HANNELORE MÜLLER Augsburger Goldschmiedekunst in Kriegszeiten |
Am eindrucksvollsten dokumentiert sich der Aufschwung des Goldschmiedehandwerks in Augsburg in der steigenden Zahl der selbständigen Meister. 1529 waren es 56, kurz vor der Jahrhundertwende 1594 zählte man 200, also fast das Vierfache. [ ]Dieser, im Vergleich zur Gesamtbevölkerung extrem hohe Anteil von Kunsthandwerkern - 1615 lebten in der Stadt 185 Goldschmiede, aber nur 137 Bäcker - war auf den Export angewiesen und von ihm abhängig. [3 ]Es erwies sich daher als unbedingt notwendig, den Silberhandel als eigenständigen Berufszweig anzuerkennen und so die Goldschmiede von zeitaufwendigen auswärtigen Verhandlungen und lästigen Finanzierungsproblemen zu befreien. Als sich Arnold Schanternell zwischen 1579 und 1582 um die Genehmigung zur Führung eines dritten "offenen Ladens" - neben den Silberhandlungen von Bartholme Fesenmair und Matthäus Holzapfel - bemühte, betonte er in seinen Petitionen die offensichtlichen Vorteile für die in der Reichsstadt ansässigen Meister: allein er habe im Auftrag der Goldschmiede Waren im Wert von "viel tausend Gulden" [4] umgesetzt. Daß Schanternell nach der Zurückweisung ein erfolgreiches Unternehmen in Prag eröffnete, das nach seinem Tod (1588) sein Sohn Christoph (gest. 1622) weiterbetrieb, hat sicher die Verbindungen der Augsburger Goldschmiede zum Prager Hof gefördert und gefestigt. Die Tätigkeit der Juweliere und Kunstagenten schuf erst die Grundlagen für den unaufhaltsamen Aufstieg Augsburgs zum beherrschenden und Nürnberg überflügelnden Mittelpunkt der deutschen Goldschmiedekunst. Die Silberhändler besuchten die großen Messen, in Leipzig etwa oder in Frankfurt, sie brachten die Aufträge in die Stadt am Lech. Dank ihrer Kenntnis der heimatlichen Gegebenheiten konnten sie geeignete Handwerker heranziehen und die Zusammenarbeit von Vertretern verschiedener Berufsgruppen an einem Opus steuern, eine Aufgabe, der sich im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts und darüber hinaus mit besonderem Geschick der Augsburger Patrizier Philipp Hainhofer (1578-1647) widmete. [5] Eine Persönlichkeit mit vergleichbaren diplomatischen und organisatorischen Talenten fehlte in Nürnberg.
Aber die Beziehungen des Hauses Habsburg zu den fränkischen Goldschmiede-Künstlern dauerten auch im frühen 17. Jahrhundert fort. Obwohl Rudolf II. damals in Prag eine eigene Hofwerkstatt unterhielt, erwarb er in Nürnberg Spitzenwerke, wie das Trionfi-Lavabo des Christoph Jamnitzer [6], und Hans Petzolt (1551-1633), der mehrere Pokale nach Prag lieferte, führte den Titel eines kaiserlichen "Hofgoldschmieds". [7]
Die Sammelleidenschaft hatte im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts nicht nur den Kaiser erfaßt, viele andere deutsche Fürsten frönten ihr und füllten Schatzkammern. [8] Vor allem die bayerischen Herzöge von Albrecht V. (1550-1579) über Wilhelm V. (1579-1597) bis zu Maximilian I. (1597-1651, seit 1623 Kurfürst) waren begeisterte Bewunderer der Kunst ihrer eigenen Zeit und pflegten enge persönliche Kontakte vor allem zu den Augsburger Kunsthandwerkern. In den Werkstätten von Abraham Lotter und Ulrich Eberle entstanden wahrscheinlich die strahlenden Goldemailaltäre der Münchner Residenz. [9] Auf Geheiß der Auftraggeber sollten jedoch diese damals neuartigen Werke geheimgehalten werden [10], sie waren in München genauso wie in anderen Schlössern nur einem ausgewählten Besucherkreis zugänglich. Geheimhaltung, aber auch die exklusiven und kostspieligen Materialien verhinderten weitgehend einen nachhaltigen, stilprägenden Einfluß der Hofkunst auf die immense Produktion von profanem Silbergerät, das im letzten Drittel des 16. und im frühen 17. Jahrhundert geschaffen und gekauft wurde. Einbußen, die heute die Relationen innerhalb des ursprünglichen Gesamtbestandes verzerren, trafen das Gebrauchssilber stärker als die häufig durch Verträge oder Stiftungsurkunden geschützten Spitzenleistungen in den Kunstkammern. Geschirre, wie die Unmengen vielgestaltiger Trinkgefäße, die repräsentativen Tischbrunnen, vor allem aber die Platten und Teller waren dem Verschleiß stärker ausgesetzt und wurden geänderten Stilvorstellungen schneller geopfert und eingeschmolzen oder in Not- und Kriegszeiten zu Geld gemacht.
