HANS SOOP Der Skulpturenschmuck des Kriegsschiffs Vasa als Ausdruck der politischen Ansprüche, Pläne und Ambitionen Gustav Adolfs |
Als die Vasa geborgen wurde, bestand das Schiff nur noch aus dem Rumpf, der jedoch erstaunlich gut erhalten war. Das gewaltige Takelwerk mit seinen Masten und Marsrahen und das hohe Hinterkastell mit seinen Galerien und Spiegeln wie auch das kräftige Galion waren während der 333 Jahre, die die Vasa auf dem Meeresgrund gelegen hatte, zerstört worden, und viele Teile waren abgefallen. Zur Bergung der Vasa gehörte daher auch die Sicherstellung von Tausenden von Konstruktionsteilen sowie mehrerer Hundert Skulpturen und geschnitzter Ornamente. Dies bildete die Grundlage für die Rekonstruktion des Schiffes. Heute zeigt sich die Vasa in ihrem ganzen restaurierten Schmuck, mit dem wiederhergestellten Hinterkastell und dem Galion, samt den vielen Skulpturen und Ornamenten sowie Architekturteilen - alles am richtigen Platz. Dies ist das Resultat vieler Jahre geduldiger Arbeit, die dadurch erschwert wurde, daß weder Zeichnungen noch Abbildungen oder Angaben über das ursprüngliche Aussehen des Schiffes erhalten sind.
Die Vasa wurde auf der königlichen Schiffswerft in Stockholm in der Zeit von 1626 bis zum Frühjahr 1628 im Zuge der Aufrüstung der schwedischen Flotte gebaut. Von einem in Holland geborenen Schiffsbaumeister hauptsächlich nach holländischer Manier konstruiert, gleicht sie mit ihrem hohen und ziemlich schmalen Hinterschiff und dem großen, schweren und leicht aufwärts geneigten Galion dem Schiffstyp, der in West- und Nordeuropa während der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entwickelt wurde. Das Kriegsschiff Vasa war mit einer Länge von 69 Metern, einschließlich dem Bugspriet, für schwedische Verhältnisse ein großes Fahrzeug, vielleicht das größte, das bisher in Schweden gebaut worden war. Das Hinterschiff mit dem Achterkastell war nahezu 20 Meter, der Großmast ca. 50 Meter hoch. Das Verdrängung betrug 1.400 Tonnen. Erbaut mit doppeltem Batteriedeck für 48 schwere Kanonen, hatte das Schiff insgesamt 64 Kanonen und war mit seinen 10 Segeln für eine Besatzung von ca. 450 Mann, davon 300 Soldaten, bestimmt.
Um 1600 wurden gemalte Dekorationen an Schiffen mehr und mehr durch dreidimensionale, vor allem geschnitzte Ausschmückung ersetzt. [1] Die Schiffe des 17. Jahrhunderts zeigten demzufolge eine reiche Skulpturenpracht, eine Entwicklung, die in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichte. Den Verzierungen kam eine wichtige Aufgabe zu. Sie waren geprägt durch die symbolisch-allegorische Bildkunst der Renaissance und des Barocks, deren Wurzeln bis in die antike Mythologie und biblischen Historien, Philosophie und Geschichte sowie in die nationalgeschichtliche Romantik (Störgotizismus) reichen. So übermittelte auch der Skulpturenschmuck an Schiffen eine Botschaft. Zumeist bezogen sich diese Botschaften auf den Fürsten, den Bauherrn des Schiffes, und sollten der Welt seine Macht, seine moralische Integrität und Herrschertugenden, seine politischen Absichten ebenso wie seine Ambitionen zeigen. Die großen Kriegsschiffe sind in dieser Hinsicht den damaligen Palastarchitekturen mit ihren allegorischen Dekorationsprogrammen vergleichbar, die der Verherrlichung von Fürsten und Bauherren