MARIE RICHARD Jacques Callot (1592-1635): "Les Misères et les Malheurs de la guerre" (1633). Ein Werk und sein Kontext |
I. Die Entstehungsgeschichte des Werkes: Seine Konzeption, Ausführung und Verbreitung sind weiterhin Gegenstand der Forschung
1629 stach Callot "L'Arbre Généalogique de la maison de Lorraine" (Stammbaum des Hauses Lothringen) für den Herzog Karl IV. von Lothringen (1604-1675). Dazu bestimmt, die angeblich karolingischen Ursprünge des Hauses Lothringen in Erinnerung zu rufen, sollte dieses propagandistische Werk die Legitimität der herzoglichen Autorität bekräftigen [4]. Der Künstler zeichnete außerdem zwei Ansichten des zeitgenössischen Paris mit den Festlichkeiten, die zu Ehren Ludwigs XIII. von der Stadt Paris nach dem Sieg über La Rochelle ausgerichtet wurden. Dieser Sieg besiegelte die Niederlage der protestantischen Partei. Der Kupferstecher hat sehr wahrscheinlich auch am "Triumphalen Empfang des Königs in seiner Stadt" ("La triomphante reception du Roy en sa ville") teilgenommen, einem politischen Fest, das man prunkvoll um die allegorische Darstellung der zwölf königlichen Tugenden anordnete, die den Regenten auszeichnen sollten: Milde, Frömmigkeit, Berühmtheit, Liebe, Gerechtigkeit, Tugend, Klugheit, Würde, Kraft, Heldenmut, Ehre und Freigebigkeit [5]. In Nancy war Callot mit den Probedrucken zu dem Stich "Belagerung von Breda" beschäftigt. Das Werk, das 1626 von der Infantin Isabella von Spanien, Cousine des Herzogs von Lothringen, bestellt worden war, sollte an den Sieg der spanischen Armee unter Spinola über die strategisch günstig gelegene Stadt des westlichen Brabant, die ein Zankapfel zwischen den vereinten Provinzen und Spanien gewesen war, erinnern. Die Belagerung, Thema des Stiches, hatte mehrere Monate gedauert und in besonderem Maße den militärische Erfindungsgeist beflügelt, was die Neugier zahlreicher Beobachter erregte. [6]
In den Jahren 1629 und 1630 war Callot verschiedentlich für Gaston d'Orléans tätig: Er zeichnete für ihn eine Folge lothringischer Landschaften und stach das Portrait seines Arztes Charles Delorme in Kupfer. Der Bruder Ludwigs XIII. hatte Nancy als den Ort seines Exils gewählt, bevor er nach Brüssel ging, wo er an der Seite Marias von Medici an der Organisation des bewaffneten, von Spanien unterstützten Widerstandes gegen Frankreich ab 1632 beteiligt war. Die Kupferstichkomposition "Les Supplices" (Die Martern) stammt mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem Jahr 1630. Sie steht in der Aneinanderreihung von Einzelbildern Breughels Darstellung der "Gerechtigkeit" nahe und zeigt die unterschiedlichen, vom Gesetz vorgesehenen Bestrafungen. Callot scheint also von diesem Zeitpunkt an dem Thema der militärischen Disziplinierung und Sanktionierung besondere Aufmerksamkeit gewidmet zu haben. Dieses Thema steht in engem Zusammenhang mit der wichtigen Abhandlung über die "Gerechtigkeit" des Krieges, seinen Ursprung, Ablauf und die Friedensverträge von Hugo de Groot, genannt Grotius (1583-1645). Der berühmte holländische Humanist, Jurist und Diplomat hatte gerade sein Werk "De jure belli ac pacis" vollendet, das er Ludwig XIII. widmete. [7] Diese Schrift wird sicherlich die Aufmerksamkeit des Königs und Richelieus erregt haben, denn beide suchten zu dieser Zeit, die Monarchie und ihr militärisches Engagement durch eine propagandistisch ausgerichtete Literatur und Hofkunst zu rechtfertigen. Grotius reflektierte in seinem Werk über Ursprung und Grenzen der Herrschergewalt. Nicht nur der französische König wurde durch das Werk beeinflußt, auch Gustav Adolf von Schweden wurde zur Abfassung einer Militärordnung angeregt.
