BERND ROECK Venedigs Rolle im Krieg und bei den Friedensverhandlungen |
Alvise Contarini, dessen dispacci diese Beobachtungen enthalten, war auf dem Weg nach Münster, zu jenem Kongreß, von dem man hoffte, er werde den großen Krieg beenden können. Contarini sollte als Vermittler agieren; der damals 46jährige war ein erfahrener Diplomat, vielleicht der beste Mann, den Venedig für die schwierige Mission aufbieten konnte. Bei den Generalstaaten, in England, Frankreich, beim Heiligen Stuhl und schließlich in Konstantinopel hatte er als Botschafter die Interessen der Republik vertreten. [2] In seinen Berichten erweist er sich als scharfsichtiger Beobachter, die Quellen lassen gelegentlich einen freimütigen [3], ja rücksichtslosen Charakter aufblitzen, während die Persönlichkeit sonst kaum schärfere Konturen gewinnt. [4] Anselm van Hulles Portrait zeigt einen nach schwarzer spanischer Mode gekleideten, offensichtlich beleibten Herrn von jener gravitas, welche dem Staatsmann wohl ansteht. Sein Gesichtsausdruck spiegelt intellektuelle Überlegenheit; fast Arroganz.
Contarini agierte für eine Macht, die zu der Zeit, als er durch das zerstörte Deutschland reiste, den Zenit ihrer Bedeutung endgültig überschritten hatte. Aber auch dies war eine Voraussetzung dafür gewesen, daß man sich ihrer Vermittlung bediente. Um verstehen zu können, warum gerade Venedig zu dieser Funktion auf dem Westfälischen Friedenskongreß kam, bedarf es einer knappen Skizze seiner Situation im Spannungsfeld der europäischen Politik zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges.
Das Antlitz der Stadt hatte im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts nahezu vollständig jenes Aussehen gewonnen, das es, als versteinerte Form, den Heutigen zuwendet: der spektakulärste Akzent, den die Stadt noch gewinnen würde, war der Bau der Kirche S. Maria della Salute am Ausgang des Canal Grande. Der Senat hatte sie nach der Pestepidemie von 1630 als Votivkirche errichten lassen.
Durch Immigration war die Bevölkerungszahl nach der Seuche bis um die Mitte des 17. Jahrhunderts wieder auf etwa 140.000-160.000 angestiegen. [5] Dadurch wurde der ökonomische Niedergang aber nur überdeckt. Die Welt Venedigs war kleiner geworden; die Verschiebung der weltwirtschaftlichen Gewichte vom Mittelmeerraum hin zum Atlantik machte sich bemerkbar: am zunehmend beschränkten Radius der Galeerenfahrten läßt sich der wirtschaftliche Abstieg der alten mittelmeerischen Weltwirtschaft am deutlichsten ablesen. Die "Biberrepublik" (Jacob Burckhardt) war zur Regionalmacht geworden. Ihre Interessenschwerpunkte lagen in der Adria, in der nordwestlichen Ägäis und in Oberitalien. In diesen Zonen gelang es Venedig allerdings, sich durch eine geschickte, auf relative militärische Stärke gegründete Neutralitätspolitik noch im 17. Jahrhundert Spielräume zu bewahren.
