ANJA STIGLIC Zeremoniell und Rangordnung auf der europäischen diplomatischen Bühne am Beispiel der Gesandteneinzüge in die Kongreßstadt Münster |
Bis zur Ankunft des ersten kaiserlichen Gesandten am 30. Juli 1643 [5] hatte man sich in Münster so weit mit den Empfangszeremoniellen vertraut gemacht, daß ihm durch das Aegidiitor Vertreter der Bürgerschaft in Waffen vor die Stadt entgegenzogen und ihn, angeführt von zwei Kohorten, unter Salutschüssen und Reden in die Stadt geleiteten. [6] Diese Art der Einholung eines hohen Gastes entsprach dem traditionellen christlichen Zeremoniell für Päpste, Könige und - in abgestufter Weise - für ranghohe militärische und diplomatische Vertreter. Da sich im Sommer 1643 noch keine Gesandten anderer Souveräne in Münster befanden, repräsentierten die Abordnungen die ranghöchsten Einwohner und verschiedenen Gruppen der Stadt, die mit diesem Entgegenziehen letztlich dem Kaiser ihre Reverenz erwiesen: Ihm stand nach dem zeitüblichen Zeremoniell die größte Begleitung zu, so daß das Spalierstehen der Bürgerfahnen unter Waffen in diesen Zusammenhang einzuordnen ist. Die nach Rang und Status geordnete Auflistung der Gruppen, die mit dem kaiserlichen Gesandten Johann Ludwig Graf von Nassau-Hadamar in die Stadt einzogen, ist keine Besonderheit der Annalen des Jesuiten Heinrich Turck, sondern vielmehr ein immer wiederkehrendes Merkmal dieser Berichte. [7] Mit der detaillierten Übersicht, wer tatsächlich anwesend war, konnte man auf eindrucksvolle Weise demonstrieren, daß alle wichtigen Gruppen teilgenommen und somit ihrer Zustimmung zu der Rechtmäßigkeit des Vorgangs Ausdruck verliehen hatten.
Die Einzugsroute Nassaus läßt sich durch die Ortsangabe Turcks mit relativer Sicherheit rekonstruieren, da man durch das Aegidiitor in die Stadt hineinzog und über die Rothenburg zum Markt abbog. An der Vorderfront des Rathauses vorbei wurde der Zugang zum Domhof passiert, auf dem sich in einer Domherrenkurie das Quartier des Grafen befand. Diese Route war durchaus nicht neu gewählt, sondern entsprach der in Münster für solche Anlässe üblichen Strecke, wenn der Ankommende die Stadt durch das Aegidiitor betrat. Neben dem Geschütz auf den Wällen, das abgefeuert wurde, läuteten alle Glocken in der Stadt, so daß der Einzug einem Triumphzug gleichkam: Blumen, Gilde- und Zunftzeichen sowie andere Dekorationen konnten zur Ehre des Einziehenden mitgeführt und an den Gebäuden entlang der Route befestigt werden. Selbst die Bürgerfahnen bzw. Stadtsoldaten, die teilweise in Uniform gekleidet waren, sowie die spalierstehende Bürgerschaft dienten in diesem Zusammenhang als "Schmuck" der Stadt, da sie den festlichen Charakter des Tages allein durch ihre Anwesenheit unterstrichen. Insgesamt dokumentierte sich der Rang des entsendenden Souveräns in der Pracht eines solchen Einzugs, da die Anzahl der Teilnehmer, Pferde und Kutschen wie auch deren prunkvolle Dekoration ein Gradmesser fürstlicher Autorität darstellen konnten, wobei dem Gefolge ein besonderes Augenmerk zukam. [8] Dem Jesuiten Turck waren diese Prestigefaktoren offensichtlich fremd, da er hinsichtlich des Gefolges nur auf die Familienmitglieder Nassaus hinwies [9], während der Sekretär des französischen Gesandten d'Avaux, der als Quartiermacher in Münster diesen Einzug erlebte, Umfang und Ausstattung dieses Festzuges um so genauer notierte. Nach dieser Darstellung blieben dem Gesandten - abgesehen von Weinfässern - lediglich zehn Wagen für sein gesamtes Gepäck, was seiner Meinung nach typisch für einen Deutschen sei. [10] Eine genaue Beschreibung der Kutschen wie auch der Ausstattung der Angehörigen des Hofstaats lieferte aber auch der Franzose nicht, obwohl die Gesandtschaft Nassaus mit ihren 72 Personen, die sich hauptsächlich aus adeligen Begleitern, Dienern, Lakaien und Fuhrparkpersonal zusammensetzte [11], zu einer der zehn größten Delegationen des Gesamtkongresses zählte. Diese signifikante Beobachtungslücke läßt nur einen Schluß zu: Der Einzug des Grafen Nassau wurde vom französischen Gesandten als nicht so prunkvoll empfunden, als daß man ihn nicht hätte überbieten können. Daher erübrigte sich eine detaillierte Beschreibung des Festzuges.
