ANTON SCHINDLING Andersgläubige Nachbarn Mehrkonfessionalität und Parität in Territorien und Städten des Reichs |
Es gab im Alten Reich Territorien und Städte, die konfessionell weitgehend homogen waren und so dem Modell des geschlossenen Konfessionsstaates entsprachen. Aber es gab daneben eine Vielzahl von politischen Einheiten, die mit unterschiedlichen Anteilen konfessionell gemischt waren, die den Minderheiten einen offiziellen Status einräumten oder die sogar eine konfessionell paritätische Verfassung hatten. Der Westfälische Frieden bestimmte in seinem Osnabrücker Teilfrieden fast immer direkt oder indirekt die Positionen von Mehrheiten- und Minderheitenkonfession und ihre Einbindung in die territoriale oder städtische kirchliche Ordnung. Dafür war in erster Linie die Normaljahrsregelung maßgebend, die die Besitzstände von Katholiken und Augsburger Konfessionsverwandten auf den Stichtag des 1. Januar 1624 festschrieb. Zwischen Lutheranern und Reformierten sollte ein ähnlicher Normaltermin mit dem Abschlußdatum des Westfälischen Friedens 1648 gelten. Bei Konfessionsstreitigkeiten war so eine formalisierte Entscheidungsnorm gegeben, die nach den verworrenen Besitz- und Konfessionswechseln des Dreißigjährigen Krieges Beruhigung und Rechtssicherheit versprach. Die konkreten Auswirkungen des Normaljahrstermins waren dabei vielfach von lokalen Umständen und Zufällen abhängig - je nachdem, wie sich die besonderen Verhältnisse am 1. Januar 1624 gestaltet hatten. Dennoch lassen sich in der bunten Vielfalt der Territorien und Städte des Reiches mehrere Typen von zweikonfessionellen oder sogar dreikonfessionellen Konfigurationen ausmachen, die im folgenden beschrieben werden sollen.
Der geschlossene Konfessionsstaat, wie er katholischerseits in Spanien, Portugal und den italienischen Staaten, lutherischerseits in den skandinavischen Königreichen verwirklicht war, blieb auf dem Boden des Reiches nur annäherungsweise möglich. Am nächsten kamen diesem Staatsmodell die habsburgischen Erblande, für die gemäß dem Westfälischen Frieden das Normaljahr 1624 nicht galt, da der Kaiser hier die während des Dreißigjährigen Krieges durchgeführte Gegenreformation absichern wollte. [2] Aber die habsburgische Rekatholisierung hatte ihre Lücken. Trotz der Illegalität überlebten in den österreichischen Alpenländern, in Böhmen und Mähren in abgelegenen ländlichen Gebieten im Geheimen zahlreiche protestantische Gemeinden. Weltliche und kirchliche Obrigkeiten wurden des Phänomens nicht Herr - weder durch Zwang, noch durch geistliche Werbung. Eine geheime protestantische Schriftenmission aus den Reichsstädten Regensburg und Nürnberg und aus Sachsen unterstützte die verfolgten Glaubensbrüder. Auch Zwangsumsiedlungen nach Siebenbürgen, wo die Protestanten Religionsfreiheit genossen, lösten das Problem nicht. Als schließlich Kaiser Joseph II. 1781 das Ruder herumriß und seinen nichtkatholischen Untertanen Toleranz gewährte, meldeten sich die bislang illegalen Protestanten zu Hunderten und ließen sich als Bethausgemeinden von den Behörden registrieren. Einen Sonderfall unter den habsburgischen Ländern stellte 1648 Schlesien dar. [3] In Schlesien mußte der Kaiser auf Drängen Kursachsens und Schwedens den Protestanten einen offiziellen Status einräumen. In der Stadt Breslau und in den noch von der einheimischen Dynastie der Piasten regierten Mediatfürstentümern Liegnitz, Brieg und Wohlau sollte öffentliche Religionsausübung für die Augsburger Konfessionsverwandten erlaubt sein, und in den habsburgischen Erbfürstentümern sollten an drei Orten, nämlich in Schweidnitz, Jauer und Glogau, protestantische Kirchen neu erbaut werden dürfen, die sogenannten Friedenskirchen. Den tatsächlichen Konfessionsverhältnissen in der schlesischen Bevölkerung entsprach dies allerdings nicht; vor allem in Oberschlesien waren die Protestanten in einer ähnlichen Situation der Illegalität wie in den anderen böhmischen und österreichischen Ländern. In Fortschreibung des Westfälischen Friedens hat hier erst die Altranstädter Konvention von 1707 eine weitergehende Regelung zugunsten der protestantischen Bevölkerungshälfte Schlesiens gebracht, als König Karl XII. von Schweden von Kaiser Joseph I. als Zugeständnis den Bau weiterer evangelischer Kirchen, der sogenannten Gnadenkirchen, erzwang.