Zur See hatte sich die Republik in den Jahren unmittelbar vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges erfolgreich dem "habsburgischen Schraubstock" (Frederic C. Lane) entwunden. Der Versuch des spanischen Vizekönigs von Neapel, des Herzogs von Ossuna, Venedigs Dominanz im "Golf" - wie man die Adria bezeichnenderweise nannte - zu brechen, war unter Einsatz einer Armada von eindrucksvoller Dimension abgewehrt worden. [6] Mittels einer 86 Galeeren, Galeassen und Segler umfassenden Flotte, für deren Aufstellung man auch englische und niederländische Schiffe und Mannschaften angeheuert hatte, war es gelungen, Ossuna zum Abzug zu zwingen; ein zur selben Zeit von Spanien angezetteltes Komplott gegen die venezianische Regierung wurde aufgedeckt und blutig niedergeschlagen. [7]
Während der Veltlin-Krise spielte Venedig eine aktive Rolle. Angesichts der ersten spanischen Erfolge ließ der Senat Söldner werben; man nahm Ernst von Mansfeld als Condottiere unter Vertrag, dann Heinrich Matthias von Thurn. Am Zustandekommen der Liga von Lyon bzw. Avignon - sie verband Frankreich, Savoyen und Venedig und sollte Spaniens Ambitionen Einhalt gebieten - war die Diplomatie der Serenissima aktiv beteiligt, sah sich aber in den folgenden Jahren immer mehr an den Rand des Geschehens gedrängt. Aus dem Kampf um Genua hielt sie sich heraus, das Arrangement unter den Großmächten im Frieden von Monzon (5. 3. 1626) erfolgte über die Köpfe der Venezianer hinweg.
Der mantuanische Erbfolgekrieg sollte erst recht die Grenzen der politischen Möglichkeiten Venedigs aufzeigen. Ein Versuch der Republik, die von habsburgischen Söldnern belagerte Hauptstadt des kleinen Staates zu entsetzen, endete in einem Desaster. Kaiserliche Truppen schlugen das venezianische Heer, Mantua fiel und wurde geplündert.
Was die Situation auf dem italienischen Festland betraf, ging, jedenfalls aus der Perspektive der Serenissima, um 1630 die nach wie vor gefährlichste Bedrohung von Habsburg aus. [8] Der Senat unterstützte zeitweilig selbst die schwedische Invasion in Norddeutschland durch Subsidien [9]; aber er vermied, allzu eindeutig Position zu beziehen - auch nicht zugunsten jener Macht, die allein Rückhalt gegen Spanien und dessen Verbündeten zu bieten versprach, nämlich Richelieus Frankreich. Dessen Position in Oberitalien war durch den Frieden von Cherasco (1631), der die Mantua-Frage weitgehend im französischen Sinne regelte, stabilisiert worden. Bei der Gestaltung der Vertragsbedingungen hatte Venedig nichts mitzureden gehabt. [10] Die venezianische Staatsräson sah sich angesichts der unbeherrschbaren Konfliktsituation zwischen den Großmächten immer entschiedener auf Neutralität, auf vorsichtiges Lavieren verwiesen.
Richelieu war es trotz des Erfolges im Kampf um Mantua nicht gelungen, dem Friedensvertrag eine allgemeine Garantieklausel einzuverleiben und durch eine Liga der italienischen Staaten ein schon länger projektiertes kollektives Sicherheitssystem - unter französischer Führung - zu etablieren [11]; eine solche Allianz hätte für die Italiener zumindest kurzfristig die Gefahr einer direkten Konfrontation mit Habsburg erhöht. Jedenfalls dürfte Venedigs Zurückhaltung dazu beigetragen haben, daß sich der Krieg in Oberitalien nicht ausweitete. In Madrid wurde die Haltung der Republik 1635 sogar als "standhaftig, und wohlaffectionirt gegen das Erzhaus" bewertet. [12] Wenn die Serenissima sich im Jahr darauf von Richelieu für eine auf Erweiterung des Kölner Kongresses um Schweden und die Generalstaaten zielende Initiative gewinnen ließ, lag das in der Konsequenz ihrer Ausgleichspolitik [13] - ein Vorzeichen der Rolle, welche die venezianische Diplomatie auf dem Westfälischen Friedenskongreß spielen wird. Ebenso folgerichtig war es, daß sich die Republik in jenem bizarren Krieg, den Papst Urban VIII. um die Lehen Castro und Ronciglione gegen Odoardo Farnese führte (1641-1644) [14], an einer Allianz italienischer Staaten, die Roms Ambitionen Einhalt gebieten konnte, beteiligte. [15] Der Frieden von Venedig-Ferrara (31. März 1644) wurde dann von Mazarin vermittelt, und man hat ihn der Garantie Frankreichs unterstellt: ein deutliches Anzeichen dafür, daß sich die Gleichgewichte auch in Italien zugunsten der westeuropäischen Großmacht verschoben hatten; Signal zugleich eines Bedeutungs- und Prestigeverlusts der Kurie mit Auswirkungen auf die diplomatischen Aktivitäten des päpstlichen Nuntius Fabio Chigi im Reich. [16] Die prekäre italienische Situation war zweifellos ein Hauptgrund für Venedigs neutrale Haltung. Wichtiger noch für seine auf Konservierung des Status quo zielende Politik - wie überhaupt für seine Ausgleichsbemühungen in Italien und in Mitteleuropa - ist aber die türkische Bedrohung gewesen.