Von einem Empfangsgeschenk in Form von Wein, Getreide oder Fisch durch den Stadtrat berichten weder Turck noch der französische Beobachter; aber in diesem Fall kann man davon ausgehen, daß Nassau ein solches überreicht wurde, da der Stadtrat am 9. Oktober 1643 dem zweiten kaiserlichen Gesandten, dem Juristen Dr. Isaac Volmar, "1 ohm Wein und 3 moldt habern" überreichte. Ferner läßt sich durch die Tagebuchaufzeichnungen Volmars das Bild eines feierlichen Einzugs insofern vervollständigen, als er verzeichnet, daß er in Wesel beim hessischen Generalleutnant Eberstein u.a. um einen Trompeter als Begleitung nach Münster gebeten habe. [12] Auf die akustische Demonstration des Ranges der Reisegruppe wurde also bereits unterwegs unbedingter Wert gelegt, so daß man auch bei der Einholung auf diese Art von musikalischer Unterstreichung des Geschehens nicht verzichtet haben wird. Als beliebte Tageszeit für einen Einzug zeichnet sich der Nachmittag ab, was darauf hindeutet, daß diese Inszenierungen für das städtische Publikum den Höhepunkt des Tages bilden sollten. Formell beendet wurde diese Art von Feierlichkeit mit der Publikation der Ankunft, was häufig erst am nächsten Morgen erfolgte.
In der Tatsache, daß auch zu diesem Zeitpunkt die Vertreter der anderen Teilnehmerstaaten noch nicht anwesend waren [13], dürfte bereits eine Ursache für den insgesamt eher kargen Rahmen der feierlichen Elemente zu sehen sein, mit denen lediglich die Bevölkerung beeindruckt werden mußte, nicht aber konkurrierende Gesandtschaften: Man brauchte also keinerlei Maßnahmen zu ergreifen, um die Reputation des Kaisers kontrastierend zu den "nur" königlichen Abgesandten zu verdeutlichen. Vielmehr liefen mit der Einholung der kaiserlichen Delegation erst alle Normierungsversuche dieser Repräsentationen an. Dies läßt sich mit den Instruktionen und Anordnungen Ferdinands III. bezüglich des Verhaltens seiner Gesandten bei der Ankunft der diversen Abordnungen in Münster belegen. [14] Ferner lassen sich diese Versuche auch an den Aktivitäten des Stadtrates festmachen, der in der Sitzung am 22. Oktober 1643 die bevorstehende Anreise unterschiedlichster Delegationen diskutierte und - neben der Überreichung eines angemessenen Begrüßungsgeschenks - als einheitliches Ergebnis festschrieb, "daß zuvorderst denen von gekröneten herrürenden abgesandten mit lösung geschützes und fürters mit gratulation und empfahung, auch vermittelst darstellung einiger burgerschafft in ihrer gewehr und rüstung under augen zu gehen, und [...], daß den venezianern wie auch der herrn Staten abgesandten zum respect etwan ehrenschüsse zu beschehen" [15] hätten. Mit diesem Beschluß wird die neutrale Haltung des münsterschen Magistrats gegenüber allen Gesandtschaften zum Ausdruck gebracht. Das ist insofern bemerkenswert, als die Gleichstellung der Republik Venedig mit den Kronen im Völkerrecht bis dahin nicht verbindlich war. Im Vorfeld der westfälischen Friedensverhandlungen wurde sie sogar von Frankreich in Frage gestellt, was im Laufe des Kongresses immer wieder zu zeremoniellen Differenzen führte, die auch die Feierlichkeiten überschatteten.
