ELIŠKÁ FU?IKOVÁ Das Schicksal der Sammlungen Rudolfs II. vor dem Hintergrund des Dreißigjährigen Krieges |
Rudolf II. hatte sich gewünscht, daß seine Sammlungen zum unteilbaren Besitz der Familie werden sollten, zu einer "habsburgischen Kunstkammer", was auch sein Bruder und Nachfolger Kaiser Matthias gerne durchgesetzt hätte. [1] Doch die anderen Brüder, die Erzherzöge Maximilian III. und insbesondere Albrecht VII., machten ebenfalls ihre Ansprüche auf das Erbe geltend. Einen finanziellen Ausgleich erhielten sie höchstwahrscheinlich in Form von Schmuck und Gegenständen aus Edelmetallen. Sie beanspruchten jedoch zusätzlich Kunstwerke, wenn auch von "geringerer Bedeutung", denn auch sie mußten zustimmen, daß die kostbarsten Werke der Sammlungen ein dauerhafter Bestandteil des Besitzes des habsburgischen Hauses bleiben sollten. [2] Ihr Wunsch wurde erfüllt. Gegen Ende des Jahres 1615 oder zu Beginn des folgenden brachte Jacques de Zélandre dem Erzherzog Albrecht kostbare Juwelen, Möbel, astronomische Geräte und weitere Gegenstände aus Rudolfs Sammlungen nach Brüssel. [3] In dieser Sendung waren auch 115 Bilder enthalten, unter denen sich Werke von Raffael, Michelangelo, Tizian und Veronese befanden. [4] Der Schätzpreis von 13.000 Taler war nicht so niedrig, daß - wie Lhotsky meinte - man diese Bilder für Kopien hätte halten können, was dem ursprünglichen, scheinbar bescheidenen Wunsch eher entsprochen hätte. [5] Das Verzeichnis aufgestellt und die Wertschätzung durchgeführt hatte neben Hans von Peltt der ehemalige Hofmaler Rudolfs Jeremias Günther, der die Sammlung gut kannte, eine Kopie vom Original zu unterscheiden verstand und auch den tatsächlichen Wert der Bilder richtig einschätzen konnte. Ihm zufolge bewegen sich die Preise zwischen 15 bis 500 Talern. [6] Clara Garas identifizierte einige Gemälde dieses Verzeichnisses und verfolgte unter anderem das Schicksal eines dieser Bilder - "Herkules den Faun aus dem Bett der Omphale austreibend" von Tintoretto. Dank ihrer Feststellungen erfahren wir von den unglaublichen Wegen mancher Werke aus den rudolfinischen Sammlungen. [7] Vielleicht aus Geldmangel, vielleicht wegen seines frivolen Inhalts kam ein Teil des Erbgutes Albrechts nach England in die Sammlung des Herzogs von Buckingham. Nach dem Verkauf dieser Sammlung 1650 in Antwerpen gewann Erzherzog Leopold Wilhelm einen Teil davon für Kaiser Ferdinand III. zurück. So kamen nach vier Jahrzehnten einige Werke aus den rudolfinischen Sammlungen wieder in die Räume, die sie ursprünglich geschmückt hatten, nämlich auf die Prager Burg. [8]
Die Rudolfinischen Sammlungen sollten auch zum Ausgleich der riesigen Schulden dienen, die Rudolf hinterlassen hatte. [9] Es interessierten sich dafür neben der Verwandtschaft des Kaisers auch die Böhmischen Stände. Soranzo, der venezianische Abgesandte am kaiserlichen Hof, erwähnte in seinem Schreiben vom 5. November 1612 das Beharren der Stände darauf, daß ein Teil der Sammlungen, z.B. die neue Kaiserkrone, vom Geld der böhmischen Hofkammer bezahlt werde. [10] Der Gefahr einer Beschlagnahe ließ Kaiser Matthias durch die Versiegelung der Sammlungen, Einkerkerung ihrer Verwalter und den sofortigen heimlichen Transport der kostbarsten Gegenstände nach Wien vorbeugen. Soranzo hinterließ in seinen