HANS PETERSE
Irenik und Toleranz im 16. und 17. Jahrhundert
Luthrisch, Päbstisch und Calvinisch, diese Glauben alle drey Sind vorhanden; doch ist Zweiffel, wo das Christenthum dann sey.

Friedrich von Logau, 1649


Das Scheitern der Religionsverhandlungen zwischen Altgläubigen und Protestanten auf dem Augsburger Reichstag im Jahre 1530 zerschlug die Hoffnung auf eine baldige Einigung und machte allen Beteiligten deutlich, wie prekär die Lage war. Aus Furcht vor einem bevorstehenden Krieg schlossen sich die protestantischen Fürsten 1531 im sogenannten Schmalkaldischen Bund zusammen und suchten Kontakt zu Frankreich. Durch diesen Schritt zwangen sie Kaiser Karl V. zur Zurückhaltung bei seiner Bekämpfung der Reformation, die sich unaufhaltsam in den Territorien des Reiches zu verbreiten schien.

Während sich eine Spaltung der Kirche abzeichnete, veröffentlichte der Humanist Erasmus von Rotterdam sein "Liber de sarcienda ecclesiae concordia" (1533). In dieser Schrift formulierte er seine Überlegungen über die Wiederherstellung der kirchlichen Eintracht. [1] Für Erasmus steht außer Frage, daß sich im Laufe der Jahrhunderte Mißstände in die Kirche eingeschlichen haben. Eine Beseitigung dieser Mißstände, ohne daß es dabei zu einem Schisma kommt, hält er nach wie vor für möglich: "Diese Krankheit ist noch nicht so weit fortgeschritten, daß sie unheilbar wäre." [2] Er befürwortet eine Form der Heiligenverehrung, die die menschlichen Tugenden der Heiligen in den Vordergrund stellt, eine Reduzierung der Zahl der Feiertage und eine Erleichterung der Fastengebote. Ein Konzil soll den Frieden innerhalb der christlichen Gemeinschaft wiederherstellen und eine Reform der Kirche durchführen. Aus seinen Überlegungen geht hervor, daß er die Lehre der Kirche in ihrem Kern akzeptierte und unversehrt, auch in der Frage der Willensfreiheit, aufrechterhalten wollte. Zugleich läßt er in seiner Schrift jedoch die Bereitschaft erkennen, den Protestanten bei einem Scheitern der Verhandlungen eigene kirchliche Formen zu gewähren.

Das Konzil von Trient (1545-1563), das erst nach schwierigen und langjährigen Verhandlungen zustande gekommen war, führte im Interesse der Kirchenreform heilsame Korrekturen durch. Von großer Bedeutung war die Entscheidung, Priesterseminare zu errichten, die die Ausbildung von Geistlichen verbessern sollten. Das Konzil scheiterte aber bei seinem Versuch, die Einheit der Kirche wiederherzustellen. Die Anathemata des Konzils, die sich gegen die Protestanten richteten, schlossen faktisch jede Möglichkeit zu einem Vergleich aus. Wie sehr das Klima sich verhärtet hatte, zeigte auch die Verurteilung der Werke des Erasmus durch Rom im Jahre 1559.

Erasmus von Rotterdam und Philipp Melanchthon sind als die Gründer der irenischen Bewegung, die sich im 16. und 17. Jahrhundert für die Wiederherstellung der kirchlichen Einheit im Abendland mit friedlichen Mitteln eingesetzt hat, zu betrachten. Die Geschichte der Irenik zeigt ein recht diffuses Bild. Von einer Bewegung im eigentlichen Sinne kann nicht gesprochen werden, da die Ireniker unterschiedliche Ziele verfolgten. Vor allem im Hinblick auf die Frage, inwiefern der Toleranzgedanke mit dem christlichen Wahrheitsbegriff in Einklang zu bringen war, lassen sich Meinungsverschiedenheiten feststellen. [3] Was jedoch alle miteinander verband, war das Anliegen, auf friedliche Art und Weise eine Verständigung der christlichen Konfessionen herbeizuführen. Zu den Irenikern gehörten sowohl Katholiken als auch Protestanten, die vom humanistischen Gedankengut geprägt waren. [4] Das Wort Irenik ist vom griechischen eirene (Friede) abgeleitet. Der Theologe Franciscus Iunius hat den Begriff als erster in seinem 1593 veröffentlichten "Eirenicum de Pace Ecclesiae Catholicae" verwendet.

