JEAN MEYER Der andere Dreißigjährige Krieg oder Von der Natur des Krieges Frankreich im Dreißigjährigen Krieg |
Der Westfälische Friede ist in diesem Kontext nur ein sehr begrenzter Friedensvertrag, da er sich vor allem auf Kontinentaleuropa bezieht, das Heilige Römische Reich und den Süden der Ostsee umfaßt. Der Konflikt zwischen der Krone Frankreich und dem Haus Habsburg dagegen, fortgeführt als französisch-spanischer Krieg, endete erst elf Jahre später mit dem Pyrenäenfrieden (1659). Zur gleichen Zeit wurde im Ostseeraum erneut gekämpft - mit massiver Einflußnahme der an einem ungehinderten Sundzugang interessierten niederländischen Republik, die im dänisch-schwedischen Krieg (1643-1645) Schweden unterstützte, in der folgenden Auseinandersetzung dieser beiden Staaten (1657-1660) dagegen Dänemark. Die entscheidenden Kämpfe aber waren die drei englisch-holländischen Kriege (1652-1654, 1665-1667, 1672-1674). Denn diese waren keine Unabhängigkeitskriege mehr, sondern weitestgehend Handelskriege, die sich auf die Gesamtheit der europäischen Märkte auswirkten.
Die französische Wirtschaft und der Dreißigjährige Krieg
Bei näherer Betrachtung stellt man fest, daß der Hollandkrieg (1672-1678) eine Umkehrung der Fronten bewirkt. Frankreich, das sich von nun an mit den englischen und holländischen Seestreitkräften messen muß, läßt sich, gestärkt durch seine Neuerwerbungen, unter der Führung Vaubans und Condés in eine "Reunions"-Politik hineinziehen, eine Politik des "pré carré" [d.h. das Königreich Frankreich in seinen geographischen Grenzen, Anm. d. Übers.], die in Wahrheit zunächst nur darauf abzielt, eine zusammenhängende Verteidigungs- bzw. Angriffslinie zu schaffen. Dabei ist der wirtschaftliche Kontext all dieser Ereignisse von Bedeutung: Frankreich kauft fast alle seine Waffen im Ausland, insbesondere die schweren Waffen. Die technische Ausstattung der französischen Armeen galt lange Zeit zu Recht als ausgesprochen veraltet. So schätzen auch die deutschen Enzyklopädien der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Qualität der französischen Armeen recht gering ein, wobei die Bewertung nach 1680 weniger kritisch wird. [2] Aus diesem Grunde bemüht man sich um die Modernisierung der französischen Metallurgie. Diese Entwicklung wird zum Teil durch die Bedürfnisse des Krieges von 1635 bis 1659 bestimmt. Vorteile bringt sie den armen und waldreichen Regionen, den Besitztümern des Hochadels. Erst mit der verzweifelten Anstrengung Colberts wird Frankreich im Bereich der Waffenproduktion unabhängig und dann sogar allmählich Exportland. Zugleich bewirkt der Krieg die Entstehung eines Stabes von Militäringenieuren: Der italienische Einfluß ist dabei beträchtlich. [3] Diese neuen Techniken bleiben natürlich nicht ohne Einfluß auf die Wirtschaft: Der Bau von Festungen und Arsenalen läßt große Kapitalmengen in die Randgebiete strömen, wovon besonders die am stärksten zerstörten und ärmsten Grenzgebiete profitieren (mit Ausnahme des Elsaß und der Franche-Comté).
Die französische Wirtschaftsbilanz des Dreißigjährigen Krieges
Hinter dieser Zone von Zerstörungen und abnehmender Bevölkerungsrate gelingt es allerdings, eine Kommunikationsader zu erhalten, die ebenso bedeutend wie unbekannt ist: die Verbindungslinie Lyon - Troyes - Niederlande. Es scheint, als ob die unsichere Lage im Gebiet Elsaß/Lothringen/Champagne diese Route begünstigt habe und sogar einen gewissen Aufschwung der Stadt Lyon bewirkt habe. Die Rhônestadt bleibt ein mächtiges Finanzzentrum, bietet sie mit ihrer Lage doch eine doppelte Alternative: einerseits über Savoyen nach Italien und andererseits nach Genf und in die Schweiz. So kann man das Hindernis des oben genannten "roten Gürtels" südlich umgehen.