Ähnliche Verhältnisse wie in den österreichischen Alpenländern bestanden in den benachbarten geistlichen Fürstentümern Salzburg und Berchtesgaden, wo ein ländlicher Geheimprotestantismus überlebte, der nicht die Chance hatte, sich auf öffentlichen Gottesdienst im Normaljahr 1624 berufen zu können. Als der Salzburger Fürsterzbischof 1732 seine protestantischen Untertanen vor die Alternative Konversion oder Auswanderung stellte, hatte er das formale Reichsrecht des Westfälischen Friedens auf seiner Seite, belastete mit seinem Vorgehen jedoch schwer die interkonfessionellen Beziehungen im Reich. [4] Sehr viel geschlossener als Salzburg stellte sich 1648 das Kurfürstentum Bayern in seiner landeseinheitlichen Katholizität dar, das auch die während des Krieges durchgeführte Rekatholisierung der Oberpfalz unbeeinträchtigt über die Westfälischen Friedensverhandlungen hinwegbrachte. [5] Auch das katholische Bayern mußte jedoch mit den lutherischen Enklaven der Reichsstadt Regensburg und der Grafschaft Ortenburg leben sowie mit der protestantischen Nachbarschaft in Franken und Schwaben. Die Reichsunmittelbarkeit einer noch so kleinen territorialen oder städtischen Einheit schützte gemäß dem Westfälischen Frieden die von dem übermächtigen Nachbarn abweichende Konfession. Ähnliche Konstellationen gab es öfter im Reich, so beispielsweise mitten in der protestantischen Landgrafschaft Hessen die kurmainzischen katholischen Enklaven Amöneburg, Neustadt, Naumburg und Fritzlar oder das ebenfalls kurmainzische Eichsfeld zwischen lutherischen Territorien der Wettiner und Welfen. [6] Der Geheimprotestantismus in Österreich, Böhmen und Salzburg einerseits und das reichsunmittelbare Zwergterritorium bzw. die reichsunmittelbare Enklave inmitten eines konfessionell geschlossenen größeren Territorialstaats andererseits sind zwei einander entgegengesetzte Grenzfälle im Spektrum der im Reich möglichen Konfigurationen von Mehrkonfessionalität. Schlesien vertritt daneben eine weitere Möglichkeit, nämlich den durch auswärtige Verträge abgesicherten Minderheitenstatus einer Konfession. Mit Schlesien vergleichbar war die Situation in den Lausitzen, wo die Abtretungsverträge zwischen dem Kaiser und dem Kurfürsten von Sachsen den letzteren verpflichteten, den Minderheitenstatus der Katholiken zu bewahren. [7]
Die Lausitzer Katholiken konnten sich gegenüber dem neuen sächsischen Landesherrn auch auf das Normaljahr des Westfälischen Friedens berufen. Dies galt ebenso für die katholischen Minderheitenpositionen in den seit dem 16. Jahrhundert mehrheitlich lutherischen geistlichen Fürstentümern Magdeburg, Halberstadt und Minden, die im Westfälischen Frieden an Kurbrandenburg abgetreten wurden mit der ausdrücklichen Verpflichtung für den Kurfürsten von Brandenburg, die Konfessionsverhältnisse zu wahren. [8] Die katholischen Minoritäten scharten sich in allen diesen Fällen um kirchliche Institutionen wie Domkapitel, Stiftskapitel oder Klöster, die im Normaljahr ganz, teilweise oder auch nur noch mit Randpositionen katholisch gewesen waren. Solche jetzt vom Normaljahr abgesicherten Minderheitenpositionen markierten Grenzen der Konfessionalisierungen in den vorangegangenen Jahrzehnten - Grenzen, die sich manchmal aus glaubensfestem Widerstand von Minoritäten, manchmal auch nur aus Zufällen stabilisiert hatten. Die fortbestehenden katholischen Domherrenstellen, Stifte und Klöster in einem protestantischen Umfeld im Norden hatten dem lutherischen Konfessionalisierungsdruck standgehalten, ebenso wie gegenüber katholischen Landesherren die Protestanten in Erfurt und im habsburgischen Schlesien. [9] Sogar im evangelischen Fürstbistum Lübeck überlebten vier katholische Domherrenkanonikate im Domkapitel. [10] Die Konfessionsverteilung des Normaljahrs 1624 legte bis hinein in einzelne Ortschaften die Grenzen der gegenseitigen Konfessionalisierbarkeit unwiderruflich fest. [11] In einer Reihe von evangelischen Reichsstädten überdauerten so katholische Stifte und Klöster sowie die - ohnehin reichsunmittelbaren und damit dem Zugriff des reichsstädtischen Magistrats entzogenen - Kommenden des Deutschen Ordens. Frankfurt am Main, Nürnberg, Regensburg, Wetzlar, Worms, Dortmund, Ulm und Heilbronn seien hier als Beispiele genannt. [12] In Wetzlar wurde und wird die Stifts- und Pfarrkirche St. Marien sogar simultan genutzt; die Bikonfessionalität der kleinen Reichsstadt an der Lahn war eine wichtige Voraussetzung dafür, daß am Ende des 17. Jahrhunderts das Reichskammergericht von Speyer hierher verlegt wurde. Ein Sonderfall war die Reichsstadt Regensburg, in der die lutherische Bürgerschaft einer Vielzahl von katholischen Einrichtungen gegenüberstand - vom reichsunmittelbaren Fürstbistum Regensburg über die ebenso reichsunmittelbare Abtei St. Emmeram bis hin zu einer ganzen Reihe von weiteren Stiften und Klöstern, gegen die der Rat keine Machtmittel hatte.[13]
Die Mehrheit der Einwohner war in Regensburg durch Zuwanderung schon einige Jahrzehnte nach dem Westfälischen Frieden wieder katholisch, während das Reichsstadtregiment bis zum Ende des Alten Reiches protestantisch blieb. Demgegenüber erreichten die Katholiken in den anderen evangelischen Reichsstädten, in denen abgesicherte katholische Rechtspositionen galten, nirgendwo auch nur annähernd die Hälfte, geschweige denn eine Mehrheit in der Einwohnerschaft. Eine Zuwanderung von Menschen, die nicht die Stadtkonfession hatten, gab es immerhin in vielen der größeren Reichsstädte. In den evangelischen Reichsstädten reichte das Spektrum von katholischen Dienstboten bis zu katholischen Kaufleuten aus Italien. Blieben die Zuwanderer auf Dauer, so erhielten sie meist das Recht von Beisassen, ganz selten nur das Bürgerrecht - ein Beispiel für den Beisassenstatus sind die italienischen Kaufleute, die sich schon bald nach dem Westfälischen Frieden in der lutherischen Reichsstadt Frankfurt am Main niederzulassen begannen. Eine katholische Migration in evangelische Städte wurde erkennbar begünstigt durch die Existenz katholischer Institutionen, wie es auch in Frankfurt die katholischen Stifte und Klöster waren. Eine ähnliche Konstellation wie in evangelischen Reichsstädten gab es in einigen größeren autonomen Territorialstädten. Hingewiesen sei hier auf die klevische, dann kurbrandenburgische Stadt Soest, auf die Bischofsstädte Hildesheim und Minden, auf das unter habsburgischer Herrschaft stehende schlesische Breslau und auf das kurmainzische Erfurt: In diesen Städten, deren Bürger zur Reformation übergetreten waren, überlebten katholische Stifte, die auf Dauer die Präsenz von katholischen Minderheiten garantierten.
