Gefangennahme Gustav Horns wurden Verlustlisten angelegt, anhand derer das lebende Pfand für die Rückgewinnung der Kunstkammer eingesetzt werden sollte. Doch auch dieser Versuch schlug fehl. Statt dessen wandte Maximilian vermeintlich gleiche Methoden wie in München auf die Kunstkammer in Stuttgart und auf die Bibliotheken Tübingens an; die Ausbeute war jedoch nicht vergleichbar. Unkontrollierte Plünderungen hatten die Kunstkammerbestände bereits dezimiert, als der Übersicht halber ein erstes Inventar zur Stuttgarter Sammlung angelegt wurde (16. Sept. 1634). Des weiteren hieß es mit dem Kaiser teilen. In Tübingen war die Rechtslage leicht verschleiert worden, der Übergabeartikel schloß einen Abtransport der "fürstlichen Liberei" von vornherein nicht völlig aus. Immerhin konnte Maximilian die Frage der Verteilung für sich entscheiden, da ein Schiedsspruch durch den Reichshofrat ausblieb.
Nur selten und zumeist unzureichend hatten die Beraubten noch Schutzmaßnahmen ergreifen können. Die dringliche Aufforderung Friedrichs V. an seine Heidelberger Räte, Archiv und Bibliothek zu retten, kam zu spät und war im Hinblick auf die Bücherfülle auch gar nicht zu bewältigen. Maximilian konnte nur geringe Teile seiner Kammergalerie retten. Und vom württembergischen Haus kam nur die Herzoginwitwe, die mit ihren Schätzen nach Straßburg floh, ungeschoren davon. Grundsätzlich stand außer Frage, daß bei Gefahr Archive den absoluten Vorrang hatten, da sie Besitzstände, Titel und Privilegien verbrieften. Aus dem gleichen Grund hatten sie innerhalb des Restitutions-"Ethos" stets Priorität. Somit konnte der Herzog von Württemberg nur die Rückgabe seiner Archive, nicht aber der Kunstkammer erwirken. Der mühsame Neuaufbau einer Kunstsammlung konnte - je nach Motivation und Mitteln - viele Jahre in Anspruch nehmen und bedeutete, wie im Falle Stuttgarts oder Prags, wieder bei Null zu beginnen.
V. Restitutionsforderungen des Westfälischen Friedens
Bereits Jahre vor dem endgültigen Abschluß des Westfälischen Friedens wurden auf dem in Osnabrück und Münster tagenden Kongreß ausdrücklich Restitutionen gefordert. [23] Im April 1646 wurden als zu restituierende Mobilien insbesondere Archive erwähnt, die aus der Gruppe von "andern Sachen" - dem in feindlichem Gebiet Vorgefundenen - herausgehoben wurden. [24] Es wird nicht ausdrücklich vermerkt, bleibt aber zu schließen, daß diese "andern Sachen" sich u.a. aus kostbaren Kulturgütern zusammensetzten. Im Juni legten die Kaiserlichen den Schweden ihr kurz zuvor ausgearbeitetes Instrumentum Pacis vor, dessen Artikel XV die Restitution von Archiven sowie "anderer Mobilien" fordert. In nur leicht verändertem Wortlaut schreiben ? 110 des Instrumentum Pacis Monasteriensis (IPM) sowie Artikel XVI ? 15 des Instrumentum Pacis Osnabrugensis (IPO) die Rückerstattung von Archiven, literarischen Dokumenten und sonstigen Mobilien vor. [25] Es bliebe zu überprüfen, ob bereits der den einzelnen Vertragsartikeln vorangestellte Amnestie-Artikel (Artikel II IPO) [26] sowie Artikel IV ? 56 IPO dem nicht (wenigstens zum Teil) zuwiderliefen. Während der Amnestie-Artikel im Sinne einer erweiterten Präambel das Ende aller Feindseligkeiten beschwört und an die allgemeine Friedensbereitschaft appelliert, formuliert Artikel IV konkrete Ausnahmen der Restitution. Güter, die beschlagnahmt und "weitergegeben" wurden, können nicht mehr belangt werden. [27] Diese realistische Einschätzung entsprach nicht nur häufiger Beutepraxis, sondern könnte auch als Hintertürchen für restitutions-unwillige Vertragspartner gedient haben.