Die osmanische Expansion blieb seit dem späten Mittelalter eine der wichtigsten Konstanten, welche die Erwägungen der Außenpolitik der Serenissima bestimmten. Während der gerade geschilderten italienischen Entwicklungen hatte der türkische Druck im östlichen Mittelmeerraum zwar nachgelassen, da die Hohe Pforte ihrerseits durch Auseinandersetzungen mit dem persischen Reich beansprucht war. [17] Indes blieb die venezianische Flotte durch einen lästigen Kleinkrieg gegen christliche und mohammedanische Piraten, die von den Großmächten als Stellvertreter-"guerilla" instrumentalisiert wurden, beschäftigt, und eine wehrhafte, wachsame Friedenspolitik erschien schon in einer Quelle von 1615 als einzige Möglichkeit, der drohenden osmanischen Expansion entgegenzuwirken. [18]
So herrschte hier, in einer der Bruchzonen zwischen den frühneuzeitlichen Großreichen, ein kalter Krieg, der durch einige vertragliche Abmachungen mühsam im Zaum gehalten wurde. [19] Venedig mußte jedenfalls für den Ernstfall gerüstet sein. Ständig war man auf der Suche nach Verbündeten, analysierte mögliche Konfliktkonstellationen und entwickelte Strategien, wie gegen die Türkei vorgegangen werden konnte, etwa durch Entfesselung eines Korsarenkrieges durch von Polen abhängige Kosaken im Schwarzen Meer. [20] Auch hoffte Venedig, Ladislaus IV. könnte durch einen Angriff auf türkische Tartaren die Hohe Pforte zur Intervention zugunsten ihrer Schützlinge zwingen.
Daß die Befriedung Deutschlands eine entscheidende Voraussetzung für konzertierte Aktionen darstellte, verstand sich von selbst. [21] Aber der Verlauf des Kölner Kongresses, auf dem auch Venedig sich vermittelnd engagiert hatte - während es bei den anderen Vorgesprächen nicht hervortrat [22] -, gab kaum Anlaß zur Hoffnung auf eine rasche Beendigung der Kampfhandlungen. Richelieus Nachfolger Mazarin wurde mit bemerkenswerter Begründung [23] als kriegslüstern eingeschätzt. Nur äußerste Zwänge, so meinte Venedigs Botschafter in Frankreich, würden diesen Minister zum Frieden bringen. [24]
Venedig, Zentralort schon im utopischen Weltfriedensplan von Émeric Crucé [25], war somit aus verschiedenen Gründen zum Mediator der Friedensverhandlungen prädestiniert. [26] Die Vermittlung eines europäischen Friedens lag wegen der Türkengefahr und angesichts der komplexen inneritalienischen Situation in seinem Interesse, die Initiative zur Mediation ging offenbar von der Serenissima selbst aus. [27] Nicht gering veranschlagt werden darf der Prestigegewinn, den eine Partizipation an den Verhandlungen versprach. [28] Richelieu und später Mazarin favorisierten die venezianische Intervention, weil sie - wie sich zeigen sollte, zu Unrecht [29] - auf antispanische Neigungen Venedigs hofften [30]; die italienische Mittelmacht war zudem von den Interessengegensätzen, die in Münster auszutarieren waren, allenfalls indirekt berührt. [31] Für die Republik sprach schließlich, daß sie über eine seit langem berühmte, als unbestechlich geltende [32] Diplomatie verfügte, vor allem aber der Umstand, daß sie, katholisch zwar [33], aber traditionell auf Distanz zu Rom als geeigneter Verhandlungspartner für alle Konfessionsparteien gelten konnte - anders als die Kurie, die direkte Verhandlungen mit den Protestanten ablehnte. Als wegen des schwedischen Einmarsches in dänisches Gebiet Ende 1643 die dänische Vermittlung in Osnabrück obsolet wurde, gab es sogar Überlegungen, die Vermittlung Venedigs auch auf den zweiten Kongreßort auszudehnen. In wohl zutreffender Einschätzung der zu erwartenden Widerstände und der Risiken, die ein solches Engagement mit sich gebracht hätte, entzog Contarini sich mit einigem Geschick diesem Ansinnen. [34]