Berichten aus Prag ebenfalls wertvolle Informationen über das Aussehen der Sammlungen Rudolfs unmittelbar nach dessen Tod. Er beschreibt ihren Umfang, ihren finanziellen Wert und erwähnt, daß sich Matthias für einen ganzen Tag dort eingeschlossen habe, um die geerbten Schätze gründlich anzuschauen und über ihr Schicksal zu entscheiden. [11] Schon am 5. März 1612 berichtete Soranzo nach Venedig, daß man auf der Prager Burg aus verschiedenen Teilen des Palastes Kunstwerke auf einer Stelle aufgehäufe, d.h., daß zweifellos ihr Transport nach Wien vorbereitet wurde. [12] Das bestätigt übrigens auch das Wiener Inventar G, das vermutlich in den Jahren 1610-1619 entstanden war. [13] Dieses Verzeichnis konnte erst im Jahre 1612, nach Rudolfs Tod, entstehen, denn es wurden darin Bilder und weitere Kunstwerke aus den Sammlungen der Prager Burg genannt, z.B. ein Zyklus der Metamorphosen Ovids von Spranger oder eine Kopie nach Parmigianinos Bogenschnitzendem Amor von Heintz. [14] Außer den Bildern, die einzeln und nach einer guten offiziellen Vorlage verzeichnet sind, wurden hier unter der Nummer 83 - "Nachvolgunde Stuckh seind nicht eingefast und liegen auf der erden aufeinander, wie sie der ordnung nach alhier beschrieben werden [...]" - sehr allgemein insgesamt 43 Stück beschrieben. Daraus kann man schließen, daß es sich hier um eine neue Sendung aus Prag handelte, die auf eine neue Verarbeitung, Einrahmung und würdige Unterbringung wartete. [15] Die Bilder wurden erst im Wiener Inventar H, das nach dem 28. Juni 1619 entstand, einzeln angeführt, wie auch weitere Gegenstände aus der Prager Burg, die später nach Wien gelangten. [16] Diese Auflistung regt zu Erwägungen über den Geschmack des neuen Kaisers, seine Vorlieben und Vorstellungen von der Kostbarkeit dieses oder jenes Werkes an, denn sie belegt, was Matthias aus Prag nach Wien bringen ließ. Die große Menge der Bilder rudolfinischer Meister zeugt davon, wie hoch er die Hofkünstler seines Bruders schätzte, von denen er übrigens einige in seinen Diensten behielt. Eine beträchtliche Anzahl von Werken von Pieter Bruegel d.Ä., Albrecht Dürer, Gemälde von Tintoretto und Veronese ließ er ebenfalls aus Prag transportieren. Nicht weniger interessierten ihn die Miniaturen und gestickten Bilder, Werke der Familie van den Bossche.
Matthias hatte bestimmt nicht vor, die sorgfältig geführten Inventare der rudolfinischen Sammlungen in fremde Hände gelangen zu lassen, denn sie boten eine genaue Übersicht über deren tatsächliche Größe und Wert. Es scheint sehr wahrscheinlich, daß er den Verfassern der Wiener Inventare G und H Einblick gewährte, damit sie aus ihnen die notwendigen Angaben übernehmen konnten. Vielleicht hatten letztere aber auch nur ein Verzeichnis zur Verfügung, das die Herren Pruskowsky, Adam d.J. von Waldstein und Barvitius im Auftrag Kaiser Matthias' anfertigten. Sie sollten ein neues Inventar erstellen, das vor allem als Grundlage für eine finanzielle Schätzung der Sammlungen dienen sollte, leider jedoch nicht erhalten blieb. [17] Die gesamte Schätzungssumme - 17 Millionen Gulden - ist uns nur durch eine Erwähnung bei Pavel Skála von Zho? bekannt. [18] Zweifellos waren in dieser Summe die Werke, die inzwischen bereits nach Wien geschafft worden waren, nicht inbegriffen.