Der Augsburger Religionsfriede des Jahres 1555 führte zu einem Vergleich zwischen Altgläubigen und Protestanten, der den politischen Verhältnissen in Deutschland Rechnung trug. Wie kaum ein anderer hatte sich Kaiser Ferdinand I. für diesen Frieden eingesetzt. Dennoch war er sich der Brüchigkeit des Abkommens bewußt. Aus diesem Grund ergriff er die Initiative, den Frieden durch eine Wiederherstellung der kirchlichen Einheit unumkehrbar zu machen. 1564 forderte er Georg Witzel und Georg Cassander dazu auf, Gutachten zu verfassen, die die Übereinstimmung zwischen der katholischen und der protestantischen Lehre untersuchen und die Grundlage für ein Religionsgespräch bilden sollten. Beide Humanisten hatten sich schon in der Vergangenheit in mehreren Schriften um eine Aussöhnung der Konfessionen bemüht. Sie betrachteten das Apostolikum als Norm für die christliche Glaubenslehre und befürworteten eine Rückkehr zur Kirche der ersten fünf Jahrhunderte, die als das goldene Zeitalter des Christentums gefeiert wurden. In der Frage der Priesterehe und des Laienkelches waren sie zu weitreichenden Zugeständnissen an die Protestanten bereit. In ihren Gutachten setzten sie sich eingehend mit der Confessio Augustana, dem evangelischen Glaubensbekenntnis aus dem Jahre 1530, auseinander und versuchten festzustellen, welche Artikel für ein gemeinsames Gespräch auf der Grundlage der Beschlüsse des Konzils von Trient in Betracht kämen.

Kaiser Ferdinand I. starb vor Fertigstellung der Gutachten. Sein Nachfolger Maximilian II. bat Witzel und Cassander, die Arbeit fortzusetzen. Zu konkreten Ergebnissen haben die Gutachten nicht geführt. [5] Die historische Leistung der beiden Ireniker liegt vor allem darin, daß sie das Konzept des Erasmus von Rotterdam für die Reunion aufgegriffen und systematisch weiterentwickelt haben. Mit ihrer Hochschätzung der Alten Kirche haben sie die Brücke zu der Irenik des 17. Jahrhunderts geschlagen.

Die schnelle Verbreitung des Calvinismus in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts führte zu neuen Konstellationen in der konfessionellen Landschaft Europas. Davon war auch die Irenik betroffen. Als Reaktion auf die verheerenden Kämpfe zwischen Katholiken und Hugenotten in Frankreich, die die politischen und sozialen Strukturen des Landes zu zerschlagen drohten, schlossen sich Adelige und bürgerliche Intellektuelle zu der Parti des Politiques zusammen. Die Politiques vertraten die Auffassung, die politischen Interessen der Monarchie seien prinzipiell höher zu bewerten als die Frage der konfessionellen Zugehörigkeit. Sie befürworteten eine mutua tolerantia zwischen den Konfessionen: Katholiken und Hugenotten sollten innerhalb des einen Staates friedlich nebeneinander leben und ihre Religion frei ausüben können.

In den Niederlanden verknüpfte sich die Religionsfrage mit dem Unabhängigkeitskampf gegen Spanien. Wilhelm von Oranien, die Symbolfigur dieses Kampfes, strebte eine Konstellation an, die eine freie Entfaltung der verschiedenen Konfessionen ermöglichte. Mit seinem Konzept für religiöse Pluralität scheiterte er allerdings. Weder die Spaltung der Niederlande noch die Unterdrückung der katholischen Kirche in den von den Aufständischen eroberten Gebieten konnte er verhindern. Den Katholiken wurde lediglich das privatum exercitium ihres Glaubens gestattet.

Der politische Sieg der Calvinisten in den nördlichen Niederlanden hatte zwar Folgen für die konfessionellen Verhältnisse, doch nicht in dem Umfang, der vorher von vielen befürchtet war. Die Regierung der jungen Republik sah von einer Verfolgung der Katholiken ab und bediente sich statt dessen einer moderaten Religionspolitik. Dafür waren zwei Gründe verantwortlich: Einerseits war die erasmianische Tradition in der niederländischen Kultur tief verwurzelt. Die Regenten, die meistens aus den gehobenen Bürgerschichten stammten, hatten sich nicht an dem Aufstand beteiligt, um sich nach der Vertreibung der Spanier dem Joch der calvinistischen Pfarrer zu unterwerfen. Andererseits erhofften sie sich von einer religiösen Toleranz wirtschaftliche Vorteile. Man denke in diesem Zusammenhang an ihre liberale Haltung gegenüber jüdischen Flüchtlingen, die aus Spanien und Portugal vertrieben waren und hier ein Refugium fanden. Rasch stiegen diese Flüchtlinge zu führenden Positionen im Handel und Finanzwesen empor und trugen zur wirtschaftlichen Expansion des Landes bei.