dienten. Den Stellenwert innerhalb dieses Fürstenkultes kann man bei den großen Kriegsschiffen nicht hoch genug ansetzen, wie ein Zitat des französischen Ministers Colbert, das sich auf die großen Kriegsschiffe Ludwigs XIV. bezieht, zeigt: "[...] il n'y a rien qui frappe tant les yeux, ni marque tant la magnificence du Roy que de les (les navires) bien orner comme les plus beaux qui ayent encore paru à la mer [...]". [2] Diese Schiffe wurden nicht nur als Kriegsmaschinen, sondern auch als eine Art schwimmender Palast betrachtet. Dieser Aspekt ist bei der kunst- und kulturgeschichtlichen Forschung zu Kriegsschiffen des 17. Jahrhunderts bisher kaum oder gar nicht berücksichtigt worden. Der Grund ist natürlich, daß sich nur äußerst wenig geschnitzte Schiffsdekorationen erhalten haben - hier ist die Vasa eine positive Ausnahme. Andererseits gibt es in vielen Ländern reiches Material in Form von Zeichnungen, Bildern, Gemälden und Schiffsmodellen, die diesen Bereich beleuchten könnten. Das gilt nicht zuletzt für Frankreich, wo während der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, also in der Regierungszeit Ludwigs XIV., die allegorische Dekoration der großen Schiffe ihren Höhepunkt erreichte. Hier geht es um die Glorifikation des Königs, und die Schiffe waren ein wichtiger Bestandteil des Mythos, der in propagandistischer Absicht um den Herrscher errichtet wurde. [3] Der englische Kulturhistoriker Peter Burke behandelt dieses Thema zwar, beachtet dabei aber nicht die Rolle, die die Ausschmückung der großen Kriegsschiffe in diesem Zusammenhang spielt. [4]
Mit der Vasa hat sich ein einmaliges Beispiel eines reich ausgeschmückten Kriegsschiffes erhalten. Sie ermöglicht es erstmals, dem Prinzip der Ausschmückung eines großen Kriegsschiffes im Detail zu folgen und zu studieren, wie es Selbstbild, Machtanspruch und politische Absichten eines Fürsten zum Ausdruck bringt. Die rekonstruierte Vasa zeigt mit fast 500 geschnitzten Figuren heute nahezu die ursprüngliche Zahl des Figurenschmucks. Die meisten dieser Skulpturen haben einen symbolischen Gehalt. [5] Sie waren teils auf dem Hinterkastell, mit dem Achterspiegel als dem inhaltlich prominentesten Teil des Schiffes, konzentriert, teils auf dem Galion. Die Wahl der Motive der einzelnen Skulpturen und ihre jeweilige Plazierung machen deutlich, daß der Dekoration des Schiffes ein detailliertes Bildprogramm zugrunde lag. Wer für dieses Programm verantwortlich war, ist nicht bekannt, doch liegt es nahe, dabei an den höchst gebildeten Reichsrat und Universitätskanzler Johan Skytte (1577-1645), den Lehrer Gustav Adolfs, zu denken. [6] Wer immer es war, er dürfte das Bildprogramm aber in jedem Fall in enger Zusammenarbeit mit dem König entworfen haben.
Die Vasa wurde im Winter 1625 bestellt, daher ist wahrscheinlich daß das Bildprogramm zu Beginn dieses Jahres entstand. Sicher gab es, solange das Schiff im Bau war, auch die Möglichkeit zu Änderungen oder Komplettierungen, schließlich wurden die Skulpturen auf der Werft geschnitzt. Will man also versuchen, die Pläne Gustav Adolfs, seine Gedanken und Ideen in dem Skulpturenschmuck nachzuvollziehen, muß man seine Situation während der Periode von 1625 bis zum Frühjahr 1628 berücksichtigen, besonders in bezug auf die damalige Außenpolitik.