Im Jahre 1631 arbeitet Callot häufig in Paris bei seinem Freund, dem Kupferstecher und Verleger Israël Henriet, der mit der Herausgabe zweier bedeutender Werke beschäftigt war: Der "Belagerung von Saint-Martin de Ré" und der "Belagerung von La Rochelle", die sich in ihrer Konzeption an die "Belagerung von Breda" anlehnen. Diese Werke waren offizielle Aufträge Ludwigs XIII. und erinnern an die französischen Siege über die Engländer und die protestantische Partei 1627 und 1628. Diese Kupferstichfolgen bieten einen synoptischen Blick auf die sich über mehrere Monate erstreckenden Ereignisse. Sie haben beschreibenden Charakter und widmen sich ganz der Darstellung von Belagerungskunst und Strategie, aber auch der Politik. Damit bestätigen sie den politischen Aspekt in Callots Schaffen und seine Annäherung an die Mächtigen Frankreichs und insbesondere an Richelieu. [8] 1631 erschienen die "Coustumes générales du duché de Lorraine" (Das allgemeine Gewohnheitsrecht des Herzogtums Lothringen - Epinal, Ambroise), die mit einem von Callot in Kupfer gestochenen Frontispiz versehen sind [9]. Durch diese nun schriftlich fixierten Gewohnheitsrechte bekräftigte das Herzogtum seine juristische Autortät. Der Künstler vollendet in jenem Jahr auch noch ein Blatt zur Erinnerung an die Schlacht von Avigliano. Am 10. Juli 1630 waren das Dorf und die Befestigungsanlagen von Avigliano im Herzogtum Mantua, das einen stragischen Streitfall zwischen den Franzosen einerseits und den Spaniern und Kaiserlichen andererseits darstellte, der Schauplatz eines heftigen Kampfes zwischen den französischen und den von Viktor Amadeus von Savoyen geführten Truppen. Frankreich ging siegreich aus der Schlacht hervor und die Plünderung von Mantua durch die Kaiserlichen sollte noch lange in schrecklicher Erinnerung bleiben. Callots Kupferstich zeigt diesen tragischen Aspekt nicht, sondern stellt nur den Ort der Schlacht dem Portrait des Marquis d'Effiat (1581-1632), Marschall von Frankreich 1631, gegenüber, der an der Spitze der französischen Gardekavalerie heldenhaft gekämpft und zum Sieg beigetragen hatte.
Es ist bedeutend schwieriger, sichere Anhaltspunkte für die Tätigkeit Callots während des Jahres 1632 zu finden. Paulette Choné schlägt vor, in dieser Zeit die Entstehung der Serie der "Petites Misères" (Kleine Unglücksbilder) anzusetzen, die der ehrgeizigen Bildfolge von 1633 vorausgehen. [10] Die jüngst vorgeschlagene Identifizierung ikonographischer Details deutet darauf hin, daß die Serie auf historische Ereignisse der Jahre 1628-1631 anspielt. Das Wappen Savoyens auf dem Frontispiz, sowie das in die Bildkomposition "L'Arquebusade" (Das Erschießen mit der Armbrust) integrierte stralsundische Wappen legen nahe, das Werk mit der bewaffneten Auseinandersetzung, die die Erbfolge des Herzogtums Mantua (1628-1631) klärte, und mit der Niederlage der Kaiserlichen unter Wallenstein in Verbindung zu bringen. Sieger waren damals die Schweden, denen es 1628 gelungen war, die Blockade des Ostseehafens Stralsund zu durchbrechen.
Auch die Verbreitungsgeschichte des Werkes bleibt im Unklaren. Der excudit-Vermerk des Pariser Verlegers Israël Henriet erscheint auf dem zweiten und dritten Zustand der Frontispizplatte, die das Datum 1633 trägt. Es läßt sich jedoch nicht feststellen, wann genau in diesem Jahre der Auflagendruck der Serie beendet wurde. Könnte dies noch vor September geschehen sein, zum Zeitpunkt des Eingreifens der französischen Armee im Herzogtum Lothringen? Das Schweigen der Archive bezüglich eines möglichen Auftraggebers ist auch hier zu bedauern. Es ist kaum anzunehmen, daß die Stichfolge in gänzlicher künstlerischer Unabhängigkeit und ohne Auftrag geschaffen wurde. Frühere Werke Callots wurden von einer exakten Dokumentation begleitet, die die genauen Vorgaben für diesen Auftrag festhielten. Man ist versucht anzunehmen, daß Callot so auch bei der Konzeption der "Misères et Malheurs de la guerre" verfahren ist. Noch ist es allerdings unmöglich, einen eventuellen Auftraggeber ausfindig zu machen: Handelt es sich um einen Amateur, einen Staatsmann oder einen hohen Würdenträger der Armee ? Paulette Choné schlägt den Marschall d'Effiat vor, einen der Anführer bei dem französischen Sieg über die Kaiserlichen und Zeuge der Massaker, die mit der Plünderung Mantuas einhergingen.