Das geistige Klima der Niederlande ermöglichte die Entstehung einer breiten irenischen Strömung, die nachhaltig gewirkt hat. Sie ließ sich von den Toleranzgedanken Sebastian Castellios (1515-1563), der sich in seinen Schriften gegen die Ketzerverfolgung gewandt hatte, inspirieren. [6] Am Anfang des 17. Jahrhunderts erlitt die Irenik in den Niederlanden einen Rückschlag. Die Kontroversen zwischen Calvinisten und Remonstranten führten zur Verhaftung und Hinrichtung des mächtigen Landsadvokaten Johan von Oldenbarnevelt, der einer der Architekten der moderaten Religionspolitik war. Während der Synode von Dordrecht (1618/19) setzten die Calvinisten die Verurteilung der Remonstranten, die eine gemäßigte Form der Prädestinationslehre befürworteten, durch. 1621 entfachte sich der Krieg gegen Spanien von neuem. Obwohl die Irenik durch die Niederlage der Remonstranten an Einfluß einbüßte, prägte sie auch in den nächsten Jahrzehnten die politische Kultur der Niederlande.

Während Calvinisten und Remonstranten sich über die Frage der Prädestination entzweiten, fehlte es in den Niederlanden nicht an Stimmen, die zu Besonnenheit mahnten. Hugo Grotius bedauerte in seiner 1611 verfaßten Schrift "Meletius" die Unversöhnlichkeit der Kontrahenten und warnte davor, den Weg des Consensus in theologischen Sachfragen zu verlassen. Die Streitigkeiten dürften nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Lehre Christi die gemeinsame Grundlage der verfeindeten Parteien sei. Um sie daran zu erinnern, hat er seinen Traktat, der von den Fundamenten der christlichen Religion handelt, geschrieben. Obwohl der "Meletius" nicht veröffentlicht worden ist, hat sein Inhalt das irenische Programm des Grotius in späterer Zeit bestimmt. [7]

Nach seiner Flucht aus den Niederlanden im Jahre 1621 verbrachte Grotius mehrere Jahre in Paris, wo er "De iure belli ac pacis" schrieb. 1634 trat er als Diplomat in die Dienste Schwedens. Die Theologie und besonders die Frage der Religionsfreiheit rückte unterdessen immer mehr in den Mittelpunkt seiner wissenschaftlichen Interessen. Er plädierte in seinen Schriften für eine "mutua tolerantia" als einen ersten Schritt auf dem Weg zu einer Wiederherstellung des religiösen Consensus. Großes Aufsehen erregte die "Commentatio de Antichristo" (1640), in der Grotius die bis dahin in der protestantischen Theologie geläufige Meinung, der Papst in Rom sei mit dem Antichrist gleichzusetzen, widerlegte. Kurze Zeit später erschienen seine "Annotata ad Consultationem Cassandri", ein Kommentar zu dem 1565 für Ferdinand I. verfaßten Gutachten, das die Glaubensspaltung im erasmianischen Sinne überwinden wollte. Wie Georg Cassander war auch Grotius der Auffassung, zwischen dem tridentinischen Glaubensbekenntnis und der Confessio Augustana gebe es keinen unversöhnlichen Widerspruch. [8] Mit seinen irenischen Bemühungen setzte er sich heftigen Anfeindungen von calvinistischer Seite aus. In seinen letzten Lebensjahren kursierten Gerüchte, die sowohl von Katholiken als auch von Protestanten genährt wurden, er sei zur katholischen Kirche übergetreten.

Im Gegensatz zu Frankreich und den Niederlanden, wo in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts über die Frage der Religionsfreiheit erbittert gerungen wurde, schien sich im Heiligen Römischen Reich eine relativ günstige Konstellation anzubahnen. Der Augsburger Religionsfriede von 1555 hatte die Entscheidung über den konfessionellen Status eines Territoriums grundsätzlich in die Hände der Fürsten gelegt. Den Einwohnern der konfessionell gemischten Reichsstädte, wie z.B. Augsburg, wurde eine gewisse paritätische Ordnung und religiöse Toleranz gewährt. Damit setzte sich das Prinzip der Toleranz, sei es auch mit erheblichen Einschränkungen, zum ersten Mal in der Reichsverfassung durch. [9] Das Ringen um die Interpretation des Augsburger Religionsfriedens und die Forderung der Calvinisten, als Konfession anerkannt zu werden, unterminierten aber auf die Dauer die 1555 getroffenen Vereinbarungen. Der Dreißigjährige Krieg ist als die logische Konsequenz dieser Spannungen zu betrachten, die eine Befriedung des Landes unmöglich machten.