Der Westen Frankreichs mit seinen verschiedenartigen Komponenten und die Mittelmeerküste bilden dazu einen recht klaren Kontrast. Und dies trotz des französisch-spanischen Krieges. Das Beispiel Saint-Malo macht dies deutlich. Sofern man die Geschichte dieser Stadt nachvollziehen kann, erkennt man eine deutliche Entwicklungskurve: ein starker Anstieg während der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, ein wenig gebremst durch eine Phase eingeschränkter Unabhängigkeit im Zusammenhang der Auseinandersetzung zwischen Heinrich IV. und der Liga; dann - bis ca. 1650 - eine gleichbleibend stabile horizontale Bewegung der Kurve, die einer Phase der Konsolidierung und Orientierung entspricht, und schließlich von 1650 bis 1688 ein starker Aufschwung, der von den Kriegen gegen Ende der Herrschaft Ludwigs XIV. aufgehalten wird. Nun ist aber der Handel von Saint-Malo der Stützpfeiler des Handelsverkehrs mit Sevilla [6]: Der Krieg hat also den Handel mit Spanien noch nicht einmal vermindert. Gleiches gilt für die Kontakte des Poitou mit der iberischen Halbinsel: Das Poitou exportiert in großem Maße Getreide (wie auch das Morbihan) und mehr noch Maulesel. Wir haben es folglich mit einer Zahl von mehr oder weniger voneinander unabhängigen Märkten zu tun, die sich an ihren Rändern überlappen. Statt von "Weltmarkt" (F. Braudel und Wallerstein) sollte man eher von Handelsräumen mit je nach Produkt wechselnder Geographie sprechen.
Insgesamt unterbricht der Krieg in keinster Weise den Export der wichtigsten landwirtschaftlichen Produkte Westfrankreichs, wie groß das Unglück auch sein mag, das die einzelnen Landstriche erleiden müssen. Aber Frankreich ist ein größtenteils "passives" Exportland: Seine Reeder (soweit man von solchen überhaupt sprechen kann) entstammen dem niederen oder mittleren Bürgertum und verfügen über nur begrenzte finanzielle Mittel. Die Häfen mit regem Verkehr liegen nicht notwendig an Flußmündungen wie Nantes oder Bordeaux (Le Havre ist noch eine sehr kleine Stadt). Rouen bildet den Hafen der Hauptstadt, litt aber sehr unter den Religionskriegen. Die Häfen, die wohl den größten Schiffsverkehr aufweisen und die ihre eigenen Flottenverbände mit gewaltigen Schiffen ausstatten, sind Dieppe, Honfleur, Grandville, Saint-Malo und La Rochelle sowie das diesem angegliederte Royan. [7] Es genügt ein Blick auf die Landkarte, um festzustellen, wie weit diese Häfen vom Zentrum entfernt sind und daß sie kein ausreichendes Hinterland besitzen. Außerdem weisen sie nur eine geringe Wassertiefe auf und sind folglich mehr oder weniger ungeeignet, den Erfordernissen eines größeren Handelsverkehrs nachzukommen. Schlimmer noch: Die einzigen gewichtsmäßig bedeutenden Waren sind Salz, Wein und Getreide. Diese Produkte aber weisen beträchtliche Nachteile auf: Die Getreideernten unterliegen starken Schwankungen, der Export ist also - gerade bei Teuerung und Hungersnöten - äußerst unregelmäßig und die Preise, und somit der Gewinn, schwankend. Was das Salz angeht, so sind die Wachstumsraten beschränkt und aufgrund der hohen Besteuerung begrenzt. Gleiches gilt für den Wein, dessen durchschnittliche Produktionsmenge bei Berücksichtigung der jährlichen Schwankungen während des ganzen ancien régime konstant bleibt. Der große Exportmarkt Frankreich - insbesondere Westfrankreich - bietet also nur Waren mit beschränkten Entwicklungsmöglichkeiten, wobei der Preis der einen zu gering, der anderen zu schwankend ist, als daß man mit einer gleichbleibenden Rentabilität rechnen könnte.