Am 16. Juli 1643 hatte der venezianische Senat die Instruktionen für den Botschafter beraten, zwei Wochen später war er abgereist; von Augsburg aus war es zunächst nach Frankfurt gegangen, wo gerade Messe gehalten wurde. Contarini fand die Stadt vom Krieg fast unberührt, voll Leben und Treiben; Waren gab es im Überfluß, und diesmal erwies der Rat dem Diplomaten durch ein Weingeschenk die gebührende Ehre. Über den Deputationstag, der seit Januar in den Mauern Frankfurts tagte, urteilte er despektierlich - und, was die Situation im Spätsommer 1643 anbelangte, zutreffend -, man trinke dort nach Landesbrauch viel, diskutiere nicht weniger, brächte aber nichts zustande. [35]
Contarini nutzte so seine Reise, um sich ein möglichst umfassendes Bild der politischen Situation zu machen. Die Reichsstadt Köln, seine nächste Station, war eine Nachrichtenbörse: zahlreiche Diplomaten und Militärs hatten sich hier eingefunden, um die weitere Entwicklung abzuwarten. Ein bayerischer General schmeichelte dem Venezianer, es liege an der Serenissima, das durch Spaniens Schwäche und Frankreichs Dominanz gestörte Gleichgewicht wieder auszutarieren, womit er reichlich übertrieb.
Am 16. November langte Contarini in Münster an, Anfang April traf der päpstliche Nuntius Fabio Chigi am Kongreßort ein. [36] Der Castro-Krieg - "dises Welsche Unwesen", heißt es in einer kaiserlichen Instruktion [37] - war gerade durch den Friedensschluß liquidiert worden, so daß einer Zusammenarbeit zwischen den beiden Vermittlern nichts mehr im Wege stand. [38] Als Urban VIII. starb (29. Juli 1644), engagierte sich Contarini erfolgreich für das Verbleiben Chigis im Amt, um französischen Irritationen wegen der prohabsburgischen Neigungen von Urbans Nachfolger Innozenz X. entgegenzuwirken. [39]
Auch der Venezianer hatte sich mit allerlei Zeremonialstreitigkeiten, die das äußere Bild des Friedenskongresses so nachhaltig prägen sollten, auseinanderzusetzen. Der französische Bevollmächtigte d'Avaux demonstrierte gegenüber Contarini auf subtile Weise, daß er den Rang der Republik Venedig für geringer hielt als jenen der auf dem Kongreß vertretenen Monarchien. [40] Mehr noch war das ein Signal an die Niederlande. [41] Für den Vertreter Venedigs lag in solchen Zurücksetzungen ein heikles Problem. Wenn er, weil ihm beim Empfang des Herzogs von Longueville der gebührende Rang nicht eingeräumt wurde, sogar mit Abreise drohte, reflektiert dies nicht zuletzt die komplexe Verfassung des venezianischen Staates. Im Innern aristokratisch organisiert, umgab Venedig seinen Pseudomonarchen mit äußeren Ehren und Attributen, die einem König, ja selbst dem Papst nicht schlecht angestanden hätten. Der Doge - nach dem bissigen Wort eines Chronisten nicht mehr als eine Art "Wirtshausschild" - sollte wenigstens im Konzert der europäischen Potentaten Venedigs Glanz vorspiegeln. [42]