Auf dem Hintergrund des Krieges konzipierte der evangelische Theologe Georg Calixt (1586-1656), der an der Helmstedter Universität lehrte, sein irenisches Programm. Die Auffassung, daß die Theologie in Disputationen den Konsens mit der Alten Kirche zu demonstrieren habe, machte er zum Herzstück seiner Irenik. Anfänglich betrachtete er den "consensus antiquitatis" als ein geeignetes Instrument im Kampfe gegen das Papsttum. Anhand des altkirchlichen Traditionsprinzips entlarvte und verurteilte er das Meßopfer, den Ablaß und die Lehre des Fegefeuers als Neuerungen, die im Laufe des Mittelalters vom Papst eingeführt worden waren. Die Wende von der Polemik zur Irenik vollzog Calixt mitten im Krieg, als er erkannte, daß sowohl die Protestanten als auch die Katholiken sich in ihren Auseinandersetzungen auf die altkirchliche Tradition beriefen. Die Lektüre der Schriften Cassanders und anderer Ireniker des 16. Jahrhunderts hat dabei möglicherweise eine entscheidende Rolle gespielt.

Die ersten Vorboten einer Wende sind in Traktaten des Calixt aus den Jahren 1633 und 1634 zu finden. Er befürwortete Religionsgespräche zwischen Vertretern der verschiedenen Konfessionen auf der Grundlage der Heiligen Schrift und der Lehre der Alten Kirche, die zu einer Wiederherstellung der kirchlichen Eintracht führen sollten. [10] Seine Vorschläge waren nicht originell und fanden deshalb kaum Beachtung. Nur der Mainzer Erzbischof Anselm Casimir Wamboldt von Umstadt zeigte Interesse, indem er die Vorschläge von Theologen der Mainzer Universität prüfen ließ. Die Theologen reagierten ablehnend: Sie waren der Meinung, Calixts "consensus antiquitatis" biete eine unzureichende Grundlage für ein Religionsgespräch, weil er die Lehre des päpstlichen Primates außer acht lasse. Als ihr Wortführer trat der Jesuit Vitus Erbermann auf. In Schriften wie "Anatomia Calixtina" (1644) und "EIPHNIKON catholicum" (1645) erteilte er dem Aufruf Calixts eine Absage. Er warf ihm vor, die konfessionellen Unterschiede zwischen Katholiken und Protestanten herunterzuspielen. Eine Aussöhnung könne nur stattfinden, wenn die Protestanten sich vorher bereit erklärten, sich der päpstlichen Autorität zu unterwerfen.

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Während Calixt sich vergeblich um eine Verständigung mit den Mainzer katholischen Theologen bemühte, erreichte ihn die Nachricht, daß der polnische König Ladislaus IV. (1632-1648) sich mit dem Gedanken trug, in Thorn ein Religionsgespräch zwischen Vertretern der evangelischen, katholischen und reformierten Kirche zu veranstalten. Der König hoffte, mittels eines Religionsgespräches die komplizierten konfessionellen Verhältnisse in seinem Lande zu klären und die Dissidenten wieder in den Schoß der Kirche Roms zurückzuführen. Calixt setzte alle Hebel in Bewegung, als Berater an dem Thorner Gespräch teilnehmen zu können. Seine Anstrengungen schienen schon bald von Erfolg gekrönt. Die Stadt Danzig erwog, ihn als Mitglied ihrer Delegation zu bestellen. Der Plan scheiterte jedoch am Widerstand Abraham Calovs, eines Danziger Geistlichen, der in der Irenik Calixts eine Gefahr für die evangelische Lehre sah. Schließlich erhielt er vom Brandenburger Kurfürsten eine Einladung, als dessen Berater nach Thorn zu fahren und sich an dem Religionsgespräch zu beteiligen. Calixt akzeptierte diese Einladung.