1582 besitzt England mehr als 55 Schiffe mit mehr als 100 t und 18 mit mehr als 200 t, 1629 sind es jeweils 178 und 145. Die gesamte Ladekapazität ist in der Zwischenzeit von 67.000 t auf 115.000 t gestiegen. [8] Davon ist man in Frankreich weit entfernt. Der Großteil der französischen Handelsflotte befindet sich noch in einer Vielzahl kleiner Häfen und ist überall entlang der Flüsse und der bretonischen Küste verstreut. Die "Reeder" dieser Häfen sind kleine Kaufleute, deren Flottenverbände an Zahl und Stauraum bescheiden sind. Die Auswirkungen des Westfälischen Friedens auf diese Wirtschaftsstruktur müssen beträchtlich gewesen sein. Er befreit nämlich die holländische Handelsflotte von allen kriegsbedingten Verpflichtungen. Der Aufschwung führt zu einer verstärkten Handelstätigkeit der Holländer auf der Ostsee, im Mittelmeer und an der Westküste Frankreichs. Seit 1640 wirken die Kaufleute von Nantes auf die Berater des Königs ein: Sie wollen erreichen, daß Schutzmaßnahmen gegen die holländische Vorherrschaft getroffen werden. In Nantes (und wahrscheinlich auch in den anderen französischen Hafenstädten, mit Ausnahme von Saint-Malo) gehören die holländischen Kommissionäre zur Oberschicht. Sie sind dauerhaft ansässig, kontrollieren den gesamten Warenverkehr des Loire-Hafens und kaufen das noch grüne Getreide direkt bei den Erzeugern auf. Sie umgehen das ganze einheimische Handelsnetz, indem sie ihre holländischen Produkte direkt an die Verbraucher verkaufen und deren Produktion direkt aufkaufen. Erleichtert wird ihnen dies durch die konstant niedrigen niederländischen Frachtpreise. So setzen sie die Preise nach ihrem Gutdünken fest. Diese Kaufleute sollen im übrigen besonders arrogant gewesen sein, und ein Beschwerdebrief zitiert einen ihrer Leitsprüche: "Die Griechen - d.h. die Franzosen - kennen sich im Handel nicht aus" (Originalzitat holländisch). [9] Es handelt sich um eine Minderheit, deren ökonomisches Gewicht ihre zahlenmäßige Bedeutung bei weitem übertrifft. [10] Und dies in einer sehr katholischen Stadt - man stelle sich ihre Rolle in La Rochelle vor 1627 vor. Denn eher als Nantes oder Bordeaux, ja sogar noch vor Marseille, hatte das große Handelskapital La Rochelle zu seinem Sitz gewählt. Richelieu profitiert schließlich vom Krieg zwischen Spanien und den nördlichen Niederlanden, der 1621 wieder aufgenommen wurde. Da der holländische Handel und das Militär nun anderweitig beschäftigt waren, mußte England die Protestanten von La Rochelle ganz allein unterstützen. Die Macht La Rochelles zeigt sich jedoch darin, daß die Stadt 1622 in der Lage ist, in einer unentschiedenen Seeschlacht (Schlacht bei der Ile de Ré) einem königlichen Geschwader Widerstand zu leisten. Allerdings besteht dieses aus Galeeren (aus dem Mittelmeer) und bewaffneten Handelsschiffen. Eine ähnliche Schlacht ereignet sich 1625 vor Lorient, wo die Flotte La Rochelles sogar sechs königliche Schiffe in ihre Gewalt bringt. Erst im September 1625 erleiden die Protestanten ihre erste Niederlage. Die "französische" Flotte setzt sich jedoch aus englischen und holländischen Schiffen zusammen, die sie von diesen zwei Mächten "ausgeliehen" hatte. Die politische Verflechtung ist folglich sehr komplex und wechselhaft. Die Schlacht endet mit dem Rückzug der englischen und holländischen Schiffe. Der Seehandel (und folglich indirekt der Flußhandel der ganzen französischen Atlantik- und Ärmelkanalküste östlich einer Linie von den Hochebenen Burgunds bis zu den Cevennen) aber bleibt trotz der Einnahme La Rochelles durch Richelieu größtenteils unter der Kontrolle Hollands und in geringerem Maße unter derjenigen Englands. Er spaltet sich jedoch in zwei Bereiche auf: 1. Die Flußhäfen (d.h. an Mündungen), wo dieser Einfluß am stärksten ist, und 2. die Hafenstädte vom Typ Saint-Malo oder La Rochelle, die man zum Teil mit einem gewiß