II. Zur Deutung des Werkes: Was Bild und Bildunterschrift vermuten lassen
Bei einer Deutung kann man davon ausgehen, daß einige Elemente der Stichfolge bedeutungsgeladener sind als andere, und dies aufgrund der besonderen Funktion, die ihnen traditionellerweise bei der Darstellung des Sujets zukommt: Es handelt sich hier um den Titel, das Frontispiz, die Anordnung der Blätter in der Folge, den besonderen stilistischen Ausdruck sowie die Bildunterschriften.
Stammt der Titel von Callot selbst oder wurde er gemeinsam mit dem Verleger oder einem Auftraggeber gewählt? Er legt eine negative Bewertung des Krieges nahe, läßt auf eine kritische Haltung schließen. Es gibt auch einen anderen Titel zur Bezeichnung dieser Kupferstichfolge: "La vie des soldats" (Das Leben der Soldaten). Er erscheint im Besitzverzeichnis des Künstlers, das nach seinem Tod im April 1635 erstellt wurde [12]. Ab 1686 wird der Titel von Federico Baldinucci aufgenommen: "La Vita del Soldato". Diese Bezeichnung entspricht eher einer Szenenfolge aus dem Soldatenleben, wo in rein deskriptiver Weise und ohne das Ziel einer Wertung die entscheidenden Etappen des Soldatenlebens von der Rekrutierung an bis hin zu militärischen Übungen ("Exercices militaires") dargestellt werden. Für letztere ließen sich Anregungen aus den Handbüchern schöpfen, ganz im Sinne der "Exercices" eines Jacob de Gheyn, die für den Fürsten Hans von Nassau-Siegen 1596-1598 in Kupfer gestochen wurden oder im Stil der "Exercices de Mars", die, um 1680 von Nicolas Guérard geschaffen, dem Herzog von Burgund gewidmet waren. [13] Der Stil zahlreicher Abhandlungen über Krieg und Armee, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts erschienen, hat Callot mit Sicherheit beeinflußt, er scheint sich jedoch nach und nach einer mehr andeutenden, um nicht zu sagen historischen und politisch motivierten Darstellungsweise zugewandt zu haben.
Das Frontispiz mit seiner Szenenfolge hat noch keine klare Deutung gefunden. In seiner Funktion steht es offenbar sowohl dem Vorwort oder der Inhaltsangabe als auch der Widmung nahe. Gegenstand und Intention des Werkes sollten hier als eine kondensierte Bildaussage in suggestiver Form erscheinen. Bei einem Auftragswerk würde man ein Frontispiz mit persönlicher Note erwarten. Im Zentrum müßte ein Portrait stehen, dessen Identität dem Zeitgeschmack entsprechend irgendein Emblem oder eine Devise erhellte. Symmetrisch um den Titel herum angeordnet führen acht Personen den Gegenstand ein. Wie Theaterfiguren auf der Bühne verkörpern sie die militärische Führung und das Soldatenleben: Befehlshaber, die Fußsoldaten, Hellebardenträger oder Musketiere sowie die Kinder, die samt der Familie und den Marketenderinnen der Truppe folgten. Jeder Versuch einer Identifizierung dieser Personen bleibt gewagt; lediglich Hypothesen sind erlaubt, wenn von einem direkten Zeitbezug von Callots Werk ausgeht. Handelt es sich bei diesen militärischen Anführern um Mitglieder der kaiserlichen Armee, vielleicht aus dem engeren Umkreis des Oberbefehlshabers Wallenstein (1579-1634), die damals im Baltikum, in Italien und in Lothringen geworben wurden? [14] Entstammen sie der schwedischen Armee, auf deren Eingreifen in Stralsund (1628) die Flagge der Hafenstadt anspielt, die in der Kupferstichfolge erscheint? Könnte die inmitten der Trophäen gravierte Krone das Symbol der Hegemonie sein, des Kriegszieles der beiden Armeen ? Oder waren diese militärischen Befehlshaber doch unter dem Marschall d'Effiat und dem Herzog von Montmorency am französischen Sieg über die Kaiserlichen und Spanier in Avigliano im Juli 1630 beteiligt?