Der geplante Ablauf der Friedensexekution sah vor, daß zwei Monate nach Unterzeichnung, d.h. am 24. Dezember 1648, in Osnabrück und Münster die Ratifikationsurkunden ausgetauscht und alle Truppen abgezogen oder aufgelöst werden sollten. "Alle Archive und Kunstschätze sowie das Kriegsgerät, soweit es in den Garnisonen bei der Einnahme vorgefunden worden war, wäre an Ort und Stelle zu belassen." [28] Der reale Verlauf war jedoch davon geprägt, daß diese Punkte bei Abschluß des Friedensvertrages nicht deutlicher definiert wurden. Weder die politischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Demobilmachung noch die alten Besitzverhältnisse waren klar definiert, wodurch Restitutionen verschleppt und verschleiert werden konnten. Hinzu kam, daß militärische Befehlshaber die Durchführungsvorschriften zum Friedensvertrag vereinbaren sollten; gerade sie jedoch hatten ein vitales Interesse an einer Verzögerung des Friedens. Ein entscheidender Faktor für nur geringe Restitutionen dürfte ferner die Tatsache gewesen sein, daß der Status fürstlicher Beute als privater oder staatlicher bzw. Kronbesitz nicht klar geregelt war [29], des weiteren aber, daß die Restitutionsforderungen so vielfältig und in so hohem Maße von militärischen Belangen geprägt waren, daß Kunst innerhalb der Bedeutungs- und Bedürfnis-Hierarchie zur vernachlässigbaren Größe wurde (was Restitutionsforderungen wie jene Maximilians schon während des Krieges nicht ausschloß). Wie schon die Hierarchie zu restituierender Güter bei Gentili und Grotius deutlich macht, hatten militärische und territoriale Restitutionen sowie die schwedische Satisfaktion den Vorrang: "Unmittelbar nach dem Abschluß des Westfälischen Friedens war es für die Zeitgenossen das wichtigste Anliegen, daß die fremden Armeen aus dem Reich abgezogen und aufgelöst wurden." [30]
Obwohl der Westfälische Friedensschluß erstmals überhaupt Regelungen zu Restitutionen festschrieb, gab er nach dreißig Jahren Krieg in diesem Hinblick ganz offensichtlich nur eine unzureichende Handhabe für die Friedensexekution. Einerseits stand für das Ende des Beutenehmens und den Beginn von Restitutionen eindeutig der Zeitpunkt des Friedensschlusses im Zentrum. Wie das Beispiel der Prag-Beute zeigt, war es andererseits aber möglich, selbst zum Zeitpunkt des Vorfriedens und unter den Augen der europäischen Mächte vereinbarte Grundregeln zu ignorieren.
VI. Kunstraub vor dem Hintergrund des Westfälischen Friedensschlusses - Die Prager Beute
Militärisch war der Schlag gegen Prag marginal, als Aneignungsversuch der dort aufbewahrten Kunstschätze jedoch überaus attraktiv und, wie die Durchführung bestätigt, erfolgreich. [35] Abtransportiert wurde nicht nur die Schätze des Hradschin, sondern auch anderer Paläste des Prager Burgbergs, wie z.B. die Bronzen im Waldstein-Garten und die bedeutende Rosenberg-Bibliothek. Das geltende Ius belli wurde hier bis zur Neige ausgeschöpft. Christinas herausragende Bildung erlaubte eine klare Einschätzung des künstlerisch Wertvollen. [36] Die schon legendäre Berühmtheit der rudolfinischen Sammlung trug das Ihre dazu bei, Begehrlichkeiten zu wecken.
Dies alles hatte auf die Verhandlungen, die der Unterzeichnung des Friedensinstruments folgten, empfindliche Auswirkungen. Gemäß einem Brief Johan Oxenstiernas und Adler Salvius' an Christina vom 1./11.Dezember 1648 war das Instrumentum Pacis bereits zur Ratifikation eingeschickt. Nun aber hatten die kaiserlichen Gesandten am Vorabend bei ihnen dagegen protestiert, daß die schwedische Krone auch nach Friedensschluß und -verkündigung "einige acta und mobilien aus der königlichen kunst- und schatzkammer zu Prage abführen und wegnehmen laßen". [37] Dieser Vertragsbruch sei rückgängig zu machen. Die schwedischen Gesandten gerieten mit den kaiserlichen in Streit, wie der Restitutions-Paragraph zu Archiven und anderen Mobilien (Artikel XVI IPO) auszulegen sei. Das Argument der Schweden, ihr Vorgehen in Prag sei bis zur Restitution des Platzes rechtens, beantworteten die Kaiserlichen mit der Aufforderung, Schweden möge seinen Abzug aus Böhmen vorantreiben. Die Gesandten wollten nun aus Stockholm erfahren, wie weiter zu entscheiden sei. [38]
Ein Tagebucheintrag Franz Wilhelms von Wartenberg vom 10. Dezember 1648 bestätigt den Ernst der Lage aus der Sicht der Gegenseite. Laut Mitteilung Cranes hatten die kaiserlichen Gesandten bei den schwedischen aus genannten Gründen gegen den Abtransport schwedischer Beute protestiert. [39] Die Schweden hätten daraufhin mit Verzögerungen bei der fristgerechten Auswechslung der Ratifikationsurkunden gedroht und sich dabei auf ihren Trumpf, die geforderte baldige Satisfaktion der schwedischen Armee, bezogen.