Der Westfälische Frieden sagte nichts aus über fremdkonfessionelle Zuwanderungen. Er sah - im Gegenteil - das Auswanderungsrecht von Dissidenten vor, die sich der vom Normaljahr 1624 festgelegten Landeskonfession nicht anschließen wollten und die unter Garantie ihres Besitzes in ein Territorium oder eine Stadt ihres Glaubens auswandern durften. Dieses ius emigrandi sollte der konfessionellen Homogenisierung von Territorien dienen, wie es noch 1732 bei der Ausweisung der Salzburger (Geheim-)Protestanten durch den Fürsterzbischof praktiziert wurde. Andererseits ließ eine Reihe von Städten und Territorien im Reich aus wirtschaftlichen Gründen die Zuwanderung auch von Christen zu, die nicht der eigenen Konfession anhingen - die gleichfalls wirtschaftlich bedingte Zuwanderung von Juden muß hier außer Betracht bleiben. Die lutherischen Handelsstädte Frankfurt am Main und Hamburg sind bekannte Beispiele für Mehrkonfessionalität durch Migration [14]: Hier konnten Katholiken und Calvinisten sich - als Beisassen, nicht als Bürger - niederlassen und ihren Geschäften nachgehen; die Frage des öffentlichen Gottesdienstes war allerdings ein Problem, wenn nicht das Normaljahr zwingende Vorschriften zugunsten der Minderheit bereithielt (so zum Vorteil der Katholiken in Frankfurt). Im Fall von Hamburg nutzten der Graf von Schaumburg-Pinneberg und später der König von Dänemark die Situation und gewährten von sich aus Religionsfreiheit im benachbarten Altona (1592/94, 1640). Dabei wurden auch christliche Gruppen, wie etwa die Mennoniten, einbezogen, für die das Reichsreligionsrecht des Westfälischen Friedens keine Duldung vorsah. Eine solche über das Reichsrecht hinausgehende Ermöglichung von Mehrkonfessionalität blieb allerdings vorerst die Ausnahme. Sie wurde in Schleswig-Holstein früh auch bei den Stadtneugründungen von Glückstadt (1616/17) und Friedrichstadt (1621) praktiziert. [15]
Die großen Wanderungsbewegungen, zu denen es im Reich nach dem Westfälischen Frieden kam, waren lange noch stark konfessionell geprägt - wie die Zuwanderung in die kriegszerstörten Gebiete der Kurpfalz, von Pfalz-Zweibrücken und Württemberg, nach Hessen, Brandenburg-Preußen und nach Ungarn. Die reformierten Schweizer und die Waldenser wurden von der Pfälzer und der württembergischen Landeskirche integriert, die reformierten Hugenotten verstärkten in Brandenburg-Preußen, in Hessen-Kassel, in Hessen-Homburg oder in der wetterauischen Grafschaft Ysenburg die Konfession der gleichfalls reformierten Landesherren, die Salzburger kamen in Ostpreußen in ein lutherisch konfessionalisiertes Territorium, und zur Neubesiedlung Ungarns wurden zunächst nur katholische Donauschwaben eingeladen. Obwohl das Jahrhundert nach dem Westfälischen Frieden lebhafte Migrationsströme im Reich brachte, wurde dadurch die im Frieden festgeschriebene Konfessionskarte der deutschen Länder und Städte zunächst allenfalls lokal verändert - am meisten noch in der Kurpfalz und in Pfalz-Zweibrücken, zwei von der Ausgangslage her reformierten Territorien, die sich durch lutherische und katholische Zuwanderung seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu dreikonfessionellen Gebieten verwandelten. [16]
Der Aufschwung des Katholizismus in der Kurpfalz, die vor dem Dreißigjährigen Krieg einmal das Herzland des deutschen Calvinismus gewesen war, resultierte aus dem dynastischen Herrscherwechsel des Jahres 1685: Auf die reformierte Simmerner Linie der Pfälzer Wittelsbacher folgte die katholische Linie Pfalz-Neuburg, von deren Kurfürsten die Rekatholisierung der Pfalz betrieben wurde - unter Umgehung des Westfälischen Friedens und mit einem zumindest teilweisen Erfolg. Die Neuburger Rekatholisierungspolitik in der Pfalz wurde möglich im Zusammenspiel mit Frankreich durch die Rijswijker Klausel von 1697, die in den Friedensvertrag nach dem Pfälzer Erbfolgekrieg eingefügt wurde und die in den während des Krieges von den Franzosen besetzten Orten den öffentlichen katholischen Gottesdienst garantierte. Es kam in der Folge in der Kurpfalz zu erheblichen konfessionellen Zwistigkeiten, die zwar die interkonfessionellen Beziehungen zwischen den Reichsständen schwer belasteten, schließlich jedoch durch die von der Reichsverfassung bereitgestellten Konfliktregelungsmechanismen eingedämmt wurden und sich ebensowenig zu einem Flächenbrand ausweiteten wie alle noch nachfolgenden Konfessionsstreitigkeiten im Alten Reich. [ ] In den meisten Orten der Kurpfalz wurden die Kirchen dergestalt aufgeteilt, daß der durch eine Mauer abgetrennte Chor den Katholiken und das Schiff den Reformierten zur Verfügung standen. Auch die Lutheraner, die ebenso wie die Katholiken durch Zuwanderung ins Land kamen, erhielten Kirchen für ihren öffentlichen Gottesdienst; im Fall der Stadt Oppenheim am Rhein schrieb dies sogar der Westfälische Frieden vor, der damit die mehrkonfessionelle Nachkriegsentwicklung der Kurpfalz einleitete.
