XII. DER FRIEDE UND DAS REICH
Mit der gleichberechtigten Teilhabe am politischen Geschehen ging für die Reichsstände auch eine Aufwertung ihrer internationalen Bedeutung einher: Das Recht, Bündnisse mit benachbarten Mächten zu schließen, wurde ausdrücklich bestätigt. Allerdings durfte sich die Substanz dieser Bündnisse nicht gegen Kaiser und Reich selbst richten. Die Reichsstände waren damit künftig berechtigt, auf der Bühne des Theatrum Europaeum zu agieren.
Kaiser Ferdinand II. hatte seine Machtfülle nach dem Sieg über die böhmischen Aufständischen dazu genutzt, eine Reihe von territorialen Besitzveränderungen durchzuführen. Zum Teil waren dies rechtsförmige Entscheidungen, anderenteils aber auch ausgreifende Enteignungen von politischen Opponenten, deren Lande eigenen Parteigängern übereignet wurden. Knapp drei Jahrzehnte später konnte sein Sohn Ferdinand III. durchsetzen, daß für die böhmischen Besitzverhältnisse der Status quo erhalten blieb. Im Reich dagegen fand eine teilweise Rückabwicklung statt. Zwar verblieb die pfälzische Kur - ebenso wie die Oberpfalz - bei Bayern, doch dafür erhielt Kurfürst von der Pfalz neben seinen rheinischen Besitzungen eine neugeschaffene achte Kurwürde. Kurbrandenburg konnte seinen Erbanspruch auf Pommern nicht realisieren, wurde dafür aber mit den vormals geistlichen Fürstentümern Minden, Halberstadt, Kammin sowie mit der Anwartschaft auf das Erzstift Magdeburg entschädigt.
Neben dem politischen Gleichgewicht zwischen Kaiser und Reichsständen wurde auch die konfessionelle Gleichberechtigung für Katholiken, Lutheraner und Calvinisten im Reich hergestellt. Kaiser und Kurbayern konnten dies nur gegen erhebliche Widerstände im katholischen Lager durchsetzen. Für die Besitzstandsverteilung an kirchlichen Gütern bildete der 1. Januar 1624 den Stichtag. Dieses "Normaljahr" 1624 fixierte die regionale Konfessionsverteilung in fast ganz Deutschland. Künftig mußte auch im Falle fürstlicher Konversionen alles so bleiben, wie es 1624 gewesen war. Die Konfliktlösung durch Festschreibung der konfessionellen Verhältnisse trug zur Beruhigung bei und ersparte dem Reich weitere Religionskriege.
Noch wichtiger für die Zukunft war der Umgang mit Religionsfragen auf Reichstagen: Angesichts der Mehrheit der Katholiken im Kurfürsten- und Reichsfürstenrat bot das Auseinandertreten der Konfessionsparteien zu gesonderten Sitzungen (itio in partes) die Möglichkeit, die jeweiligen Positionen zu bündeln, um anschließend eine Schlichtung zu unternehmen. Konfessionspolitische Beschlüsse konnte das Reich nur fassen, wenn jede Konfessionspartei zustimmte - also das Corpus Catholicorum ebenso wie das Corpus Evangelicorum, in das neben den Lutheranern nun auch die Calvinisten aufgenommen wurden. Über einige staatsrechtliche Fragen konnte auf dem Friedenskongreß keine Einigung erzielt werden; sie wurden auf einen künftigen Reichstag verschoben (negotia remissa).
Zum Kernbestand des Friedens gehörten sein christlicher und damit gesamteuropäischer Charakter, die unbeschränkte Geltungsdauer (Ewigkeitsklausel), die Amnestieregelung und die Betonung, daß gegen das Vertragswerks keine Einrede, von welcher Seite auch immer, zulässig sei (Antiprotestklausel). Bei künftigen Streitigkeiten war ein dreijähriges Schlichtungsverfahren vorgesehen. Erst wenn dieses erfolglos bliebe, sollte der Griff zu den Waffen rechtens sein. Die beiden Teilverträge von Münster und Osnabrück wurden in vollem Wortlaut in den Reichstagsabschied von 1654 eingeschrieben und damit als Reichsgrundgesetze - wie bereits die Goldene Bulle und der Augsburger Religionsfrieden - anerkannt.
J. A.