Das "Colloquium charitativum" zu Thorn wurde am 28. August 1645 eröffnet und gilt als der bedeutendste Versuch während des Dreißigjährigen Krieges, einen Ausgleich zwischen den Konfessionen herbeizuführen. An dem Religionsgespräch, das 1631 in Leipzig geführt worden war, hatten sich nur Lutheraner und Calvinisten beteiligt. Bei der Eröffnungssitzung in Thorn waren 26 katholische, 24 reformierte und 15 lutherische Theologen anwesend. Das Kolloquium sollte in drei Phasen ablaufen: 1. Die Darlegung der Glaubensstandpunkte der Konfessionen; 2. die Überprüfung dieser Standpunkte auf ihre Richtigkeit; 3. die Klärung der Kontroversen. Schon bald zeigte sich, daß die Delegationen vor allem daran interessiert waren, die Auffassungen der anderen Seite als Irrlehre zu entlarven. An dieser Haltung ist das Thorner Religionsgespräch letztendlich gescheitert. Die Debatte kam nicht über die erste Phase hinaus. Am 21. November 1645 wurden die Verhandlungen abgebrochen, ohne daß die Teilnehmer ein konkretes Ergebnis vorweisen konnten. [11]

Für Calixt war dieser Ablauf eine herbe Enttäuschung. Trotzdem ließ er sich davon nicht entmutigen und setzte seine Bemühungen um den Religionsfrieden fort. Die Opposition gegen die von ihm angestrebte "concordia ecclesiastica" erreichte in den nächsten Jahren im sogenannten "Synkretistischen Streit" ihren Höhepunkt. Orthodoxe Protestanten wie Abraham Calov beschuldigten ihn, er betreibe mit seinen Plänen eine gefährliche "Religionsmischerei", die der evangelischen Kirche Schaden zufügen würde. Außerdem nahmen sie es ihm übel, daß er sich als Lutheraner von dem reformierten Kurfürsten von Brandenburg für das Thorner Religionsgespräch hatte anwerben lassen. Der Kampf endete erst mit dem Tode Calixts im Jahre 1656. Wer die Bedeutung Calixts für die Irenik der frühen Neuzeit bewerten möchte, hat sich primär auf seine Lehrtätigkeit in Helmstedt zu konzentrieren. Als Professor der Theologie hat er zahlreiche Schüler ausgebildet, die durch seine Aufforderung zur Toleranz gegenüber Katholiken und Reformierten geprägt waren. Dank seines Wirkens konnte die Universität sich zu einer Hochburg der Irenik in Deutschland entwickeln.

Seit der Glaubensspaltung im 16. Jahrhundert hat die Kirche Roms unablässig versucht, die Protestanten zu einer Rückkehr zu bewegen. Die 1622 errichtete Congregatio de Propaganda Fide erhielt von ihr den Auftrag, sich neben der weltweiten Mission auch um die Wiedergewinnung der verlorengegangenen Territorien zu kümmern. Die Propagandakongregation widmete ihre Aufmerksamkeit den evangelischen Fürsten Deutschlands, die seit dem Augsburger Religionsfrieden die konfessionelle Zugehörigkeit ihrer Territorien bestimmen konnten. Deshalb verfolgte sie eine Strategie, die auf die Konversion dieser Fürsten oder Mitglieder ihrer Familie abzielte. Durch die Nuntien in Köln und Wien war sie von den Entwicklungen im Reich ständig unterrichtet.

Im Laufe des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts haben im Reich zahlreiche Fürstenkonversionen stattgefunden. Dabei handelt es sich überwiegend um Übertritte zur katholischen Kirche. Obwohl dieses Phänomen auch in anderen Ländern wahrgenommen werden kann, ist doch vor allem das konfessionell stark aufgesplitterte Deutschland davon betroffen gewesen. Unterschiedliche Faktoren haben bei der Entscheidung der einzelnen Fürsten eine Rolle gespielt. Die Perspektiven, die eine Karriere in der Reichskirche oder in der kaiserlichen Armee versprach, dienten gelegentlich als Anreiz. Bei der Konversion der Wolfenbütteler Prinzessin Elisabeth Christine im Jahre 1707 spielten dynastische Interessen eine Rolle. Dennoch dürfen bei der Frage nach den Motiven, die einen Übertritt ausgelöst haben, mehr persönliche Aspekte nicht übergangen werden. Die katholische Barockkultur und die hierarchische Struktur der Kirche übten auf viele protestantische Fürsten eine starke Faszination aus. Außerdem hatten Ireniker wie Calixt die theologischen Differenzen zwischen den Konfessionen relativiert, was die Entscheidung zugunsten einer Konversion psychologisch erleichterte. [12]

Trotz der Erfolge, die die Propagandakongregation erzielte, haben keine bemerkenswerten Verschiebungen im Besitzstand der Konfessionen stattgefunden. Der Westfälische Friede schränkte das ius reformandi der Fürsten erheblich ein, indem er bestimmte, daß ein Konfessionswechsel des Landesherrn in der Zukunft keine unmittelbare Folge mehr für die Untertanen hatte. Auf diese Weise wurde der Strategie der Propagandakongregation ein Riegel vorgeschoben. Der Widerstand Roms gegen den Westfälischen Frieden ist zum Teil auf diesen Artikel des Vertrages zurückzuführen.