Das Normaljahr des Westfälischen Friedens hinderte an sich Landesherren daran, ihre eigene Konfession oder eine persönliche Konversion auch den Untertanen aufzuzwingen. Obgleich der Westfälische Frieden das ius reformandi der Landesobrigkeit und damit das Prinzip des cuius regio eius religio explizit bestätigte, hob er es doch zugleich implizit mit der Überordnung des Normaljahrs für die Zukunft auf. Die Konversion des Landesherrn vom Protestantismus zum Katholizismus - was nach 1648 mehrfach vorkam - konnte für ein evangelisches Land in unterschiedlichem Ausmaß das Nebeneinander von zwei Konfessionen nach sich ziehen, indem katholische Kirchengemeinden in Abweichung von dem Normaljahr 1624 neu errichtet und gefördert und so die Spielräume des Westfälischen Friedens jeweils ausgelotet wurden. In der Sekundogenitur Hessen-Rheinfels zum Beispiel ermöglichte der Konvertit Landgraf Ernst von Hessen-Rheinfels die Neugründung katholischer Gemeinden, im kleinen Fürstentum Pfalz-Sulzbach in der Oberpfalz führte Pfalzgraf Christian August in den Kirchen Simultaneen zugunsten seiner neuen katholischen Glaubensbrüder ein. [17] In Hannover unter Herzog Johann Friedrich, in Schwerin unter Herzog Christian Louis und in Dresden seit August dem Starken blieb der Katholizismus auf eine Hofgemeinde im Umkreis des Fürsten und der fürstlichen Familie begrenzt. So war es dann auch bei den späteren Fürstenkonversionen im 18. Jahrhundert in Württemberg und Hessen-Kassel. In Pfalz-Zweibrücken hatte die katholische Zuwanderung in das kriegszerstörte Land bereits geraume Zeit vor der Nachfolge von katholischen Herzögen in der Landesherrschaft begonnen. [18] Die katholischen Residenzgemeinden in protestantischen Territorien der Barockzeit hatten neben dem persönlichen Umfeld des Fürsten noch ein besonderes Element durch die oft zahlreichen italienischen Hofkünstler, die eine besondere Form der Arbeitsmigration mit konfessioneller Kontur darstellten. An einer ganzen Reihe von deutschen Fürstenhöfen wurden so - ähnlich wie in den großen Handelsstädten - die strengen Konformitätsmuster der Konfessionalisierung seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts durchbrochen und damit in Frage gestellt.
Die brandenburg-preußische Konfessionspolitik wird oft als eine Art "Königsweg" zur Toleranz in der deutschen Geschichte dargestellt - dies im Kontrast zu Österreich und den anderen größeren Territorien des Alten Reichs. Jedoch muß dabei auch, mehr als es meistens geschieht, auf die Rahmenbedingungen eingegangen werden, die der Westfälische Frieden für die Berliner Regenten setzte. [19] Seit dem Übertritt Kurfürst Johann Sigismunds zum Calvinismus 1613 bildete sich in der Mark Brandenburg eine spezifische Form von innerprotestantischer Zweikonfessionalität heraus: Das Land blieb lutherisch, was der Kurfürst den Ständen 1615 auch vertraglich zusichern mußte, die Dynastie, der Hof, die hofnahe Beamtenschaft und die Landesuniversität Frankfurt an der Oder bekannten sich demgegenüber zum Reformiertentum. Der Calvinismus profilierte sich in Brandenburg-Preußen als eine Hof- und Beamtenreligion - dies im Gegensatz zu anderen reformierten Territorien wie der Kurpfalz, Nassau-Dillenburg, Wittgenstein, Bentheim-Tecklenburg, Lippe, Anhalt und Ostfriesland, wo die reformierte Kirche entweder das gesamte Land oder doch zumindest wesentliche Teile des Landes umfaßte. [20] Wenn es auch in Ostfriesland, Lippe und Anhalt im territorialen Kontext ein andauerndes Nebeneinander von Reformierten und Lutheranern gab, so war die reformierte Kirche doch nirgendwo so prononciert eine Religionsgemeinschaft von Herrschafts- und Funktionseliten wie in Brandenburg-Preußen. Durch die Ansiedlung der aus Frankreich vertriebenen Hugenotten unter dem Großen Kurfürsten und deren Stellung als eine staatsnahe, privilegierte Zuwanderergruppe wurde dieser Charakter des Reformiertentums in den hohenzollernschen Territorien noch verstärkt. Daß führende ostpreußische Adelsfamilien, wie die Grafen von Dohna und von Finckenstein, ebenfalls zum Calvinismus übertraten, paßt in dieses Bild der calvinistischen Minderheitenposition, die für den werdenden preußischen Gesamtstaat von einer tragenden Bedeutung werden sollte.