ungenauen, aber erhellenden Terminus als "Seerepubliken" bezeichnete. Sie verfügen nämlich über eine unbestreitbare Autonomie und betreiben bisweilen eine eigenständige Außenpolitik. Erst die Einnahme La Rochelles beendet diese Teilautonomie. Voraussetzung dieser Situation war die Schwäche der französischen Zentralmacht und die Möglichkeit eines politischen Taktierens im Seehandel zwischen Spanien, Holland und England. Es ist möglich, daß der französische Außenhandel von 1650 an einen erneuten Aufschwung erlebt: Indiz dafür ist die Erhöhung verschiedener Hafensteuern. Da auch die Untersuchung Colberts aus dem Jahre 1664 die Existenz einer Flotte von ca. 150.000-180.000 t feststellt [12], ist es wahrscheinlich, daß - bei der damaligen, ca. 15-18 Jahre langen Nutzbarkeit eines Handelsschiffes - ein Großteil dieser Flotte zwischen 1640 und 1664 gebaut worden sein muß (sei es durch die Renovierung älterer Schiffe oder als Neubauten). 1688 übersteigt diese Zahl 200.000 t, während die Ladekapazität englischer Schiffe bei 340.000 t liegt.
Man kann aus diesen Feststellungen einige allgemeine Schlußfolgerungen ziehen: Die feindselige Haltung gegenüber Holland ist kein spezifisch französisches Phänomen. Angst und Neid gegenüber dem beherrschenden Land sind von der Ostsee bis Spanien weit verbreitet (der Kampf zwischen englischer und holländischer Wirtschaft war dabei zwischen 1648 und 1652 besonders hart). Möglicherweise sind es die Atlantikhäfen, die Colbert zu seiner feindseligen Haltung bewegten: Es ist bekannt, daß einige der Vertrauten Colberts aus Nantes stammten (Savary). Was Colberts Berechnung betrifft, ist sie im Kontext der Epoche äußerst wahrscheinlich. Die quantitative Unterlegenheit der französischen Handelsflotte gegenüber der englischen ließ sich, so schien es, durchaus ausgleichen, da der Abstand nicht so groß war. Der Abstand zur holländischen Handelsflotte war dagegen in absehbarer Zeit nicht ausgleichbar. Colbert gibt im übrigen die strukturelle Schwäche des französischen Handels offen zu: Die Kosten des holländischen Schiffsbaus seien viel niedriger als die des französischen (und selbst des englischen). Die Zölle auf holländische Produkte waren daher ausdrücklich dazu bestimmt, ein Gleichgewicht zwischen den französischen Reedern und ihren niederländischen Konkurrenten zu fördern. Es ist übrigens bezeichnend, daß Colbert einer möglichen holländischen Reaktion ruhig entgegensah: Er war der Überzeugung, der französisch-holländische Handel wäre für Holland kein Grund, einen Krieg zu beginnen oder in Kauf zu nehmen. Wichtiger noch: Das Beispiel Englands regte zur Nachahmung an. Ganz Europa war von der englischen Politik beeindruckt, wirtschaftliche Schwächen durch die massive Präsenz einer großen Kriegsmarine auszugleichen. [12]
In den Kreisen der französischen Wirtschaft aber war man Holland keineswegs durchweg feindlich gesonnen. So ahnt man, welche Auffassung in La Rochelle vorherrschte, auch wenn die Politik des Königs alles dafür tat, die katholischen Reeder zu begünstigen. Die Meinung in den großen Hafenstädten jedoch wurde von den kaufmännischen Milieus des Binnenlandes nicht geteilt. Kurzwarenhändler aus Paris, königliche Steuerpächter wie auch die Händler entlang der großen französischen Verbindungslinien von Nord nach Süd verhielten sich mehr als reserviert. Denn wenn Frankreich auch den größten landwirtschaftlichen Markt Europas darstellt, so ist Holland der größte Produzent und Vertreiber aller Produkte für die "höheren" Gesellschaftsschichten. Noch läßt sich schlecht abschätzen, welch beträchtlichen Aufschwung diese neue Kategorie von Luxuskunden - die im übrigen sehr heterogen war - im Frankreich der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts erfahren hat. Diese Feststellung überrascht jedoch in der Tat vor dem Hintergrund eines nicht enden wollenden Krieges.
