KONRAD REPGEN Die westfälischen Friedensverhandlungen. Überblick und Hauptprobleme |
I. Entstehung, Zusammensetzung, Verfahrensweise und Ziele des Kongresses
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Im Zeitalter des Dreißigjährigen Kriegs unterbrachen militärische Operationen nur selten die ständige politische Kontaktsuche nahezu aller Kriegsparteien untereinander. Dies war ein Gebot der Moral ebenso wie der Staatsräson. Denn ein Zustand des Friedens als Grundnorm des zwischenstaatlichen Verhältnisses der christlichen Mächte Europas untereinander wurde auch im Zeitalter der Konfessionalisierung generell nicht in Frage gestellt. Unabhängig von diesem prinzipiellen christlichen Friedensgebot lag es im wohlverstandenen politischen Interesse nahezu jeder militärischen Konfliktpartei, den Gesprächsfaden mit dem (oder den) Gegner(n) nie abreißen zu lassen, um bei den Unwägbarkeiten zukünftiger Erfolge und Mißerfolge auf den Schlachtfeldern für alle Fälle vorbereitet zu sein. Jeder zeigte sich grundsätzlich friedensbereit - falls auf seine Bedingungen eingegangen würde. Und dies ständig auszuloten, erforderte unentwegt bilaterale oder über Dritte vermittelte Fühlungnahme zwischen den kriegführenden Mächten. So war es auch im Dreißigjährigen Krieg. Unterhändler aller fünf Großmächte in Osnabrück (Schweden und der Kaiser) und in Münster (Frankreich, Nord-Niederlande, Spanien und der Kaiser) führten schon lange miteinander politische Friedenssondierungen, ehe sie in Westfalen die substantiellen Verhandlungen aufnahmen: Frankreich und Schweden mit dem Kaiser am 11. Juni 1645, Spanien mit Frankreich am 21. März 1646, die Niederlande mit Spanien am 13. Mai 1646.
So hatten Spanien und die Generalstaaten bereits seit 1628 mehrfach die Möglichkeiten und Bedingungen einer Beilegung ihres überlangen Krieges bilateral erörtert. Ebenso verhielt es sich mit den Verhandlungen und Kontakten des Kaisers zu Frankreich seit 1630. Nicht anders hatte der Kaiser mit Schweden nach dem Prager Frieden von 1635 (der zwar die meisten der Reichsstände, aber einige wenige gar nicht, erfaßt und andere unzufrieden zurückgelassen hatte) teils durch Dritte, teils direkt verhandeln lassen. Vor allem gab es zwischen Paris und Madrid vor und nach der französischen Kriegserklärung an Habsburg von 1635 eine Reihe bilateraler Versuche einer Verständigung durch Geheimdiplomatie, die der politischen Öffentlichkeit weitestgehend verborgen blieben und erst von der neueren Geschichtswissenschaft mühsam rekonstruiert worden sind. Daneben war seit 1634 öffentlich ein allgemeiner, großer Friedenskongreß im Gespräch. Das Kennwort hieß, wie erwähnt, pax universalis.
Die Konzeption eines derartigen Kongresses stammte von Papst Urban VIII. (reg. 1623-1644). Dieser Papst verstand, wie viele seiner Vorgänger seit dem 15. Jahrhundert, seine Aufgabe in der abendländischen Staatenfamilie nicht als Herrscher, sondern als padre commune, als Vater für alle. Aus dieser Rolle ergab sich unter den Bedingungen des konfessionellen Zeitalters die besondere moralische Verpflichtung, die Konflikte zwischen den katholischen Dynastien beizulegen, allen voran zwischen den beiden habsburgischen Linien und Bourbon. Ihnen bot Rom sich seit 1634 als Vermittler (nicht: als Schiedsrichter) an. Das konnten im Prinzip weder Madrid noch Wien noch Paris ablehnen; denn die besondere Verpflichtung des päpstlichen Amtes, auf Frieden unter diesen Großmächten hinzuwirken, war als ein Element aller Außenpolitik für Europa eine Selbstverständlichkeit.
Kardinal Richelieu (1585-1642) jedoch, seit 1624 Premierminister Frankreichs, wollte um keinen Preis auf einem Friedenskongreß den beiden Linien des Hauses Habsburg ohne Einbeziehung all seiner Verbündeten entgegentreten. Diese Maxime hat er eisern verteidigt, auch gegenüber dem Papst, selbst wenn ihn dies unter erheblichen Legitimationsdruck setzte. Denn seine wichtigsten Alliierten waren protestantische Mächte, allen voran Schweden (seit 1631) und die niederländischen Generalstaaten (seit 1624/35), daneben (seit 1635/36) Bernhard von Weimar und Hessen-Kassel. [5] Diese lehnten eine päpstliche Vermittlung ebenso ab, wie auch der Papst nicht amtlich für Gespräche mit häretischen Mächten zur Verfügung stehen wollte. Es mußte daher für deren Teilnahme am Kongreß ein Ausweg gefunden werden. Er bestand darin, die Mediation zwischen den katholischen und den protestantischen Staaten einer anderen neutralen Macht zu übertragen. Dies war Venedig.
Nunmehr hätte im Herbst 1636 in Köln der congresso per la pace universale seine Arbeiten aufnehmen sollen: Ein päpstlicher Kardinallegat mit großem Gefolge reiste an; und bald erschienen kaiserliche und spanische Delegationen. Aber dieser "Kölner Kongreß" ist nie eröffnet worden, weil Richelieu mit immer neuen Begründungen das tatsächliche Erscheinen der französischen Unterhändler hinausschob. Den Vorwand dafür boten die Pässe, derer die Diplomaten zur Anreise angeblich oder tatsächlich bedurften. Die Frage war eine doppelte:
- wer sollte in den Besitz eines Geleitbriefes kommen, und
- wie sollte in diesem Schriftstück die Funktion des Paß-Inhabers auf dem künftigen Kongreß amtlich bezeichnet werden?
Politisch bedeutete dies, daß mit der Ausfertigung und Annahme der von den Monarchen persönlich zu unterzeichnenden Reisedokumente ein wichtiger Teil der künftigen Friedensverträge bereits vorentschieden wäre. Deshalb wurde das Pässe-Problem über Jahre hinaus ein europäisches Politikum ersten Ranges; und deshalb kam der Kölner Kongreß, neben dem sich - für kaiserlich-schwedische Verhandlungen - 1638 ein Kongreß in Lübeck/Hamburg etabliert hatte, nie in Gang. Man feilschte um die Begriffe in den Geleitbriefen.
Bei diesem Streit ging es nur vordergründig um Worte und Papiere. Dahinter standen klare politische Ziele; der Kampf um die Pässe war Kriegszielpolitik. Die wechselnden Forderungen und Konzessionen entsprachen daher den Wechselszenen des Kriegstheaters, auf dessen deutschem Sektor seit 1638 Schweden und danach Frankreich deutlich an Boden gewonnen hatten. Hingegen stellten im Jahre 1640 zunächst der katalanische Aufstand und schließlich der Abfall Portugals, das seinen riesigen Kolonialbesitz seit 1580 in das kastilische Imperium eingebracht hatte, die spanische Monarchie für ihre künftige Ressourcenbeschaffung vor schwer lösbare Probleme.
Dies ist der politische Hintergrund der Hamburger Präliminarverträge vom 25. Dezember 1641, welche den organisatorischen Rahmen für den westfälischen Friedenskongreß abstecken sollten. Der Kaiser, zugleich für Spanien handelnd, vereinbarte dort unter dänischer Vermittlung mit Frankreich und Schweden dreierlei:
1. Wer von wem und für welche Funktion innerhalb des künftigen oder laufenden Kongresses einen Paß bekommen sollte, wobei eine Sonderklausel den reichsständischen Gegnern des Kaisers die Teilnahme eröffnete;
2. daß die getrennten Kongresse von Köln und Lübeck/Hamburg als ein einziger Friedenskongreß [6] gelten sollten und daß dieser zur Erleichterung der Geschäfte in die Nachbarstädte Münster und Osnabrück verlegt werden sollte, unter gleichzeitiger Neutralisierung dieser beiden Orte bis zum Friedensschluß.
Diese Verlegung und Zusammenlegung hatte Frankreich bereits im Sommer 1641 bei der Verlängerung seiner Kriegsallianz mit Schweden vertraglich vereinbart. [7] Es war ein großer Erfolg der französischen Diplomatie. Sie hatte auf diese Weise ihre verbündeten Großmächte, Schweden und die Generalstaaten, in die eigenen Friedensverhandlungen institutionell einbezogen. Wie sich jedoch gezeigt hat, bot dies keine hinreichende Garantie gegen Separatfrieden.
3. wurde ein präziser Termin für den Beginn des Kongresses vereinbart: sofort nach der Ratifikation am 25. März 1642. Diese ist jedoch erst am 3. April 1643 erfolgt. Nunmehr sollte der 11. Juli 1643 Kongreßbeginn werden.
Dagegen wurde in Hamburg kein Waffenstillstand für die Dauer der Friedensverhandlungen vereinbart. Ein solches Übereinkommen ist im Verlauf des Kongresses zwar mehrfach angestrebt worden, aber nie gelungen. Erst die Unterzeichnung der Friedensverträge hat die militärischen Operationen beendet. [8] Alle Vertragsklauseln wurden vereinbart, während der Krieg weiterging.
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Heute versteht man unter "Kongreß" Zusammenkünfte mit Plenarversammlungen aller Beteiligten, in der Regel zu Beginn und zum Abschluß. Eine derartige "Vollversammlung" hat es weder in Osnabrück noch in Münster jemals gegeben. Auch deshalb läßt sich die Frage nach dem "Beginn" und dem "Ende" des westfälischen Friedenskongresses nicht einfach durch Angabe zweier konkreter Daten beantworten. Der "Kongreß" begann vielmehr via facti, durch die sukzessive Anreise der Gesandten in den Jahren 1643 bis 1646, und auf eine ähnlich unspektakuläre Weise endete er durch die Abreise der Unterhändler zwischen 1647 und 1649. Die höchste Zahl anwesender Diplomaten gab es wohl in der Zeit von Januar 1646 bis Juli 1647. [9] Insgesamt haben 109 Delegationen am westfälischen Friedenskongreß teilgenommen und mit-, neben- und gegeneinander verhandelt. [10] Durch sie wurden 16 europäische Staaten repräsentiert. Außerdem waren 66 Gesandte für Reichsstände und 27 andere Interessenvertreter aus dem Reichsgebiet in Münster und/oder Osnabrück anwesend. Sie führten oft zusätzlich die Stimme anderer Reichsstände, welche sich die Unkosten einer eigenen Vertretung sparten, oder sie kümmerten sich als Beauftragte um die Belange anderer Interessierter. Dadurch waren insgesamt 140 Reichsstände und 38 andere Parteien durch eigene oder fremde Gesandte beim Kongreß vertreten.