Über die lutherisch-calvinistische Zweikonfessionalität hinaus hatte sich für die Berliner Kurfürsten jedoch früh der Zwang auch zur Duldung katholischer Untertanen ergeben, und zwar durch das jülisch-klevische Erbe am Niederrhein und in Westfalen seit 1609/1614. Die klevischen Herzöge hatten in ihren Territorien aus erasmianischer Gesinnung auf Konfessionszwang verzichtet und die freie Entfaltung aller drei Konfessionen zugelassen, was zu einer unterschiedlich durchmischten Dreikonfessionalität in Jülich, Berg, Kleve, Mark und Ravensberg führte. [21] In den Erbverträgen zwischen Pfalz-Neuburg und Kurbrandenburg über die Teilung der klevischen Lande wurde die Garantie für alle drei Bekenntnisse festgelegt. Im Westfälischen Frieden wurden die Erbverträge über die jülisch-klevischen Territorien zwar nicht erwähnt, aber es war klar, daß die Normaljahrsregelung diese einschloß; allerdings gab es noch Auseinandersetzungen, ob für diese Gebiete nicht ein früheres Normaljahr als 1624 gelten müsse. Bei allen andauernden Reibereien zwischen Kurbrandenburg und Pfalz-Neuburg wurde jedoch die grundsätzliche Festlegung auf eine dreikonfessionelle Duldungspolitik in den fünf Territorien des jülich-klevischen Erbes nie in Frage gestellt. Die Berliner Hohenzollern wurden vielmehr durch den Westfälischen Frieden zusätzlich auf die Gewährleistung der katholischen Minderheitenpositionen in den ehemaligen geistlichen Fürstentümern Magdeburg, Halberstadt und Minden verpflichtet, die 1648 zugunsten von Kurbrandenburg als Entschädigung für Vorpommern säkularisiert wurden. Brandenburg-Preußen war somit spätestens seit dem Westfälischen Frieden zumindest für alle seine Territorien westlich der Elbe an eine mehrkonfessionelle Minderheitenpolitik gebunden, die breiter angelegt war als in fast allen anderen Territorien und Städten des Reichs. Im 18. Jahrhundert wurde diese pragmatisch und reichsrechtlich begründete Toleranzpolitik dann durch die Ideen des Naturrechts und der Aufklärung auch staatstheoretisch legitimiert und sicherte Preußen einen Modernitätsvorsprung vor der Habsburgermonarchie und anderen Reichsterritorien.
Die konfessionelle Entschiedenheit der Zeit nach 1648 hatte sich jedoch erst allmählich herausgebildet. In den Territorien und Städten des Heiligen Römischen Reichs trafen frühe und späte Konfessionalisierungen im Zeitraum zwischen dem Augsburger Religionsfrieden und dem Dreißigjährigen Krieg offenbar auf einen von Generation zu Generation sich verdichtenden Prozeß der religiös-konfessionellen Identitätsfindung und Traditionsbildung - ein gestreckter Prozeß, in dem sich Druck von oben und Akzeptanz von unten verbanden. Abgesehen von Stammländern der Reformation wie Sachsen, Hessen und (Herzogtum) Preußen und den früh evangelischen Städten wie Nürnberg, Straßburg und Hamburg war der Prozeß der breitenwirksamen Ausbildung von neugläubig-protestantischem und altgläubig-katholischem Kollektivbewußtsein zeitlich sehr gedehnt. In vielen Regionen gab es Mischformen zwischen alter Kirche und neuem Glauben, und es gab auch "konfessionelles Niemandsland", wie der Historiker Volker Press es für Gebiete und Familien der Reichsritterschaft formuliert hat.
Die konfessionelle Unentschiedenheit und das Offenhalten von Optionen waren in Kreisen des ritterschaftlichen Adels verbreitet, vor allem wenn männliche und weibliche Familienangehörige in reichskirchlichen Domkapiteln und Damenstiften bepfründet waren und die Entscheidung für den neuen Glauben den Verlust von Pfründenchancen bedeutete. Stabile konfessionelle Familienprofile bildeten die Niederadeligen - sowohl reichsritterschaftliche [25] als auch im Territorium landsässige Familien - oft erst im Laufe des 17. Jahrhunderts aus. Die Reichsritterschaft als reichsunmittelbare Korporation vermied jedoch im ganzen eine konfessionelle Festlegung ebenso wie ihre Teilgliederungen, die Ritterkreise und Ritterkantone in Franken, Schwaben und am Rhein, die in ihrer Mehrzahl hinsichtlich der Mitgliederfamilien und hinsichtlich der Untertanen konfessionell gemischt waren. Den Mitgliedern der Reichsritterschaft blieb grundsätzlich die Entscheidungsfreiheit zwischen den im Reich erlaubten Konfessionen; die einzelnen Ritter hatten das Glaubensbekenntnis ihrer dörflichen Untertanen bestimmt, wobei natürlich gerade bei einem solchen reichsnahen Verband nach 1648 das Normaljahr strikte Beachtung fand. Auch die von niederadeligen Mitgliedern geprägten geistlichen Ritterorden, der Deutsche Orden und der Johanniterorden, hatten - bei katholischer Dominanz - ihre evangelischen Teile; die Deutschordensballei Hessen in Marburg zum Beispiel war sogar dreikonfessionell mit reformierten, lutherischen und katholischen Ordensangehörigen. [26] Im Falle der Reichsritter erwiesen sich die Strukturen des Reichs - ebenso wie bei den Reichskorporationen der Reichsgrafen und der Reichsstädte - als nicht konfessionalisierbar; die Reichsverfassung blieb resistent gegenüber jeglichen Vereinnahmungsabsichten von seiten einer Konfessionspartei. Hier klafften Lücken zwischen den konkurrierenden Konfessionalisierungen - und zwar mehrfach ganz konkret auf der konfessionellen Landkarte.