Die Anordnung der dargestellten Szenen entspricht einer logischen Progression. Das Leben des Soldaten beginnt mit der Anwerbung, die ihn dazu zingt, der "Miliz" ins Ausland zu folgen. Die nächste Etappe sind die Strafen wegen mangelnder Disziplin, die auf die Schlacht folgen. Die Mißbräuche und Grausamkeiten, die die Soldaten bei der Plünderung eroberter Städte, beim Einzug in das Winterlager oder nach der Entlassung der Truppen begehen, sowie die Aufdeckung dieser Verstöße werden auf fünf Tafeln gezeigt. Sodann folgt die exemplarische Darstellung der Strafen und Züchtigungen, die das Militärgesetz vorsieht. Auch Plagen, Krankheiten, Elend und Aufstände, die unvermeidlich mit dem Ende des Krieges einhergehen, werden veranschaulicht. Der Epilog, "La distribution des récompenses" (Die Verteilung der Auszeichnungen), wird wie eine höfische Zeremonie behandelt, deren Feierlichkeit durch die strenge Symmetrie der Komposition unterstrichen wird. Fern allen Leids wird hier ein Machtritual dargestellt und in der Bildunterschrift zugleich die Tugend der Heerführer gepriesen, die es verstanden haben, gegen die Schande zu kämpfen. [15] Die Stichfolge bewegt sich hier auf eine thematische Auflösung zu, die - je nach der Wahl, die der Soldat getroffen hat - in Strafe oder Belohnung besteht: Auf Disziplinlosigkeit und Gewalt folgt die Strafe, die Tugend dagegen, die Respekt vor dem eroberten Gebiet bedeutet, führt zu offizieller und ehrenvoller Auszeichnung. Diese Entwicklung steht der Bebilderung eines Gleichnisses oder einer Heiligenlegende recht nahe. Callot, der "La vie de l'Enfant prodigue" (Das Leben des verlorenen Sohnes) und "Le Nouveau Testament" (Das Neue Testament - posthum von Israël Henriet ab 1635 veröffentlicht) in Kupfer gestochen hat, beherrscht das Gleichgewicht solcher Kompositionen gut, die allmählich zu einer Auflösung führen, in der eine moralische Idee zum Ausdruck kommt. Die Ausdruckskraft liegt hier nicht in der Darstellung vorbildlichen Heldentums. Das Soldatenleben wir als eine Prüfung verstanden, der Soldat wird daran erinnert, daß es auch noch einen anderen, tugendhaften und ehrenvollen Weg für den Soldaten gibt. Die Veranschaulichung hat in diesem speziellen Kriegskontext mit Sicherheit eine abschreckende Wirkung. Und das Werk Callots bekommt durch diese meisterhaft dargestellte Entwicklung eine Überzeugungskraft, die jene der anonymen Kupferstichfolgen nach Vinckboons 1610, von Hans Ulrich Franckh 1656 oder Simon Grimm 1665 bei weitem übertrifft: Dort sind lediglich das Soldatenleben und die Schrecken des Krieges abgebildet, ohne zugleich die Bestrafung der Disziplinlosigkeit zu zeigen.
Der individuelle Stil von Komposition, Seitenaufteilung, Typographie und Lichteffekten hebt den temperamentvollen Charakter dieser Bildfolge hervor. Die Stilelemente müssen sich zwar dem jeweiligen Auftrag unterwerfen, werden aber auch stark von der Persönlichkeit des Künstlers bestimmt. Die "Misères et Malheurs de la guerre" sind eine Folge lebhafter Bilder, und man wird daran erinnert, daß Callot während seines Florenzaufenthaltes 1612-1621 Schüler von Giulio Parigi war, der sich als Ingenieur, Organisator und Regisseur von Theaterstücken, Intermezzi und Feierlichkeiten betätigte. Aus dieser Zeit stammt die Vorliebe des Kupferstechers, die Tiefenwirkung zu betonen, die Fluchtpunktperspektive auf die seitlichen Kulissen auszurichten, die Handlungen der Personen vielfältig und lebhaft zu gestalten und im Bildvordergrund Zuschauerfiguren auftreten zu lassen .