Diese breite reichsständische Vertretung ging weit über die Hamburger Vereinbarungen von 1641 hinaus. Indem sich neben den Großmächte-Vertretungen ein Quasi-Reichstag etablierte, veränderten sich Rahmen und Ziel des Friedenskongresses natürlich sehr. Der "Universalfriedens-Kongreß" behielt das Ziel, die Kriege zwischen den Großmächten zu beenden, bei, übernahm aber zusätzlich die Aufgabe, die Verfassung des Reiches zu novellieren. Dies war das Ergebnis des massiven politischen Drucks, den die Siegermächte Schweden und Frankreich in den Jahren 1644/45 auf den hartnäckig und lange widerstrebenden Kaiser ausgeübt hatten, der nach einer katastrophalen Niederlage durch schwedische Truppen bei Jankau in Böhmen (6./7. März 1645) schrittweise nachgegeben hatte. Schließlich sah er sich angesichts seiner desolaten militärischen Lage gezwungen, am 29. August 1645 alle Reichsstände zum Friedenskongreß zu laden und insofern auf das völkerrechtliche Alleinvertretungsrecht für das Reich zu verzichten. Nicht alle, aber viele kamen. So verwandelte sich die einigermaßen überschaubare Diplomatenkonferenz der fünf Großmächte (mit ihren Verbündeten und Anhängern) in einen Mammutkongreß. Dessen bunte Zusammensetzung erinnert an eine heutige Vollversammlung der Vereinten Nationen, wo neben einem Zwergstaat wie Mauritius die Super-Weltmacht USA sitzt. Und es ging nicht mehr allein um europäische Mächtepolitik, sondern auch um möglichst dauerhafte Lösungen für hochkomplizierte Streitfragen der Reichsverfassung. Diese Heterogenität hatte Contarini vor Augen, als er von einem "Weltwunder" sprach.
Die (wie man damals sagte) "Invitation" der Reichsstände zu einer reichstagsähnlichen Beteiligung an den Verhandlungen in Münster und Osnabrück war das erste wichtige politische Ergebnis der westfälischen Friedensverhandlungen. Zwar steht kein Wort davon in den zeitgeschichtlichen Passagen der Präambel der Verträge mit dem Kaiser. Diese nehmen allein auf die Hamburger Abkommen von 1641 als vertragsrechtlichen Rahmen des Friedenskongresses ausdrücklich Bezug. Dennoch: Die Einbeziehung der Reichsstände in die Traktate war ein Schritt von großer Tragweite. Bisher war der Kaiser zusammen mit den Kurfürsten für die Außenpolitik des Reiches zuständig gewesen, er allein hatte Friedensverhandlungen geführt und Friedensverträge unterschrieben. Die "Admission" aller Reichsstände zum Friedenskongreß bedeutete, sie faktisch am Recht der Entscheidung über Krieg und Frieden des Reichs zu beteiligen, jedenfalls für den Westfälischen Frieden. Deshalb nahmen sie auch an der Unterzeichnung der Vertragsurkunden vom 24. Oktober 1648 teil, obgleich ihre Präsenz in Westfalen für die machtpolitischen Auseinandersetzungen der Großmächte "eigentlich nur schmückendes Beiwerk" war. [11]
II. Die Verhandlungsformen der Großmächte
So war es 1641 vorgesehen. In Osnabrück jedoch konnte der Vermittler, Dänemark, nie die Verhandlungen eröffnen. Denn Schweden begann, ehe seine Delegation am Kongreßort vollständig beisammen war [12], im Dezember 1643 Krieg gegen den Dänenkönig Christian IV. (1588/96-1648). Damit war dessen Mediation der Boden entzogen. Eine dänische Vermittlung ist auch nach dem Friedensschluß der beiden nordischen Mächte (am 23. August 1645) nicht wieder aufgelebt. Schweden nämlich hielt prinzipiell überhaupt nichts von Friedensvermittlung, sondern bevorzugte direkte Verhandlungen mit den Kaiserlichen und den Reichsständen. Auch die spanisch-niederländischen Verhandlungen in Münster sind ohne Vermittler geführt worden. Beide Seiten wußten, was sie wollten, und weder Spanien noch die Generalstaaten wünschten die Zwischenschaltung eines Dritten, um die noch offenen Streitfragen oder veränderte Friedensziele zu klären. Sie kamen auch am schnellsten zum angestrebten Verhandlungsziel. [13]
Anders Frankreich. Seine Verhandlungen mit dem Kaiser vollzogen sich allein über die beiden Mediatoren, Nuntius Chigi [14] und Botschafter Contarini, ebenfalls diejenigen mit Spanien. Zwischen Herbstbeginn 1646 und Frühjahr 1647, und erneut von Ende 1647 bis Sommer 1648, haben sich zusätzlich noch die Generalstaaten als Interpositoren in die französisch-spanischen Traktate eingeschaltet. Man verhandelte jetzt nicht mehr nur im Dreieck, sondern im Viereck.
Infolge dieser Verfahrensweise haben die französische und die spanische Delegation nie, die französische und die kaiserliche nur dreimal gemeinsam am Verhandlungstisch gesessen [15], obgleich sie sich fünf Jahre lang gleichzeitig in Münster aufgehalten haben. Es gab zwar, nicht oft und nicht regelmäßig, direkte Kontakte zwischen Spitzenpolitikern der drei Delegationen. [16] Sie mochten wichtige Aufschlüsse erbringen und bedeuteten gewiß keine Zeitvergeudung. Aber sie waren vertragsrechtlich gesehen Privatangelegenheiten. Sie wurden daher in den Akten terminologisch durch den diplomatiesprachlichen Begriff discursus deutlich vom formalen (und "amtlichen") congressus abgehoben.
Die 1641 vereinbarte Einheit der Kongreßverhandlungen, an denen Frankreich ein so vitales Interesse hatte, war um so weniger durch die tatsächliche Arbeitsweise des Friedenskongresses gesichert, als die fünf Großmächte von ganz unterschiedlichen Interessen- und Rechtslagen ausgingen. Schweden führte Krieg nicht mit Spanien, sondern allein mit dem Kaiser und Teilen des Reichs, und es hatte bei den Reichsverfassungsfragen ständig Rücksicht auf seine protestantische Klientel der Reichsstände zu nehmen. Im Gleichschritt mit den Schweden zu bleiben und deren Konfessionspolitik zu tolerieren, verlangte vom katholischen Frankreich ständige, oft schwierige Anstrengungen, die zuweilen an die Grenze des Erträglichen führten, aber schließlich 1648 die gleichzeitige Unterschrift unter den Münsteraner und Osnabrücker Frieden ermöglicht haben. Mit den Generalstaaten gelang das nicht. Sie ließen sich von ihrem Bündnispartner Frankreich in ihren Grund- und Detailentscheidungen je länger, desto weniger zu einer aufeinander abgestimmten Kongreßpolitik bewegen. Im übrigen führten sie mit dem Kaiser und dem Reich formell überhaupt nicht Krieg, bedurften also in dieser Hinsicht auch keines Friedensschlusses. Daher sind sie auch nicht 1648 aus dem Reichsverband ausgeschieden, wie noch oft zu lesen ist. Der Westfälische Friede enthält über die staatsrechtliche Stellung der Niederlande zum Reich kein Wort. [17]
Da auch Spanien keinen Krieg mit Schweden führte, war es an den Osnabrücker Verhandlungen unbeteiligt. Es hat andererseits, im September/Oktober 1648, nicht verhindern können, daß Wien sich mit der Unterzeichnung des Münsteraner Friedens spektakulär von der älteren habsburgischen Linie trennte und dadurch eines der wichtigsten französischen Kriegsziele erfüllte. Diese Separation hatte sich zwar seit 1645 als Möglichkeit abgezeichnet, war damit aber noch keineswegs entschieden. Offensichtlich sind weder Madrid noch Wien bestrebt gewesen, mit allen verfügbaren Kräften eine wirklich gemeinsame Kongreßpolitik gegenüber Frankreich zu vereinbaren und dauerhaft durchzuhalten. Es gab daher beim westfälischen Friedenskongreß keine einheitliche Kriegszielpolitik des Gesamthauses Habsburg. Die Option des Kaisers für den Münsteraner Frieden, der ihm als Oberhaupt des Reiches wie auch als Erzherzog von Österreich jede künftige militärische Hilfe für die Madrider Vettern verbot [18], wurde schließlich unausweichlich, weil die Reichsstände sonst ohne den Kaiser zu unterschreiben drohten, und er damit auch die Kaiserkrone aufs Spiel gesetzt hätte.
Hingegen hat Spanien den Krieg mit Frankreich über 1648 hinaus weitergeführt. Beide Mächte hatten 1648 zwar den nahezu vollständigen Text eines Friedensvertrags vereinbart. Es fehlten schließlich nur noch Klauseln über die Befestigung der lothringischen Hauptstadt Nancy und über die präzise Abgrenzung der spanischen Abtretungen an Frankreichs Nordost-, Südost- und Südgrenze - Punkte von zweit- und drittrangiger politischer Bedeutung. Aber als allein sie 1648 noch übrig waren, wollte keine der beiden Seiten auch nur einen Zoll breit weiter nachgeben. Warum? Frankreich fühlte sich, trotz der heranziehenden Fronde, stark genug, über Spanien noch Herr zu werden. Das ist tatsächlich 1659 gelungen. Aber auch die spanische Entscheidung vom Jahre 1648, den Krieg gegen Frankreich fortzusetzen, war kein irrationaler Akt der Verblendung. Galt Spanien nicht immer noch als die mächtigste Monarchie Europas? Dieses riesige Imperium mit seinen großen europäischen und überseeischen Ressourcen schien im Sommer 1648 aktuell weniger bedroht als die französische Monarchie mit einem Kind als König [19], mit einem Staatsbankrott (am 18. Juli 1648) und mit Barrikaden in der Hauptstadt Paris vom 26. bis 28. August 1648, die der Fronde vorausgingen.
Daß 1648 in Münster der Friedensschluß zwischen den beiden katholischen Kronen, Frankreich und Spanien, verfehlt worden ist, war für die europäische Staatenwelt eine Sache von allergrößter Bedeutung. 1648 brachte nur für das Alte Reich eine gewisse pax generalis, nicht aber für das gesamte Alte Europa. [20] Daran hat Contarini bei der offiziellen Gratulationscour des 24. Oktober 1648 die Franzosen unmißverständlich erinnert. [21] Die drei westfälischen Friedensschlüsse von 1648 eröffneten daher keine Periode gesicherten Friedens für die gesamte Christenheit. [22] Das Kriegführen außerhalb Deutschlands ging weiter. Im Osten, im Norden, im Süden und im Westen Europas stand in den fünfziger Jahren die Staatenwelt immer noch oder erneut in Flammen.