Die Hauptstadt Paris
Die Metropole im Herzen des Pariser Beckens läßt in ihrer Umgebung eine moderne, kapitalistische und sehr leistungsstarke Landwirtschaft entstehen. [13] Selbstverständlich spielen die natürlichen Gegebenheiten hierbei eine Rolle: Die Lößböden der Beauce und des Brie, des Valois und der Ile de France zählen zu den fruchtbarsten Frankreichs. Hier arbeiten Pächter, die "nur" über ihr Gespann und ihr Handwerkszeug verfügen, und Großgrundbesitzer, die die Bewirtschaftung ihrer Ländereien genau überwachen. Die Landschaft wird davon für lange Zeit geprägt: Die Familien der großen Höfe beginnen zu Anfang des 17. Jahrhunderts ihren sozialen Aufstieg, der sich über mehrere Jahrhunderte hinziehen wird. Ein unsicherer Wohlstand in einer unsicheren Zeit: Die Wirren der Bürgerkriege, vor allem der Fronde, die Einfälle lothringischer Truppen 1652 und die "Schäden", die durch marodierende Truppen entstehen, ziehen die Umgebung von Paris stark in Mitleidenschaft. In den Tälern von Marne und Seine drängen sich die Bauerndörfer dicht aneinander, und an den Hängen der Täler betreibt man einen vielseitigen Weinbau, ein Gürtel der Milch- und Gemüseproduktion umgibt Paris zusätzlich. Diese Landwirtschaft ist vielseitig und einträglich.
Bezüglich der Baustoffe besitzt Paris einen doppelten Vorteil: Im Untergrund der Stadt befinden sich die verschiedenartigsten Gesteinssorten - man muß also nicht in weiter Ferne danach suchen. Allerdings wird der seit gallo-römischer Zeit genutzte Untergrund allmählich zu einer Art Emmentaler. Zweiter Vorteil: Gips ist im Überfluß vorhanden. Und schließlich werden auf Seine und Marne die Warenströme herangeführt. Seit dem 16. Jahrhundert wurde die Seine stark begradigt: Mit Flutbecken kann man künstliches Hochwasser erzeugen und so die Schiffe sicher durch Engpässe und schwer passierbare, quer verlaufende Deiche hindurchmanövrieren. Die große Innovation des vorhergehenden Jahrhunderts war der Ausbau des Flusses für die großen Holzfrachten, die hauptsächlich aus dem Morvan kamen. Flußaufwärts vom Herzen der Stadt Paris verwandeln sich die beiden Ufer des Flusses, vor allem im größten Elendsviertel Saint Marcel, in gigantische Anhäufungen von Holzstapeln verschiedenster Art: Bauholz für die Dächer, schwere Pfähle, die man im Akkord in den Schlamm des Hauptbettes der Seine gerammt hat oder als Stützen für die großen Brücken bestimmt waren, die buchstäblich auf einem Wald aus Pfeilern ruhten; Brennholz schließlich, denn das Treideln der Holzflöße erleichterte das Heizen in der Stadt. [14] Paris riecht nach verbranntem Holz, während London mit Steinkohle heizt.