Ein gravierender Stilwandel bahnte sich nach der Jahrhundertwende an: die kleinteilig-scharfkantige Ornamentik des Spätmanierismus verlor die gedrängte Dichte und wurde flüssiger, in der Gefäßform verschmolzen die zusammengefügten Einzelteile zu einem lebendigen Ganzen. Der Frühbarock kündigte sich darin an.
Auftraggeber für profane Geräte aus Edelmetall waren Stadt- und Landadel, die sich bei Erwerbungen häufig auch an heimische Meister der Nachbarschaft wandten. In den Städten besaßen gesellschaftliche und ständische Vereinigungen, wie Schützenvereine oder Zünfte, einen großen oder kleineren Schatz vor allem an silbernen Schau- und Trinkgeschirren. Einen erheblichen Bedarf an Silbergerät jeder Art hatten die Stadtregierungen selbst, einmal um bei festlichen Veranstaltungen mit ihrem Ratssilber zu glänzen, zum anderen aber durch die zwingende Verpflichtung zu oft kostbaren Ehrengeschenken bei vielerlei Anlässen. Besonders beliebt waren Trinkgefäße vom einfachen Becher, meist als Dank für geleistete Dienste, bis hin zu prunkvollen Pokalen, oder auch aufwendigen Lavabos, mit denen man einen Fürsten beim ersten Einzug in eine Stadt begrüßte. [11] Während in Nürnberg anscheinend ein ständig greifbarer Lagervorrat für Geschenke dieser Art angelegt wurde [12], hat man in Augsburg die Präsente erst im Bedarfsfall und mit Rücksicht auf eventuelle Wünsche des Beschenkten erworben. Vor allem aber hatten die Kirchen beider Konfessionen einen nie zu stillenden Bedarf an silbernem Gerät für den Altar und zur festlichen Ausschmückung der Kirchenräume. Sie waren wohl die treuesten Auftraggeber der Augsburger Goldschmiede.
In den ersten beiden Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts veränderte sich das Alltagsleben der Augsburger Bürger kaum, trotz der zuweilen schon aufkeimenden Kriegsängste und unterschwellig spürbar werdender konfessioneller Spannungen. [13] Ein gutes Jahr vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges konnte der Augsburger Diplomat und Kunstagent aus Leidenschaft Philipp Hainhofer am 30. August 1617 Herzog Philipp II. von Pommern und Stettin noch ein einzigartiges, viel bewundertes Kunstwerk übergeben, den Pommerschen Kunstschrank [14], an dem nach seiner Konzeption und unter seiner Regie siebenundzwanzig Kunsthandwerker fast fünf Jahre lang gearbeitet hatten. Der nach Entwürfen von Hans Rottenhammer und Matthias Kager von Ulrich Baumgartner geschaffene Schrein zählt zu den Verlusten des letzten Krieges. Erhalten jedoch ist (im Kunstgewerbemuseum Berlin) der überreiche Inhalt von kleinformatigen Werkzeugen, Instrumenten und Geräten aller Art, die in zahlreichen Schubladen, Lädchen und Geheimfächern "verpackt und verborgen" eine "Enzyklopädie der physischen und sittlichen Welt" [15] vermitteln sollten. Die vielen, variantenreichen Geschirre wollen zu spielerisch-ornamentalen und immer wieder veränderten Arrangements verleiten: herzförmige Schüsseln und Teller können kombiniert werden mit runden Schüsselchen, kleinen Bechern, Leuchtern, Krüglein für Wasser, Essig und Öl, Dosen, einer Kredenz und einer Lavaboplatte u.a. Die meisten Silberobjekte schuf Michael Gass, aber auch David Altenstetter, Matthäus Wallbaum und Nikolaus Kolb waren beteiligt. Auffallend bei allen Geschirren ist die klare, strenge Formgebung, ohne Schnörkel und ohne Dekorelemente. Als dezenter Schmuck wirkt nur ein vergoldeter Randstreifen und das gravierte Besitzerwappen.
