Theodor van Thulden
Allegorie auf Gerechtigkeit und Frieden, 1659
Das querformatige Bild zeigt zwei weibliche Figuren, die sich in inniger Umarmung einander zuneigen. Links im Bild sitzt die in ein blaues Kleid und einen roten Umhang gekleidete Gerechtigkeit (Justitia), zu erkennen an ihren Attributen wie dem aufgerichteten Schwert der Gerichtsbarkeit in ihrer rechten Hand, der Börse, aus der Münzen herausfallen, zu ihren Füßen und der Waage, die ein Putto rechts neben ihr mit bedeutsamer Geste hoch hält. Rechts nähert sich ihr der Friede (Pax) als schöne, wohl geformte junge Frau, deren fast gänzlich nackter Körper von einem grünen Umhang locker umspielt wird. Sie hält im linken Arm ein prall gefülltes Füllhorn und den „Caducaeus“ (Merkurstab) als Anspielung auf die im Frieden blühenden Künste, Wissenschaften und den Handel. Zu ihren Füßen liegen Waffen und Rüstungsteile, während im Hintergrund ein Putto weitere Waffen verbrennt. Justitia wendet sich Pax ganz zu und gewährt ihr in einer Umarmung den Schutz, den Pax begehrt.
Das Füllhorn, ein Verweis auf die Abundantia (Reichtum oder Wohlstand) und die zerstörten Waffen sind schon seit der Antike, z.B. auf Münzen, Attribute der Pax. Ihnen liegt die Idee der „Pax romana“, des universellen Friedensreiches und
„Goldenen Zeitalters“ zugrunde, in der der Frieden als Voraussetzung für den Wohlstand hergestellt wird (Kaulbach 1991). So bezeichnet schon Seneca etwa die Friedensgöttin als eine Person, die „kriegerischen Nationen Bündnisse stiftet und in ihrem reichen Horn den Überfluß enthält“ (Werner 1998).
Das an Symbolen und Verweisen reiche Bild stellt den „locus classicus“ der im religiösen wie weltlichen Kontext weit verbreiteten Friedens- und Gerechtigkeitsbilder aus Psalm 85,11: „Barmherzigkeit und Treue begegnen einander, Gerechtigkeit und Frieden küssen sich“ dar (Baumstark 1974, Schreiner 1990, Schreiner 1998, Ausst.-Kat. 1648). Es fußt auf der Bildtradition der Renaissance und des Barock und bezieht sich im Besonderen auf Vorbilder aus der flämischen Grafik, die sowohl die Umarmung als auch den angedeuteten Kuss der beiden Personifikationen bereits darstellen (Wohlfeil 1991, Werner 1998). Neu ist jedoch, wie Thulden das „alte“ Sujet auf ungewohnte Weise verlebendigt und dynamisiert:
Theodor van Thulden (1606-1669) stammte aus Brabant und war neben Aufenthalten in Frankreich – besonders in seiner Heimatstadt ‘s-Hertogenbosch (Bois-de-Duc) und in Antwerpen tätig. Er schuf im Laufe seiner Karriere mehrere ähnliche Kompositionen, in denen jeweils zwei sich ergänzende weibliche Personifikationen ein allegorisches Paar bilden. Eine davon (Einheit und Gerechtigkeit, 1646, ‘s-Hertogenbosch / Bois-de-Duc, Stadthuis) war für das Rathaus von ‘s-Hertogenbosch bestimmt und zeigt die beiden jeweiligen Personifikationen noch ihre Attribute in beredter Gestik dem Betrachter präsentierend. Eine weitere zeitlich näher liegende Variante (La retour de la Paix, ‘s-Hertogenbosch / Bois-de-Duc, Noordbrabants Museum), weist nicht nur inschriftlich ausdrücklich auf den titelgebenden Psalmvers und stattet die Personifikationen mit den übereinstimmenden Attributen aus, sondern lässt die beiden Figuren auch bereits stärker miteinander interagieren.
Dieses erzählerische und dynamischere Komponieren ist deutlich an Werken Peter Paul Rubens‘ geschult. Mit dem großen Meister der flämischen Barockmalerei stand Theodor van Thulden in persönlichem Kontakt. Für diesen führte er unter anderem Stiche nach den ephemeren Dekorationen Rubens‘ aus, die letzterer für die „Entrata“ des Kardinal-Infanten Ferdinand 1635 in Antwerpen geschaffen hatte. Der starke Einfluss der allegorischen Bilder Rubens‘ auf van Thuldens Werk ist gerade an der Gestalt der Pax besonders deutlich, denn ihre Nacktheit und ihr charakteristisches Bewegungsmotiv scheinen direkt von Bildern des Meisters inspiriert zu sein. Zu nennen wären hier zum Beispiel die Gemälde Peter Paul Rubens‘ „Die Schrecken des Krieges“ (Florenz, Galleria Palatina) oder „Die Krönung des Tugendhelden“ (München, Alte Pinakothek).
Anders als bei den oben genannten älteren Darstellungen des Themas in der flämischen Kunst deutet van Thulden den Friedenskuss der beiden Personifikationen nur an. Jedoch wird er aufgrund der Bekanntheit des Bildthemas und der allgemeinen Verständlichkeit der Geste, die über den zwischenmenschlich alltäglichen Kontext hinaus als Friedensmetapher eine eingeübte liturgische Geste und weltliche Rechtsgebärde war, auch in der nur angedeuteten Form verstanden und vom Betrachter gewissermaßen selbst in der Vorstellung vollzogen.
Während Sandrart mit seiner „Allegorie auf den Westfälischen Frieden“ ganz im biblisch-religiösen Kontext verbleibt, ist der theologische Sinnzusammenhang, der aufgrund des dem Sujet zugrunde liegenden Psalmwortes weiter besteht, in van Thuldens Bild ganz zurückgedrängt. Zwar ist nicht bekannt, für welchen ursprünglichen Bestimmungszweckdas Bild vorgesehen war, jedoch ist weltlicher Kontext wie für die früheren Varianten, die van Thulden in seiner Heimatstadt schuf, vielleicht für die Ausstattung eines öffentlichen oder halböffentlichen Raumes, denkbar.
Hermann Arnhold