Schon über einen Monat zuvor, Anfang November, hatte der Kaiser durch Piccolomini unter anderem die Rückgabe der gesamten schwedischen Beute aus dem Hradschin gefordert. [40]
Desungeachtet kamen Ende November 1648 die Prager Kunstschätze, Archive und Bibliotheken in der Festung Dömitz an, wo sie zur Überwinterung eingelagert wurden. Am 20. Januar 1649 gab Christina dem Kommandeur von Wismar Befehl, die Kunstwerke beim ersten offenen Wasser über die Ostsee bringen zu lassen. Am 14. April erreichten die Schätze, die Christina ein dreiviertel Jahr zuvor erbeten hatte, Stockholm. Dem Theatrum Europaeum war dies - nachdem zuvor von Abführung der Beute und einem legendären Überfall auf den Konvoi berichtet worden war [41] - einen eigenen Eintrag wert: "Kurz vor Außgang deß Morgen/ ist die zu Prag eroberte Keyserliche Kunst-Kam[m]er vnd Bibliothec/ mit samt dem Löwen/ [...] zu Stockholm wol angelangt: in welcher Sachen Außpackung/ vnnd Disponirung derselben an besondere Oerter/ man eyfferig im Werck war." [42]
Somit bildete die Prager Beute zwar einen Verzögerungsfaktor im Verhandlungsgeschehen, blieb aber im Besitz ihrer Eroberer und konnte ungehindert ausgeführt werden. Die militärische Präsenz Schwedens in Böhmen wurde zum Recht auf Beute. Daß so zügig gehandelt wurde, spricht für die gute Organisation der Transporte durch Königsmarck. [43] Der Zeitpunkt von Vorfrieden und Friedensschluß dürfte willkommener Antrieb zur Eile gewesen sein. Daß die entführten Mobilien, mitsamt dem lebendigen Löwen, jenseits der Ostsee ein für allemal für verloren gelten konnten, war, so darf angenommen werden, auch den Beteiligten des Kongresses bewußt. Wie schon oben vermerkt, hat wohl, insgesamt betrachtet, der umfängliche Komplex militärischer Restitutionen, Satisfaktionen, territorialer Ansprüche und vieles andere mehr die Detailfrage des Kulturgüter-Raubs überrollt. [44]
VII. Kunstraub ohne Ende?
Die Konsequenzen aus der Kunstwanderung des Dreißigjährigen Krieges sind weiterhin spürbar, für die Geschädigten wie für die Gewinner: Die Bibliotheca Palatina hörte mit ihrer Verschleppung auf, als Nukleus Heidelberger Gelehrsamkeit zu existieren. Ähnliches gilt für die rudolfinischen Kunstsammlungen in Prag. Wenngleich mit jedem Großtransport über Wege, die durch halb Europa führten, manches auf der Strecke blieb, so ist doch beachtlich, wie vieles sich gerade durch diese immensen Verschiebungen erhalten hat. Was sich änderte, waren die Besitzernamen, die Sammlungsschwerpunkte und somit die Identifikations- und Repräsentations-möglichkeiten. Letztere waren aufgrund von Gustav Adolfs und Christinas Entschiedenheit gerade für die Großmachtzeit Schwedens prägend, das nun die späthumanistischen Forderungen nach Hofkultur und Bildungseinrichtungen einlösen konnte. Mit Christinas Erwerbungen und der Abwanderung der rudolfinischen Sammlung nach Stockholm verschob sich ein ganzes kulturelles Zentrum nach Norden.
Das schon bei Grotius und Gentili formulierte Plädoyer für ein "humanes" Beutenehmen setzte sich erst im Laufe des folgenden Jahrhunderts allmählich durch; damit ging zunehmend "der Respekt vor der natürlichen Bindung der Kunst- und Kulturwerte" einher. [46] Diese "natürliche" Bindung ging letztlich auf im Konstrukt des "nationalen" Kulturguts. Dieses findet seit bald 200 Jahren seinen Ort in der Institution Museum, das Teile der alten Identifikations- und Repräsentationsfunktionen privater (adliger) Kunstsammlungen übernahm. Dies erklärt auch, weshalb das Museum zum Wunschprojekt jener Potentaten avancierte, deren Machtrausch auch bei Beutekunst keine Grenzen kannte; erinnert sei an das Musée Napoléon, an Stalins Pläne für ein Museum der Weltkunst in Moskau und nicht zuletzt an Hitlers verblüffend ähnlich geartete Vorstellungen für Linz und Berlin. Letztere trieben die Absicht ideeller Schädigung auf eine z.T. irreparable Weise auf die Spitze. Die Folgen sind 50 Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs Gegenstand sensibler Debatten, die noch fortdauern dürften. Wenn das Verhandlungsobjekt Kunst bzw. Kulturgut hierbei letztlich friedensstiftend wirkt, könnte sich der Effekt des "alleradligsten Exercitiums" umkehren. Auflösen lassen wird sich aber das Verhältnis zwischen Identifikation und Konfliktstoff letztlich nicht. [47]
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