In dieser brodelnden Welt wurde und blieb das Alte Reich, wenigstens zunächst und nicht ohne Ausnahmen [23], eine Insel relativer Ruhe. Nach 1648 war das politische Gemeinwesen "Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation" zu einer offensiven Machtpolitik strukturell und aktuell außerstande. Es löste sich im Westfälischen Frieden jedoch nicht in zahllose, gänzlich voneinander unabhängige größere, mittlere, kleinere und kleinste reichsunmittelbare Gewalten und Gemeinwesen auf [24], sondern blieb nach innen bis zur Zeit Friedrichs des Großen (reg. 1740-1786) ein mehr oder minder funktionierender Rechts- und Friedensverband. Hingegen versagte es als Verteidigungsverband bei der Aufgabe, das Reichsgebiet vor der aggressiven Außenpolitik Ludwigs XIV. zu schützen. Es wäre jedoch kurzschlüssig, dieses spätere Versagen allein und unvermeidlich auf die Verfassungsregelungen des Westfälischen Friedens zurückzuführen. Die Geschichte der Reichsverteidigung nach 1648 verlief nicht auf einer Einbahnstraße.
III. Die Novellierung der Reichsverfassung
Die novellierte Reichsverfassung von 1648 regelte unterschiedliche Materien: zum einen, als Zentralstück, das Reichs-Religionsrecht, zum andern ging es um die Verkehrs- und Handelsfreiheit, um das Zollwesen, um allgemeines Schuldrecht und, nicht zuletzt, um eine unvollständige Aufzählung wichtiger innen- und außenpolitischer Kompetenzen der Reichsstände.
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Für die Akteure von Osnabrück und Münster standen seit der "Admission der Reichsstände" die allgemeinen politischen Rechte der Territorialherren, die iura statuum, nicht mehr im Mittelpunkt des Streits. Diese Verfassungsbestimmungen fanden zwar schon zwanzig Jahre später spöttische Kritik [29] eines später berühmten Juristen. Sie sind aber erst vom 19. und 20. Jahrhundert, die den Maßstab des anstaltlich organisierten nationalen Machtstaats für das einzig richtige historische Bewertungskriterium hielten, als das nachgerade Eigentliche (und Verdammenswerte) des Westfälischen Friedens interpretiert worden. Im damaligen Verlauf der Friedensverhandlungen haben sie keine große Rolle gespielt, waren jedenfalls in dem, was schließlich Vertragstext wurde [30], wenig strittig. Sie waren auf Wunsch Hessen-Kassels in die Propositionen der Kronen (Schweden und Frankreich) vom 11. Juni 1645 gelangt und wurden vom Kaiser am 25. September 1645 in seinen Responsionen weitestgehend akzeptiert [31], auch das ständische Mitwirkungsrecht bei Friedensschlüssen. [32] Die Reichskollegien bejahten in ständisch getrennten Gutachten vom 27./28. April 1646 zum Gesamtinhalt der künftigen Friedensverträge die meisten der kaiserlichen Verfassungsvorstellungen ohne Änderungswünsche.
Über die politischen Grundrechte der Territorien war man sich also seit Sommer 1645 ziemlich einig, auch hinsichtlich des Bündnisrechtes mit fremden Staaten. [33] Dieses entsprach dem Reichsherkommen und war - entgegen einer verbreiteten Meinung - vom Prager Frieden (1635) keineswegs verboten worden. [34] Da außerdem die ständischen Mitwirkungskompetenzen in der Reichspolitik 1648 zwar abstrakt normiert worden waren, aber eine "Geschäftsordnung" für die Realisierung dieser Mitwirkungsrechte fehlte, blieb mancherlei Gestaltungsmöglichkeit für die Zukunft noch offen. Und weil über die Reservatrechte des Kaisers im Westfälischen Frieden überhaupt nichts stand, war in dieser Hinsicht die Wiener Politik nicht auf Dauer gefesselt. Sogar ein Verbot, bereits zu Lebzeiten eines Kaisers dessen Nachfolger zu wählen [35], kam nicht zustande, obwohl Frankreich daran ein besonderes Interesse hatte. Diese Praxis, welche die ständige Sukzession des Hauses Habsburg im Kaisertum vom 15. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts - von einer Ausnahme abgesehen - ermöglicht hat, fand bei den Kurfürsten und geistlichen Fürsten nachhaltig Unterstützung und bei den weltlichen Reichsfürsten wenig Kritik. Eine Neuregelung wurde auf einen künftigen Reichstag und damit ad kalendas graecasverschoben. Sie ist nie erfolgt. [36]
Die Reichsstände in ihrer Gesamtheit, das also ist festzuhalten, waren beim westfälischen Friedenskongreß nicht grundsätzlich kaiserfeindlich. Erst seit dem Frühjahr 1648 haben sie wegen der aktuellen politisch-militärischen Schwäche des Kaisers ihr neues Gewicht kongreßpolitisch voll ausgespielt und das Reichsoberhaupt so an die Wand gedrängt, daß es sich von Spanien trennen mußte - vorher nicht. 1646 und 1647 waren sie in mancher Hinsicht eher eine gewisse Stütze der kaiserlichen Kongreßpolitik gewesen.
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Im dornigsten aller Punkte, dem Reichs-Religionsrecht, erfolgte die Willensbildung in einem fließenden Viereck zwischen zwei Großmächten, Schweden und Kaiser, und den beiden reichsständischen Konfessionsgremien, dem Corpus Evangelicorum und dem Corpus Catholicorum. Es waren also vier sehr ungleiche Kräfte, die im Frühjahr 1648 in Osnabrück den Abschluß über das Reichs-Religionsrecht erreichten. Diese Vereinbarung haben die Kaiserlichen mit den Schweden und den protestantischen Reichsständen unter Zustimmung der politisch mächtigeren (und gegen den Widerspruch der politisch weniger mächtigen oder ohnmächtigen) katholischen Reichsstände ausgehandelt. [37] Mit dieser reichsständischen Mehrheitsentscheidung wurden für alle Zukunft religionsrechtliche Mehrheitsentscheidungen der Reichsstände ausgeschlossen. [38] Wesentliches Grundprinzip war vielmehr die völlige Gleichstellung [39] der verfassungsmäßig anerkannten drei Großkirchen der Katholiken, der Lutheraner und der Reformierten, über deren jeweiligen Besitzstand nach dem Stichtag eines "Normaljahrs" (1. Januar 1624) entschieden worden war.
Das Reichs-Religionsrecht von 1648 war der Sache nach eine Novelle des Augsburger Religionsfriedens von 1555 und, wie fast alles im Westfälischen Frieden, ein Kompromiß, und zwar der am meisten umstrittene und schwierigste. Er bestätigte Hauptpunkte des im späteren 16. Jahrhundert von lutherischen Juristen entfalteten staatskirchenrechtlichen Programms, doch widersprachen seine Prinzipien und Konsequenzen sehr dem grundsätzlichen Glaubens- und Rechtsverständnis auch der evangelischen Seite. Denn daß der Stichtag eines "Normaljahrs" über den Konfessionsstand eines Territoriums entscheiden müsse, war mit keiner protestantischen Theologie zu begründen, höchstens als Notrecht akzeptabel, als unvermeidliches Übel. Weitaus größere Abstriche an ihrem Staatskirchenrecht mußten hingegen der Kaiser und die zustimmenden katholischen Reichsstände machen; nur politisch, mit dem Zwang der Umstände, war das bi- und trikonfessionelle Reichskirchenrecht von 1648 legitimierbar. So stand die Umwandlung großer Teile des nordwestdeutschen Reichskirchengutes in weltlich-protestantische Herzog- und Fürstentümer völlig quer zu den Grundnormen des weltweit gültigen Corpus Iuris Canonici. Die zustimmenden katholischen Fürsten standen daher unter erheblichem Erklärungsdruck. Sie haben ihr Ja deshalb durch erstklassige Federn in gelehrten Abhandlungen gegen andere Traktate, welche derartige Konzessionen strikt verwarfen, vertreten lassen. Es ging dabei nicht um Kleinigkeiten, sondern um die schwere Gewissensfrage, ob das Religionsrecht des Westfälischen Friedens überhaupt kirchlich tolerabel sei oder nicht. Der Nuntius hat immerzu Nein gesagt, und der Papst hat dieses Nein, als 1650 alles vorbei war, feierlich bekräftigt.
Die schwierige dogmatische, moraltheologische und kirchenrechtliche Frage, ob man überhaupt zu diesen Bedingungen Frieden schließen dürfe, wurde also nicht allein in den Ratsstuben der Residenzen und Reichsstädte erörtert, sondern auch öffentlich von denen diskutiert, die Zugang zur gelehrten Welt hatten; und das waren viele in Deutschland. Die Entscheidungen aber sind in den Regierungskollegien der Fürstenhöfe getroffen und von den Diplomaten in Westfalen ausgeführt worden. Dabei hat man sich allenthalben fachtheologischen Beistands versichert, zumal sich für nahezu jede Option gute Gründe nennen ließen, deren Stringenz wesentlich davon abhing, ob und in welchem Umfange man die politisch-militärische Unausweichlichkeit des jeweiligen Kompromisses für gegeben erachtete oder nicht. Das aber war ein Problem, dem allein mit der Perspektive und dem Begriffsarsenal eines Theologen und eines Juristen nicht beizukommen war.
Die Verhandlungen über das künftige Religionsrecht des Reiches haben fast drei Jahre gedauert. Sie begannen mit den Propositionen der beiden Kronen an die Kaiserlichen vom 11. Juni 1645 [40] und endeten am 7./18./24. März und 21. April 1648. In diesem Zeitraum sind rund drei Dutzend, oft sehr ausführliche Schriftsätze vorgelegt und zum Gegenstand überaus zäher Verhandlungen gemacht worden. Die allmähliche Entstehung des Religionsrechts von 1648 (= Art. V und VII des Osnabrücker Friedens) läßt sich aus diesen Verhandlungsakten bis aufs Komma rekonstruieren, wofür hier nicht Platz ist. Wir begnügen uns mit einer groben ereignisgeschichtlichen Übersicht und übergehen das vielfache Vor und Zurück innerhalb der einzelnen Phasen:
1. Den Anfang machte Schwedens Forderung vom 11. Juni 1645, in kirchlichen Angelegenheiten den Status quo von 1618 wiederherzustellen, Verhandlungen über alle strittigen Fragen des Augsburger Religionsfriedens aufzunehmen und die Reformierten [41] in diesen einzubeziehen. Nachdem die Kaiserlichen am 25. September 1645 grundsätzlich die Aufnahme solcher Verhandlungen akzeptiert hatten, haben zunächst die lutherischen Reichsstände ein Maximalprogramm ihrer Gravamina beraten und am 25. Dezember 1645 vorgelegt, denen das Corpus Catholicorum am 8. Februar 1646 mit Gegenbeschwerden antwortete. Mit diesen beiden programmatischen Ausarbeitungen, die ein halbes Buch füllen, waren die Ausgangspositionen festgelegt. Sie fußten in mehreren Kernpunkten auf einem inkompatiblen Begriffs- und Normenverständnis, das sich Kompromissen verschloß. Zum Beispiel war es eine fundamentale Frage, ob der Religionsfriede von 1555 ein Vertrag sei (wie die Lutheraner behaupteten) oder ein Gesetz (so die Katholiken). Von der Antwort auf diese Frage hing nahezu alles Weitere ab. Aber ein solches Problem ließ sich nicht als reine Rechtsfrage klären, sondern setzte eine politische Entscheidung voraus. Auch deshalb ließ sich in Direktverhandlungen der beiden konfessionellen Corpora nichts Wesentliches erreichen. Diese wurden daher am 5. Mai 1646 ergebnislos abgebrochen, und Trauttmansdorff [42] wurde von beiden Seiten um Vermittlung gebeten.