Die Personen sind in verschiedenen Handlungssituationen entsprechend der ihnen zugedachten Rolle variantenreich und wirkungsvoll gestaltet. Callot vermag auf geschickte Weise, die Protagonisten von vorn und in feierlicher Haltung darzustellen und erreicht so, verstärkt durch sein Streben nach strenger Symmetrie, die bildliche Umsetzung dessen, was einem Prolog und einem Epilog entsprechen könnte (Frontispiz; La distribution des récompenses - Die Verteilung der Belohungen). Er wählt vielfältige Perspektiven, so daß der Blick des Betrachters auf gleichzeitig stattfindende Handlungen gelenkt wird und so der Eindruck eines disziplinlosen Geschehens entsteht. Die Plünderung eines Gehöftes ("Le pillage d'une ferme") ist ein Ort der Gewalttätigkeit, der Blick öffnet sich zugleich auf im Hintergrund liegende Felder. Die dramatische Erzählweise entfaltet sich bei dieser räumlichen Aufteilung in suggestiver Weise. Dem statischen und kontrollierten Erscheinungsbild der angeworbenen Soldaten beim Exerzieren und der Haltung ihrer Anführer, während sie Befehle geben oder Ehrungen empfangen, steht das ungeordnete und gewalttätige Verhalten gegenüber, das die sich selbst überlassenen Soldaten in "Bien loing de l'exercice et des soings militaires" (fern vom Drill und vom soldatischen Fleiß) an den Tag legen. Die Haltungen und Bewegungen sind fein abgestuft: Flucht, Exerzieren und Gewalttätigkeit werden in einer Art tragischem Ballet in "La Maraude" (Die Plünderung) gleichzeitig abgebildet. Die Gestik und ihre plastische Umsetzung wird mehr noch als die Mimik zur Erregung von Affekten eingesetzt. Diese dramatischen Szenen werden bisweilen noch durch die Anwesenheit unbeteiligter Zuschauer unterstrichen. Sie sind häufig von hinten oder von der Seite abgebildet, und ihre Funktion zeigt sich deutlich darin, daß sie mit ihrer Hand oder ihrem Finger auf eine wichtige Szene weisen. Diese Lenkung der Aufmerksamkeit des Betrachters ist bei den Kompositionen, die die Bestrafung eines schlechten Soldaten darstellen, besonders deutlich: "L'Estrapade" (Der Wippgalgen), "La Pendaison" (Das Erhängen), "L'Arquebusade" (Das Erschießen mit der Armbrust), "Le Bûcher" (Der Scheiterhaufen), "La Roue" (Das Rad) und "La Distribution des Récompenses" (Die Verteilung der Belohnungen).
Als Verfasser der Bildunterschriften wird der kunstliebende Abt von Villeloin, Michel de Marolles, genannt, für diese Autorzuordnung gibt es jedoch keinen sicheren Beleg. Die Alexandriner zu je sechs Versen machen die didaktische Absicht der Bildfolge deutlich. Es herrscht eine enge Verbindung zwischen dem gestochenen Motiv und der Bildunterschrift, die durch die Reimform einen zugleich konventionellen und ein wenig feierlichen Ton erlangt. Der Stil bleibt jedoch diskret und schadet dem Werk, das ja auch realistische Szenen von großer Dramatik abbildet, in keiner Weise. Das lange Gedicht verrät das feine Gespür des Autors für die Rhetorik seiner Zeit, die sich in Form von Stanzen, Sonetten, Oden und Hymnen äußert. Beispiele dafür finden sich bei Charles Beys, Boisrobert oder Chapelain, die dem Hof nahestanden. [16] Wenngleich Mars, Pluto und Astraea angerufen werden, bleiben mythologische Anspielungen dennoch gering, und niemals nimmt der Mythos Formen von Heldenverehrung an. Die Darstellung ist vor allem aufgrund ihrer Schlichtheit und des strengen Versmaßes wirkungsvoll. Zwar beschreibt das Gedicht ohne Einschränkung das grausame Geschehen und die leidvollen Schicksale, verurteilt jedoch den Krieg als solchen nicht. Deutlich werden auch die Lebensbedingungen der Soldaten während des Feldzuges und beim Rückzug aus dem Kriege angeprangert. Der moralische Appell richtet sich an die Verantwortlichen der Armeen und an die Soldaten. Für die Zeitgenossen Callots war das Werk bedeutungsgeladen und eng mit der Zeitgeschichte verwoben.
