Joachim von Sandrart

Madonna mit dem Friedenstempel - Allegorie auf den Westfälischen Frieden, 1648

In einer von einem Baldachin überfangenen Rundbogennische, die die Inschrift: BEATI PACIFI QUONIAM FILY DEY VOCABUNTUR (Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen, Matt. 5,9) trägt, sitzt die in ein weißes Gewand mit blauem Umhang gekleidete Muttergottes. Auf ihrem Schoß hält sie das nackte Jesuskind, das sich seinerseits in inniger Umarmung dem ebenfalls nackten Johannesknaben zuwendet. Dieser nähert sich von links (im Bild), hat seinen Stab mit der zugehörigen Inschrift: ECCE AG[NUS] DIE zu Boden fallen lassen und erwidert die Umarmung des kindlichen Heilands. Beide Kinder wenden die Köpfe einander zu und scheinen sich im nächsten Moment küssen wollen. Maria hat dabei den sinnenden Blick auf die sich begegnenden Kinder gesenkt. Nach vorn wird die Szene durch einen Teppich begrenzt, auf dem die Madonna Platz genommen hat.

 

Begleitet wird die Komposition, bei der es sich um den klassischen Andachtsbild-Typus „Madonna mit Jesuskind und Johannesknaben“ der Renaissance handelt, lins im Bild von einem Putto, der ein riesiges, von Früchten überquellendes Füllhorn hält, und rechts von einem Rundtempel und zwei Engeln im Hintergrund. Die Madonna ist zu diesem, attributhaft klein dargestellten Rundtempel insofern in enge Beziehung gesetzt, als sie ihren linken Arm auf dem Gebälk des Tempelchens abstützt und in ihrer linken Hand einen Ölzweig hält, der gleichsam als Emblem vor diesem, als TEMP[LUM] PACIS bezeichneten Gebäude erscheint.

 

Rundtempel und Füllhorn erweitern das Madonnenbild zu einer umfassenden Friedensallegorie und deuten auch das zentrale Andachtsbild in diesem Sinne um. Schon die apokryphe Begegnung des kindlichen Johannes mit dem Jesuskind und die zärtliche Umarmung der beiden kann als Sinnbild des Friedens gelesen werden. Was auch durch den aus dem Matthäus-Evangelium entworfenen Titulus des Bildes unterstrichen wird.

 

Hinzu kommt, dass die Madonna ganz entgegen ihrer zumeist üblichen Bekleidung nicht ein blaues Kleid mit rotem Umhang trägt, sondern ein weißes Kleid mit blauem Umhang. Verwiesen sei zum Beispiel auf Sandrarts „Mystische Vermählung der hl. Katharina“ (1647, Wien, Kunsthistorisches Museum), die zudem kompositorisch bis in einige Details eng miz der allegorie in Münster verwandt ist. Außerdem hält sie den Ölzweig, und ihr sind zwei weitere, seit der Renaissance der Allegorie der Pax (des Friedens) fest zugeordnete Attribute beigegeben: das Füllhorn der Abundatia und der Friedenstempel.

 

Abundatia, der Überfluss oder der Wohlstand, gilt im allegorischen Kosmos der Renaissance- und Barockkunst als Tochter des Friedens, ist mit diesem also unmittelbar verbunden. Schon in antiken Darstellungen der Personifikation war neben dem Motiv der zerstörten Waffen das Füllhorn ein häufig anzutreffendes Accessoire der Pax und blieb dies auch bis in den Barock, wie schon ein Blick auf das ebenfalls in der Ausstellung gezeigte Bild mit Justitia und Pax von Theodor van Thulden zeigt. Der Friedenstempel, dessen römisches Urbild der Legende nach bei der Geburt Christi eingestürzt sein soll, ist ebenfalls ein aus der profanen Ikonografie entlehntes Attribut, das die Madonna zu einer Allegorie der Pax werden lässt. Seine runde Form rekrutierte spätestens seit der Renaissance auf die Vorstellung von der perfekten Bauform und auf Gott.

 

Das Bild ist im Sockelgeschoss des Rundtempelchens mit „Joachimo Sandrart“ und „1648“ signiert und datiert. Der Anbringungsort und das Datum der Signatur verbinden die Allegorie mit dem im selben Jahr in Münster und Osnabrück unterzeichneten Westfälischen Friedensvertrag, auch wenn durch kein weiteres Detail auf dieses Ereignis ausdrücklich Bezug genommen wird, und verleihen dem Bild eine aktuelle, politische Dimension. Es ist nicht bekannt, für welchen ursprünglichen Bestimmungszweck Sandrart das Gemälde schuf. Dennoch ist es aufgrund des Entstehungsjahres möglich, das Bild mit dem epochalen Friedensschluss zu verbinden, das Matthäuswort auf die Frieden schließenden Kriegsparteien und das Bild als Preisung des nach 30 Jahren Krieg und Elend neu erlangten Friedens zu deuten.

 

Ein Indiz, dass sich Sandrart tatsächlich auf das historische Ereignis bezogen haben könnte, liefern zumindest die im gleichen Zeitraum in ansehnlicher Zahl durch ihn geschaffenen Porträts von am Krieg beteiligten Persönlichkeiten, wie z.B. Octavio Piccolomini, Carl Gustav von Schweden oder Carl Gustav Wrangel (Klemm 1986, S. 180 ff.).

 

Schließlich kann auch die beschriebene Verschränkung profaner und religiöser Ikonografie, die Überlagerung profaner und biblischer Friedenssymbolik, die dem Gemälde seinen besonderen Charakter verleiht, als Anspielung auf die im Westfälischen Frieden vollzogene Aussöhnung profaner und kirchlicher Kriegsparteien gedeutet werden.

 

Hermann Arnhold