Drei Problemstellungen ergaben sich: der für Schweden aktuelle Krieg mit Polen, der Krieg in Deutschland und die gespannten Beziehungen zum alten Erbfeind Dänemark. Im polnischen Krieg ging es um die Vorherrschaft im Ostseeraum (dominium maris Baltici), den Erhalt der Macht Schwedens in den neu erworbenen baltischen Provinzen, und nicht zuletzt um den dynastischen Streit zwischen Gustav Adolf und seinem Vetter Sigismund von Polen. Im Jahre 1592 wurde dieser König von Schweden, wurde aber 1599 abgesetzt - was ihn allerdings nicht hinderte, weiterhin Ansprüche auf den schwedischen Thron zu erheben. Der Krieg in Deutschland war seit 1618 im Gange, und Gustav Adolf folgte dem Geschehen mit allergrößtem Interesse. Er sah seinen eigenen Kampf in Polen als einen Teil dieses Krieges, der Europa zersplitterte. [7] Als evangelischer König stand er natürlich auf Seiten der Protestanten, doch sah er den röm.-deutschen Kaiser auch als eine realpolitische Bedrohung, besonders nachdem dieser 1625 Wallenstein in seinen Dienst genommen hatte: Der Niederlage des dänischen Königs Christian IV. gegen Tilly im August 1626 folgte die Invasion Wallensteins in Norddeutschland und Jütland, was verständlicherweise als direkte Bedrohung der schwedischen Machtstellung im Ostseeraum aufgefaßt wurde. Man kann daher davon ausgehen, daß der König und seine Regierung in dieser Periode mit dem Gedanken spielten, in den Krieg einzugreifen. Was Dänemark betrifft, war Gustav Adolf zu diesem Zeitpunkt eher an einem entspannten Verhältnis zu dem alten Rivalen interessiert. Die beiden Länder hatten ja die deutschen Katholiken und den Kaiser als gemeinsamen Feind. Bereits früher hatte der schwedische König angeregt, mit einer schwedisch-dänischen Militäraktion in den Krieg einzugreifen, was allerdings von dänischer Seite abgelehnt wurde. Zudem befand sich Dänemark nach der Niederlage Christians IV. 1626 in der Defensive, obwohl es noch immer die stärkste Macht im Ostseeraum war. Vielleicht hatte Gustav Adolf aus diesem Grund darauf verzichtet, sich auf der Vasa, als Neptun, den Herrscher der Meere, verherrlichen zu lassen. König Christian gebrauchte die Neptunsymbolik in seiner Propaganda, und wahrscheinlich wollte Gustav Adolf den dänischen König, den Herrscher der Ostsee, in dieser schwierigen Lage nicht herausfordern. [8 ]Im Folgenden soll am Beispiel einiger Skulpturen und Skulpturengruppen gezeigt werden, wie Gustav Adolfs Selbstbild Eingang in das ikonographische Programm des Schiffes fand. Es handelt sich um Skulpturen vom Achterspiegel und vom Bug des Schiffes samt dem Galion. Diese sind, da sie sich eng an der gebräuchlichen Renaissance-Ikonographie orientierten, eindeutig zu entschlüsseln.
Die Bekrönung des Achterspiegels mit dem Bild des Königs
Der Wappenschild des Vasageschlechts und das gotische Erbe
Die Krone über der Vasagarbe ist groß, fast überdimensioniert. Der Gedanke liegt nahe, daß mit ihr der Anspruch der Vasa als königliche Dynastie, als gleichberechtigt mit den übrigen königlichen Häusern Europas unterstrichen werden sollte. Die Legitimität des Anspruchs der Nachkommen Gustav Vasas auf die schwedische Krone war wiederholt bezweifelt worden, natürlich auch vom dänischen König, der Gustav Vasa als einen Usurpator betrachtete. Es hieß, das Vasageschlecht könne keinen Anspruch auf königlichen Status geltend machen; es handele sich um eine einfache Bauernfamilie, die durch Vertreibung des gesetzlich gekrönten dänischen Königs Christian II. auf unrechtmäßige Weise in den Besitz der schwedischen Krone gekommen sei. So ist das große Vasawappen des Achterspiegels sicher auch ein Ausdruck für die Bemühungen Gustav Adolfs und seiner Familie, ihre Legitimität vor der Umwelt zu dokumentieren. Der Anspruch, den das Vasawappen ausdrückt, wird noch unterstrichen von den sechs großen Rittergestalten, die das Wappen flankieren, drei auf jeder Seite. [14] Es sind in zeittypische Rüstungen gekleidete Krieger. Sie tragen mit Federbüschen verzierte Helme, bei vieren steht das Visier offen. Die dem Wappen am nächsten stehenden Ritter haben junge, bartlose Gesichter, während