Die ornamentlose Schlichtheit der Geschirre aus dem Pommerschen Kunstschrank ist keine singuläre Erscheinung in der Augsburger Goldschmiedekunst des frühen 17. Jahrhunderts. Auch der Münchner Hof besaß einen beachtlichen Bestand silberner Teller, die als einzigen Schmuck auf der glatten Fahne das gravierte Wappen von Herzog, dann Kurfürst Maximilian I. trugen. [16] Erhalten sind davon nur ganz wenige Teile, die in späteren Jahrhunderten bei Mühldorf aus dem Inn geborgen werden konnten, wo 1648 das "Kuchen-Schiff" gesunken war, das nach dem Sieg der schwedisch-französischen Truppen bei Zusmarshausen die Flucht des Kurfürsten nach Braunau begleitete.
Eine verwandte, allein auf die elegant-harmonische Form konzentrierte scheinbare Nüchternheit zeichnet auch etwa gleichzeitig in Augsburg entstandenes evangelisches Altargerät aus. Johannes Lencker (gest. 1637) schuf 1620 und 1626 einen zusammengehörenden Satz von Abendmahlskannen, deren birnenförmigen, glatt polierten, mächtigen Korpus allein ein aufgelötetes, gegossenes Reliefmedaillon mit einer neutestamentarischen Darstellung schmückt (Abb. 1). [17] Für Augsburg wurde diese Façon der Abendmahlskanne im 17. Jahrhundert ebenso mustergültig wie im 16. Jahrhundert der von Christoph Epfenhauser geschaffene Prototyp für die Patenen. Allerdings verzichtete man in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts bei den Kannen immer weniger auf reiche barocke Ornamentverzierungen. Während in Süddeutschland die Birnenform der Weinkanne übernommen wurde - die Stiftskirche in Stuttgart z.B. besitzt zwei sehr ähnliche, 1633 datierte Abendmahlskannen von Johannes Lencker [18] - waren Kannen im Typus der weltlichen Schenkkannen in Nord- und Mitteldeutschland stärker verbreitet. Diese walzenförmigen oder leicht konischen Deckelkannen mit einer hochangesetzten und meist mit dem Kannenrand bündig abschließenden Ausgußschnauze werden in vielen Fällen erst durch ihre Nutzung eindeutig als Kirchensilber definiert. [19] Bemerkenswert, wenn auch im ersten Drittel des Jahrhunderts nicht ungewöhnlich ist es, daß Johannes Lencker außer evangelischem Kirchensilber und höchst bedeutenden profanen Werken, wie dem Becken eines Lavabos mit der Reliefdarstellung des Raubes der Europa (Privatbesitz) [20], auch einzigartige Kirchengeräte für den katholischen Kultus schuf, wie um 1610 ein goldenes Kruzifix für die Münchner Residenz [21] oder um 1620 drei Altarleuchter, die der Bischof von Breslau und Plock nach St. Jakob zu Nysa stiftete. [22]
Nach dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 und noch zu Beginn des 17. Jahrhunderts war die konfessionelle Zugehörigkeit eines Goldschmieds kein Kriterium, das die Auftragsvergabe beeinflußte. Es scheint jedoch äußerst selten gewesen zu sein, daß katholische Goldschmiede für die evangelische Kirche arbeiteten. Möglicherweise liegt die einfache Erklärung in der Überzahl der lutherischen Bevölkerung in der Reichsstadt, die sich auch im Zahlenverhältnis von protestantischen zu katholischen Goldschmieden widerspiegelt. Der bayerische Herzog Maximilian I. jedenfalls, einer der profiliertesten Vertreter der deutschen Katholiken, hatte keine Bedenken zu Beginn des 17. Jahrhunderts nicht nur den Protestanten Johannes Lencker zu Arbeiten für die Reliquienkammer der Münchner Residenz heranzuziehen, sondern auch die Reiche Kapelle mit Werken von Jakob Anthoni ausschmücken zu lassen. [23]