Kaiser Matthias hatte, als er Wien zur kaiserlichen Residenz bestimmte, sicherlich nicht vor, die ganze Sammlung Rudolfs nach Wien zu verlagern. Er wollte Prag keinesfalls aus seinen Plänen ausschließen. Bereits im März 1613 ordnete er den Umbau des Neuen Palastes auf der Prager Burg an, der in der Aufstockung zweier Gebäudeteile sowie deren Vereinheitlichung durch eine neue Fassade und eine gemeinsame Überdachung bestand. Mit der Durchführung des Umbaus beeilte er sich, um bei der Einberufung des Landtags schon im Palast wohnen zu können. [19] Hierfür war es zweifellos unerläßlich, einen Teil der kaiserlichen Zimmer zu räumen, wo ebenfalls Teile der Sammlungen Rudolfs II. untergebracht waren. Zusammen mit den Transporten nach Wien bedeutete der Umbau einen großen Eingriff in ihre Aufstellung. Die Veränderung ihrer ursprünglichen Anordnung förderte die Unübersichtlichkeit der Sammlungen, so daß Kunstgegenstände unkontrolliert aus der Prager Burg entwendet werden konnten. Neben den Transporten nach Wien und der bereits erwähnten Teilung unter den Geschwistern begann damals auch die Verwendung der Objekte aus Rudolfs Sammlungen als Geschenke an treue Anhänger des neuen Kaisers. [20]
Je schneller sich in den böhmischen Ländern der Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken zuspitzte, desto stärker waren die Schätze auf der Prager Burg gefährdet. Aus einer Botschaft des sächsischen Abgesandten in Prag, F. Lebzelter, vom 8. September 1619 geht hervor, daß die Kommission der böhmischen Stände, geführt von zwei Direktoren, von Lobkowicz und von Švamberk, ein neues Inventar erstellt hatte, das als Grundlage für den Verkauf der kaiserlichen Sammlungen dienen sollte - man benötigte das Geld, um dem Ständeheer Sold zahlen zu können. [21] Auf dem Landtag im August dieses Jahres hielt Václav von Roupov eine feurige Rede, die zu folgendem Beschluß führte: "Es verbleiben daselbst noch immer genug Kunstschätze zur Kurzweil und Belustigung des künftigen Königs; vor Allem aber verwandle man in baares Geld jenen silbernen Brunnen, der im Werthe von Million dem Kaiser Rudolf vom Fürsten Liechtenstein für die Verleihung des fürstlichen Titels verehrt worden, weiter die silbernen Schreibtische, Uhren und andere ähnliche Dinge. Die Bilder und Malereien, von welchen viele durch unverschämte Darstellung nackter Körpertheile den menschlichen Geist mehr beleidigen als erfrischen, mögen gleichfalls von Malern abgeschätzt und an Nürnberger Kaufleute verpfändet werden." [22] Das von Ende August bis Ende Oktober 1619 erstellte Inventar enthält eine Liste der in der Kunstkammer gelagerten Gegenstände [23], es fehlen jedoch die Bilder, mit deren Auflistung offensichtlich eine andere, aus Malern bestehende Gruppe beauftragt war. Der Vergleich mit dem Inventar von 1607/11 läßt erkennen, was seit dem Tode Rudolfs aus Prag nach Wien oder anderswohin verschleppt wurde und gibt einen Eindruck der Sammlungen, die in anderen Räumen als denen der Kunstkammer untergebracht waren. [24] Die interessantesten Angaben im Inventar von 1619 sind allerdings die Schätzungen der einzelnen Werke. Die Zeit reichte jedoch nicht aus, die Sammlungen zu verkaufen. Einen Teil benutzten die böhmischen Stände zur Bestechung für militärische Unterstützung. Im September 1619 brachte Graf von Thurn Bethlen Gabor und den höchsten Offizieren seines Heeres wertvolle Geschenke: herrliche türkische Sättel, Stichdegen, Säbel und ähnliche Gegenstände. [25] Beim Blick in das Inventar 1619 verstehen wir, warum gerade diese Sachen ausgewählt wurden. Ihr Wert übertraf den ähnlicher europäischer Produkte um ein Vielfaches, es waren wahrlich königliche Geschenke.