2. Nun übernahmen die Kaiserlichen, vor allem der Chefunterhändler selbst, in Fühlungnahme mit einem Ausschuß des Corpus Evangelicorum, die Verhandlungen. Deren erster Schlußpunkt ist durch eine Endliche Erklärung vom 30. November 1646 markiert. Sie konnte nicht mehr im Namen aller Katholiken abgegeben werden, sondern berief sich auf die Zustimmung "etlicher vornehmer katholischer Stände", während eine Zusammenstellung von evangelischer Seite zur gleichen Zeit noch 53 "obschwebende Prinzipal-Differentien in puncto gravaminum" zwischen den Konfessionsparteien ausmachte.
Der Erklärung vom 30. November 1646 entsprach (bis auf einige, wenig wesentliche Veränderungen) eine weitere Kaiserliche Erklärung vom 27. Februar 1647, mit der eine neue Verhandlungsrunde begann. Jetzt verhandelte Trauttmansdorff über die Reichsverfassung bei mehr oder weniger starkem Widerstand im Corpus Catholicorum mit den Schweden, die sich ihrerseits mit einem Teil des Corpus Evangelicorum abstimmten. Am Ende standen die Religionsrechts-Artikel eines kaiserlichen Entwurfs für den gesamten Friedensvertrag (auch Trauttmansdorffianum genannt), der am 13. Juni 1647 veröffentlicht worden ist.
3. Das Religionsrecht des Trauttmansdorffianums enthält im Grunde schon den späteren Vertragstext [43], stand 1647 aber noch mitten im Streit nahezu aller Lager mit- und untereinander. Es gab drei Hauptfronten: Reformierte gegen Lutherische, Katholiken gegen Protestanten sowie kompromißwillige Katholiken (Kaiserliche und Reichsstände) gegen kompromißunwillige Katholiken (Reichsstände). Höhepunkt dieser Auseinandersetzungen war ein Beschluß des Corpus Catholicorum vom 7. Oktober 1647 in Münster, der alle seit Sommer 1646 durch die Kaiserlichen eingeräumten Konzessionen an die Evangelischen rigoros verwarf. Über diesen, vom Nuntius nachdrücklich unterstützten Einspruch [44] sind die Kaiserlichen in Abstimmung mit den katholischen "Prinzipalisten" [45] seit November 1647 hinweggegangen und haben die letzte Verhandlungsrunde in Osnabrück geführt. Dort sind zwischen Januar und März/April 1648 die endgültigen Vorverträge über die Einzelteile des Reichs-Religionsrechts vereinbart und, wie beschrieben, unterzeichnet worden. [46]
Die reichsverfassungsrechtlichen Regelungen des Westfälischen Friedens, der den Anspruch einer perpetua lex et pragmatica Imperii sanctio [47] erhob, was der Reichstag 1654 als norma iudicandi [48] bestätigt hat, haben sich bekanntlich als einzigartig wetterfest erwiesen. Sie blieben bis um 1800 unverändert in Geltung und erfreuten sich in dieser Zeit größter Anerkennung. Dies gilt insbesondere für das Religionsrecht, das dem seit der Aufklärung maßgeblichen Toleranzdenken entgegenzukommen schien. Eine solche Interpretation war unter der Perspektive des 18. Jahrhunderts verständlich, verfehlt aber die Ziele der Protagonisten von 1648 erheblich. Diese entwickelten und rechtfertigten ihre Positionen und Positionswechsel nicht unter logischem Rekurs auf ein vorgegebenes und kohärentes System [49], und sie konstruierten den Staat und das Staatskirchenrecht nicht, wie es seit der Aufklärung üblich geworden ist, im Hinblick auf den Einzelmenschen [50], sondern sie gingen von den bestehenden Sozialgebilden der Großkirchen aus, deren konfessionelle Koexistenz in juristische Fachsprache einzufangen war - notfalls mit raffinierten Klauseln und rabulistischen Formelkompromissen. [51] Im übrigen diktierte der "Zwang der Not" [52], auch purer Opportunismus. Die politisch mächtigeren Reichsstände wollten den Krieg nicht mehr fortsetzen. Sie waren zu vielem Nachgeben bereit, sofern die eigenen Landesinteressen gewahrt blieben. Im eigenen Territorium galt daher weiterhin das Prinzip des Konfessionsstaates, aber für das Gemeinwesen Heiliges Römisches Reich wurden dessen Begriffe und Klauseln so lange zurechtgebogen, bis sie paßten. Das geschah keineswegs aus Gleichgültigkeit gegenüber den konfessionellen Normen, sondern weil man keinen anderen Ausweg fand. Die Wirklichkeit war zu verworren, als daß man sie einfach auf den Begriff hätte bringen können.
IV. Die territorialen Veränderungen des Reiches 1648
Die Leitworte "Amnestie" und "Restitution" hingen eng mit dem Ziel und Grundprinzip des Frieden-Schließens zusammen, wie es gleichlautend im Münsteraner und im Osnabrücker Frieden steht - eine klassisch gewordene Beschreibung: Allgemeiner, dauerhafter und wahrer Friede ist christliches Gebot. Deshalb wird ein breiter Schlußstrich hinsichtlich aller Taten der am Krieg beteiligten politischen Gewalten und der einzelnen, die darein verwickelt waren, gezogen: Was auch immer seit 1618 im Reich geschehen ist, es ist auf ewig zu vergessen und fällt unter Amnestie, unter Straffreiheit. [53] Von Kriegs- oder gar Kollektivschuld sollte nach Friedensschluß nicht mehr die Rede sein. Die Konsequenz aus dieser Absicht lautete: Dem Grunde nach ist alles im Reich auf den Zustand vor Beginn des Krieges in Böhmen und der späteren (schwedischen und französischen) Interventionen zurückzuführen [54]: Friede bedingt Amnestie, Amnestie bedingt Restitution. Allerdings bedurfte dieses Grundprinzip vieler Ausnahmebestimmungen. Für den kirchlichen Bereich wurde dies im Rahmen der Erneuerung des Religionsfriedens geregelt; für den weltlichen Bereich enthält der ausführliche Artikel IV des Osnabrücker Friedens 45 Paragraphen mit Sonderregelungen, welche den staatlichen Besitz der drei Fürstenhäuser Pfalz, Baden [55] und Württemberg [56] sowie 16 reichsgräflicher Familien [57] betrafen. Die meisten dieser Fälle waren 1635, beim Prager Frieden, von der allgemeinen Restitution ausgenommen und auch zwischenzeitlich nicht einvernehmlich, jedenfalls nicht endgültig, geregelt worden. Es ging dabei um die Aufhebung der Folgen von Achterklärungen während des Krieges, um Staatskirchen- und um dynastisches Erbrecht.
Am schwierigsten war die Bereinigung des Problems Pfalz, weil daran fast jeder beim Friedenskongreß aus diesen und jenen Gründen interessiert war, am meisten natürlich die beiden hauptbetroffenen Wittelsbacher, Pfalz und Bayern. Karl Ludwig (1617-1680), der pfälzische Kurprätendent, forderte im Grunde das gesamte Erbe seines 1632 verstorbenen Vaters, des ehemaligen böhmischen "Winterkönigs", zurück, das dieser 1621 durch die Reichsacht verloren hatte: die links- und die rechtsrheinische Unterpfalz, die Oberpfalz und den Kurhut. Darüber aber war seit langem verfügt worden. Der Kaiser hatte die linksrheinische Unterpfalz an Spanien, die rechtsrheinische an Maximilian I. (1573-1651, seit 1597 Herzog von Bayern) vergeben, ihm ebenfalls 1623/28 die Kurwürde übertragen und die Oberpfalz der Form nach verkauft, der Sache nach gegen Oberösterreich ausgetauscht. Dieses Land besaß der Münchener vom Kaiser als Pfand für 13 Millionen Gulden Kriegsschulden aus den Jahren 1620/21 - mit der 1628 vertraglich abgesicherten Klausel jedoch, daß bei einem späteren Verlust der Oberpfalz der Rechtsanspruch auf die Schuld-Forderung - ersatzweise Oberösterreich - wiederaufleben werde. Kam eine Restitution der Oberpfalz auf die Tagesordnung, wurde daher auch der Kaiser ein Hauptbetroffener. Für die anderen Kräfte und Gruppen des Kongresses war das Thema "Pfalz" hingegen eine Art Spielmaterial. Die Positionen, die man in der Pfalzfrage einnahm oder veränderte, bezogen sich primär auf den vermeintlichen Nutzen und Schaden für die eigenen Interessen und Ziele bei anderen Verhandlungspunkten. Dies gilt für alle: für die lutherischen, die reformierten und die katholischen Reichsstände, insbesondere für das Kurfürstenkollegium, und vor allem für Frankreich und Schweden. Die Kronen hatten in ihren Propositionen vom 11. Juni 1645 allen Wiener und Münchener Hoffnungen und Erwartungen, sich mit dem Pfälzer unabhängig vom Friedenskongreß über dessen Rückkehr ins Reich verständigen zu können, ein Ende bereitet. Denn sie machten die Lösung des Problems Pfalz zu einer Universalfriedens-Bedingung - Frankreich (mit Rücksicht auf Bayern) indirekt und mit Vorbehaltsklauseln, Schweden direkt. Von diesem Zeitpunkt an ist auf dem Friedenskongreß sowohl über die Kurwürde wie über das Schicksal der ehemals kurpfälzischen Territorien, der rheinischen wie der oberpfälzischen Lande, verhandelt worden. Am 15. August 1647 wurde ein Vorvertrag über die künftigen Pfalz-Artikel durch den Kaiser, Frankreich und Schweden unterzeichnet, der 1648 Teil der Friedensverträge geworden ist. [58]
Die Einzelheiten der Verhandlungsphasen können wir übergehen. Im Ergebnis bedeutete der Friede erstens die Rückkehr der machtlosen Kurpfälzer aus dem Exil nach Heidelberg (unter - gemessen an 1621 - erheblich reduzierten Bedingungen) und zweitens einen sehr großen Erfolg der Kongreßpolitik Kurbayerns. Es hat 1648 alle in der ersten Periode des Dreißigjährigen Krieges erworbenen Positionen auf Dauer gesichert. Darin war es, keineswegs vorbehaltlos und nicht ohne erhebliche Schwankungen, seit Ende November 1645 durch Frankreich unterstützt worden, ebenso durch den Kaiser seit Ende 1646. Auch die große Mehrheit der Reichsstände hat am 16./18. März 1647 zugestimmt und schließlich, am 6. April 1647, auch Schweden.
Der Inhalt der Pfalzartikel läßt sich in vier Punkten beschreiben:
1. Kurfürst Maximilian von Bayern bleibt im erblichen Besitz der früheren pfälzischen Kurwürde, bleibt also wie seit 1623 der erste unter den weltlichen Kurfürsten. Dieses Recht erstreckt sich auch auf seine Brüder und deren Nachkommen. [59]
2. Bayern bleibt im erblichen Besitz der Oberpfalz und kann dort durch eine verschleiernde Klausel das religionsrechtliche Normaljahr 1624 unterlaufen.