Dennoch überrascht es, wenn der Protestant Hans Jacob Bair fast ausschließlich Werke, und zwar Werke allerersten Ranges für die katholische Kirche schuf. Nach Arbeiten für den Augsburger Dom [24] und den Eichstätter Fürstbischof Konrad von Gemmingen (1595-1612) [25] empfahl ihn Marx Fugger seinem Bruder, dem Fürstbischof Jacob Fugger von Konstanz (1604-1626) für die Ausführung des Konradsreliquiars von 1613 im Konstanzer Münster als "in dergleichen arbait alhie berühmt und zwar der beste" [26]. Die Statue des hl. Pelagius folgte 1614. [27] Seinen Ruf als "führenden Meister auf dem Gebiet der Goldschmiedeplastik" [28] bekräftigten Silberfiguren in Düsseldorf [29] und St. Gallen, die beiden letzteren 1623, also schon im dritten Jahrzehnt des Jahrhunderts entstanden. Den vielleicht bedeutendsten Auftrag, der ihn erreichte, konnte er nicht mehr vollenden. 1629 bat sein gleichnamiger Sohn die Zunftherren um vorzeitige Zulassung als selbständiger Meister, damit er die Arbeiten seines Vaters für König Sigismund III. von Polen, "darunter einen silbernen Altar mit Bildern in Lebensgröße" [30] fertigstellen könne. Die Genehmigung wurde im März 1629 erteilt und im Oktober auf Antrag des Agenten und Juweliers Hans Georg Beuerle erweitert: Bair darf ausschließlich zur Arbeit am Altar einen zusätzlichen Gesellen beschäftigen. [31] Reste dieses, wohl nie ganz vollendeten Kunstwerks, sind, wie Lorenz Seelig überzeugend nachwies, zwei Engelsfiguren im Hochaltar der Gnadenkapelle von Tschenstochau. [32]
Die vom Kaiser verordnete Rekatholisierung führte zur Entlassung der evangelischen Amtsträger, ein Los, das 1631 auch den Goldschmied Johannes Lencker traf, der als Bürgermeister dem Rat angehört hatte. Die Wende kam am 20. April 1632 mit der Besetzung der Stadt durch die Schweden. Schon am 22. April bestätigte König Gustav Adolf alle evangelischen Ratsmitglieder in ihren alten Ämtern. Am 24. April übergaben Vertreter der Stadt nach der offiziellen Huldigung auf dem Weinmarkt dem Schwedenkönig ein herrliches und äußerst kostbares Ehrengeschenk: einen prachtvollen Kunstschrank aus Ebenholz mit reichen Steinintarsien, den ein einzigartiger kunstvoller Kokosnußpokal in Form eines Schiffes, ein Werk des Johannes Lencker [35] krönte. Die Schubladen enthielten in großer Fülle diverse mathematische Instrumente und silbernes Gerät, z.B. ein elegantes Lavabo mit einer silbergefaßten Nautiluskanne und einem ovalen Silberbecken von Hans Maulbronner [36]. Hainhofer hatte den Schrank, den viele Zeitgenossen als "achte[s] Wunderwerk der Welt" [37] bezeichneten, von einer Gruppe Augsburger Kunsthandwerker in den Jahren von 1625/26 bis 1631 anfertigen lassen, ohne zunächst einen ernsthaften Kaufinteressenten gewinnen zu können. Die Stadt soll 6.000 Reichstaler dafür bezahlt haben [38].