Am 31. Oktober zog der frisch gewählte böhmische König Friedrich V. von der Pfalz in Prag ein, und vier Tage später wurde er in der St.Veits-Kathedrale feierlich gekrönt. Es ist kaum vorstellbar, daß er sofort daran dachte, die Sammlungen zu verkaufen, um seinem Heer den Sold zu bezahlen. Die Prager Burg voller wunderbarer Schätze entsprach sichtlich seinen Vorstellungen einer prunkvollen königlichen Residenz. Die Schlacht am Weißen Berg am 8. November 1620 machte seinem Traum ein frühzeitiges Ende. Friedrich war auf die überstürzte Flucht aus Prag nicht vorbereitet. Die Dienerschaft konnte nur die notwendigsten Dinge packen. Ein kaiserlicher Soldat fand sogar den Hosenbandorden, den Friedrich V. von seinem Schwiegervater, dem englischen König Jakob I., erhalten hatte. [26] Die Bestände der Prager Burg wurde damals um die Gegenstände, die Friedrich von der Pfalz und seine Gattin Elisabeth Stuart mit nach Prag gebracht hatten, vermehrt: verschiedene Portraits, kostbares Geschirr und vielleicht noch weitere, nicht spezifizierte Gegenstände. [27] Die in aller Eile bepackten Wagen, die dem besiegten König auf seiner Flucht nach Breslau folgen sollten, konnten die Prager Burg nicht mehr verlassen und wurden zur Beute des Siegers der Schlacht am Weißen Berg, Maximilian von Bayern. Dieser hielt sich nach seinem triumphalen Sieg nicht lange in Prag auf - schon am 17. November zog er nach München -, ließ sich die reiche Beute aber nicht entgehen. Der Augenzeugenbericht Pavel Skálas von Zho? nennt über 1.500 mit Schätzen aus Prag beladene Wagen, u.a. auch mit sechs Tonnen Gold. [28] Diese Schätzung war möglicherweise übertrieben. Die Beute war von unterschiedlicher Art, denn in den Wagen befanden sich neben Gebrauchsgütern auch Gegenstände aus den kaiserlichen Sammlungen, sowie aus vielen Adelspalästen: Bilder, Skulpturen, Silberwaren usw. - so stammt z.B. die "Allegorie der Wahrheit und Gerechtigkeit" von Hans von Aachen, die heute in der Alten Pinakothek ausgestellt ist, zweifellos aus der Prager Beute, da sie für Rudolf II. gemalt wurde und keinesfalls für Wilhelm V. von Bayern, für den der Maler früher tätig war. [29]
Erst nach Karls Tod drängte Kaiser Ferdinand II. am 5. Dezember 1627 darauf, daß dessen Brüder Gundacker und Maximilian von Liechtenstein die ausgeliehenen Werke in die Kunstkammer zurückgeben mögen. Sie baten den kaiserlichen Schatzmeister darum, ihnen ein Verzeichnis der geliehenen Werke zuzuschicken, denn niemand von der ehemaligen Dienerschaft könne sich erinnern, welche Werke aus der Prager Burg stammten. Im übrigen seien einige Kunstgegenstände bereits zurückgesandt worden, und was die Gobelins anbelange, besäßen sie keine, die aus den kaiserlichen Sammlungen kämen. Man habe nur die, die nach der Schlacht am Weißen Berge in den Gemächern Friedrichs von der Pfalz auf der Prager Burg gefunden wurden und die somit zur Kriegsbeute gehörten. Über die weiteren Auseinandersetzungen in dieser Sache sind keine Dokumente erhalten, daher wissen wir nicht, wie sie endeten. [31] Aufgrund dieser Informationen können wir jedoch besser verstehen, warum sich Karl von Liechtenstein mit der neuen Inventarisierung der kaiserlichen Sammlungen bis zum Dezember 1621 Zeit ließ. Dies erklärt auch, warum das einzige erhaltene originale Inventar der Sammlungen Rudolfs ausgerechnet im Liechtensteinschen Archiv erhalten blieb. [32] Auf diese Weise gelangten auch das Inventar 1619 und einige Kunstwerke der Burg in die Sammlungen des schlesischen Zweiges der Adelsfamilie Nostitz. [33]
Kaiser Ferdinand II. ging genauso frei mit den Sammlungen der Prager Burg um wie sein Vorgänger. Er tat eben das, was die böhmischen protestantischen Stände schon im Jahre 1619 geplant hatten. Die Bilder, die einen mythologischen oder allegorischen Inhalt hatten und ihm zu frivol erschienen, wurden im Jahre 1623 an Daniel de Briers verkauft. [34] Im gleichen Jahr schenkte der Kaiser Erzherzog Leopold Wilhelm einige Gefäße aus Edelsteinen. Kostbare Stoffe und verschiedenes Reitzeug verteilte er an Prager Klöster, den Jesuiten schenkte er die Bücher. Der Burggraf erhielt eine Belohnung für treue Dienste, ebenso wie der Inspektor der Prager Burg, Karl Hans König. [35] Das sind nur einige belegbare Beispiele. Es gab viele solcher Lohnempfänger in den hohen militärischen Kreisen und unter den höchsten Staatsbeamten. Sie erhielten Geschenke für ihre Unterstützung bei der erneuten Machtergreifung der Habsburger in den böhmischen Ländern.