Nach diesen relativ schmucklosen Einzügen der kaiserlichen Gesandten Nassau und Volmar im Sommer 1643, die als "Prototypen" für feierliche Einholungen dienten, wurde der internationale Charakter der Friedensverhandlungen durch die noch in demselben Jahr erfolgenden Einzüge der spanischen Bevollmächtigten Zapata, Brun und Saavedra sowie des venezianischen Friedensvermittlers Contarini geprägt, wobei sich diese Festzüge hinsichtlich ihres äußeren Ablaufs sowie der Ehrenbezeugungen durch die Stadt Münster nicht wesentlich von denen der Kaiserlichen unterschieden. Die zur Schau gestellte Repräsentation wurde kontinuierlich gesteigert und durch akribische Beobachtungen von den Vertretern der jeweils anderen Souveräne und Mächte bis ins letzte Detail notiert und dadurch zum Politikum hochstilisiert. In diesem Kontext ist auch die Einholung der Delegationen durch die anderen, bereits präsenten Gesandten besonders signifikant, da eine solche Reverenzerweisung nicht allgemeiner Usus war. [16]
Die folgenden festlichen Einzüge wurden im Vorfeld durch endlose Präzedenzdiskussionen geprägt, da mit zunehmender Anwesenheit diverser Delegationen die zeremoniellen Fragen immer differenzierter wurden. Bei dem Einzug eines der Mediatoren, des päpstlichen Nuntius Chigi, am 19. März 1644 brachen die schwelenden Spannungen erstmalig in aller Deutlichkeit aus. Ferdinand III., der eine Kollision der kaiserlichen Prestigeansprüche mit denen des zu erwartenden geistlichen Gefolges Chigis befürchtete, hatte seine Gesandten angewiesen, dem Nuntius zwar entgegenzufahren und ihn zu begrüßen, ihn aber nicht einzuholen. Diese Lösung lehnten Nassau und Volmar jedoch aus mehreren Gründen ab: Sie gaben dem Kaiser zu bedenken, der Legat könnte ein solches Verhalten als einen persönlichen Affront werten, was die folgenden Verhandlungen beeinflussen würde. Ebenso wäre es - gesetzt den Fall, ein französischer Diplomat wäre bereits vor der Ankunft des päpstlichen Vertreters in Münster eingetroffen - taktisch unklug, wenn dieser ihm nicht nur allein entgegenziehen, sondern auch im Festzug begleiten und somit seine Sympathien gewinnen würde. Schließlich bezogen Nassau und Volmar noch die zwischenstaatliche Ebene zwischen Frankreich und Spanien in ihre Argumentation mit ein. Blieben die Kaiserlichen im Festzug aus, während die Franzosen und Spanier anwesend wären, so käme es unweigerlich zum offenen Ausbruch des Streits um das Vortrittsrecht zwischen den Vertretern dieser beiden Souveräne.