Nach dem Tod des Schwedenkönigs und verstärkt nach der schweren Niederlage der Schweden bei Nördlingen 1634 verschlechterte sich die Situation in der Stadt drastisch. Eine furchtbare Pestepidemie 1633/34 und die Blockade der Stadt durch bayerische Regimenter führten zu einer Phase extremster Not, bis schließlich im Leonberger Vertrag die Verhältnisse von 1629 wiederhergestellt und im Prager Frieden 1635 ein Kompromiß zwischen dem Kaiser und dem Kurfürsten von Sachsen ausgehandelt wurde. Damit begann für Süddeutschland eine Zeit der langsamen Erholung. [39]
Es ist schwer vorstellbar, daß auch in diesen unruhigen Jahren existentieller Bedrohung Gold- und Silberkunstwerke geschaffen wurden. Allerdings ist der Bestand erhaltener und kurz vor der Mitte des Jahrzehnts entstandener Objekte nicht allzu groß.
Trotz der desolaten Zustände und der wachsenden Armut gab es in Augsburg auch in der ersten Hälfte der 1630er Jahre immer Goldschmiede, die Luxusgüter schufen. Die Zahl der selbständigen Meister ging zwar zurück, wurde jedoch durch wiederholte vorzeitige Verleihungen von Meisterrechten an Gesellen, die noch nicht alle Voraussetzungen erfüllten, aufgestockt. [40] Noch in den Jahren von 1630 bis 1637 verschenkte die Stadt, ungeachtet ihrer eigenen hohen Verschuldung, Silbergeschirre im Wert von ungefähr 3318 Gulden. [41] Selbst wenn man zugesteht, daß in der extrem schlechten Periode von 1634/35 nicht alle Buchungen lückenlos und fehlerfrei erfolgten, ist es doch bezeichnend, daß damals überhaupt keine offiziellen Silberankäufe vermerkt sind. Über Geschäfte der Goldschmiede mit privaten Auftraggebern, unter denen auch Offiziere der Besatzung gewesen sein mochten, finden sich in den Augsburger Archiven keine Unterlagen, und nur wenige der in diesen Jahren entstandenen Objekte sind erhalten. Das eindrucksvollste ist ein Trinkgefäß in Form einer Reiterstatuette, mit der dem 1635 verstorbenen Goldschmied David Lang ein überzeugendes Portrait König Gustav Adolfs gelang (Abb. 2). [42] Diese Trinkfigur ist das früheste Exemplar einer ganzen Reihe ähnlicher Reiterstatuetten, die zu einem großen Teil aus der Werkstatt des David I. Schwestermüller [43] stammen und außer Gustav Adolf auch König Karl I. von England [44] und vermutlich Bernhard von Sachsen-Weimar [45] portraitieren. Als Vorbilder für die silbernen Reiterstatuetten diente - nach Hans R. Weihrauch [46] - eine Serie von Bronzereitern mit den Portraitköpfen verschiedener Erzherzöge (Wien, Kunsthistorisches Museum). Daß David Schwestermüller die Innsbrucker Figuren kannte, ist nicht erwiesen und eher unwahrscheinlich. Dem Goldschmied lag eine, den Figurentypus kopierende, aber als Schwedenkönig umdeutende Musterzeichnung des Augsburger Radierers Hans Friedrich Schorer vor [47], mit der eine Statuette in Stockholm [48] weitestgehend übereinstimmt. Das ältere, von David Lang geschaffene Reiterportrait wirkt indes sehr viel unmittelbarer und erinnert stark an die Stockholmer Büste Georg Petels. [49] Vor allem die weichere, aber präzisere Modellierung des Gesichtes und der wache Blick verraten die gleiche Intension. Man steht vor der Frage, ob nicht der Bildhauer dem Goldschmied das Modell für sein Werk lieferte oder ob der unmittelbare Eindruck der Persönlichkeit des Königs den Goldschmied zu dieser Leistung anspornte.