3. Für Karl Ludwig wird in Veränderung der Reichsverfassung eine neue, achte Kurwürde geschaffen, deren Erbrecht sich auf die gesamte "rudolfinische" Linie des Hauses Wittelsbach erstreckt. [60] Er wird damit belehnt, sobald er den Friedensvertrag in aller Form angenommen und mit seinen Brüdern den bei Belehnungen üblichen Obödienzeid vor dem Kaiser abgelegt hat.
4. Karl Ludwig erhält als erblichen Besitz die etwas verkleinerte rechts- und linksrheinische Unterpfalz mit gewissen staatskirchen- und besitzrechtlichen Auflagen und Ausnahmen zurück.
Die "Amnestie" des Pfälzers bedeutete also keineswegs eine einfache Rückkehr zu dem Status quo ante, sondern akzeptierte in weitem Umfange die inzwischen eingetretenen Veränderungen. Dagegen hat der Pfälzer unverzüglich protestiert und seine Unterhändler abberufen. Dennoch haben die Pfalz-Artikel, die als Ergebnis sehr zäher und verwickelter Verhandlungen zustande gekommen sind, auf Dauer Befriedung bewirkt. Sie sind daher von vielen Zeitgenossen, wie auch später, bis zum Ende des Alten Reiches, als eine im großen und ganzen glückliche Lösung verstanden worden. Auch haben sich die meisten Befürchtungen, die gegen die Errichtung einer achten Kur erhoben worden waren, weil man für künftige Kaiserwahlen mit acht Wählern ein Stimmen-Patt befürchtete, nicht bewahrheitet. Heidelberg wurde für Wien ein nützlicher Partner.
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Die meisten im Westfälischen Frieden beschlossenen Territorialverschiebungen fielen nicht unter "Amnestie" und "Restitution", sondern standen unter den Leitworten "Satisfaktion" und "Rekompens". Diese damals gängigen Schlagworte sind heute erläuterungsbedürftig. Das gilt besonders für den Begriff satisfactio. Er bedeutet wörtlich Genugtuung, Entschuldigung. Im damals gültigen römischen Recht bezeichnete er dreierlei: erstens Befriedigung eines Gläubigers, zweitens Abfindung eines Gläubigers und drittens Buße für ein Vergehen. Keine dieser fachjuristischen Bedeutungen entspricht dem Inhalt der satisfactio in der politischen Verkehrssprache von 1648. Dort umschrieb er vielmehr das, was im Völkerrecht des 19. Jahrhunderts unter "Kriegsentschädigung" verstanden wurde, den Ersatz der (angeblichen) Kriegskosten des Überlegenen durch den unterliegenden Teil. Legitimation einer solchen Zahlung ist nicht ein Rechts-Grund, sondern die Tatsache der militärischen Niederlage, und ebenso war der "Rechts"-Grund der Satisfaktionsforderungen der beiden Kronen [61] ihre drückende militärische Überlegenheit. Daß die Sieger sich im Jahre 1648 dafür einer Vokabel bedienten, die eigentlich etwas rechtlich Geschuldetes bezeichnete, war politische Semantik. Sie verschleierte, daß es sich um nur politisch legitimierbare Forderungen handele, um Annexionen. Die Satisfaktionsverhandlungen waren kaum kaschierte Machtpolitik.
Dabei befanden sich Schweden und Frankreich in unterschiedlicher Lage. Der nordische Militärstaat hatte schon 1634 öffentlich einen Anspruch auf Pommern angemeldet, obwohl er sich dadurch in erklärten Gegensatz zu Kurbrandenburg begab, das mit den pommerschen Herzogtümern einen gültigen Erbvertrag hatte, der zuletzt 1529 bestätigt worden war. Als aber der letzte, kinderlose Pommernherzog 1637 starb, saßen die Schweden im Lande, und der erbvertragliche Rechtsanspruch nützte den Hohenzollern wenig, im Gegenteil: Je mehr sich seit den späten dreißiger Jahren Schwedens militärische Macht in Mittel- und Norddeutschland festigte, um so stärker rückte aus geopolitischen Gründen auch Pommern als "Satisfaktions"-Objekt wieder in den Mittelpunkt der Stockholmer Kriegszielpolitik. Dort betrachtete man aus strategischen Gründen die Beherrschung der Südküste der Ostsee als lebenswichtig, und man wußte, daß Verfügungsgewalt über die pommerschen Ostseehäfen auch laufende Zolleinnahmen bedeutete, die für ein armes Land wie Schweden sehr zu Buche schlugen.
Dennoch stand von Pommern, überhaupt von schwedischer Territorial-Satisfaktion, in der Proposition vom 11. Juni 1645 noch nichts Konkretes. Das geschah erst in der Replik vom 7. Januar 1646, die mit dürren Worten einen umfangreichen Annexionen-Katalog offerierte. Er nannte sogar Schlesien, zielte aber auf ganz Pommern [62], auf den mecklenburgischen Ostseehafen Wismar mitsamt des Umlandes und auf die soeben eroberten nordwestdeutschen Hochstifte Bremen-Hamburg [63] und Verden [64] . So war es in einer Instruktion vom 20. November 1645 festgelegt worden. Trauttmansdorff wäre durchaus bereit gewesen, diese schwedischen Bedingungen schnell zu akzeptieren. [65] Er machte im Januar/Februar 1646 den Versuch, kam aber nicht ins reine, weil Schweden auf einem formellen Verzicht des Brandenburgers Friedrich Wilhelm (1620-1688, 1640 Kurfürst) bestand, weil dieser sich diesem Ansinnen strikt verweigerte und weil - unabhängig davon - eine schnelle Einigung mit den protestantischen Reichsständen sich ebenfalls als unmöglich erwies. Deshalb verlagerte sich der Schwerpunkt der Verhandlungen mit dem Kaiser während der kommenden Monate nach Münster.
Erst nach dem kaiserlichen Satisfaktions-Agreement mit Frankreich vom 13. September 1646 (s. unten) kam es in Osnabrück wieder zu substantiellen Verhandlungen mit Schweden, das seinen Unterhändlern am 29. September 1646 erlaubt hatte, von der Maximalforderung auf ganz Pommern abzugehen und dem Hohenzollern ein etwas verkleinertes Hinterpommern [66] einzuräumen; als "Rekompens", als Entschädigung, sollte er mit säkularisiertem Reichskirchengut im niedersächsischen Reichskreis abzufinden sein. Politischer Hauptgrund für dieses schwedische Einlenken war die nüchterne Einsicht in die begrenzten Ressourcen der skandinavischen Monarchie. Sie verboten es ihr, die Gefahr einer Trennung von dem französischen Bündnispartner zu riskieren und womöglich den Krieg allein fortführen zu müssen. Auch von Frankreich in begrenztem Maße unterstützt, haben die Kaiserlichen daher im Winter 1646/47 eine Einigung mit Schweden erzielt. Voraussetzung war ein Einlenken Kurbrandenburgs, das, von allen Seiten bedrängt, am 13. Januar 1647 sein Einverständnis mit der Abtretung eines staatsrechtlich vergrößerten Vorpommerns an Schweden aussprach. Damit war der Weg zu einem unterzeichneten Vorvertrag des Kaisers mit Schweden frei geworden. Er ist vom 18. Februar 1647 datiert und bildet ein Junktim mit einem kaiserlich-kurbrandenburgischen Rezeß vom 19. Februar 1647 über das aequipollens, über eine "gleichwertige" Entschädigung des Kurfürsten. Diese beiden Abmachungen sind 1648 als Artikel X und XI in den Osnabrücker Frieden eingegangen.
Der Artikel X IPO enthält vier Abschnitte: Zunächst wird die Abtretung des Herzogtums Vorpommern mit dem Fürstentum Rügen an Königin und Krone Schweden verfügt, während Hinterpommern beim Kurfürsten von Brandenburg verbleibt. Der Übergang an Schweden bedeutete aber kein Ausscheiden aus dem Reichsverband, vielmehr wird Schweden neuer Reichsstand, dem der Kaiser die Regalien nach den vorgeschriebenen Formen des Lehnsrechts erteilen wird. Erhalten bleibt auch die vorpommersche Anwartschaft auf einen Teil der Pfründen des ehemaligen Hochstifts Kammin in Hinterpommern, das in der Rechtsfigur eines protestantisch gewordenen, säkularisierten Kirchengutes (ohne Bischof) zunächst bestehen bleiben soll. Zweitens erhält Schweden, ebenfalls als unmittelbares Reichslehen, Stadt und Hafen Wismar mit zwei Ämtern. Drittens werden ihm das 1645 eroberte Erzstift Bremen-Hamburg und das Hochstift Verden unter Umwandlung in ein weltliches Herzogtum übertragen. Ein vierter Abschnitt regelt Sitze und Stimmen dieser Territorien bei den Reichsversammlungen, verleiht das privilegium de non appellando [67], überträgt das Recht, eine neue Universität zu gründen, und gibt der Stadt Stralsund eine Bestandsgarantie.
Das Pendant zu diesen Zessionsbestimmungen bildet Artikel XI IPO. Er überträgt pro aequivalente recompensatione (d.h. als gleichwertigen Ersatz für den im Interesse des Friedens geleisteten Verzicht auf Vorpommern und Rügen) die bisherigen Hochstifte Halberstadt und Minden als weltliche Fürstentümer an Kurbrandenburg, mit Sitz und Stimme für diese Territorien auf Reichs- und Kreistagen, nimmt auf die Regelung wegen des ehemaligen Hochstifts Kammin Bezug und gibt Kurbrandenburg außerdem für das Erzstift Magdeburg, das in ein weltliches Herzogtum umzuwandeln ist, eine verbindliche Anwartschaft. Sie soll nach dem Tode des jetzigen Administrators fällig werden. [68]
Ganz ähnlich entschädigt der später vereinbarte Artikel XIII IPO das Haus Mecklenburg-Schwerin, weil es Wismar abgetreten hat, mit den ehemaligen, jetzt förmlich zu säkularisierenden Hochstiften Schwerin und Ratzeburg. Er verfügt außerdem noch Einzelheiten über anderes Kirchengut in Mecklenburg, auch zugunsten der Linie Mecklenburg-Güstrow, sowie über Elbzölle und Reichssteuern.