Mit Blick auf eine mögliche Belagerung Paris' durch von Norden heranströmende spanische Truppen (von Corbie her), die die Landgebiete im Osten von Paris bis zur Marne ausraubten, hat Richelieu 1636 ausrechnen lassen, wieviel die Pariser Bevölkerung zum Leben braucht. Daraus folgt, daß diese im Vergleich mit den Einwohnern anderer großer europäischer Städte (mit Ausnahme von London, Konstantinopel und möglicherweise Amsterdam) besonders privilegiert ist. Der durchschnittliche Pro-Kopf-Verbrauch von Fleisch aller Art überschreitet die 50kg-Marke, und die übrigen Zahlen sind entsprechend, was jedoch nicht die enormen Unterschiede des Lebensstandards verwischt. Das Viertel Faubourg Saint-Antoine hatte schon seit Ludwig XI. verschiedene Privilegien, die unter Ludwig XIII. und Richelieu garantiert und erweitert wurden. Im wesentlichen handelt es sich dabei um eine vollkommene Berufsfreiheit, die auf die engen Vorschriften der Pariser Zünfte keinerlei Rücksicht nehmen muß. So erklärt sich der innovative Charakter der handwerklichen Produkte dieser Vorstadt, in der ein Teil der Bevölkerung aus Kriegsflüchtlingen besteht, die vornehmlich aus der oben beschriebenen "roten Zone" stammen. Kunden dieser Betriebe sind neben dem Hof die wohlhabende und sehr heterogene Gruppe des Hofadels, Parlamentarier und hohe Würdenträger, schließlich auch das Bürgertum unterschiedlichster Herkunft. Dadurch, daß diese Klientel sich durch oder für den Krieg bereichern, können sie genauestens den immer schneller wechselnden Moden folgen. Man muß nur das gesteigerte Bild der französischen Künste, der Malerei und Architektur, betrachten, um den Zustrom immenser Reichtümer in die Hauptstadt zu erkennen. Dies ist die glorreiche Zeit der großen Kirchenbauten der Gegenreformation, der edlen Pariser "Hôtels" und - mit mehr Unterbrechungen und je nach Finanzlage - der Bauten des Königs. Mäzene und Sammler werden zahlreicher, und Paris wird ein großes Kunstzentrum, das ausländische Künstler, vor allem aus den Niederlanden, anzieht. So verwandeln sich die für den Krieg bedingten Steuern teilweise in "Schönheit". Die Abgaben der Landbevölkerung werden auf Armeen und Hauptstadt umverteilt. Als Konsequenz markieren, wie man weiß, große Volksaufstände das halbe Jahrhundert, die erst sehr langsam mit den Anfängen der Herrschaft Ludwigs XIV. aufhören. [15]
Auswirkungen auf die Bevölkerung
Die Steuererhöhungen wirken in einer Zeit der Mißernten besonders hart, und die Truppen schleppen Epidemien ein. Mit ihrem Durchzug kommt es auch zur Zerstörung der Vorräte, die Aussaat wird verhindert, Hungersnöte sind die Folge. So bildet sich ein schrecklicher Kreislauf, ein wahrer circulus vitiosus, eine Spirale nach unten. Die demographische Situation, die ein wesentlicher Faktor staatlichen und wirtschaftlichen Lebens ist, ist von Region zu Region deutlich verschieden. Die Geburtenraten zeigen im Westen eine Tendenz zur Steigerung, die bis um das Jahr 1640 über dem nationalen Durchschnitt liegt. Anderswo hat sie sich stabilisiert oder nimmt mehr oder weniger deutlich ab - je nach Kriegslage. Mit der Endphase der Religionskriege geht ein Absinken der klimatischen und demographischen Kurve einher, das besonders in den Jahren zwischen 1580 und 1600 erschreckende Formen annimmt. Allerdings führt der Bevölkerungsrückgang nicht nur dazu, daß die mäßig ertragreichen Gebiete verlassen werden und man sich den fruchtbarsten Feldern zuwendet, sondern auch - früher oder später - zu einem letztlich ausgleichenden Wiederanstieg der Bevölkerung. Und dies um so mehr, als auf den verlassenen Flächen nun Viehherden weiden. Die Ernährungslage verbessert sich, die Löhne steigen, da Arbeit im Überfluß vorhanden, Arbeiter aber knapp sind: Voraussetzung für einen Wiederaufschwung, der nach einiger Zeit wieder von selbst zurückgeht.
Dieses Muster kann man vor allem in den Gebieten beobachten, die über eine große Menge wenig ergiebiger Felder verfügen (also hauptsächlich Süd- und Zentralfrankreich). Die Krise der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ist dramatisch, aber glücklicherweise erreicht sie trotz des Krieges und seines Elends nicht das gleiche Ausmaß wie im 14. Jahrhundert. Es könnte sogar sein, daß der Bevölkerungshöchststand noch etwas über dem des ausgehenden Mittelalters liegt.