Wie realistisch diese Einschätzung war, zeigt sich am französischen Verhalten während des Entgegenfahrens: D'Avaux, der sich drei Tage zuvor akkreditiert hatte, akzeptierte zwar das Vortrittsrecht der kaiserlichen Gesandten, nicht aber das der sie begleitenden Reiter. Auf freiem Feld wurden diese durch ein lautes Kommando an den französischen Kutscher von der kaiserlichen Kutsche getrennt, so daß die französische Kutsche sich direkt der kaiserlichen anschließen konnte. In seinem Bericht an die französische Regentin begründete d'Avaux dieses Verhalten damit, daß in Münster ein Gerücht umgelaufen sei, die Spanier würden sich während der Fahrt mit den Kaiserlichen zusammenschließen. Nur um dieser ungerechtfertigten Aneignung der zweiten Position in der europäischen Hierarchie auf Kosten Frankreichs vorzubeugen, sei die Reitergruppe vor die Stadt geschickt worden. [17] Diese Argumentation zeigt sehr deutlich, daß die Teilnahme an einer solchen Zeremonie nicht in erster Linie dazu diente, dem Ankommenden die Reverenz zu erweisen, sondern vielmehr dazu, nach außen die eigene Position zu demonstrieren und zu festigen. In diesem Fall war für den Franzosen offensichtlich das zu erwartende spanische Verhalten der neuralgische Punkt: Mit der Aufspaltung der Habsburgerdynastie in den österreichischen und spanischen Zweig hatte eine permanente Rivalität begonnen. Philipp II. von Spanien konkurrierte mit Karl IX. von Frankreich um den zweiten Platz in der europäischen Rangfolge nach dem Kaiser, wobei sich der französische König auf einen päpstlichen Schiedsspruch von 1558 berief. [18] Dies behinderte seitdem alle bilateralen Kontakte.
Ebenso wie für das spanische Fernbleiben Eigeninteressen vorlagen, waren auch für das Nichterscheinen des Vermittlers Contarini venezianische Gründe ausschlaggebend: Venedig befand sich mit dem Kirchenstaat im offenen Kriegszustand, was ein Zusammentreffen der Mediatoren von vornherein ausschloß. [22] Anstatt zu diesem Faktum zu stehen, berichtete Contarini in seinem Dispaccio ausführlich über diesen Festzug, bei dem er gar nicht anwesend war, um zu dem Schluß zu kommen, daß sich für niemanden die Teilnahme an diesem Einzug gelohnt habe, weil er mit minimalem Gefolge, sogar ohne die Kutsche Chigis stattgefunden habe. [23] Diese Beschreibung dürfte die Ausstattung des Festzuges bewußt untertrieben haben, aber Contarini konnte dadurch die Diskrepanz der Repräsentation des Heiligen Stuhls zu der der Republik Venedig noch pointierter darstellen. Auch hob er seine eigene Position in Münster hervor: Wenn der Einzug des päpstlichen Vertreters so wenig prestigebewußt war, dann waren der Republik Venedig durch den Boykott keine Nachteile für ihre eigene Reputation entstanden; indirekt wurde diese sogar gestärkt. Diese Wirkung zu erzeugen war für den Venezianer um so wichtiger, als Chigi als Vertreter des Padre Commune, also des Heiligen Vaters, einen natürlichen Bonus bei den meisten katholischen Gesandten und der münsterschen Bevölkerung hatte. Für sich selbst konnte Contarini die Folgerungen ziehen, daß seine Politik, zwischen Frankreich und Spanien nicht schlichtend einzugreifen, sondern die jeweiligen Informationen lediglich weiterzugeben, aufgegangen war. Die Spanier erschienen überhaupt nicht zur Begrüßung Chigis, und die Spannungen zwischen d'Avaux und den Kaiserlichen überschatteten den Einzug. Insgesamt könnte man seine passive Haltung als Profilierung zu seinen und der Republik Venedigs Gunsten ansehen, da zu seinem eigenen Einzug im Gegensatz zu dem aktuellen alle Diplomaten erschienen waren, um ihm die Reverenz zu erweisen.
Chigi versuchte dieses Präsentationsmanko offensichtlich durch die Terminwahl zu kompensieren: Als Friedensvermittler in Münster erwartet, ließ sich der päpstliche Nuntius bei seinem Einzug gleichsam zum Friedensbringer hochstilisieren. [24] Sein Gefolge bestand überwiegend aus Geistlichen und war im Gegensatz zu dem der anderen Delegationen vom Umfang eher bescheiden [25], was er im Sinne seiner Mission instrumentalisieren konnte: Auf diese Weise wurde der Bedeutung seiner Aufgabe als Mediator Rechnung getragen. Er beteiligte sich nicht an der Prestigekonkurrenz der Verhandlungsparteien. Indirekt wurde auch noch die traditionelle Stellung des Papstes als friedensvermittelnde und -stiftende Institution bestätigt.