So nahm Contarini, unterstützt von einem Sekretär und drei Koadjutoren, unter mannigfachen Schwierigkeiten seine Mission in Angriff. Peinlich bemüht, die gebotene Neutralität nicht zu verletzen, geriet er bei den Kaiserlichen doch in den Verdacht, "sich gar zuvil parteyisch an seiten der Frantzosen" zu halten. [43] Ja, im Juli 1644 hielt der kaiserliche Diplomat Graf Auersperg es für ratsam, auf die Ablösung des Venezianers hinzuarbeiten. [44] Und auch die Spanier waren mißtrauisch. [45] Erst mit der Zeit gewann Contarini das Vertrauen der habsburgischen Diplomatie, wie sich in den Verhandlungen um die pommersche Frage zeigen sollte. [46] Der Senat blieb nicht weniger strikt auf Neutralität bedacht; so entzog sich Venedig im Januar 1647 dem Ansinnen Mazarins, die Republik in ein italienisches Allianzsystem einzubinden. [47]
Gewöhnlich war es Contarinis Aufgabe, den Parteien die verschiedenen Verhandlungsangebote mitzuteilen. [48] Oft fanden die Beratungen in Anwesenheit der Vermittler - häufig in Contarinis Quartier am Domplatz - statt, an über 800 Einzelgesprächen sollen diese teilgenommen haben. Der Diplomat agierte indes nicht immer nur als "Briefträger", obwohl er selbst seine Rolle und die Chigis einmal als die "einfacher Berichterstatter" charakterisierte. [49] Er war ein "Kommunikator" mit umfassender Kenntnis des diplomatischen Gesamttableaus, dessen Auffassungen sensibel registriert wurden; führte "Hintergrundgespräche" unter vier Augen, geschickt auf die Psychologie des Gegenübers rechnend [50]; empfing Delegationen in seinem Quartier, denen er dann Empfehlungen zur Verhandlungstaktik gab [51]: kurz, die Akten bestätigen Bougeants Urteil, ihm seien Raffinesse und die Kunst der Dissimilation nicht fremd gewesen. Einmal legte er den kaiserlichen Diplomaten sogar unverblümt nahe, den schwedischen Gesandten Adler Salvius "zu seinem particularinteresse zu gewinnen", auf deutsch: ihn zu bestechen. [52] Er verzichtete keineswegs darauf, Forderungen oder diplomatische Strategien in Einzelunterredungen mit den Parteien kritisch zu werten. [53] Seine Einschätzungen wurden denn auch den Zentralen mitgeteilt. Gelegentlich wagte der Venezianer sich mit eigenen Projekten hervor, denen allerdings nicht der gewünschte Erfolg beschieden war. [54]
Das in Münster übliche schriftliche Verfahren hat zwar die Verhandlungen schwerfällig gemacht, indessen Präzision und Klarheit der Darstellung der Positionen befördert. [55] Vielfach blieb der Beitrag der Mediatoren darauf beschränkt, das Klima zu verbessern, äußere Einflüsse nach Möglichkeit zurückzudrängen. [56] Dabei finden wir Contarini in seinen Briefen an die Serenissima und in privaten Schreiben als scharfsichtigen Kommentator des Kongreßgeschehens. In seinen vertraulichen Briefen nimmt er kein Blatt vor den Mund. Hart geht er mit Eitelkeiten und Eigennutz ins Gericht, spart andererseits nicht mit Lob für die vernünftigen Pragmatiker - wie den Grafen Trauttmansdorff [57] -, deren eigentliches Werk der Frieden sein wird. Mazarin sieht er kritisch, und für die desaströse Situation im Frühsommer 1647 macht er den Egoismus Maximilians von Bayern verantwortlich; er hielt ihn für einen Heuchler, der unter dem Vorwand, es gehe ihm um die Christenheit, das eigene Interesse verfolge. [58] Dem Dogen gegenüber äußert er tiefe Bestürzung - das Herz breche angesichts all der kleinen Leidenschaften um nichts, die zur Folge hätten, daß so viel Christenblut unschuldigerweise vergossen werde. [59] Er kann sich das nicht anders erklären denn als göttliche Züchtigung - wie er überhaupt all das verwirrende Geschehen auf dem Friedenskongreß und auf den Schlachtfeldern einordnet in einen Kosmos göttlicher Strafe und Gnade. Nur so mag er, der das christliche Abendland dramatisch bedroht sah, die eigene Ohnmacht sublimiert haben.