Wenngleich nicht einfach als "Rekompens" legitimierbar, gehörten in diesen Zusammenhang schließlich noch ein Dutzend Punkte zugunsten des Hauses Braunschweig-Lüneburg in Artikel XIII IPO, über den bis zum Sommer 1648 verhandelt worden ist. Einen Entschädigungsanspruch konnten die Welfen insofern nicht geltend machen, als die schwedische Satisfaktion ihnen keinen unmittelbaren Besitzverlust zufügte. Wohl aber, rechneten sie dem Kongreß vor, büßten sie Zukunftschancen ein; denn ihre sicheren Anwartschaften auf Kirchenpfründen in Magdeburg und in Bremen-Hamburg, in Halberstadt und in Ratzeburg würden durch die Säkularisierung dieses Reichskirchengutes beseitigt. Indem die Welfen dieser Säkularisierung zustimmen wollten, leisteten sie also ein "Opfer" zugunsten des künftigen Friedens, das honoriert werden müsse. Der Hauptpreis bestand in der 1647 konzipierten Einrichtung eines "Alternats" im Hochstift Osnabrück. Dieses sollte nach dem Friedensschluß zunächst an den katholischen Fürstbischof Franz Wilhelm von Wartenberg (1593-1661) [69] zurückfallen, nach dessen Tode aber einen lutherischen Fürstbischof, den Welfenprinzen Ernst August (1629-1698), erhalten, dem wiederum ein katholischer Bischof und diesem wiederum ein Welfenprinz folgen müsse usw. Im übrigen habe im Hochstift Osnabrück strikt der 1. Januar 1624 als Stichtag des Normaljahrs zu gelten. [70]
Der gemeinsame Nenner der halben schwedischen Satisfaktion und fast aller Rekompensationsregelungen war der (kirchenrechtlich problematische) Rückgriff des Friedensvertrags auf nordwestdeutsches Reichskirchengut, das 1555 noch katholisch gewesen und inzwischen weitestgehend lutherisch geworden war. Nicht katholisch bewohnte Gebiete, wohl aber katholische Rechte auf diese inzwischen lutherisch gewordenen Lande haben der Kaiser und die katholischen Prinzipalisten 1647 um der schwedischen Satisfaktion willen preisgegeben. Gaben sie damit viel auf? Das Kirchenrecht war die eine Seite, die andere der politische, kulturelle und wirtschaftliche Wert der Rekompensationen. Darüber ein generell gültiges Urteil zu gewinnen ist schwer. Kurbrandenburg dürfte nicht schlecht gefahren sein; denn die neuen Lande Halberstadt und Minden, und später dazu noch Magdeburg, wogen den preisgegebenen Rechtsanspruch auf Vorpommern wahrscheinlich gut auf. Während Mecklenburg wohl einen schlechten Tausch gemacht hat, vermochte Braunschweig-Lüneburg, auch dank hervorragender Unterhändler, viel zu erreichen.
Dagegen verlangte Hessen-Kassel im Westfälischen Frieden nicht Rekompens, sondern Satisfaktion; denn es befand sich auf der Siegerseite. Deshalb hatten seine Wünsche zur Änderung der Reichsverfassung bei seinen Bündnispartnern ein offenes Ohr gefunden, und deshalb wurden auch seine Satisfaktionsansprüche dem Grunde nach von beiden Kronen in den Propositionen vom 11. Juni 1645 und den Repliken vom 7. Januar 1646 bejaht. Dies bedeutete jedoch keine uneingeschränkte Unterstützung der weit ausgreifenden Forderungen ihres Alliierten, im Gegenteil. Hessen-Kassel dachte anfangs allein an Landerwerb durch Abtretung von Reichskirchengut, wie es ein Schriftsatz vom 25. April 1646 festhielt, der durch schwedische Hand den Kaiserlichen übergeben worden ist und den konkreten Beginn dieser Satisfaktionsverhandlungen bildet. Hessen-Kassel forderte darin ein umfangreiches Gebiet von Kurmainz und Kurköln, vom Hochstift Münster, von den Fürstabteien Corvey und Fulda sowie das gesamte Hochstift Paderborn und erinnerte außerdem, mehr in Parenthese, an die frühere Reichsabtei Hersfeld. [71] Dieses Annexionsprogramm ohne Augenmaß unterstützten nicht einmal die Schweden vorbehaltlos, geschweige denn die Franzosen. Hessen-Kassel hat daher in den folgenden beiden Jahren nach und nach immer weitere Abstriche an seinen Friedenszielen hinnehmen müssen, ehe am 8. April 1648 Kurmainz und Sachsen-Altenburg die hessen-kasselischen Satisfaktionsartikel unterzeichneten, die Teil des Friedensvertrags geworden sind. [72] Sie besagten:
1. Hessen-Kassel erhält als Reichslehen die frühere Reichsabtei Hersfeld und vier seit 1640 erledigte Schaumburger Ämter. [73]
2. Hessen-Kassel erhält von den Erzstiften Mainz und Köln, den Hochstiften Paderborn und Münster und der Reichsabtei Fulda eine Geldentschädigung in Höhe von 600.000 Reichstaler. Es werden dafür genaue Zahlungsmodalitäten festgelegt. Danach sollen die hessen-kasselischen Besatzungstruppen Zug um Zug abgezogen werden.
Wenig später, am 24. April, wurde in Kassel ein Vertrag mit Hessen-Darmstadt über die Aufteilung der sogenannten Marburger Erbschaft aus dem Jahre 1604 unterzeichnet, die 1623 durch ein Urteil des Reichshofrats den Darmstädter Vettern zuerkannt worden war. Das wurde jetzt zugunsten Kassels aufgehoben, was im Friedensvertrag lediglich bestätigt worden ist. [74]
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Der Osnabrücker Friede begründet die Abtretungen des Reiches an Schweden als Schadensersatz für die Rückgabe der besetzten Plätze und mit dem Willen zur Wiederherstellung des Friedens, der Münsteraner leitet den analogen, aber längeren Abschnitt über die Satisfaktion [75] mit dem Wunsche ein, Frieden und Freundschaft zwischen dem Kaiser und dem König von Frankreich zu stärken und für die öffentliche Sicherheit Vorsorge zu treffen. Der größere Umfang des Textes erklärt sich aus seiner Entstehung. Das Reich - genauer, in diesem Falle: das Haus Österreich - wollte, besonders in den beiden ersten Verhandlungsrunden, nicht als der allein gebende Teil dastehen, sondern umgekehrt, auch der König von Frankreich sollte als Gegenleistung eine gewisse "Satisfaktion" erbringen, indem er die elsässischen Abtretungen mit einer erheblichen Geldsumme (3 Millionen Livres = 1,2 Millionen Reichstaler) erkaufte [76], den alten Landesherrn vom größeren Teil der auf dem Elsaß liegenden Staatsschulden entlastete [77] und vier französische besetzte Städte am Oberrhein räumte [78] . Auch für dieses asymmetrische "Tauschgeschäft" brauchte man eine gewisse Legitimation im Ideellen.
Das war auch deshalb geboten, weil Frankreich mit der Forderung nach territorialer Satisfaktion in erklärten Gegensatz zu seinen früheren amtlichen Verlautbarungen trat. Es hatte bisher seine Beteiligung am Dreißigjährigen Krieg als selbstlose Hilfe für die angeblich durch Habsburg bedrohte deutsche Libertät legitimiert und betont, daß es damit keinerlei Forderungen für sich selbst verbinde. Jetzt, in der Proposition vom 11. Juni 1645, sprach es dagegen offiziell von "schuldiger" Satisfaktion wegen der "Mühen, Verluste und Ausgaben" im Kriege, und es spezifizierte dies in der Replik vom 7. Januar 1646 mit der Forderung nach dem gesamten Besitz des Hauses Österreich im Ober- und Unterelsaß, im Sundgau und im Breisgau, einschließlich Breisachs und der Waldstädte, und es verlangte außerdem dauerhaftes Bleiberecht in der fürstbischöflich-speyerischen Festung Philippsburg. [79] Aus diesem gesamten Komplex sei ein Reichslehen für Frankreich zu bilden, mit Sitz und Stimme in den Reichsversammlungen, unter Übernahme der Pflicht zur Beteiligung an den Reichssteuern. [80] Dieses Zessionsmodell entspricht den späteren Vereinbarungen mit Schweden: Gebietsabtretung innerhalb des Reichsverbandes, in und mit reichslehnrechtlichen Formen und Folgen.
Frankreichs Satisfaktionsforderungen-Paket vom Januar 1646 mochte manchen Reichsständen den Atem verschlagen, zumal die Replik-Begriffe "Ober-" und "Unterelsaß" gefährlich Uneindeutiges beschrieben, da diese Termini nur geographisch klar waren, staatsrechtlich aber keineswegs. Andere Reichsstände jedoch meinten, die militärische Lage gebiete zwingend, sich auf Frankreich einzulassen, um es durch und nach Erfüllung seiner Forderungen auf die eigene Seite ziehen zu können. Dies war insbesondere Kurbayerns Kalkül, des wichtigsten kaiserlichen Verbündeten im Reich, der nie die Unterstützungsbedürftigkeit in der Pfalzfrage vergaß.
Der Münchener Druck war so stark, daß der Kaiser am 2. März 1646 seinen Chefunterhändler Trauttmansdorff anwies, Verhandlungen über das Elsaß aufzunehmen. Er gab ihm dafür weiten Verhandlungsspielraum. Die Kaiserlichen haben daraufhin am 28. März konkrete Satisfaktionsverhandlungen mit Frankreich eingeleitet, bei denen es in der ersten Runde hauptsächlich um den Komplex "Elsaß" ging (und daneben um Philippsburg). Das entscheidende kaiserliche Angebot stammt vom 16. April. Dann ist intensiv verhandelt worden. In einem Schriftsatz vom 29. Mai (Postrema Declaratio = Letzte Erklärung) hat die kaiserliche Seite das Verhandlungsergebnis der letzten zwei Monate zusammengefaßt, auf das die Franzosen am 2. Juni schriftlich antworteten, worauf die Kaiserlichen am 5. Juni mit einer Weiteren Erklärung [81] eingingen. Danach stockten die Verhandlungen bis Ende August. Inzwischen war der Sommerfeldzug in vollem Gange, und vereinigte schwedisch-französische Truppen rückten Richtung Süddeutschland und Bayern vor.
Nachdem der Kurfürst von Trier am 19. Juli den Franzosen auch für die Friedenszeiten ein Stationierungsrecht in Philippsburg vertraglich eingeräumt hatte, was vom Kurfürstenrat am 23. August gebilligt worden war, haben die Kaiserlichen am 31. August mit einer Allerletzten allgemeinen Erklärung [82] die zweite Verhandlungsrunde eröffnet. Diese ging nach ungewöhnlich gedrängten und schwierigen Verhandlungen am 13. September 1646 zu Ende: Es wurde ein auf 17 Tage befristetes Agreement vereinbart, die sogenannten Satisfaktions-Artikel, auch September-Artikel genannt.
Ziele und Ergebnisse dieser beiden Verhandlungsrunden sind bei den Historikern bisher kontrovers, weil wichtige staatsrechtliche Begriffe, deren beide Seiten sich bedienten, uneindeutig waren. Unter Berücksichtigung der bevorstehenden Publikation der einschlägigen französischen und kaiserlichen Akten [83] läßt sich folgendes sagen:
1. Die kaiserliche Seite hat am 16. April mit einer verschleiernden Klausel ein Abtretungsangebot für Linksrheinisches gemacht, das sich nicht auf vorderösterreichischen Besitz beschränkte (den allein Frankreich am 7. Januar verlangt hatte). Die französische Seite konnte das nicht sofort durchschauen. Sie war jedoch dabei, sich durch Experten Klarheit zu verschaffen, und lernte im Verlaufe des Mai 1646 die verwirrende personal- und gebietsrechtliche Gemengelage des vorderösterreichischen Oberrheingebietes gründlich kennen. Von diesem Zeitpunkt an konnte sie die Tragweite der in den Schriftsätzen auftauchenden Formeln und Klauseln hinreichend ermessen.
