VOLKER GERHARDT Zur historischen Bedeutung des Westfälischen Friedens - Zwölf Thesen |
I.
Aber in der öffentlichen Anerkennung des die Politik tragenden Friedenswillens durch die politischen Mächte Europas wird mit dem Abschluß des Friedensvertrages von 1648 ein neues Datum gesetzt. Auch wenn die Machthaber es mit ihren Deklarationen gar nicht ernst gemeint haben sollten: In den Abschlußdokumenten von Osnabrück und Münster wird der politische Primat des Friedens erklärt. Er ist damit zum Bestandteil der praktischen Politik geworden und wird erstmals von den Machthabern selbst - auch angesichts fortbestehender Konflikte - vor einer großen Öffentlichkeit propagiert.
Dahinter konnte und kann man nur noch auf die Gefahr eines Selbstwiderspruchs zurück; heute jedenfalls gibt es niemanden mehr, der sich öffentlich gegen den Frieden erklären und trotzdem politisch ernstgenommen werden könnte. Politiktheoretisch ist der Friede zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Der Bellizismus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ist demgegenüber ein Rückfall, den man wohl nur erklären kann, wenn man die Französische Revolution in Verbindung mit ihrem napoleonischen Nachspiel zu verstehen sucht.
II.
Die Friedensverhandlungen von Münster und Osnabrück werden so zum exemplarischen Fall zwischenstaatlicher Konfliktbewältigung und erscheinen rückblickend wie ein Modell für alle nachfolgenden überregionalen Konferenzen über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Die Korrespondenz von Staatsgründung und Friedensschluß, die bislang auf einzelne Territorien beschränkt war, tritt erstmals, wenn auch nur in der Tendenz, in ihrer staatenübergreifenden Logik hervor. Pax et pactum convertuntur. [3]
III.
IV.
Erst heute, nachdem zwei Weltkriege uns die Leiden des Dreißigjährigen Krieges wieder nahegebracht haben, können wir auch die epochalen Folgen überblicken. Die politischen Nah- und Fernwirkungen des Westfälischen Friedens können daher nicht überzeugend dargestellt werden, wenn nicht auch das Elend des Krieges - Verwüstung, Vertreibung, Verletzung, Vergewaltigung, Verachtung, Vernichtung, Pest und Tod - anschaulich wird. Die Zerstörung unwiederbringlicher kultureller Güter, die jähe Aufwertung und Abwertung einzelner Schicksale, die Raserei des Zufalls unter dem Kalkül des Krieges - von alledem muß in der Ausstellung etwas sichtbar werden.
V.
VI.
Durch die theoretische Leistung des Hugo Grotius wird das Ius publicum Europaeum ins öffentliche Bewußtsein gerückt, und es wird in den Verhandlungen, vor allem aber im Vertragswerk selbst, zu einem praktischen Element der Politik. Darüber hinaus kommt es in den Nachwirkungen des Friedenswerks zu Effekten in Völkerrecht, Staatstheorie und politischer Publizistik, die in ihrer grundlegenden Bedeutung heute noch nicht genügend aufgearbeitet sind. So hat man viel zu wenig darauf geachtet, daß die bedeutendste Staatstheorie dieser Epoche, die während des Dreißigjährigen Krieges entstandene politische Lehre des Thomas Hobbes [7], ein erstes Naturgesetz aller Politik postuliert, das auf nichts anderes zielt als auf den Frieden. In der ersten englischen Fassung lautete dieses First and Fundamentall Naturall Law aller Politik: "That every man, ought to endeavour Peace, as farre as he has hope of obtaining it." [8] Die politische Theorie nimmt hier offenkundig die politischen Erfahrungen ihres Zeitalters auf und wirkt langfristig auf die politischen Verhältnisse zurück; Locke, Montesquieu, Rousseau und Kant, um nur die herausragenden Köpfe zu nennen, nehmen das Friedensgebot des Natur- und Vernunftrechts auf und wirken über die Verfassungsdebatten in England, Amerika und im revolutionären Frankreich bis in die Gegenwart. Die internationalen Bündnisse, Sicherheitskonferenzen und Sicherheitsorganisationen sowie Völkerbund und Vereinte Nationen lassen sich ohne diese durch die politische Theorie nachhaltig verstärkten Impulse nicht verstehen.
Ihren Erfahrungshintergrund haben die politischen und philosophischen Theorien der Moderne immer auch in der Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges; und ihre Hoffnungen schöpfen sie nicht unwesentlich aus der Tatsache, daß es gelungen ist, diesen Krieg in der beispiellosen diplomatischen Anstrengung der westfälischen Friedensverhandlungen zu beenden. Die Ausstellung in Münster und Osnabrück sollte daher zumindest eine Idee von diesen sich hier über 350 Jahre hinweg vollziehenden Übergängen zwischen Theorie und Praxis vermitteln.
VII.
VIII.
IX.
X.
Vor allem aber sollte man sich den Ernst und Nachdruck vor Augen führen, mit dem 1648 der endlich ausgehandelte Frieden in die Tat umgesetzt werden sollte. Die "Strafe des Friedensbruchs" (poena fractae pacis) sollte jeden treffen, der den Bestimmungen des Vertrag zuwiderhandelte (? 114). [9] Da aber auch 1648 bekannt war, daß ein Friedensschluß als politischer Akt nicht die Gegensätze selbst aus der Welt schaffen kann, wird ein Vorschlag zur friedlichen Beilegung der fortbestehenden wie der neuen Konflikte gemacht: "Der geschlossene Friede aber soll ungemindert in seiner Kraft verbleiben, und alle Beteiligten dieses Vertrages sollen gehalten sein, alle und die einzelnen Vorschriften dieses Friedens gegen einen jeden ohne eine Unterscheidung nach dem Glauben zu schützen und zu verteidigen, und wenn es geschehen sein sollte, daß etwas davon durch wen auch immer verletzt worden ist, soll der Verletzte den Verletzenden zuerst zwar vom Weg der Tätlichkeit abmahnen, der Fall selbst ist aber einer freundschaftlichen Beilegung oder einer Rechtsverhandlung unterworfen." (? 115). [10] So macht der Vertrag auch schon erste Vorschläge zur friedlichen Beilegung von Konflikten überhaupt.
XI.
Dabei hat man daran zu erinnern, daß schon der Vertrag vom 24. Oktober 1648 "Vorsorge" (provisium) dafür treffen will, "daß künftig in der politischen Ordnung [in statu politico] keine Streitigkeiten entstehen" (? 62). [11] Aus den zur Durchsetzung dieser Absicht vorgeschlagenen Maßnahmen geht hervor, daß die politische Ordnung (in statu politico), von der hier die Rede ist, nicht ein territoriales Staatsgebiet, sondern den gemeinschaftlichen Herrschaftsraum aller Vertragspartner meint. Nimmt man das zur Begründung der Friedenspolitik herangezogene Prinzip der "allgemeinen Nützlichkeit und Notwendigkeit" (publica utilitas aut necessitas) (? 64) hinzu [12], bedenkt man ferner die Erwartung, daß "nach dem Friedensschluß der Handel [commercium] wieder aufblüht" (? 67) [13], dann ist offenkundig, daß sich das Friedensgebot nicht auf einen eng umgrenzten territorialen Raum beschränkt. Es liegt vielmehr in der Logik schon des Westfälischen Friedens, eine Friedensordnung für ganz Europa zu wollen.
XII.
ANMERKUNGEN | ||||||||||||||||||||||||||
|