Einerseits lassen Krieg, verschärfte Steuererhebungen und Epidemien allmählich den Umfang der landwirtschaftlichen Produktion wie auch der Bevölkerung allmählich absinken. Andererseits aber findet der Bauernstand (und mit ihm die Lehnsherren, die direkt an der Steigerung der Bevölkerungsrate interessiert sind) neue Kraft, um die Auswirkungen dieser negativen Faktoren zu beschränken.
Ostfrankreich wird durch die Verwüstungen zur Hälfte entvölkert, jedoch ohne daß dabei das Ausmaß der Verheerungen Mitteleuropas erreicht wird. Dies bedeutet allerdings nicht, daß auch jeglicher Handel verschwunden ist: Die aus den Plünderungen stammenden Waren müssen wieder irgendwo Absatz finden, um den Plünderern selbst einen, wenn auch geringen Gewinn zu bringen. Die großen Handelsadern sind intakt geblieben, vor allem diejenigen von Süden nach Norden über die Alpen. Auf dieser Route wird das Geld transportiert, das die spanischen Truppen in den südlichen Niederlanden unbedingt benötigen, und hier marschieren die italienischen Hilfstruppen nach Norden, die die Truppenstärke von 18.000 Mann in den "spanischen" Tercios [Span. Elitetruppe, Anm. d. Übers.] aufrechterhalten sollen. [16] Die große spanische Kontinentalroute wurde im Laufe des Krieges immer mehr nach Richtung Osten verschoben (Lothringen, Rheingebiet). Ebenso erhält sich die oben erwähnte französische Nord-Süd-Route, die das Rhône-Tal nutzt, bei Lyon die Wegkreuzung nach Savoyen über Turin aufnimmt und sich dann gabelt: nach Norden über Troyes nach Brüssel, und über die Seine (z.T. über die Loire zwischen Nevers und Orleans) nach Paris.
Der Kontrast zwischen dem Zusammenbruch von Agrarwirtschaft und Handel in Mitteleuropa und Ostfrankreich und dem Aufschwung der englischen Seewirtschaft ist besonders groß. Das Wachstum der englischen Handelsflotte in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ist beträchtlich. Trotz einiger Schwierigkeiten - und obwohl Absatzmärkte an Ostsee und Atlantikküste an England verlorengegangen waren - gedeiht auch der holländische Seehandel, namentlich dank des Aufschwungs der V.O.C., die Gewinne erzielt, die sie später nie wieder erreichen wird. Der latente englisch-holländische Konflikt bleibt bis 1648 unterdrückt, da die Niederlande sich auf die Auseinandersetzung mit Spanien konzentrieren. Durch diese Konkurrenz kann sich in der Zwischenzeit in den von den beiden Hauptprotagonisten zurückgelassenen Marktlücken die französische Handelsflotte entwickeln und halten. Sie bringt sogar den Verkehr mit den karibischen Inseln in Gang: Fouquet beginnt mit diesem Unternehmen, und Colbert zieht Mazarin hinein. So sieht man, wie der Dreißigjährige Krieg den beträchtlichen englischen Machtzuwachs überlagert und somit Frankreich - oder genauer gesagt den französischen Küstenstädten - die Möglichkeit gibt, sich geschickt und rechtzeitig zurückzuziehen.