Im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges war Prag oft durch Truppen bedroht und einige Male tatsächlich von fremden Soldaten besetzt. Das bedeutete jedesmal eine unmittelbare Gefahr für die Burgsammlungen - eine willkommene Beute. Der Burginspektor Karl Hans König und Dionysio Miseroni (seit 1630 Schatzmeisteradjunkt, seit 1634 Schatzmeister) hatten die Aufgabe, für ihren Schutz zu sorgen. Das unentwegte Herumschleppen der Objekte in geheime Verstecke und wieder zurück beschädigte die Kunstwerke, erschwerte die Kontrolle über ihre Anzahl und ihre Unterbringung. Als im Jahre 1631 die Besetzung Prags durch das sächsische Heer drohte, floh Inspektor König mit einem Teil der Sammlungen nach Wien. [36] Ein Jahr später kehrte er nach Prag zurück und mußte sich gegen die ernsthafte Beschuldigung wehren, Kunstwerke von enormem Wert veruntreut zu haben. Er, und nach seinem Tod seine Familie, bemühten sich mehr als zehn Jahre zu beweisen, daß es sich um eine falsche Beschuldigung handelte. Die Archivmaterialien zu diesem Fall sind aus vielen Gründen höchst interessant. Das Verzeichnis der Gegenstände, die König im Jahre 1631 nach Wien brachte, gibt Auskunft darüber davon, welchen Werken bei den Rettungsaktionen der Vorrang gegeben wurde. [37] In einer einzigen Eintragung wurden zusammengenommen "mehr sechsundsiebenzig der schonsten kunststuckh, von den kunstreichen meistern gemahlt" angeführt. Bücher, in denen kostbare Zeichnungen und graphische Blätter - einschließlich solcher von Dürer - eingebunden waren, wurden einzeln mit einer zumindest allgemeinen Andeutung des Inhaltes vermerkt. Gleichzeitig schickte man eine Reihe von Edelsteingefäßen nach Wien, daneben Gegenstände aus Silber, Miniaturen, türkische Waffen, Wachsportraits usw. Nach den Transporten, die Matthias veranlaßt hatte, und dem Erbanteil Albrechts war dies offensichtlich einer der größten Auszüge von Kunstwerken aus Prag. Betroffen waren vor allem jene Werke italienischer, deutscher und niederländischer Meister des 16. Jahrhunderts, die bis heute das Kunsthistorisches Museum in Wien schmücken.
Zu seiner Verteidigung legte König auch ein Verzeichnis der Gegenstände vor, die nach der Flucht Friedrichs von der Pfalz in der Prager Burg gefunden worden waren. Darin vermerkte er, welche sich der Kaiser nach Wien schicken ließ, welche er behielt, oder welche er "zu einem turkischen praesent" benutzte. [38] Was noch in Prag blieb, erhielt überwiegend König selbst als Geschenk für seine "treuen Dienste". Sein Entschluß, einen Teil der Sammlungen nach Wien zu bringen, erwies sich als sehr klug, denn bald ereignete sich das, wovor er geflohen war: die Besetzung der Burg durch das sächsische Heer. Die Zeit vom 15. November 1631 bis zum 25. Mai 1632 bedeutete weitere schwere Verluste für die rudolfinischen Sammlungen. Am 20. November 1631 kam der Kurfürst von Sachsen nach Prag und ließ mehr als 50 Wagen mit kostbaren Gegenständen aus der Prager Burg nach Dresden schaffen. [39] Der Aufmerksamkeit seiner Soldaten entging auch das kaiserliche Arsenal nicht, aus dem im folgenden Jahr neben schweren Kanonen auch die sogenannte "Orgel", eine spezielle Verbindung von zwanzig mittelgroßen Läufen, nach Sachsen befördert wurde.