Um die zeitaufwendigen Präzedenzdiskussionen und -zwischenfälle zu beenden, setzte Chigi für den Einzug des französischen Plenipotentiarius, des Herzogs von Longueville, am 30. Juni 1645 durch, daß er nur noch von den französischen Mitgesandten sowie den Vertretern der verbündeten Mächte eingeholt werden sollte. Die wesentliche Verkürzung des Festzuges, die diese Vereinbarung zur Folge gehabt hatte, wurde von den Franzosen aus eigenen Ressourcen aufgefangen. Zum Ärger der gegnerischen Beobachter konnte die französische Gesamtdelegation beispielsweise allein zehn äußerst kostbar geschmückte Personenkutschen aufbieten, die von einem unüberschaubaren Gefolge begleitet wurden. Der Festzug gliederte sich in insgesamt 41 Abteilungen, wovon die erste Hälfte sich von der Vorhut über Bagagewagen, Offiziere, Kavaliere und Lakaien bis zu den Trompetern erstreckte, die direkt vor dem Stadtkommandanten Reumont und der vergoldeten Kutsche des Einzuholenden gingen. Die zweite Hälfte des Zugs bestand aus den Kutschen des Einzuholenden und der Einholenden, die jeweils vom eigenen Gefolge begleitet wurden, sowie einer Nachhut. Nicht nur das ausnehmend gute Wetter nach einer Reihe von Regentagen war für den festlich-prächtigen Charakter der Feierlichkeit verantwortlich, sondern auch die Livreen der Dienerschaft ließen ein farbliches Feuerwerk aufflammen und spiegelten den Luxus der verwendeten Stoffe. Selbst die Tiere, wie beispielsweise zwölf Maulesel oder eine Gruppe Reitpferde, wurden dieser repräsentativen Ausschmückung unterworfen: Sie waren mit Decken aus blauen Samt abgedeckt, die überreichlich mit goldenen Borden und symbolischen Stickereien (Lilien als Zeichen für das bourbonische Herrscherhaus) dekoriert waren. An diese farblich von Blau und Gold dominierte Abteilung schloß sich direkt die Dienerschaft Longuevilles in ihren "gelbe Ledere Wämbser / und rothe scharlachen Hosen und Mäntel" an, die mit silbernen Spitzen abgesetzt waren. Im Kontrast dazu trugen die Pagen zwar auch rote Mäntel und Hosen, die aber innen mit meergrünem Satin gefüttert waren. Abgeschlossen wurde das Gefolge Longuevilles von 25 Kavalieren, die, in den unterschiedlichsten Farben gekleidet, in Dreierreihen nebeneinander ritten und damit den Wohlstand ihres Herzogs durch die üppigen Gold- und Silberdekorationen zur Schau stellten. Die Dienerschaft d'Avaux' war in schwarzer Livree erschienen, während Serviens Leute in neuen stahlgrünen Uniformen mit roter, goldener und silberner Verzierung an dem Einzug teilnahmen. An all diesen Elementen erkennt man die Verbundenheit mit der christlichen Farb- und Zahlensymbolik. Die Zahlen zwölf und sechs, die die Universalität, die menschliche Kraft, gleichzeitig auch Macht sowie Ordnung und Beherrschung der Welt symbolisierten [26], schienen zu dominieren.