Mit der Wahl Johann Philipps von Schönborn zum Erzbischof von Mainz im Jahre 1647 trat eine tatkräftige Figur auf die politische Bühne, die entscheidend dazu beitragen sollte, die Friedensverhandlungen zu Münster und Osnabrück zu einem erfolgreichen Abschluß zu bringen. Seine Bemühungen um einen Ausgleich zwischen den Kontrahenten und seine Bereitschaft, den Protestanten in Religionssachen entgegenzukommen, verschafften ihm auf dem Friedenskongreß Ansehen, doch ließen sie in Rom Mißtrauen gegenüber seinen kirchenpolitischen Absichten aufkommen. Trotz dieses Mißtrauens verstand er es, den Grundstein für die führende Rolle der Schönborns in der Reichskirche des 17. und 18. Jahrhunderts zu legen. [13]

Als Mainzer Kurfürst und Erzkanzler des Reiches hat Johann Philipp von Schönborn in den Jahrzehnten nach dem Westfälischen Frieden eine Politik geführt, die sich die Vermittlung zwischen Frankreich und Habsburg zum Ziel setzte. Dadurch hoffte er, nicht nur den Frieden im Reich zu sichern, sondern sich auch seine Unabhängigkeit gegenüber dem Kaiser in Wien zu bewahren. Die spektakulärste Frucht dieser Politik war die Errichtung des Rheinbundes im Jahre 1658, einer Föderation einzelner Reichsstände zum Schutze ihrer Interessen, der später auch Frankreich beitreten sollte. Aufgrund seiner Rolle als Vermittler ist Schönborn von der deutschnationalen Literatur des 19. Jahrhunderts als Marionette Frankreichs gescholten worden.

Im direkten Umkreis des Johann Philipp von Schönborn befand sich eine relativ große Anzahl von Konvertiten, die im Verwaltungsapparat des Mainzer Erzstiftes Schlüsselpositionen besetzten. Als Teil eines kirchlichen Reformprogramms auf der Grundlage der Entscheidungen des Konzils von Trient förderte der Erzbischof die Konversion einzelner Protestanten und leistete auch finanzielle Hilfe. [14] Mit konvertierten Fürsten wie Ernst von Hessen-Rheinfels, Christian August von Sulzbach und Johann Friedrich von Hannover stand er in engem Kontakt. Seine irenische Gesinnung kommt im sogenannten Gnadenvertrag vom 17. Dezember 1650 deutlich zum Ausdruck. In diesem Edikt sicherte Johann Philipp von Schönborn als Fürstbischof von Würzburg der protestantischen Gemeinde der Stadt Kitzingen eine freie, uneingeschränkte Religionsausübung zu.

Der wichtigste der Konvertiten am Mainzer Hofe war Johann Christian von Boineburg. 1622 als Sohn eines herzoglich-sächsischen Geheimrates geboren, studierte er in Jena, Marburg und Helmstedt, wo er Schüler des Juristen Hermann Conring war. Von 1645 bis 1652 war er als Diplomat für den Landgrafen Johann von Hessen-Braubach tätig. Er erledigte seine Aufgaben dermaßen erfolgreich, daß Johann Philipp von Schönborn auf ihn aufmerksam wurde. Nach dem Tode des Landgrafen wechselte er in den Dienst des Mainzer Kurfürsten und trat zur katholischen Kirche über. Die Vermutung liegt nahe, daß Boineburg eine Konversion für opportun hielt, um sich in seiner neuen Position behaupten zu können. Inwiefern Johann Philipp von Schönborn Druck auf ihn ausgeübt hat, läßt sich nicht feststellen. Boineburg wurde zum Oberhofmarschall und ersten Minister des Kurfürstentums ernannt und hatte an dem Zustandekommen des Rheinbundes regen Anteil. Sein Höhenflug kam 1664 zu einem abrupten Ende. Ein schwerer Konflikt mit dem Kurfürsten über den politischen Kurs führte zu Boineburgs Verhaftung. Zwar wurde er nach sechs Monaten wieder freigelassen, doch als Lenker der Mainzer Staatsgeschäfte hatte er seine Rolle ausgespielt.