Nachdem König der Veruntreuung beschuldigt worden war, verlangte er eine Revision der Sammlungen, um seine Unschuld beweisen zu können. Aus den erhaltenen Berichten geht hervor, daß seit der Erstellung des Inventars der Galerie und der Kunstkammer 1621 keine neue Kontrolle ihres Inhalts stattgefunden hatte. [40] Königs Forderung erfüllte man jedoch erst im Jahre 1635, nach seinem Tod. Aus der Überprüfung ergab sich, daß man 310 Gegenstände nicht an ihrem Platz finden konnte, dafür aber 517 Stücke, die im Inventar von 1621 nicht eingetragen waren. Durch eine komplizierte Konkordanz verschiedener Dokumente gelang es den Erben Königs, das Schicksal der meisten verschollenen Werke zu klären und davon zu überzeugen, daß man bei der künftigen Inventur der Sammlungen auch die ungeklärten Fälle lösen würde. [41] Es scheint, daß das Inventar von 1621 nicht sehr genau war oder einfach die Gegenstände nicht aufführte, die sich außerhalb der Galerieräume befanden. Im Spanischen Saal, d.h. in der heutigen Rudolfsgalerie, wurden einige Allegorien von Veronese entdeckt, die ursprünglich im kaiserlichen Palast hingen, oder der Vertumnus von Arcimboldo - ein Bild, das wahrscheinlich ebenfalls in Rudolfs Gemächern hing. [42]
Inwieweit die Verluste während der Besetzung der Burg erfaßt wurden, ist leider aus den Dokumenten, die Königs Fall begleiten, nicht ersichtlich. Als ein Beamter, der für die Verwaltung der Sammlungen zuständig war, verzeichnete er die Ausgabe von Objekten, die als Geschenk dienen sollten. Wenn er über die Angaben verfügte, führte er auch die Personen oder Zwecke an, für die sie bestimmt waren. Beachtenswert ist, daß König, als er um die Revision der Sammlungen bat, auch dringend das letzte offizielle Inventar forderte. Leider befand sich in der Kunstkammer kein Inventar "in forma probante", nach dem sie hätte durchgeführt werden können. Im Jahre 1621 wurden nur zwei Exemplare angefertigt, von denen der Kaiser eins bei sich trug, das zweite aber ebenfalls in Wien war. [43] Die Verwalter hatten kein Verzeichnis zur Verfügung, in dem sie fortlaufend alle Änderungen, d.h. Transporte, Ortswechsel, Geschenke und Verluste hätte eintragen können. Das geschah offenbar absichtlich, denn je weniger man von den Sammlungen und ihrem Inhalt wußte, um so leichter konnte man über sie verfügen. Trotz der Erfahrung im Falle Königs kam es nicht zur Abfassung eines neuen Inventars, das dem Status quo entsprach. Dionysio Miseroni beschwerte sich noch im Jahre 1645, daß er bis zum Tode Königs niemals ein offizielles Inventar der Kunstkammer in die Hände bekam. Deshalb könne er beim besten Willen keine Verantwortung für ihren Inhalt bis zu der Zeit übernehmen, in der er die Schlüssel der Kunstkammer erhalten habe, d.h. im Jahre 1634. [44] Der umfangreiche Briefwechsel zwischen Prag und dem Kaiser in Wien endete erst im Jahre 1647 mit der Lösung, endlich ein neues Inventar zu verfassen. Paradoxerweise hielt es den Stand der Sammlungen kurz vor dem Einbruch der Schweden fest und diente so dem General Königsmarck als Grundlage zu reicher Beute. [45] Doch noch bevor dies geschah, organisierte auch Dionysio Miseroni mehrere Transporte von Kunstwerken nach Wien, von denen zwei belegt sind: im Jahre 1639 und 1642. Auf die drohende Besetzung der Prager Burg durch die Schweden antwortete er mit der Bergung der Sammlungen in geheimen Verstecken. [46] War die Gefahr vorbei, kamen sie wieder in die Kunstkammer zurück. Beim Vergleich der Angaben aus dem Jahre 1635 und 1648 wird klar, daß die Kunstwerke ihre ursprünglichen Plätze in den Schränken, Truhen und auf den Tischen nicht mehr innehatten. Jede Kontrolle der Sammlungen war dadurch fast unmöglich. Die Situation wurde noch durch den Umbau des sogenannten Langen Baus, d.h. des Traktes zwischen dem zweiten und dritten Burghof verschlimmert. In den Jahren 1642/43 wurden die Häuser hinter der romanischen Festungsmauer vom Architekten Giuseppe Mathei für den Bedarf des kaiserlichen "Frauzimors" umgebaut, durch eine einheitliche Fassade verbunden und ihre Raumaufteilung geändert. Dieser neue Bestandteil des kaiserlichen Palastes war damals mit dem Bau verbunden, der vor der romanischen Mauer lag, also mit den Räumen, in denen die Kunstkammer und die Galerie untergebracht waren. [47]