Für die Kaiserlichen galt dies von Anfang an, weil der Münsteraner Zweitbevollmächtigte Isaak Volmar (1582-1662) aus der vorderösterreichischen Verwaltung kam. Er war einer der besten zeitgenössischen Elsaß-Spezialisten, überhaupt ein Jurist von hohen Graden, und wußte gut, wie man mit Begriffen hantieren kann.
2. Wie erwähnt, setzte das Angebot vom 16. April den Verbleib der abzutretenden linksrheinischen Herrschaften und Gebiete im Reichsverband voraus und lehnte die Abtretung von Rechtsrheinischem, insbesondere Breisachs, kategorisch ab. Gerade darauf aber beharrte die andere Seite unerbittlich, so daß Trauttmansdorff schließlich am 29. Mai auch Breisach in das kaiserliche Angebot einbezog. Inzwischen hatte sich jedoch die Qualität der französischen Satisfaktion erheblich verändert; denn seit dem 17. Mai bot die kaiserliche der französischen Seite statt einer Belehnung mit Gebieten und Herrschaften im Reich eine Abtretung zu "souveränem" Besitz der französischen Königsfamilie Bourbon an, also Ausscheiden des Zedierten aus dem Reichsverband. [84] Dies hat Frankreich akzeptiert, obgleich man intern noch lange, noch 1647, nachgedacht hat, ob nicht eine Eingliederung des französischen Königs in den Reichsverband größere Vorteile biete, und obgleich Servien 1648 das Thema Lehnsabtretung noch einmal zur Sprache brachte. Es blieb aber schließlich bei der Abtretung.
3. Das Reichsrecht kannte die dem französischen Staatsrecht vertraute Rechtsfigur der Souveränität nicht. So konnten Kaiser und Reich nicht einfach "Souveränität" abtreten; denn man kann nicht veräußern, was man nicht hat. Außerdem mußten sie regeln, wie es in Zukunft mit den vielen reichsunmittelbaren Nicht-Habsburgern im Ober- und vor allem im Unterelsaß zu halten sei. Diese waren meist keine Kriegsgegner Frankreichs geworden, standen zum Teil seit langem unter französischem Protektorat, wollten aber nicht nach Friedensschluß der Souveränität eines französischen Königs unterworfen sein. Also mußte festgehalten werden, daß sie nicht zur Abtretungs-Masse gehörten. Daher enthielt die Postrema Declaratio vom 29. Mai eine Schutzklausel für alle kirchlichen und weltlichen Reichsunmittelbaren des Elsaß.
4. In der zweiten Verhandlungsrunde hat Frankreich zweierlei durchgesetzt: erstens, daß die Abtretungsklausel sich nicht nur der im Reich üblichen fachjuristischen Begriffe für "Landeshoheit" [85] bediente, sondern daneben noch ein ius supremi dominii [86] nannte, womit "Souveränität" umschrieben sein sollte. Zweitens wurde die Schutzklausel für die Reichsunmittelbaren einerseits zwar durch Nennung von Namen konkretisiert, andererseits aber in ihrer Bedeutung sehr entwertet, indem man einen Schlußsatz anhängte, wonach diese Bestandsgarantien das übertragene ius supremi dominii in keiner Weise schmälern sollten. Die Garantie galt also nur, so lange der Inhaber der Souveränität seine Rechte dadurch nicht beeinträchtigt sah. Der rechtliche Status der Reichsunmittelbaren im (geographischen) Gebiet der beiden Elsaß wurde damit in Zukunft der Ermessensentscheidung der französischen Regierung unterworfen.
5. Was hier für das Elsaß ausgeführt ist, galt ebenso seit dem 29. Mai für die lothringischen Städte und Bistümer Metz, Toul und Verdun. Sie waren 1552 von den aufständischen Reichsfürsten dem Protektorat des französischen Königs unterstellt worden und hatten sich inzwischen in einen festen Teil des Königreichs verwandelt. Jetzt, im Friedensschluß, sollte dieser Zustand völker- und reichsrechtlich anerkannt werden. Dabei erhob sich einmal die Frage, ob das Hochstift (als "staatliches" Territorium) oder das erheblich größere Gebiet der Diözese als abgetreten gelten solle. Trotz aller Bemühungen konnten die Kaiserlichen keine eindeutige Beschränkung auf das Hochstift durchsetzen. Man einigte sich auf den dilatorischen Formelkompromiß des "Bistumsbezirks" [87], der beides bedeuten konnte, Hochstift wie Diözese. Zum zweiten ging es um den Status der Reichsunmittelbaren im "Bistumsbezirk". Für sie galten nunmehr die gleichen Bedingungen wie für die Reichsunmittelbaren des Elsaß. Sie erhielten eine Rechtsbestandsgarantie, die vom Wohlwollen der französischen Regierung abhängig war.
Die dritte Verhandlungsphase begann theoretisch am 1. Oktober 1646, mit dem Fristenablauf des Agreements, dessen Text nie veröffentlicht worden ist. Er wurde amtlich publik am 11./12. Juni 1647 insofern, als die Kaiserlichen einen vollständigen Entwurf für den Münsteraner Frieden mit Frankreich auslieferten [88], der einen Satisfaktions-Abschnitt enthielt. Der Text von 1647 führte jedoch in diesem Punkte hinter die September-Artikel zurück. Zwar wurde kein Zessionsangebot widerrufen, doch enthielt das Trauttmansdorffianum umfangreichere und präzisere Garantieklauseln für die betroffenen Reichsunmittelbaren im Elsaß und in Lothringen. Eine genaue Beschreibung der habsburgischen Rechte, die im Elsaß abgetreten würden, fehlte jedoch auch hier; und nur das hätte dort wirklich Klarheit schaffen können. Hingegen wollte das Trauttmansdorffianum allein die lothringischen "Bistümer" (= Hochstifte) abtreten, nicht die "Gebiete der Bistümer" (entweder Hochstift oder Diözese); und es wurde unmißverständlich festgehalten, daß der Lehnsbesitz der Reichsunmittelbaren in den lothringischen Bistümern von der Zession nicht betroffen würde.
Dagegen wendete sich ein französischer Schriftsatz vom 10. Juli [89], der in den vollständigen und publizierten Gegenentwurf des Friedensvertrages vom 19. Juli übernommen worden ist. Er beließ es für die Schutzklauseln der Reichsunmittelbaren beim Wortlaut der September-Artikel, erhob aber in anderen Punkten neue oder klarer formulierte und - vor allem - weitergehende Forderungen. [90] Die Kaiserlichen haben das noch am 15. Juli in einer Note zurückgewiesen; doch stagnierten nach der Abreise Trauttmansdorffs (am 16. Juli) die bilateralen Verhandlungen über die französische Satisfaktion bis zum November.
Diese Zwischenzeit haben die Reichsstände genutzt und versucht, auf den kaiserlichen und französischen Entwurf des Münsteraner Friedens Einfluß zu nehmen. In einem Beschluß vom 25. September haben sie das juristisch Bedenkliche der französischen Zessionsformeln deutlich beschrieben, die Schwächen der kaiserlichen Formelkompromisse hinsichtlich der Bestandsgarantien herausgestellt und Frankreichs eklatanten Widerspruch zu seinen öffentlichen Kriegsziel-Erklärungen seit 1634 angeprangert. Politisch hat dies wenig bewirkt. Es zählten im Herbst nicht juristischer Scharfsinn, sondern die jüngsten Erfolge der spanischen Kriegführung in Katalonien, der sich abzeichnende Abschluß des niederländischen Friedens von Münster, der Rücktritt Bayerns auf die Seite des Kaisers [91], und es machten sich die Anfänge einer konfessionell übergreifenden "Friedenspartei" der Reichsstände bemerkbar, die mit Macht auf ein Ende der Verhandlungen drängte.
Unter diesen Umständen haben die Vermittler Anfang November die kaiserlich-französischen Satisfaktionsverhandlungen wieder in Gang gebracht. Man nahm sich die Satisfaktions-Artikel von 1646 noch einmal vor und arbeitete sie um. Schon am 14. November konnte beim Nuntius ein auf den 11. November 1647 datierter Satisfaktionsvertrag des Kaisers mit Frankreich durch die Legationssekretäre abgezeichnet werden.
Das Verhältnis des Textes von 1647 zu dem von 1646 läßt sich in drei Punkten fassen:
1. Der Text ist redaktionell sehr überarbeitet worden, jedoch ohne sachliche Veränderung der Zessionsbestimmungen. Neu formuliert waren vor allem die beiderseitigen Vorbehaltsklauseln über Spanien und Lothringen und über das Assistenzverbot des Kaisers für Spanien. [92]
2. Der Vorvertrag von 1647 war unbefristet und sollte in den endgültigen Friedensvertrag übernommen werden. Dies ist geschehen. [93]
3. Deshalb enthielt er eine Ne-Varietur-Klausel, sollte also unabhängig von den künftigen Kriegsereignissen bis zum Friedensschluß gelten. Unter den Aspekten des November 1647 bedeutete diese Vereinbarung nicht unbedingt ein französisches Entgegenkommen gegenüber dem militärisch schwächeren Vertragspartner.
Da auch Frankreich den Krieg mit Krediten finanzieren mußte und völlig überschuldet war, kam es nach dem Staatsbankrott vom Juli 1648 Ende August zu Barrikadenkämpfen in Paris. Doch selbst jetzt hat Servien den Reichsständen jede Konzession einer Textveränderung hinsichtlich der Bestandsgarantie der elsässischen Reichsstädte, insbesondere der Dekapolis [94], versagt. Es blieb bei den Vereinbarungen des Vorvertrags. Der am 24. Oktober 1648 unterzeichnete Friede sagte also über die Satisfaktion an Frankreich:
1. Das supremum dominium und die iura superioritatis der lothringischen Städte und Diözesen Metz, Toul und Verdun, namentlich die Festung Moyenvic, gehören auf ewig der Krone Frankreich.
2. Kaiser und Reich treten dem Allerchristlichsten König und seinen Nachfolgern im Königreich das ius directi dominii [95] und das ius superioritatis über die piemontesische Grenzfestung Pinerolo ab.
3. Kaiser, Reich und Haus Österreich treten auf ewig dem Allerchristlichsten König und der Krone Frankreich die iurisdictio, die superioritas und das supremum dominium an der Stadt Breisach, der Landgrafschaft des Ober- und des Unterelsaß, dem Sundgau und der Reichslandvogtei Hagenau über die Dekapolis [96] ab.