Wenn ein Diplomat anreiste und nicht von den Vertretern der fremden Mächte in die Stadt begleitet wurde, dann bedeutete das nicht, daß sein Einzug nicht zur Kenntnis genommen wurde. Vielmehr wechselten die Gesandten der gegnerischen Parteien in den Status der Zuschauer über. Zum einen hatte man sicherlich seine "Spione" unter das Volk an den Straßenrändern gemischt, zum anderen aber ließen die Gesandten selbst sich dieses Spektakel nicht entgehen: So sah Nassau beispielsweise von einem Haus an der Rothenburg aus dem Longuevilleschen Einzug zu, wobei er keineswegs versuchte, seine Neugierde zu verbergen oder inkognito zu bleiben. [27] Durch Weinspenden an die Bevölkerung konnte Longueville die Rezeption beeinflussen und sie zusammen mit den Besuchern aus ganz Westfalen zu einem unerhörten Ereignis hochstilisieren. [28] Daß sich diese Abschlußpassage in einem Bericht als Beilage der schwedischen Korrespondenz finden läßt, ist ein deutlicher Beleg für die Bedeutung solcher Festelemente. Immerhin nahm der schwedische Resident in der französischen Legationskutsche an diesem Einzug teil, so daß die Verbündeten sich in diesem machtvollen Glanz sonnen konnten. Berücksichtigt man bei der Bewertung, daß die Einnahme von Maasdijk genau zu diesem Zeitpunkt in Münster bekannt wurde [29], dann kann man diesen Einzug geradezu als Triumphzug der französischen Vertreter ansehen. Diese Haltung dokumentiert nicht nur uneingeschränktes Selbstbewußtsein, sondern auch das Wissen um die Vorteile für die eigene Verhandlungsposition, die bisher durch die unüberschaubare militärische Situation sowie durch die Rivalitäten innerhalb der Gesandtschaft überschattet worden waren. Insgesamt übertraf diese feierliche Einholung alles in der Kongreßstadt bisher Dagewesene in einem solchen Maße, daß Berichte und Zeitungen darüber in ganz Europa verbreitet wurden.
Der spanische Prinzipalgesandte Peñaranda, der sich am 5. Juli 1645, also nur wenige Tage später, in Münster akkreditieren wollte, befand sich nach diesem französischen Spektakel in einer Zwickmühle: Spanien, das immer bemüht war, den Vorrang vor Frankreich zu postulieren, konnte mit dem von Longueville zur Schau gestellten Luxus nicht mithalten. Eine weitere Schwierigkeit für das Einzugszeremoniell ergab sich aus der Kommunikation mit den Kurfürsten. Mangels Instruktion wollte Peñaranda die Vertreter der Kurfürsten nicht mit dem Prädikat "Exzellenz" anreden, wogegen die kurfürstlichen Gesandten ihr Unverständnis äußerten und versuchten, die Titelfrage durch Zeittaktik noch zu ihren Gunsten zu entscheiden. [30] Diese Absicht vereitelnd, zog der Spanier nur eine Stunde nach der Unterredung der kurfürstlichen Vertreter öffentlich in die Stadt ein, wovon selbst der Stadtkommandant überrascht wurde: Reumont ritt ihm zwar entgegen, hatte aber zuvor "in der eyll nhur 2 Compagnien Soldaten mit den fähnlein [...] aufwarten undt eine Salve schießen laßen." [31] Dieser überstürzte und bescheidene Einzug hatte also nicht nur die direkten Vorteile, daß Zeitgenossen wie der Jesuit Turck Peñarandas Zurückhaltung lobten [32] und die finanziellen Ressourcen geschont wurden, sondern beendete die Präzedenzdiskussion im Sinne der Spanier, die die Kurfürsten auf ihren Platz als Reichsfürsten verwiesen. Dennoch zog dieses außergewöhnliche Verhalten auch Kritik in den Berichten der anderen Gesandtschaften nach sich. Von "Stillem Ceremoniell" ist die Rede, und auch der direkte Vergleich zu Longueville wird gezogen. [33] Am deutlichsten spiegelt sich diese negative Rezeption im Bericht des dänischen Gesandten Clain, in dem schon allein die Reitordnung der Pagen so beschrieben wird, daß sie "wie die schweine ins thor lauffen." [34] Man kann sich denken, daß dieser Bericht von Spaniens Gegnern in Umlauf gebracht wurde.