Über die rasch einsetzende Normalisierung des städtischen Lebens nach dem Prager Frieden 1635 unterrichten indirekt, aber deutlich die Handwerker-Akten der Goldschmiede. Auswärtige Gesellen wurden zu den Meisterrechten zugelassen, weil das Handwerk "ohne dass in grossen Abfall" gekommen sei [50] oder auch, weil es zu wenig Goldarbeiter gab. [51] Sondergenehmigungen für die zusätzliche Einstellung von Gesellen wurden erteilt, damit große an Augsburger Meister vergebene Aufträge nicht verlorengingen. Hans Christoph Fesenmair arbeitete 1637 an einer aufwendigen Ampel für Wien, 1640 hatte er aus Osnabrück eine Bestellung für eine Kirchentruhe, Pontifikale und ein Madonnenbild erhalten. [52] Für den Kaiser entstanden in der Werkstatt des Hieronymus Siebenbürger 1637 und 1638 zwei goldene Kelche. [53] Und Gregor Leider belieferte in den vierziger und fünfziger Jahren viele der bedeutendsten bayerischen Bistümer und Abteien. [54] Immerhin beweisen diese belegten Anträge auf Ausnahmegenehmigungen, die nur bei wichtigen auswärtigen Aufträgen anfielen, daß der vor dem Restitutionsedikt erworbene Ruf der Augsburger Goldschmiede nicht erloschen war und daß alle Handelsbeziehungen fortbestanden oder wieder auflebten. Im Vergleich zu anderen Berufszweigen hatten die Goldschmiede die Notzeiten relativ unbeschadet überstanden. Dennoch scheint sich ein überraschender Wandel abzuzeichnen. Wenn zu Anfang der dreißiger Jahre katholische Kirchengeräte oft von evangelischen Meistern geliefert wurden, gewannen nun auch katholische Juweliere an Einfluß und Bedeutung, bis gegen Ende des Jahrhunderts meist die Konfessionszugehörigkeit von Auftraggeber und Goldschmied übereinstimmten.
Gegen Ende des Krieges wurden den Goldschmieden neue Aufgaben gestellt. Nicht nur Pokale, Lavabos und Tafelgerät waren gefragt. Vor allem Objekte, die der standesgemäßen Repräsentation dienten, entstanden nun in den berühmten Augsburger Werkstätten. Vielleicht spiegeln sich die Eindrücke, die schwedische Offiziere und Gesandte während der Besatzungszeit in der Reichsstadt empfangen hatten, in den erstaunlich frühen Bestellungen silberner Einrichtungsgegenstände [55] durch den schwedischen Adel, in zwei erhaltenen Kronleuchtern [56] und ganz besonders in dem silbernen Thronsessel, den Abraham I. Drentwett im Auftrag von Magnus Gabriel de la Gardie zur Krönung von Christina, der Tochter Gustav Adolfs, gefertigt hat. [57]
Das Schicksal Augsburgs und seiner Goldschmiede in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts läßt keine Vergleiche mit und keine Rückschlüsse auf die Entwicklung in anderen Städten zu. Das häufig nur lokal begrenzte Kriegsgeschehen ist zu unterschiedlich in seinen Auswirkungen. Hamburg z.B. fand schon ziemlich früh in König Christian IV. von Dänemark einen treuen Bewunderer seiner Meister, und obwohl Nürnberg von Belagerung und Besatzung verschont blieb, verlor die Goldschmiedekunst an überregionaler Bedeutung. In Augsburg waren für die fortdauernde Blüte der Goldschmiedekunst über den Krieg hinaus mehrere Faktoren verantwortlich: einmal die kluge und gezielte Förderung durch den Rat der Stadt, der sich gegen Einzelinteressen durchzusetzen wußte, dann das gut funktionierende Handelsnetz der Juweliere, das die Goldschmiede von berufsfremden Arbeiten verschonte und eine sehr strenge Ausbildung mit langen Wanderzeiten, die weltoffen machte, und vielleicht auch eine gewachsene Handwerkstradition, die Sicherheit vermitteln konnte.
ANMERKUNGEN | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|