Konfessionelle Niemandsländer waren nicht nur reichsritterschaftliche Gebiete, sondern auch manche Kondominate von verschiedenkonfessionellen Herren, so die zweiherrischen oder mehrherrischen Gemeinherrschaften der badischen Markgrafen [27] oder der Kurfürsten von Mainz und der Pfalz. In manchen Kondominaten war faktisch Religionsfreiheit für die Untertanen gegeben, die sich der Konfession eines der konkurrierenden Kondominatsherren anschließen konnten. Das Normaljahr 1624 galt natürlich nach dem Westfälischen Frieden für die Benützung der Kirchen. In der kleinen Lebenswelt der badischen, pfälzischen und mainzischen Kondominate im Schwarzwald, im Hunsrück und im Taunus bildete sich ein besonderes Nebeneinander der Konfessionen im Alltag der Menschen heraus. Gerade aus Kondominaten werden eigentümliche Bräuche des konfessionellen Zusammenlebens erzählt: In Tigerfeld auf der Schwäbischen Alb, einem Kondominatsdorf zwischen Württemberg und einem Reichsritter, gab es ein konfessionell geteiltes Bauernhaus; je nachdem in welcher Haushälfte die Kinder geboren wurden, erhielten sie die Taufe in der ritterschaftlich-katholischen oder in der württembergisch-evangelischen Kirche. In Eppstein, einem kurmainzisch-hessischen Kondominat im Taunus, fand sich der Brauch bei konfessionell gemischten Ehen, daß die Trauung in der einen Kirche und die Kindstaufen in der anderen erfolgten. Die Familien lebten hier buchstäblich zwischen den Konfessionen. Solche Kondominatsverhältnisse zeigen lebenspraktische Grenzen der territorialstaatlichen Konfessionalisierung. Allerdings scheint es in manchen Kondominaten sowie in reichsritterschaftlichen Herrschaften, deren Inhaber die Konfession wechselten, auch eine feste Korrelation von Konfession, bäuerlichem Besitz und dörflicher Sozialstruktur gegeben zu haben, vor allem wenn nach dem Dreißigjährigen Krieg eine von dem Normaljahrsbekenntnis abweichende anderskonfessionelle Zuwanderung erfolgte. Insgesamt ist zu betonen, daß die allzu wenig bekannte Konfessionsgeschichte der reichsritterschaftlichen Herrschaften ebenso wie die der Kondominate noch ein lohnendes Feld für künftige Forschungen ist. Die Häufigkeit und Praxis von konfessionell gemischten Ehen wäre dabei ein besonderes Problem, und zwar auf der Ebene der Herrschaft ebenso wie auf der der Untertanen.
Die Aufteilung der konfessionellen Niemandsländer und die Sortierung der Gläubigen erfolgten oft erst nach dem Friedensschluß von 1648. Jetzt bildeten sich auch unterschiedliche konfessionelle Erinnerungskulturen aus, gerade im Rückblick auf den Dreißigjährigen Krieg und den Westfälischen Frieden - mit Wallfahrten, Gelöbnistagen und Friedensfeiern. Zu einer definitiven Abgrenzung der Konfessionen in den äußeren Erscheinungs- und Lebensformen kam es vielfach erst nach 1648. Nicht nur in dem Fürstbistum Osnabrück vor dem Dreißigjährigen Krieg, worauf noch näher einzugehen ist, sondern auch anderswo waren in Liturgie und kirchlichem Brauchtum die Grenzen zwischen Luthertum und alter katholischer Kirche bis ins 17. Jahrhundert hinein fließend - vor allem in norddeutschen und ostdeutschen Landeskirchen. Dies gilt für das Luthertum in der Mark Brandenburg und in Schlesien, das in den äußeren Formen stark altkirchlich geprägt blieb. Altäre und Bilder in den Kirchen, die deutsche Messe, die Verwendung der alten liturgischen Gewänder, Versehgänge und die Feier der traditionellen kirchlichen Feiertage belegen diese Kontinuität über den Bruch in der theologischen Lehre hinweg. In den welfischen Territorien bestanden Stifts- und Klosterkonvente fort mit einer evangelisch-monastischen Tradition. [28] Für die Wahrnehmung des einfachen Volkes muß die Reformation im Erfahrungsraum solcher Landeskirchen eher als ein gleitender Übergang denn als eine grundsätzliche Wende erschienen sein.
Am Ende des Überblicks über zweikonfessionelle und mehrkonfessionelle Konstellationen bei den Teileinheiten des Reichs ist nunmehr die Parität zu behandeln, auf die der Westfälische Frieden als zweite Stütze neben dem Normaljahr den Religionsfrieden in Deutschland gründete. Der Osnabrücker Frieden nennt die Parität eine "Aequalitas exacta mutuaque", und er präsentiert auch zwei Modelle für konfessionell paritätische Ordnungen bei Gliedern des Reichs, nämlich einerseits die vier schwäbischen Reichsstädte Augsburg, Biberach, Dinkelsbühl und Ravensburg und andererseits das Fürstbistum Osnabrück. Es handelt sich dabei um Einheiten, die vor und während des Dreißigjährigen Kriegs von besonders heftigen Konfessionskämpfen erschüttert wurden. Sowohl in Osnabrück als auch in den vier schwäbischen Reichsstädten, vor allem in Augsburg, standen sich Katholiken und Lutheraner als zahlenmäßig und politisch etwa gleich starke Lager gegenüber; während des Krieges hatten sie je nach dem Vorherrschen der kaiserlichen und ligistischen oder der schwedischen Heere versucht, die Gegenseite mit Gewalt zurückzudrängen, wodurch die wechselseitigen feindseligen Emotionen geschürt worden waren. Nur eine strikt formale Juridifizierung des konfessionellen Nebeneinanders konnte in diesen heiklen Fällen das Konfliktpotential entschärfen und eine politische Zukunft dieser reichsständischen Einheiten sicherstellen. Der Osnabrücker Frieden brachte hier zwei unterschiedliche Formen von Parität zur Anwendung: in den schwäbischen Reichsstädten [29] sollte strikte Ämterparität durch kollegiale Doppelbesetzung der städtischen Ämter mit Katholiken und Protestanten die Zusammenarbeit sichern; im Fürstbistum Osnabrück [30] sollte Verfahrensparität bei der Besetzung des fürstbischöflichen Stuhls gelten durch die sogenannte "alternative Sukzession" abwechselnd von katholischen und lutherischen Fürstbischöfen.