Für die Geschichte der Irenik ist Boineburg vor allem wegen seines Briefwechsels mit Hermann Conring, seinem früheren Professor aus Helmstedt, von Bedeutung. Ihre Korrespondenz ist eine einzigartige Quelle, die über 400 Briefe umfaßt und erst mit dem Tode Boineburgs im Jahre 1672 endete. Sie berührt Themen wie die kirchliche Reunion, die päpstliche Primatslehre und die Mainzer Bibeledition aus dem Jahre 1662. [15] Conring empfand die Primatslehre als eine Tyrannei, die eine Rückkehr der Protestanten unter die Obhut des Papstes unmöglich machte. Den Kult der katholischen Kirche verurteilte er als eine Idolatrie. Boineburg erwiderte, der Apostolische Stuhl garantiere die Einheit der Christen. Er teilte allerdings die Vorbehalte Conrings gegenüber den Machtansprüchen der Kurie. Sein Vorschlag, ein Religionsgespräch zwischen Vertretern der Helmstedter Universität und dem Mainzer Domkapitel abzuhalten, hatte keine konkreten Folgen.

Parallel zu den Bemühungen Boineburgs, seine Verbindungen nach Helmstedt für die Idee der Wiedervereinigung auszunutzen, unternahm der Mainzer Weihbischof Peter von Walenburch Schritte, die der konfessionellen Trennung im Erzstift ein Ende bereiten sollten. Während einer Visitationsreise im Sommer 1660 führte er Gespräche mit Mitgliedern der protestantischen Gemeinde in Frankfurt am Main über eine Rückkehr zur katholischen Kirche. Die Protestanten erklärten, dazu bereit zu sein, wenn man ihnen die Laienkommunion sub utraque specie gestatten würde. Da nur der Papst in dieser Frage eine Entscheidung treffen konnte, schickte Johann Philipp von Schönborn einen Diplomaten nach Rom mit der Bitte, den Frankfurter Protestanten ihre Forderung zu gewähren. Der Mainzer Vorstoß wurde jedoch von einem Schreiben durchkreuzt, das im Herbst 1660 auftauchte und als sogenannter "Mainzer Unionsplan" bekannt geworden ist. Das Schriftstück, das achtzehn Artikel enthält, befürwortet eine Union zwischen Katholiken und Lutheranern und eine Reform der Kirche. Der Laienkelch und die Priesterehe sollen gestattet werden. Dagegen werden der päpstliche Primat und die Ohrenbeichte abgelehnt. Eine Kommission von 24 Personen soll die Reformen in die Wege leiten. Zum Schluß verlangt das Schreiben, daß die Reformierten von den Vereinbarungen ausgeschlossen werden, "weil sie in der Gnadenwahl, im h. Abendtmahl und der Person Christi halben hefftig irren". [16]

Der Plan erregte großes Aufsehen und führte zu Spekulationen über die Frage, wer der Verfasser war. In Kreisen der römischen Kurie wurden Stimmen laut, die Johann Philipp von Schönborn als den Drahtzieher des Plans und Boineburg als seinen Verfasser nannten. Die Verdächtigungen hatten zur Folge, daß der Papst in der Frage des Laienkelches der Mainzer Bitte eine Absage erteilte. Von Mainzer Seite hat nur der Konvertit Timotheus Laubenberger, der zum Umkreis des Kurfürsten gehörte, öffentlich auf den Unionsplan reagiert. In seiner "Religions-Union" (1662) distanzierte er sich von dem Projekt; zugleich zeigte er aber sein Einverständnis für Forderungen wie den Laienkelch, die Priesterehe und den Gottesdienst in der Landessprache. Die Schrift erschien mit dem Imprimatur des Mainzer Bücherzensors Adolph Gottfried Volusius und darf deshalb als die offiziöse Stellungnahme der Mainzer Regierung zu dem Unionsplan betrachtet werden.

Die Blütezeit der Mainzer Irenik fand mit dem Sturz Boineburgs ein jähes Ende. Seine Entmachtung wirkte sich wie lähmend auf die anderen Ireniker aus. Der Gedanke der Wiedervereinigung wurde aber einige Jahrzehnte später wieder aufgegriffen, als Cristobal de Rojas y Spinola im Auftrag des Kaisers versuchte, die protestantischen Fürsten Deutschlands für eine Union zu gewinnen. An den Gesprächen, die stattfanden, beteiligte sich auch Gottfried Wilhelm Leibniz, der während seiner Mainzer Jahre von Boineburg protegiert worden war.