III. Der Zeitbezug des Werkes: Von Erinnerung an Geschehenes zu offizieller Propaganda
Schon seit mehr als zehn Jahren war in den deutschsprachigen Ländern, den Niederlanden, in Italien und selbst in Lothringen die Aushebung der Truppen zu einem alltäglichen Ereignis geworden, das manchmal mit Terror einherging. Diese Rekrutierungen, die unter der Aufsicht des jeweiligen Oberst stattfanden, betrafen zumeist die mittellose ländliche oder städtische Bevölkerungsschicht, die sich von der Gelegenheit, ihre finanzielle Situation zu verbessern, anlocken ließ. Fußsoldaten oder Berittene, die die Soldateska bildeten, wurden auf diese Weise angeworben. Als Söldner, die beim Abmarsch darauf gefaßt waren, sich als Regiment der zu verstärkenden Armee anzuschließen, wußten sie nichts vom harten Schicksal der Soldaten auf dem Rückzug. Die Rekrutierung, die Herzog Rudolf Maximilian von Sachsen-Lauenburg für den Kaiser Ferdinand II. von Habsburg durchführte, wurde 1626 im Kurfürstentum Mainz von schrecklichen Ausschreitungen begleitet. In Lothringen hatte Herzog Karl IV. mehrere Aushebungen durchführen lassen, um 1631 in Bayern die Armee der katholischen Liga zu unterstützen sowie die Truppen von 'Monsieur', Gaston d'Orléans, 1632 in Luxemburg oder um die französische Armee 1633 von herzöglichem Territorium zu vertreiben. So berichtet die Zeitung "Mercure Français", daß Karl IV. von Lothringen, der von den Bischöfen von Köln und Mainz Geld bekommen hat, "große Aushebungen von Kriegsleuten in seinem ganzen Staate [vornehmen läßt] (jedem Dorfe trug er hiebei die Stellung von sechs Gewählten, das heißet sechs für den Krieg ausgewählten Männern, und eines Rosses von zweenhundert Ecu, angeschirrt und mit zween Pistolen ausgestattet, auf daß auch ein Reiter aufsitzen könne: zu selbigem verpflichtete er sogar die Abteien und Priorate seiner Ländereien), in Luxemburg, in der Franche-Comté [...]"
Das Marodieren und die Plünderungen, die bisweilen erlaubt wurden, um Aufstände der Soldaten bei Lebensmittelknappheit zu vermeiden, nahmen im allgemeinen während der Einrichtung der Winterlager zu. Von 1627 bis 1630 bildeten diese Ausplünderungen durch die kaiserliche Armee den Gegenstand heftiger Diskussionen bei den jährlichen Versammlungen der Fürsten der katholischen Liga in Würzburg, Mülhausen und später in Mergentheim. Der Oberbefehlshaber Wallenstein (1579-1634) und seine Feldherrn wurden damals für die Plünderungen ihrer Truppen direkt verantwortlich gemacht. Die Klagen der katholischen Fürsten gelangten bis nach Wien. Richelieu, der voller Sorge feststellen mußte, daß Frankreich allmählich von den Streitkräften des Hauses Österreich eingekreist wurde, kamen diese Klagen sehr gelegen. Nach dem Reichstag von Regensburg 1630 entschloß sich Kaiser Ferdinand II. von Habsburg, die kaiserliche Armee zu reorganisieren. Wallenstein wurde seiner Ämter enthoben. Im übrigen wurde der armselige Zustand der Soldaten nach manchen Schlachten in seiner ganzen Tragik erkannt. So schrieb Tilly einige Wochen nach der Schlacht von Breitenfeld, wo er zwei Drittel seiner Armee verloren hatte, im Frühjahr 1632 an Maximilian von Bayern: "Seit drei Tagen stehe ich hier mit meinen Leuten und denen seiner Hoheit, dem Herzog von Lothringen, und kann mich nicht von der Stelle rühren, weil meine armen Soldaten nackt und halb verhungert sind; dazu ist übles Wetter hereingebrochen und hat mit solcher Macht gewütet, daß die Regimenter dahinschmelzen wie Schnee. Die Armee ist so stark geschrumpft, daß wir unmöglich noch länger Widerstand leisten können [...]"