die anderen zwei mit offenem Visier erwachsene Männer mit finsteren, schnurrbärtigen Gesichtern darstellen. Die verschiedenartigen Gesichter der Ritter bieten tiefere Probleme, als sich hier erläutern lassen. Daher sei hier lediglich darauf hingewiesen, daß sie in engem Zusammenhang mit dem im Mittelalter wurzelnden Gotizismus stehen, der um 1550 in der großen Arbeit des letzten katholischen Erzbischofs Schwedens, Johannes Magnus' "Historia de omnibus gothorum sveonumque regibus" (in Rom 1554 herausgegeben), beredten Ausruck fand. In diesem Werk, das sich unter anderem auf Jordanes Arbeit über die Goten von ca. 500 n.Chr. stützt, konstruierte der Verfasser eine Chronologie der schwedischen Könige zurück bis zu Noahs Enkel Magog, und betrachtet sie als Erben der Goten, die einst das römische Reich unterwarfen. [15] In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde diese historische Fiktion für die Söhne Gustav Vasas, auch für Gustav Adolf, zur mythischen Quelle des nationalen Selbstvertrauens. So wurde sie nicht zuletzt in der Kriegspropaganda eingesetzt, die den polnischen Krieg einleitete, sowie später, als Gustav Adolf sich dazu rüstete, in den Dreißigjährigen Krieg einzugreifen. Es überrascht also nicht, dieses Thema auch in der Dekoration der Vasa wiederzufinden. Als Vertreter der alten Goten sind die gerüsteten Krieger oder Ritter Vorgänger und Vorbilder Gustav Adolfs, ihnen soll er nacheifern in Mut und Tatkraft, ihre Tugenden zu den seinen machen, sowohl auf dem Schlachtfeld als auch als Staatsmann.
Die Krieger Gideons
Der Starke schont den Schwachen
Des Königs Feind ist natürlich "der Pole". Wir finden ihn nahe dem großen Krieger unter dem Kranbalken der Steuerbordseite, der sich vom oberen Deck schief hinaus über das Galion erstreckt. Er dient als Stütze für den Kranbalken und hat die Form eines unter einer Bank zusammengekauerten Mannes. [23] Das breite Gesicht des Mannes mit großem Schnurrbart und Haaren in der Stirn sowie auch der knielange Rock sind Details, die damals als typisch polnisch galten. Darüber hinaus ist die Stellung, in der er abgebildet ist, eine Bestrafungsweise, die in früheren Zeiten in Polen üblich war. Hatte jemand gegen die Regeln verstoßen, wurde er gezwungen unter eine Bank zu kriechen und dort in seiner schmachvollen Position wie ein Hund zu "bellen", um damit sein Verbrechen und seine Schlechtigkeit zuzugeben. [24] Dieses Motiv in der Ausschmückung des Schiffes, das sich unter dem Backbord-Kranbalken wiederholte, ist speziell für die Vasa im Hinblick auf den aktuellen Krieg gegen Polen und die dynastischen Spannungen zwischen den beiden Ländern entworfen worden. Eine den Feind erniedrigende und verhöhnende Darstellung, eine Variante des Themas "Der Sieg der Tugend über das Laster", die hier besonders raffiniert zum Ausdruck kommt.
Die römischen Kaiser
Die 1620er Jahre waren eine dynamische Zeit für Schweden, geprägt von offensiver Kriegsführung und aktiver Diplomatie, in der mit der Eroberung der baltischen Provinzen, dem Krieg gegen Polen und Gustav Adolfs Engagement im Dreißigjährigen Krieg, das 1630 zur tatsächlichen Intervention führen sollte, die Basis für die Entwicklung Schwedens zur europäischen Großmacht gelegt wurde. Dem König lag daran, seine Absichten und Ambitionen in Gesprächen mit seinen Ratgebern, in diplomatischen Aktionen sowie in Briefen, Depeschen und Proklamationen deutlich zu demonstrieren. Dies konnte jedoch auch mit Hilfe der großen Kriegsschiffe geschehen, die mit ihrer skulpturalen Ausschmückung sein "Sprachrohr" waren. Durch die Bergung der Vasa und ihrer Skulpturen ist es möglich geworden, ihre Botschaften zu rekonstruieren. Die gewählten und hier kommentierten Motive zeigen, daß der König sein Schiff als ein Werkzeug betrachtete, mit dem er der Umwelt ein Bild von sich selbst, seinem Charakter und seinen Absichten vermitteln konnte. Die prägnante Bildsprache wurde durch die klare Farbstellung und Vergoldung noch betont und zeigt, daß Gustav Adolf keineswegs daran zweifelte, daß die Botschaft verständlich sei.
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