Inmitten seines Netzes von Korrespondenten und in Kontakt mit dem einzigartigen Informationssystem der Serenissima gewann Contarini auch ein umfassendes Bild der Entwicklung an der Peripherie des venezianischen Seeimperiums. [60] Seit Januar 1645 häuften sich alarmierende Hinweise auf eine bevorstehende Eskalation der Auseinandersetzung mit den Türken. Im Sommer wurde ein Zwischenfall im östlichen Mittelmeer von der Hohen Pforte zum Anlaß genommen, eine Flotte zur Eroberung Kretas in Bewegung zu setzen. [61] Am 22. August 1645 fiel Kanea; ein Krieg, der fast ein Vierteljahrhundert dauern sollte, nahm seinen Anfang. [62] Allein von den Verhandlungen in Münster und Osnabrück, schreibt Contarini in einem privaten Brief, hänge die Verteidigung der Christenheit ab, während die venezianische Führung in angstvollem Immobilismus verharre [63]; hier ergaben sich mit der Zeit Spannungen zwischen dem Senat und seinem Gesandten, der eine aktivere Rolle Venedigs favorisierte. [64] Die bedrohliche Verschärfung der Lage in der Ägäis bildete den Hintergrund für Contarinis diplomatische Aktivität, der die Gelegenheit wahrnahm, direkt um Unterstützung für den Türkenkrieg zu werben. [65] Die Kraftlinien, die die Mittelmeerwelt strukturierten - die Auseinandersetzungen zwischen Spanien und dem von Frankreich unterstützten Portugal, die katalanische Krise, das italienische Tableau -, bildeten das Koordinatensystem, das sein politisches Denken bestimmte; der Kampf gegen die Türken war sein eigentliches Thema. Als sich der Vorvertrag mit Frankreich abzeichnete, glaubte der venezianische Botschafter allen Ernstes, hunderttausend abgedankte Söldner für Venedig anwerben zu können; bezeichnenderweise hielt es der Senat nach Abschluß des Ulmer Waffenstillstands im März 1647 für angebracht, den Sekretär Gerolamo Cavazza nach Bayern zu entsenden, damit er dort die Soldaten in Sold nehme, welche Kurfürst Maximilian zu entlassen gedenke. [66]
Genau zu umschreiben, welche Bedeutung die venezianische Vermittlung für das Zustandekommen des Friedens insgesamt hatte, ist nicht möglich; in der Forschung wurde sie eher zurückhaltend beurteilt. [67] Contarinis Stimme blieb jedenfalls unüberhörbar im Gewirr der diplomatischen Gespräche, und sie nahm an Gewicht zu, je deutlicher seine Rolle als überparteilicher Anwalt der Staatsräson Kontur gewann. Er erscheint als ein Tropfen Öl in der Friedensmaschinerie, und seine Handlungsmaxime war: alles zu tun, was die pax universalis beförderte, allem entgegenzuwirken, was ihr im Weg stand. [68] Er setzt sich dafür ein, daß die Verhandlungen den Reichsständen geöffnet würden [69] und verschließt sich Versuchen Spaniens, ihn in eine chancenlose Aktion zugunsten der Bewahrung Breisachs für das Haus Habsburg zu verwickeln: Friede müsse sein um jeden Preis, ist sein Argument. [70] Deutlich zu fassen ist Contarinis positive Rolle beim Zustandekommen des Vorvertrags mit Frankreich. Auch sein unermüdliches Engagement während der Krise des Kongresses im Frühsommer 1647 wird aus den Quellen evident. Damals schrieb er an seinen Neffen, er hätte keinen Moment, um zur Ruhe zu kommen; der gichtkranke Diplomat schleppt sich am Stock von Gespräch zu Gespräch. [71] Außerdem wurde er mit zahlreichen kleineren Angelegenheiten - etwa Beschwerden über Kontributionsforderungen im Umland von Münster - befaßt. [72]