4. Kaiser und Reich räumen dem Allerchristlichsten König und seinen Nachfolgern im Königreich ein ewiges Protektions- und Garnisonsrecht in Philippsburg ein sowie ein freies Zufahrtsrecht dahin zu Wasser und zu Lande. Im übrigen dürfen rechtsrheinisch zwischen Basel und Philippsburg keine neuen Befestigungen errichtet oder der Rheinlauf verändert werden: Philippsburg und Breisach als Frankreichs Brückenköpfe nach Deutschland hin sollten nicht entwertet werden dürfen.
V. Die schwedische Militär-Satisfaktion und der Nürnberger Exekutionstag 1649/50
Auch das Kennwort "Militär-Satisfaktion" war ein verschleiernder Kampfbegriff der politischen Semantik von 1648. Es ging um die Frage, wer die Demobilmachungskosten der etwa 60.000 auf Reichsboden befindlichen schwedischen Soldaten [98] aufbringen solle. Denn das arme Schweden leistete sich seit Jahrzehnten einen für seine Verhältnisse völlig überdimensionierten Militärapparat. Mit ihm konnte es unter direkter Abschöpfung des Sozialprodukts der besetzten Länder (Stichwort: Kontributionen) und solange regelmäßig französische Subsidien flossen, immerzu weiter Krieg führen, und es war in den letzten Jahren des Dreißigjährigen Krieges in diesem Metier besonders erfolgreich. Die schwedische Militärmaschine jedoch mit eigener Kraft abzuschalten, weil man nun im Frieden leben wollte und sollte und folglich kein oder nur wenig Militär mehr benötigte - eine solche Aufgabe überforderte die nordische Monarchie völlig, weil dies für sie zu teuer war. Schwedens Armee bestand zu etwa zwei Dritteln aus fremden Söldnern, die aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung nicht mit dem Kriegsherrn, sondern mit ihrem Kriegsunternehmer Soldat geworden waren. Dabei hatte jeder ein verbrieftes Recht auf Auszahlung aller eventuell aufgelaufenen Sold-Rückstände beim Vertragsende erworben (was in der Regel viel war), oft auch zusätzlich das Recht auf ein erhebliches Abdankungsgeld (womöglich in Höhe eines mehrfachen Monatssoldes). Blieb davon etwas aus, war Schlimmstes zu befürchten. Wenn man indessen die benötigten kleineren und größeren Einzelposten addierte, kam eine schwindelerregende Summe zustande, welche die finanziellen Kapazitäten Schwedens um ein Vielfaches überstieg. Friedenschließen ohne Finanzierung der schwedischen Demobilmachung durch Dritte war faktisch ein Ding der Unmöglichkeit.
Schon 1635 war man daher auf den Ausweg verfallen, die Demobilmachungskosten (für Abzug und Abdankung der Truppen) dem künftigen Friedensvertrags-Partner aufzuhalsen. An dieser Maxime hatte man nicht mehr rütteln lassen. Schweden verlangte also eine zusätzliche Schlußzahlung für den Abzug seiner Truppen aus dem Reich - ähnlich wie Deutschland am 9. Oktober 1990 den Abzug der Truppen der Sowjetunion bis zum Jahre 1994 mit einer vertraglich vereinbarten hohen Geldzahlung honoriert hat. [99] Seine Forderungen hatte Schweden in der Proposition vom 11. Juni 1645 dem Grunde nach angemeldet, und es hatte davon erneut im Herbst 1647 gesprochen, jedoch vergeblich. Man hatte die Lösung des Problems weiter vor sich hergeschoben.
Sollte jedoch der Kongreß, wie es die reichsständische Friedenspartei im Frühjahr 1648 unbedingt wollte, schnell zu Ende kommen, so mußte auch diese Sache endlich angepackt werden. Da nun Steuergelder des Reiches nicht ohne Zustimmung der Reichsstände aufzubringen waren und da der Kaiser sich weigerte, den Reichsständen eine entsprechende Vorlage zuzuleiten, ergriff Kurmainz die formelle Initiative (was ihm verfassungsrechtlich nicht zustand) und brachte das Thema "Militär-Satisfaktion" vor die Osnabrücker Reichskollegien. Vom 9. Mai bis zum 1. August 1648 haben diese mit Schweden die Militär-Satisfaktion ausgehandelt, deren Regelungen in den Schlußbestimmungen des Osnabrücker Friedens untergebracht wurden. [100] Die in Münster verbliebenen Reichsstände sind in diese Beschlußfassung nie einbezogen worden, die Kaiserlichen haben sich erst zum Schluß eingeschaltet. Die Abmachung über die schwedische Militär-Satisfaktion war genuine Reichsstände-Politik.
Unmittelbar nach diesem Abschluß haben sie mit politischem Druck erreicht, daß die Kaiserlichen und die Schweden am 6. August 1648 das fertige Osnabrücker Friedensinstrument kongreßöffentlich verlesen und durch Handschlag vereinbart haben. Seit Ende September wurde dieser Vertragstext nun allenthalben zum Kauf angeboten. Der Friede mit Schweden war im Hafen - wenn auch die Unterzeichnung und Besiegelung mit Rücksicht auf den Bündnispartner Frankreich [101] noch ausgesetzt wurde und erst am 24. Oktober in Münster erfolgt ist.
Die am 12. Juni 1648 von den Reichsständen beschlossene Höhe der Militär-Satisfaktion betrug 5 Millionen Reichstaler. [102] Dieser Betrag sollte von sieben Reichskreisen [103] in drei Raten ausgezahlt werden, und zwar bereits vor der Ratifikation 1,8 Millionen in bar und 1,2 Millionen als Schuldverschreibungen. Das belastete insgesamt jeden betroffenen Reichsstand mit 133,5 Römermonaten [104] - eine gewiß große, aber eine keineswegs exorbitante Summe im Vergleich zu den Steuern, die im letzten Jahrzehnt für die Kriegsfinanzierung auferlegt worden waren. Die 5-Millionen-Summe reichte übrigens, wie sich gezeigt hat, für den erforderlichen Zweck vollständig aus. Der Teufel steckte jedoch im Detail. Denn der Friedensvertrag enthielt "Lücken und Ungereimtheiten" [105], die sich bis zur Ratifikation (18. Februar 1649) unmöglich beseitigen ließen. Sie machten schließlich eine neue reichstagsähnliche Zusammenkunft der Armee-Spitzen mit den reichsständischen Deputierten erforderlich, den sogenannten "Nürnberger Exekutionstag", zu dem zuerst der schwedische Generalissimus und dann der Kaiser eingeladen haben (10. und 31. März 1649).
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Der Nürnberger Exekutionstag hat vom Mai 1649 bis zum Juli 1650 gedauert. Er hat mit Ausführungsverträgen vom 26. Juni 1650 (Schweden) und vom 2. Juli 1650 (Frankreich) den Abzug der fremden Truppen aus den Quartieren im gesamten Reich in drei Etappen während der zweiten Jahreshälfte geregelt. Erst dieser Truppenabzug bedeutete für die meisten deutschen Menschen das wirkliche Ende des Dreißigjährigen Krieges. Ende 1650 war es so weit. Die fremden Truppen waren bis auf wenige Ausnahmen abgezogen. Jetzt konnte für die Zivilbevölkerung konkret der Friede beginnen.
Nach einem langen Krieg eine geordnete Demobilmachung zu ermöglichen, ist auch heute noch schwierig und war damals ein logistisches Problem ersten Ranges. Seine Meisterung war eine große organisatorische Leistung. Dies kann sich neben den Verdiensten der Unterhändler von Münster und Osnabrück durchaus sehen lassen, obgleich die deutsche Geschichtsschreibung bis vor kurzem von den Nürnberger Exekutionsverhandlungen - abgesehen von dem kulturellen Widerhall, den sie hervorriefen - nur selten gesprochen hat. Zwar ging es in Nürnberg um ganz trockene Dinge wie Zahlungsmodalitäten, Unterhaltskosten, Naturallieferungen, Transportunterstützung, Abzugs- und Abdankungstermine, Umlegeverfahren, Haftungspflichten und tausend Alltagsdinge mehr - lauter Herausforderungen an die Administration, praktische Aufgaben, für deren Lösung in Zusammenarbeit der Besatzungstruppen mit den kommunalen und staatlichen Instanzen klare und realisierbare Regeln zunächst zu vereinbaren und dann einzuhalten waren. Das ist im großen und ganzen erstaunlich reibungslos gelungen. Der "Friedens-Exekutions-Haupt-Rezeß" mit Schweden trägt zwar einen komplizierten Namen [106], enthielt aber wohldurchdachte Regeln und praxisnahe Anweisungen. Sie regelten die Demobilmachung der etwa 60.000 schwedischen Soldaten, die am 24. Oktober 1648, gegen Ende der Kampfhandlungen, im ganzen Reich - vom Bodensee bis Prag und zwischen Ems und Oder - auf über 80 feste Plätze verstreut als Besatzung lagen und weitestgehend von der Kontribution des jeweiligen Umlandes lebten. Es mußte aber auch für die nicht-schwedischen Truppen Vorsorge getroffen werden, die in über 130 anderen Quartieren und festen Plätzen lagen, die französischen, die hessen-kasselischen auf der einen und die kaiserlichen, kurbayerischen, spanischen und lothringischen auf der anderen Seite. Insgesamt gab es 1648/50 etwa 125.000 bis 150.000 Soldaten im Reich - bei einer Bevölkerung von etwa 10 bis 12 Millionen Menschen, die den Dreißigjährigen Krieg überlebt hatten.
Die Nürnberger Beratungen haben sich keineswegs geradlinig und zielstrebig vom Frühjahr 1649 zum Sommer 1650 auf das schließlich erreichte Ziel hin bewegt. Es sah mehrfach nach einem Scheitern aus, weil zu widersprüchliche Interessen aufeinanderprallten und sich nicht ohne Mühe bündeln ließen. Einzelheiten können wir hier nicht ausbreiten; sie sind seit jüngstem nachzulesen. [107] Festzuhalten ist aber, daß nicht zuletzt die umsichtige Konsequenz der schwedischen und der kaiserlichen Generalität alle Schwierigkeiten schließlich zu meistern erlaubt hat. Neben den bekannten Unterhändlern des westfälischen Friedenskongresses sollten deshalb auch die beiden Namen im Gedächtnis haften bleiben, die unter dem Friedens-Exekutions-Haupt-Rezeß stehen: der kaiserliche Oberbefehlshaber, General Ottavio Piccolomini (1599-1656), der schon bei Wallensteins Untergang eine zentrale Rolle gespielt hatte und der in den Nürnberger Akten wegen seiner süditalienischen Besitzungen als "Duca d'Amalfi" erscheint, vor allem aber der junge schwedische Generalissimus Karl Gustav, Pfalzgraf von Pfalz-Zweibrücken-Kleeburg (1622-1660), der 1649 schwedischer Thronfolger geworden war und 1654 als König Karl X. Gustav seine Cousine Christina ablöste. Er war gewiß kein bequemer Verhandlungspartner. Aber er hatte Augenmaß und (schließlich) Erfolg und führte die schwedischen Truppen aus den fremden Territorien ab. Im Jahre 1650 kehrte in Deutschland nach 30 Jahren beispielloser Kriegswirren Friede ein und ließ sich feiern.
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