Wie bereits erwähnt, beeinflußten alle politischen Konflikte und Kämpfe um die Macht vor und während des Dreißigjährigen Kriegs das Schicksal der rudolfinischen Sammlungen auf der Prager Burg. Die Tragödie gipfelte in der letzten militärischen Aktion kurz vor dem Westfälischen Friedensschluß. Am 26. Juli, weniger als drei Monate vor der Unterzeichnung, besetzten die schwedischen Truppen unter der Führung des Generals Königsmarck die Prager Burg und die Kleinseite. Dieses militärische Unternehmen konnte nichts an der generellen Situation in Europa ändern. Hauptmotiv des schwedischen Eingriffs in Prag war der Wunsch der kunstliebenden schwedischen Königin Christina, die rudolfinischen Sammlungen zu besitzen, deren Ruhm bis nach Stockholm gedrungen war. Unter Androhung der Folter mußte der Schatzmeister Miseroni Königsmarck das Inventar und die Schlüssel der Kunstkammer aushändigen. Alles, was 36 Jahre nach Rudolfs Tod in ihren Räumen in situ vorhanden war, wurde nach Schweden transportiert. [48]
Im Jahre 1867 publizierte Dudík zwei bisher unbekannte Inventare, die diese Ereignisse erhellen. [49] Das Inventar A ist identisch mit jenem, das Königsmarck von Miseroni erzwungen hatte und das den Zustand der Kunstkammer an der Jahreswende 1647/48 repräsentierte. Das zweite mit dem Buchstaben B beinhaltete die Inventur der Kunstkammer, die zwischen dem 31. August und dem 10. resp. 12. September 1648 durchgeführt wurde. Die Prager Burg war damals schon von den Schweden besetzt. Deshalb kann es sein, daß das zweite Inventar Königsmarcks zur Kontrolle diente, ob Miseroni nichts Wesentliches verheimlicht hatte und damit seine Herrscherin nicht betrogen würde. Es ist kürzer, konzentriert sich mehr auf Zahlen und dort, wo im ersten Inventar ehrerbietig "Ihr Kays. Mays. Rodolpho" erwähnt wird, heißt es im Verzeichnis B nur "Kaiser Rudolf". In der zweiten Septemberhälfte begannen Königsmarcks Leute, die Sammlungen einzupacken und für den Transport nach Schweden vorzubereiten. Man beeilte sich dabei, denn die Unterzeichnung des Friedensabkommens stand kurz bevor. Ob es noch vor dem 24. Oktober, dem Tage der Unterzeichnung des Westfälischen Friedens, zum Transport kam, ist unbekannt. Sicher ist nur die genommene Route. Die kostbare Beute wurde auf Wagen und Schiffen nach Dömitz, einer kleinen Festung in Mecklenburg, befördert, von dort nach Wismar, wo sie über die Winterzeit lagerte. Schon in der ersten Aprilhälfte drängte Königin Christina zur sofortigen Verfrachtung nach Schweden. Erst Ende Mai 1649 konnte die Herrscherin endlich die Schätze aus Prag in ihrem Palast in Stockholm bewundern. [50] Die schwedische Besatzung blieb auf der Prager Burg bis zum 9. September 1649 - noch fast ein Jahr nach dem Abschluß des Westfälischen Friedens. Nach neueren Erkenntnissen haben die Schweden alle Bilder, die sie fanden, abtransportiert, nur die beschädigten nicht. [51] Zu diesen gehörten z.B. das "Rosenkranzfest" von Dürer [52] oder das Bild mit dem Raub der Sabinerinnen, Werk eines Schülers von Giulio Romano, das ein schwedischer Soldat mit dem Schwert mehrmals zerschlug. [53] Nach Stockholm wurden auch alle Skulpturen gebracht, die den langen und anspruchsvollen Transport überstehen konnten, d.h. die aus Bronze (Werke von de Vries, Giambologna, Leoni) oder aus Marmor. Die Plastiken aus Stuck, Terrakotta oder Gips blieben in Prag, genauso eine Reihe von Gegenständen, die in den Räumlichkeiten der Kunstkammer untergebracht waren: verschiedene Orientalien, zoologische und mineralogische Sammlungen, Kunstgewerbe und astronomische Geräte. Manche seltenere kleinere Gegenstände aus Elfenbein, Wachs u.a. rettete Miseroni, indem er sie noch vor der Besatzung verbergen konnte. [54]
Als die rudolfinischen Sammlungen im Mai 1649 Stockholm erreichten, änderte sich die Art, mit ihnen umzugehen, nur wenig. In einem Brief an den Herzog von Bracciano aus dem Jahr 1653 beklagte sich die Königin Christina, sie habe zwar ein riesiges und wunderschönes Ensemble gewonnen, in dem sich viele bewunderte Werke von Dürer und weiteren deutschen Meistern befänden, die sie jedoch nicht fesselten, abgesehen von 30 oder 40 italienischen Bildern. Lieber würde sie alle für zwei Gemälde von Raffael eintauschen. [55] Nachdem sie konvertiert war und heimlich das Land verließ, nahm sie nur die Bilder italienischer Meister mit nach Italien. Den Rest hinterließ sie ihrem Nachfolger und verschenkte und verkaufte viele der Prager Kunstwerke. [56] Das war das traurigere Ende der ruhmvollen Sammlungen Rudolfs. Die Werke, die nicht nach Wien gebracht worden waren, wurden mit der Zeit über ganz Europa verstreut.