Aus den Verhandlungen zwischen Spanien und den Generalstaaten hat man Contarini und den Nuntius weitgehend herausgehalten [73]; Gelegentlich bediente man sich ihrer, um den spanisch-französischen Dialog wieder in Gang zu bringen, doch zogen die Niederländer die Vermittlerrolle - als interpositori - zum Verdruß Contarinis und Chigis an sich. [74] Hier waren besonders sensible venezianische Interessen berührt, ist doch Amsterdam ein Hauptumschlagplatz niederländischer Waffenlieferungen für den Türkenkrieg gewesen. [75]
Die Schlußphase der Verhandlungen wurde von den Vermittlern als dramatisch empfunden. Was hinter den Kulissen vorgeht, ist ihnen undeutlicher denn je, und im Februar 1648 scheint Contarini alle Zuversicht verloren zu haben, daß aus dem "teutschen Frieden" noch etwas werden könne, und er erbittet vom Senat die Erlaubnis zur Abreise. [76] Aus den Berichten spricht Nervosität, mehr noch ein Gefühl der Ohnmacht gegenüber einem Prozeß, der eine unbeherrschbare Eigendynamik gewonnen zu haben scheint. Erst im Frühsommer wird der Ton der Berichte optimistischer.
Als am Ende das Kamel durch ein Nadelöhr gegangen war - so umschreibt ein zeitgenössisches Emblem das Wunder des Friedensschlusses - war Contarini gewiß stolz darauf, daß die venezianische Vermittlung und im speziellen seine Person im Friedensvertrag ausdrücklich genannt wurden. Er erwähnt dies gleich am Anfang seiner Schlußrelation. Andererseits gelang es nicht, Servien die Zustimmung zu einem Geheimartikel, der Frankreich zur Assistenz "gegen den Türken" verpflichtet hätte, abzuringen. So seien der Republik zwei Vorteile aus dem Friedensschluß erwachsen, resümiert Contarini gegenüber Dogen und Senat: die Präpotenz des Kaisers habe Beschränkungen erfahren, und die Vermittlung Venedigs sei von jedermann mit allgemeinem Beifall bedacht worden. [77]
Contarini hat sich in keiner Phase des Kongresses Illusionen über die Handlungsspielräume der Vermittler gemacht. "Dieses Schiff von Münster", kommentiert er einmal, "wird nicht auf die Reise gehen, es sei denn mit den Winden, die von den Höfen her wehen." [78] Die schockierende Erfahrung des Masaniello-Aufstandes gegen die spanische Herrschaft in Neapel (1647) und die Nachrichten über die Unruhen in Frankreich belehrten den Italiener freilich darüber, daß Stürme auch von anderswoher drohten und daß die Kombinationen der Politiker nicht endlos mit der Geduld der Völker rechnen durften. [79]
Wicquefort, der bedeutendste Diplomatie-Theoretiker des 17. Jahrhunderts, urteilte, die Vermittler in Münster hätten mehr Leiden geerntet als Erfolg, und noch weniger Ehre. [80] Und er fährt fort: "Ihre Absichten waren gut, aber sie trafen auf alle Härten, welche die stärksten Gründe der Welt nicht in der Lage gewesen wären aufzuweichen [...] In Wahrheit läßt sich sagen, daß es nicht die Vermittler sind, welche die Verträge schließen lassen, sondern die gute Einstellung der Konfliktparteien." Freilich liegt die säkulare Bedeutung des Westfälischen Friedens gerade darin, daß er ein Kompromißfrieden war, der unter der äußeren Form der Vermittlung zustandekam. Das Engagement der Mediatoren gewann plakative, ja programmatische Bedeutung für den Stil der Verhandlungen - auch wenn sie nur die Gewalt ihrer Worte hatten gegen Interessen aus Eisen.
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