Daß mit diesen öffentlichen Feierlichkeiten Politik gemacht wurde, liegt auf der Hand. Die Hauptebene, auf der sich die Machtpräsentation, -demonstration, aber auch -prätention abspielte, war der zwischenstaatliche Bereich. Für eine solche Funktionalisierung eigneten sich in besonderer Weise die von den Gesandten im Kongreßort Münster inszenierten Feierlichkeiten. Betrachtet man die Einzüge, die sich in mehr oder minder normativer Form abspielten, so kam den Diskussionen im Vorfeld und deren praktischer Umsetzung die eigentliche Bedeutung zu. Zum einen wurde sicher dem Ankommenden der Respekt durch das Entgegenschicken ausgesprochen, zum anderen aber boten diese zeremoniellen Bestandteile ein Austragungsforum für latente Präzedenzstreitigkeiten. Konnten die Spanier nicht sicher sein, daß ihnen der Platz unmittelbar nach den kaiserlichen Vertretern gewährt wurde, so gingen sie der Konkurrenz Frankreichs aus dem Weg, indem sie nicht erschienen und sich mit Hoftrauer, verspäteter Notifikation oder ähnlichem entschuldigten. Eine andere Variante, die im Verlauf des Verhandlungsgeschehens immer beliebter wurde, bestand darin, bei einem höherrangigen Gesandten in der Kutsche mitzufahren und so den eigenen Status aufzuwerten. Wartenberg als ranghöchster Vertreter des Kurfürstenkollegs sicherte sich seinen Vortritt regelmäßig damit, daß er seine Kollegen beim Einholen in seine Kutsche einlud und auf diese Weise die Zugführung beanspruchte. Aber auch die Solidarität und Verbundenheit zweier Verhandlungsparteien ließ sich durch die Teilnahme an einem Einzug augenfällig demonstrieren. Insgesamt wurden alle Details, die für das Prestige des entsendenden Staates relevant waren, akribisch festgehalten und ausgewertet.
Bei allen diesen Eigeninteressen der Staaten darf man die absolute Friedenssehnsucht der vom Kriegselend betroffenen Bevölkerung nicht außer acht lassen: Aus dieser Haltung heraus nutzten die Gesandten die Möglichkeit, taktische Verzögerungen oder Verhandlungsrückschläge durch die Inszenierung prachtvoller Feierlichkeiten zu verschleiern. Damit prätendierten sie inhaltlich nur die Macht, die Verhandlungsbereitschaft und den Ruhm.
Berücksichtigt man bei der Beurteilung des glanzvollen Einzugs der Herzogin von Longueville, daß es sich bei ihrer Anreise nach Münster "lediglich" um die Ankunft eines Familienmitglieds handelte, das dem Einfluß des Pariser Hofes entzogen werden sollte, nicht aber um die Anreise eines verhandlungsbefugten Diplomaten, so kann man der prunkvollen Ausgestaltung einen prätendierenden Charakter nicht absprechen.
Auch auf städtischer Ebene lassen sich Auswirkungen von solchen Festlichkeiten finden: Viele Bewohner der Stadt waren Zuschauer und Nutznießer der Festivitäten, aber auch die ersten Kritiker. Sollten beispielsweise die Einzüge den Höhepunkt des Tages bilden, so zeigte sich mit jeder neuen Anreise der innere Zwang, die Bevölkerung durch permanente Präsentationssteigerung zu beeindrucken, was den zwischenstaatlichen Konkurrenzkampf noch anfachte. Solche Auswirkungen sind ein Beweis dafür, daß die öffentlichen Feierlichkeiten der Gesandten den Zweck der Machtpräsentation gegenüber der Stadtbevölkerung ebenfalls erfüllten. Dennoch dienten sie nicht in erster Linie dazu, die Zuschauer zu beeindrucken und zu unterhalten, sondern ihnen kam eine konkrete diplomatische und politische Funktion in den Gesamtverhandlungen zu: Sie wurden gezielt als Instrument eingesetzt, um die eigene Position innerhalb des zu schaffenden zwischenstaatlichen Systems sichtbar zu definieren sowie eine Möglichkeit offiziöser Kontakte untereinander zu schaffen, wobei die Öffentlichkeit diese inszenierten Selbstdarstellungen in der Hoffnung auf einen baldigen Frieden allzu gern als konkreten Verhandlungsfortschritt rezipierte.
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