Das Ringen um die Einheit der Kirche ist im 17. Jahrhundert schließlich an der Frage des päpstlichen Primats gescheitert. Obwohl Ireniker wie Hugo Grotius und Georg Calixt sich intensiv um eine Verständigung zwischen den Konfessionen bemühten, lehnten sie eine Unterwerfung ihrer Kirchen unter die Autorität des Papstes ab. Weder der Jurisdiktionsprimat noch die Infallibilitätslehre, die katholische Theologen propagierten, waren für sie tragbar. Statt dessen forderten sie eine Kirche, die sich an altchristlichen Strukturen orientierte. Dies hätte faktisch eine Entmachtung des Papsttums bedeutet und war deshalb für die Mehrheit der Katholiken nicht akzeptabel. Erst die Erkenntnis, daß alle Versuche zu einer kirchlichen Wiedervereinigung zum Scheitern verurteilt waren, ebnete den Weg für die Verbreitung der Toleranz in der europäischen Gesellschaft der frühen Neuzeit.

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ANMERKUNGEN

1.Vgl. Erasmus 1986, S. 247-313. Für den Inhalt der Schrift und die Hintergründe ihrer Veröffentlichung vgl. Augustijn 1986, S. 159f.
2.Erasmus 1986, S. 303: "Nondum eo processit hoc morbi, ut sit immedicabile."
3.Den Begriff Toleranz definiere ich in dem Kontext dieses Beitrags als die Duldung unterschiedlicher Glaubensauffassungen und Kultformen durch die Obrigkeit. Vgl. auch Turchetti 1991. Zu Unrecht stellt Turchetti Concordia mit kirchlicher Einheit gleich. Die Concordia oder Eintracht war das erklärte Ziel der Ireniker, das sich entweder durch kirchliche Einheit oder durch Toleranz erreichen ließ.
4.Als einführende Literatur in die Geschichte der Irenik und Toleranz während der frühen Neuzeit ist zu berücksichtigen: Lutz 1977; Grell/Scribner 1996. Beide Werke enthalten eine kritische Bewertung der älteren Forschungsliteratur.
5.Das Gutachten des Georg Witzel sollte jedoch 1650 von Hermann Conring als "Via Regia sive De controversis religionis capitibus conciliandis sententia" herausgegeben werden. Cassanders "Consultatio" erschien 1642 in Hugo Grotius' "Via ad pacem ecclesiasticam".
6.Vgl. Castellio 1554. Castellio bezieht sich auf die Weisung Christi in Mt 13,29-30, das Unkraut nicht auszureißen, sondern zusammen mit dem Weizen bis zur Ernte stehen zu lassen. Vgl. auch Guggisberg 1997. Nicht alle niederländischen Ireniker vertraten die gleiche Auffassung wie Castellio; Justus Lipsius z.B. beharrte auf dem Recht der Obrigkeit, die Ketzer verfolgen zu lassen.
7.Der "Meletius" galt lange Zeit als verschollen, bis er von dem Leidener Kirchenhistoriker Guillaume Posthumus Meyjes wiedergefunden und veröffentlicht wurde. Vgl. Grotius 1988.
8.Repgen 1965, S. 372-377.
9.Vgl. Warmbrunn 1983.
10.Die Behauptung Hermann Schüsslers, Calixt habe die kirchliche Wiedervereinigung angestrebt, sollte relativiert werden. Calixt spricht in seinen Schriften ausschließlich von "concordia" (Eintracht). Die Wiedervereinigung hat er weder abgelehnt noch propagiert. Vgl. Schüssler 1961. In diesem Werk befindet sich ein ausführliches Verzeichnis der Schriften Calixts.
11.Vgl. Mager 1981; Jacobi 1895.
12.Vgl. Christ 1973; Reinhardt 1989.
13.Vgl. Jürgensmeier 1977. Johann Philipp von Schönborn wurde 1642 zum Bischof von Würzburg, 1647 zum Erzbischof von Mainz und 1663 zum Bischof von Worms gewählt.
14.Vgl. Laubenberger 1671, S. 56. Laubenberger, ein ehemaliger evangelischer Diakon, war 1659 zur katholischen Kirche übergetreten und setzte sich seitdem in Schriften für die Wiedervereinigung der christlichen Konfessionen ein. In seinem Traktat würdigt er die finanzielle Hilfe, die der Mainzer Erzbischof ihm und seiner Familie schon seit vielen Jahren gewährt. Vgl. auch Veit 1917.
15.Der Briefwechsel zwischen Boineburg und Conring ist 1745 von Johann Daniel Gruber veröffentlicht worden. Vgl. Gruber 1745.
16.Vgl. Brück 1958ff., S. 152f. Diese Äußerung läßt vermuten, daß das anonyme Schriftstück von einem Lutheraner verfaßt worden ist.

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