In Augsburg wurden nicht nur die Magistratsämter aufgeteilt, auch die Pfarreien und Pfarrkirchen wurden verdoppelt. Katholische und lutherische Pfarrkirchen stehen mehrfach direkt nebeneinander, ebenso die Spitäler; beide Seiten hatten auch ihre Kirchenvermögen und ihr Bildungswesen, insbesondere Gymnasien, nämlich das evangelische Gymnasium bei St. Anna und das katholische Jesuitengymnasium St. Salvator. Eine "unsichtbare Grenze" zog sich fortan durch die große Bürgerstadt am Lech. Die Augsburger Katholiken hatten eine starke Stütze am Fürstbistum, wenngleich der Fürstbischof außerhalb der Reichsstadt in Dillingen an der Donau residierte, sowie am Haus Fugger, das vom führenden Handels- und Finanzhaus in den Reichsgrafenstand mit Territorialbesitz im Umland aufgestiegen war. Für die evangelischen Augsburger gab es keine derart einflußreichen Helfer in der Stadt selbst, wohl aber die Unterstützung durch die etwas entfernteren evangelischen Reichsstände. Ihre Dankbarkeit für die Errettung aus den konfessionellen Bedrängnissen des Dreißigjährigen Kriegs drückten die Augsburger Protestanten mit der alljährlichen Feier des Friedensfestes aus, das zunächst ein rein evangelisches Dankfest war und erst im 19. Jahrhundert den Charakter eines ökumenischen Stadtfestes erhielt. In Biberach, Dinkelsbühl und Ravensburg wurden analoge paritätische Einrichtungen wie in Augsburg getroffen; in Biberach wurde sogar die alte Stadtpfarrkirche von beiden Konfessionen simultan genützt. An dem Muster der vier Städte orientierte sich auch die gemischtkonfessionelle kleine Reichsstadt Kaufbeuren ebenfalls in Ostschwaben, die allerdings im Osnabrücker Frieden nicht genannt wird. Augsburg als die wichtigste der paritätischen Reichsstädte war nach 1648 einerseits durch verhärtete Fronten im alltäglichen Nebeneinander der Konfessionen gekennzeichnet, durch Verfestigung der konfessionellen Identitäten und der wechselseitigen Abgrenzung: Konfessionelle Mischehen und Konversionen blieben im späteren 17. und im 18. Jahrhundert äußerst selten. [31] Andererseits gab es aber doch auch mancherlei wechselseitige Berührungen, zum Beispiel im Feld der religiösen Kunst, da die Stadt am Lech auch in der späten Reichsstadtzeit ihren Rang als überregionales Zentrum für Kunstwerkstätten und Kunsthandwerk behauptete: Aus evangelischen Augsburger Goldschmiedewerkstätten kamen so zahlreiche prachtvolle katholische Barockmonstranzen.
In Osnabrück wurde die komplizierte Regelung der alternativen Sukzession in der Landesherrschaft gefunden, um einerseits die von den Protestanten auf dem Westfälischen Friedenskongreß geforderte Säkularisation des etwa zur Hälfte wieder katholischen Fürstbistums zu vermeiden und um andererseits die bei dem Friedensschluß etwas zu kurz gekommenen Welfen mit einem Territorialgewinn zufrieden zu stellen. Das Osnabrücker Domkapitel war - bei drei protestantischen Domherrenstellen - ganz überwiegend katholisch und sollte in kanonischer Weise die katholischen Fürstbischöfe in jeder zweiten Amtsperiode wählen. Die mit diesen katholischen Regenten alternierenden lutherischen Fürstbischöfe sollten dagegen aus der Calenberger, d.h. Hannoveraner Linie des Welfenhauses genommen werden. In der Regierungszeit eines evangelischen Fürstbischofs war der Kölner Erzbischof als geistlicher Oberhirte auch für die Osnabrücker Katholiken zuständig; die Lutheraner konnten sich dagegen zur Zeit katholischer Regentschaften an Hannover anlehnen. Die Kirchen und Pfarreien in Stadt und Stift Osnabrück wurden gemäß dem Normaljahrstermin 1. Januar 1624 zwischen Lutheranern und Katholiken aufgeteilt. Bevölkerungsmäßig dominierten die Evangelischen in der Stadt Osnabrück, die Katholischen in Teilen des Territoriums. Über die komplizierten Aufteilungsfragen wurde 1650 die Capitulatio Perpetua als eigenes Osnabrücker Staatsgrundgesetz ausgehandelt. Festgelegt wurde jeweils gemäß dem Normaltermin die Konfession der Pfarrer und des in einer Kirche abzuhaltenden öffentlichen Gottesdienstes. Das Fürstbistum Osnabrück war bis zum Beginn des Dreißigjährigen Krieges ein konfessionelles Niemandsland besonders verworrener Art geblieben. Als der tridentinisch-katholische Visitator Lucenius in den 1620er Jahren die Osnabrücker Kirchengemeinden überprüft hatte, waren sich die Pfarrer meist im unklaren gewesen, was die Unterscheidungsmerkmale zwischen Katholizismus und Luthertum seien. Mischformen wie Laienkelch und Lutherlieder in der Messe sowie die Priesterehe wurden mit dem Osnabrücker Landesbrauch begründet. Der Schub der Konfessionalisierung