Die Verwüstung von Städten und Dörfern und die Zerstörung kirchlicher Bauten kamen zwischen 1628 und 1632 besonders häufig vor. Angeordnet wurden sie sowohl von den Kaiserlichen, nämlich 1630 in Mantua und 1631 in Magdeburg [17], als auch von den Schweden in Speyer, Worms oder Mannheim 1631 bzw. 1632 in München oder auch von den Lothringern 1631 in der Gegend um Straßburg. Diese schrecklichen Ereignisse wiederholten sich noch einmal 1635 in Lothringen bei der Plünderung der Stadt Saint-Nicolas-de-Port durch die schwedischen und französischen Armeen. Der Angriff auf Kirchen und Klöster, die sich auf dem Gebiet der katholischen Liga befanden, ist auch im speziellen Kontext des Restitutionsediktes zu sehen. Dieses Edikt, das 1629 von Ferdinand II. von Habsburg proklamiert wurde, sollte es den Katholiken ermöglichen, säkularisierte Erzbistümer, Bistümer und Klöster in Deutschland wiederzuerlangen. Tilly und Wallenstein waren nun gerade damit beauftragt worden, dieses Edikt mit Hilfe ihrer jeweiligen Armeen durchzusetzen. Ab 1632 hatte sich Frankreich im übrigen bei Gustav Adolf von Schweden, seinem Verbündeten seit dem Vertrag von Bärwalde 1631, dafür eingesetzt, daß die schwedischen Truppen die katholischen Gotteshäuser auf erobertem deutschsprachigen Gebiet schonen sollten. Schließlich hatte doch der König von Schweden als überzeugter Lutheraner einen protestantischen Gottesdienst am 24. April 1632 in Augsburg feiern lassen, nachdem die von den Kaiserlichen besetzte Stadt zurückerobert war. Ein wichtiger Kupferstich mit propagandistischer Ausrichtung, angefertigt von Johann Oeder, sollte dieses Ereignis sogleich wieder vor Augen stellen.
Im Jahre 1632, als Callots Werk möglicherweise seine endgültige Form erhielt, überstürzen sich die verheerenden Kriegsereignisse. Die Plünderungen durch schwedische Soldaten geschahen häufiger und in größerer Nähe zu Frankreich. Dadurch zeigte Gustav Adolf von Schweden, der über eine mächtige und modernisierte Armee verfügt, immer deutlicher seine Absichten, bis der tapfere Feldherr und Monarch in der Schlacht von Lützen am 16. November 1632 den Tod fand. Einige Monate zuvor war auch der Anführer der katholischen Armee Bayerns, Tilly, in Ingolstadt, nach den Niederlagen von Breitenfeld und Rain am Lech, zu Tode gekommen. Ferdinand II. von Habsburg hatte im April 1632 den übel beleumdeten General Wallenstein in seine Dienste zurückgerufen. Dann schließlich, als der Mantuaner Erbfolgestreit, an dem Frankreich auch mit Truppen beteiligt war, sein Ende fand, war Richelieu in der Lage, eine Lehre aus dem Feldzug zu ziehen, den er selbst anführte. Zwei Staatsdiener reichten ihm Abhandlungen ein, die die Notwendigkeit unterstrichen, Organisation und Disziplin der Armeen zu verbessern: Es handelte sich um den "Rapport sur l'affaire des Grisons et de la Valteline" (Bericht über die Graubündneraffaire und die Veltelinaffäre), eingereicht von Paul Ardier, erster Angestellter des Staatssekretärs Pontchatrain, und andererseits um die Berichte des Herzogs Henri de Rohan, der die Spanier im Veltlin besiegte und 1631 eine Betrachtung über den vollkommenen Hauptmann ("Le Parfait Capitaine") verfaßte. [18]
Steht Callots Werk in einem offiziellen Rahmen, im Dienste propagandistischer Absichten oder doch zumindest der Rechtfertigung der damals von Ludwig XIII. und Richelieu geführten Außenpolitik ? Der König und sein Minister haben die Bedeutung von Bildwerken, mit denen sie ihre Ziele bekräftigen, deren Rechtmäßigkeit überzeugend darlegen und den Typ des 'kriegführenden' ('bellator') und 'gerechten' Fürsten rühmen konnten, nie unterschätzt. Hatten denn nicht 1629 Abraham Bosse und Pierre Firens gerade dazu beigetragen, den Triumph der monarchischen Tugenden zu illustrieren ? Die Schrift "Eloge et discours sur la triomphante reception du Roy en sa ville après la reddition de La Rochelle" (Lobrede auf den triumphalen Empfang des Königs in seiner Stadt nach der Übergabe von La Rochelle) [19] hat sie zu einer Kupferstichfolge angeregt, die an die kurzlebige Dekoration