Die Räumlichkeiten der Galerie und Kunstkammer auf der Prager Burg blieben aber nicht lange leer, denn schon im Jahre 1650 kaufte der Erzherzog Leopold Wilhelm für Ferdinand III. in Antwerpen einen großen Teil der einst ebenfalls berühmten Sammlung des Herzogs von Buckingham. Es ist uns nicht bekannt, ob sich beide dessen bewußt waren, daß sie mit diesem Ensemble für Prag Werke erwarben, die bereits einmal dort waren. [57] Dieser neuen Sammlung der Prager Burg war kein besseres Schicksal beschieden als der alten. Sie wurde zwar kein Opfer von Kriegskonflikten, die bedeutendsten Stücke gingen aber durch zahlreiche Transporte nach Wien verloren. Der Verkauf einer großen Bilderkollektion nach Dresden half der Kaiserin Maria Theresia zur Sanierung ihrer schlechten Finanzlage. Unter ihrer Regierung wurden dann die Galerie und die Kunstkammer auf der Prager Burg aufgehoben. Die Bilder wurden zur bloßen Dekoration in den Empfangsräumen des Palastes degradiert. [58] Viele "uninteressante oder beschädigte Sachen" endeten dann in der Auktion, die ihr Sohn und Nachfolger Josef II. im Jahre 1782 anordnete. Nach ihr gingen der Prager Burg die letzten Reste der rudolfinischen Sammlungen verloren und wurden über die ganze Welt verstreut. [59] Es waren keine geringfügigen Reste, wenn wir z.B. an den berühmten antiken Torso Illioneus denken oder an Dürers "Rosenkranzfest". Die einzelnen Stücke, die in den böhmischen Ländern geblieben waren, gelangten in andere Sammlungen, auf der Prager Burg gab es nur noch vereinzelte. Zu ihnen gehört das "Jüngste Gericht" von Heintz, eine Kopie des Augsburger Geschlechtertanzes, das Mädchenportrait von Hans von Aachen und die "Allegorie des Schicksals des Bildhauers Mont" von Spranger. [60] Die Landschaft mit der Mühle von Stevens ließ Kaiser Matthias nach Wien bringen, zurück nach Prag kehrte sie erst am Ende des 19. Jahrhundert. [61] Zahlreiche Werke gelangten durch Schenkungen, An- und Verkäufe oder unter der Hand in die Sammlungen von Klöstern oder Adeligen. [62] Am interessantesten sind die Wanderungen der Gegenstände, die in der Kunstkammer bis zur Versteigerung im Jahre 1782 blieben und Prag nur deshalb nicht verließen, da sie von zwei Professoren, Zauschner und Herget, als Hilfsmittel für den Unterricht ausgesucht worden waren. [63] Im Jahre 1878 gelang es aus Schweden einige böhmische Handschriften zurückzugewinnen. [64] Aus Wien wurden nach dem Zerfall der Habsburgermonarchie die Werke aus Rudolfs Sammlungen paradoxerweise nach Budapest übergeben. [65]
Der Versuch einer Rekonstruktion all dessen, was einst die Räume der Galerie, Kunstkammer und des Palastes Rudolfs II. auf der Prager Burg füllte, kann kaum durchgeführt werden. [66] Trotz des - leider nur lückenhaft erhaltenen - Archivmaterials und sorgfältiger Zusammenfügung wird niemals wieder das Gesamtbild hergestellt werden können. Als Rudolf II., der die Sammlungen liebevoll zusammengetragen hatte, starb, fand sich niemand, der mit gleichem Einsatz sein Werk fortgesetzt und sich um den Erhalt der Sammlungen in ihrer komplexen Form gekümmert hätte. Rudolfs Sammlungen litten gewiß unter den Folgen menschlicher Habgier und Leichtfertigkeit, aber mehr noch unter den stürmischen politischen und kriegerischen Ereignissen, deren Opfer sie wurden. Leider waren sie nicht die einzigen mit diesem Schicksal. Zur gleichen Zeit und auf ähnliche Art fanden die ruhmreichen Sammlungen von Mantua ihr Ende. [67] Auch die nachfolgenden Jahrhunderte, das unsere eingeschlossen, verstanden es nicht, die Kunstwerke besser zu behandeln.
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