war in Osnabrück bis dahin noch gar nicht angekommen; er wurde jedoch schließlich nach dem Westfälischen Frieden und der Capitulatio Perpetua nachgeholt. [32] Die Untertanen hatten faktisch Wahlfreiheit zwischen Katholizismus und Luthertum, mußten sich aber für die kirchlichen Amtshandlungen Taufe, Hochzeit und Beerdigung an die sprengelmäßig zuständige Pfarrkirche halten. Bei der Aufteilung der Pfarreien kam es mehrfach zu Ungerechtigkeiten in der Weise, daß die Konfession des Pfarrers gemäß Normaljahrstermin und die Konfession der Gemeindemehrheit gegensätzlich waren, woraus in der Folge noch mannigfache lokale Streitigkeiten erwuchsen. Erst 1786 wurden zwei besonders extreme Fälle durch Neugründung je einer evangelischen und einer katholischen Pfarrei bereinigt - der evangelischen in Schledehausen und der katholischen in Fürstenau; an dieser Maßnahme war der bekannte Osnabrücker Staatsmann und Aufklärer Justus Möser entscheidend beteiligt. Trotz der Gemengelage und dem Nebeneinander im Alltag kam es im Osnabrückischen nach 1648/50 zur Ausbildung bemerkenswert stabiler konfessioneller Identitäten in den Familien und zu einer unsichtbaren Grenze zwischen den beiden Konfessionsgemeinschaften in der Stadt Osnabrück und dem Hochstift. Der interkonfessionelle Alltag im Osnabrückischen war einerseits von Mißtrauen und vielfältigen Nadelstichen und Schikanen bestimmt, andererseits aber auch von einem pragmatischen Miteinanderauskommen. So wie bis in den Dreißigjährigen Krieg hinein in Osnabrück die kirchlichen Mischformen in Glauben und Gottesdienst sehr verbreitet gewesen waren, so blieb es auch nach 1648 bei jetzt ausdifferenzierten konfessionellen Formen selbstverständlich, daß zum Beispiel die gleichen Kunsthandwerker für die barocken Innenausstattungen von katholischen und evangelischen Landkirchen arbeiteten.
Das Bildungswesen war in Augsburg und anderen zweikonfessionellen Städten - so in Hildesheim, Regensburg und Breslau - und selbstverständlich auch in Osnabrück von der konfessionellen Parität geprägt: Dem lutherischen Ratsgymnasium stand in der Bischofsstadt an der Hase das Domgymnasium, das katholische Carolinum, gegenüber. Die Parität führte freilich auch zu einer Mentalität der eifersüchtigen Besitzstandswahrung mit starren, kaum innovationsfähigen Verkrustungen in der städtischen und territorialen Gesellschaft; dafür ist das Armen- und Fürsorgewesen in Osnabrück ein Beispiel. Der ständige Zwang zur Rücksichtnahme auf die mißtrauische anderskonfessionelle Seite lähmte fast jede Initiative, die über Detailverbesserungen hinausführte. In Augsburg hatte das System der paritätischen Ämterbesetzungen ähnlich immobile Konsequenzen. Das Ende des Paritätssystems mit seinen Fesseln am Beginn des 19. Jahrhunderts durch die Säkularisation und Mediatisierung brachte sowohl für Osnabrück als auch für Augsburg den Beginn der modernen Stadtentwicklung. Dennoch hinterließ die Parität des Westfälischen Friedens in beiden Städten ihre Spuren bis weit in das 20. Jahrhundert.
Das paritätische Nebeneinander der Konfessionen in Augsburg und Osnabrück war in mancher Hinsicht ein wegweisendes Modell, das der Westfälische Frieden zur Lösung der Konfessionskonflikte bereithielt. Im Spektrum der Möglichkeiten von Zweikonfessionalität im Reich haben wir in der Parität das konsequente Gegenbild zu den vorhin dargestellten Verhältnissen in den habsburgischen Erblanden mit ihrem in den Untergrund abgedrängten Geheimprotestantismus. Zwischen diesen beiden Gestaltungsformen liegt eine ganze Skala von Konfigurationen des zwei- oder dreikonfessionellen Nebeneinanders, die jeweils ihre spezifischen Profilierungen hatten. Als strukturelle Typen stellten sich nach dem Westfälischen Frieden die folgenden Konfigurationen dar, wobei der Bezugsrahmen jeweils ein Territorium oder eine Stadt ist:
- die von Institutionen gestützte katholische Minderheit in einem mehrheitlich protestantischen Umfeld,
- die anderskonfessionelle reichsunmittelbare Enklave in einem konfessionell homogenen Territorium oder einer Stadt,
- die vom Normaljahr geschützte evangelische Gemeinde unter katholischer Landesherrschaft,
- das durch auswärtige Garantien gestützte System der evangelischen Friedenskirchen und Gnadenkirchen in Schlesien,
- die fließenden Konfessionsgrenzen in einigen Kondominaten,
- das tolerierte Nebeneinander von Reformierten und Lutheranern,
- das tolerierte Nebeneinander aller drei im Reich zugelassenen Konfessionen und
- schließlich die institutionalisierte Parität .
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