Darüber hinaus zeichnen sich die beiden geographischen Aspekte der französischen Politik deutlich ab: der Landweg, bei weitem der wichtigste Aspekt, und der Wasserweg, den der Staat so oft wie möglich dem Privatwesen überläßt. Es ist erhellend, daß sich Richelieu auf den Bau einer Kriegsflotte nur eingelassen hat, weil er durch die Notwendigkeit des Kampfes gegen Spanien dazu gezwungen war. In seinem Testament beschreibt Richelieu anschaulich die Notwendigkeit und Bedeutung von Linienschiffen, betont aber zugleich ausdrücklich und fast ausschließlich den Bedarf an Galeeren. Dies wurde bisher so nicht erkannt. Mehr noch, diese lang und breit dargelegte Ansicht befindet sich in deutlichem Widerspruch zu den Fakten. Dafür gibt es verschiedene Erklärungen: 1. Das erklärte Ziel ist es, den Strom von Silbergeld (und Krediten), den die spanischen Galeeren von Barcelona nach Genua transportieren, zu unterbrechen. Diesen Transport wagen die spanischen Geschwader und Schiffe immer seltener auf dem Ärmelkanal. 2. Für die politisch Verantwortlichen bleiben Stoffe aus dem Languedoc der Hauptexportartikel Frankreichs. Stoffe aber gehören zu jener Kategorie von Produkten geringen Volumens und hohen Wertes: Ihr Transport erfordert keine große Ladekapazität (und folglich keine große Schiffszahl). 3. Galeeren sind wesentlich billiger als Kriegssegelschiffe, die Rekrutierung von Rudersklaven ist relativ einfach und die Anzahl an nötigen Matrosen gering. Daher kollidiert der Personalbedarf der Kriegsmarine nicht mit dem der Handelsflotte. Schließlich 4.: Es vergeht immer einige Zeit zwischen einer Innovation (dem Linienschiff) und der Erkenntnis ihrer Auswirkungen. Daher sind die Geschwader eines Maillé-Brézé bunt zusammengewürfelt: 1646 finden sich in seinem Geschwader, das am 14. Juni in der Schlacht bei der Insel Giglio (bei Ortibello) zum Einsatz kommt, 36 Segelschiffe, darunter umgewandelte Handelsschiffe und 20 Galeeren. Das spanische Geschwader setzt dem 22 Segelschiffe und 30 Galeeren entgegen. Die Schlacht wird nur deshalb eine Niederlage für Frankreich, da der Admiral getötet und hierdurch die Flucht der ganzen Flotte ausgelöst wird.
In diesem Zusammenhang ist auch der Sieg Mazarins über die Fronde in gewisser Weise ein Pyrrhussieg, denn Mazarin ist bis zum Pyrenäenfrieden nicht mehr in der Lage, eine für große, und nicht nur für sporadische Seeschlachten gegen Spanien ausgerüstete Flotte zu unterhalten. Die letzten Attacken französischer Geschwader finden 1652 (Aufhebung der spanischen Blockade von La Rochelle und französischer Versuch, Dünkirchen auch vom Meer her zu blockieren - dies allerdings erfolglos, da die englische Flotte die französische schlägt: 15. September 1652) und schließlich 1655 statt, als neun französische Schiffe vor Barcelona ein spanisches Geschwader in die Flucht schlagen. Dann geschah bis 1659 nichts mehr: 1661 bleiben, neben einigen Galeeren, 18 französische Schiffe, von denen einige, wie z.B. die "Saint Louis", von demselben holländischen Schiffskonstrukteur erbaut worden waren, der in Schweden für den Bau der "Wasa" verantwortlich war. Darüber sollte man jedoch nicht vergessen, daß die finanziellen Anstrengungen Frankreichs sich auf die Stärkung Bodentruppen konzentrierten.
Insgesamt ist die Wirtschafts- und Außenpolitik Ludwigs XIV. viel weniger originell, als immer behauptet wird. Sie entsteht in einer Situation, die teils durch den Dreißigjährigen Krieg, teils durch den Westfälischen Frieden bestimmt wurde. Der Dreißigjährige Krieg machte, indem er einen demographischen und kulturellen Tiefstand in Mitteleuropa erzeugte, den Weg frei für die politische und kulturelle Vorherrschaft Frankreichs unter Ludwig XIV. Was den Westfälischen Frieden angeht, so kann zwar die Tatsache, daß Holland einen Sonderweg ging und den Friedensvertrag mit Spanien unterzeichnete, als Scheitern der französischen Politik gewertet werden. Dennoch war der Vertrag für Frankreich auch ein Erfolg, mußte Spanien doch nun gezwungenermaßen allein gegen Frankreich kämpfen. Der Pyrenäenfriede schließlich wird Colbert die Möglichkeit geben, die Finanzlage deutlich zu verbessern, die Armee auszustatten und die Marine wieder aufzubauen. Langfristig bedeutet das, daß für England die Gefahr nicht mehr aus Holland, sondern aus Frankreich kommt. Als Konsequenz aus dem raschen Machtzuwachs Hollands und später Englands hat sich nunmehr das politische Geschehen nach Nordwesteuropa verlagert.
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