erinnern sollte, die damals zum Thema "Tugenden, deren eine Regierung bedarf" gestaltet worden sind. Die kleine Schrift lobt "die Könige als Flammen des Universums, die Gott sendet, auf daß sie die Laster ausrotten und den Menschen ihren Frieden bewahren" und schließt sich damit an Motive aus einem "Advis au Roi" (Mitteilung an den König) an, den Richelieu im Januar 1629 verfaßte. [20] Auch der Kupferstecher Michel Lasne (1590-1667) brachte einen künstlerischen Beitrag zur Rechtfertigung der königlichen Politik ein, als er 1631 die Titelseite des "Prince" (Der Fürst) von Guez de Balzac illustrierte: Ludwig XIII., Sieger in La Rochelle und am Engpaß von Susa, erscheint dort als Büste wie ein römischer Imperator, an dessen Ruhm und harmonieschaffende göttliche Kraft es zu erinnern gilt. [21]
Könnte Callots Werk möglicherweise durch seine implizite und differenzierte Krititk am Verhalten der schwedischen und der kaiserlichen Armee eben jenem Bestreben dienen, Frankreichs Teilnahme am europaweiten Krieg im Jahre 1632 zu rechtfertigen ? Es steht jedenfalls im zeitlichen Kontext einer Auffassung, die der Entwicklung des Krieges ablehnend und besorgt gegenüberstand wie auch mit den heftigen Vorwürfen, die von streng katholischer Seite gegen das Bündnis Frankreichs mit den protestantischen schwedischen Fürsten vorgebracht wurden. Doch bald erschienen Texte, die ab 1635 die französische Armee und ihre Teilnahme am Dreißigjährigen Krieg unverhüllt preisen. Drei dieser Texte verdienen besondere Beachtung. 1635 schlossen sich mehrere Autoren zusammen, um gemeinsam "Le sacrifice des muses au grand cardinal de Richelieu" (Musenopfer für den großen Kardinal von Richelieu) zu verfassen und um sich in Form einer literarischen Vereinigung, der Académie française, regelmäßig zu treffen: "Courses guerrières" (Der schnelle Lauf der Krieger) in Richtung auf Maas und Rhein wird dort von Chapelain bzw. Maynard besungen:
"Le Rhin dans sa grotte profonde Tremble au récit de nos efforts, Et prévoit qu'il faut que son onde Soit Française en tous ses deux bords" ... "Mais quoi... les mal-heurs de la guerre Sont bien loin de la Fleur de lys" [22] |
Frankreich ist zu diesem Zeitpunkt durch die wiederhergestellte Eintracht zwischen dem König und seinem Bruder Gaston d'Orléans seit dem 21. Oktober 1634 wieder erstarkt: Mit dem Ende der "Großen Verschwörung", die Gaston d'Orléans erst in Brüssel, dann in Maastricht anzettelte, verschwand die Bedrohung eines bewaffneten Konfliktes. Abraham Bosse verbildlichte diese wiederhergestellten "Forces de la France" (Kräfte Frankreichs) meisterhaft in einem doppelten Reiterportrait. Darin kommt deutlich zum Ausdruck, daß der Ruhm von neuem auf die beiden Brüder verteilt ist, während im Bildhintergrund eine exemplarische Darstellung von Bataillonen gegeben wird, "die mehr Furcht erregen als der Donner".
Desmarets de Saint-Sorlin, ein Richelieu nahestehender Autor, verfaßt ab 1637 die Heldenkomödie "Europe": Im Gewand der Allegorie und rührseligen Komödie zeigt diese "Pastourelle", wie es Europa mit Frankreichs Unterstützung gelingt, alle seine Länder um sich zu scharen und den Frieden regieren zu lassen. Die tyrannische Ader 'Iberiens' (Spaniens) und die Inkonsequenz 'Austrasiens' (Lothringens) evozieren einen aktuellen politischen Kontext, während der personifizierte Friede im Prolog eine Ode deklamiert. [23] Derselbe Autor unterstützt 1641 die Außenpolitik Ludwigs XIII. und Richelieus mit dem Entwurf eines "Ballet de la prospérité des armes de la France" (Ballett auf Frankreichs großes Waffenglück), in dem sich der Mythos des Kampfes zwischen den Mächten des Guten und des Bösen mit der politischen Allegorie auf den gallischen Herkules vermischen, der über Adler (Österreich) und Löwe (Spanien) triumphiert. Hinzu kommt die Anspielung auf siegreiche Feldzüge, die die Franzosen in den Alpen, in Casale, in Arras und auf der Nordsee geführt haben. Der letzte Akt feiert den Triumph des Wohlstandes und der Eintracht. [24]
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