DAMIAN DOMBROWSKI "Il Genio Bellicoso di Napoli". Das Kriegerethos des neapolitanischen Adels und seine Bedrohungen im Spiegel der Portraitkunst |
Questo è il secolo de'soldati, e Dio voglia che non siamo vicini all'occasione di valercene (Fulvio Testi, 1641) |
Im Jahre 1632 kam der französische Reisende Jean-Jacques Bouchard nach Neapel und entwarf in seinem Tagebuch ein brillantes Sittenbild des neapolitanischen Adels. Dazu gehörte auch, daß er dessen Lesegewohnheiten sondierte. Hier konnte der gebildete Franzose, der ansonsten erstaunlich objektiv berichtet, seine Herablassung gegenüber soviel Provinzialität schwerlich verbergen: "Les plus doctes", tadelte er, "lisent Tasso et il cavalier Marino, qui etaient du pays". [1] Fügt sich die Konzentration auf das Werk des sieben Jahre zuvor gestorbenen Marino noch in das Bild einer europaweiten Rezeption, so ist die anhaltende und einseitige Bevorzugung des eine Generation jüngeren Tasso nicht mehr mit modischem Diskurs zu erklären. Vielmehr scheint sie ein für Neapel spezifisches Interesse befriedigt zu haben.
Tasso zu lesen bedeutete in erster Linie, die "Gerusalemme Liberata" zu lesen, jenes letzte Ritterepos von europäischem Rang, das die kriegerische Wirklichkeit mehr mit persönlichem Heldentum assoziierte als mit dem namenlosen Schrecken, der im Gefolge jahrzehntelanger Kämpfe, Plünderungen und Verheerungen in weiten Teilen Europas das Bild des Krieges in Literatur und Kunst nachhaltig verändert hatte. Von solcherart ästhetischen Brüchen war im Regno di Napoli, das den Krieg nicht im eigenen Land erlebte, nichts zu spüren. Verschiedentlich wurde die "Gerusalemme Liberata" von Illustrationen begleitet, die sich typologisch einem Genre zuordnen lassen, das in den 30er und 40er Jahren in Neapel auffallend florierte: der Schlachtenmalerei.
Die Eigenart der Bilder von Malern wie Aniello Falcone oder Andrea di Lione hat bereits Saxl in der "Schlachtenszene ohne Held" erkannt [2]: Gelöst von einem konkreten historischen Handlungsrahmen, wurde die Schilderung der reinen Kampfesszene zum ausschließlichen Thema. Es ist der Krieg an sich, der hier einen autonomen Wert beansprucht. Fragt man nach den Ursachen für dieses Phänomen, so reicht die Erklärung Saxls, der in der Vorliebe für das Schlachtengenre die kontinuierlichen sozialen Konflikte in Neapel widergespiegelt sah, für eine derartige Häufung nicht aus. Die bildliche Evaluation des Krieges war eine Form von politischer Ikonographie, auf die der neapolitanische Adel zurückgriff, um damit auf Gefährdungen seines Standes zu reagieren, die ihm von den konkurrierenden Gesellschaftsschichten drohten, namentlich seitens des Bürgertums und der spanischen Administration. Zur Erhellung dieses Bemühens um die Behauptung seiner sozialen Position besitzt eine andere künstlerische Gattung nach Quantität und Qualität die höchste Aussagekraft: die Portraitskulptur. Die neapolitanische Bildniskunst aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges gibt Zeitdokumente ersten Ranges an die Hand, an denen sich aufzeigen läßt, daß der Krieg die raison d'être des Adels war und warum derselbe Adel mit dem Westfälischen Frieden in seine tiefste Krise stürzte.
Jacob Burckhardt hat den augenfälligsten Gegensatz zwischen der Grabkunst in Rom und Neapel in der lapidaren Bemerkung zusammengefaßt: "In den neapolitanischen Grabmälern verewigt sich eine kriegerische Aristokratie, wie in den römischen vorzugsweise eine hohe Priesterschaft". [3] Die Dominanz des Kriegerportraits, die sich nicht nur auf den sepulkralen Kontext beschränkte, ist keineswegs zufällig. Auf den folgenden Seiten soll dargelegt werden, wie in Neapel, wo in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts Machtansprüche von verschiedenen Seiten kollidierten, das Portrait als politisches Instrument der Auftraggeber fungierte.
Wer in der neapolitanischen Kirche S. Giovanni a Carbonara die Cappella Caracciolo di Vico aufsucht, dem tritt eine knapp überlebensgroße Portraitstatue entgegen, die heute allgemein als Carlo Maria Caracciolo angesprochen wird (Abb. 1). [4] Er war 1641 in der Schlacht um Barcelona gefallen; zwei Jahre später entstand die Marmorfigur, ein Gemeinschaftswerk des Lombarden Ercole Ferrata und Giuliano Finellis aus Carrara, der während seines Aufenthaltes zwischen 1635 und 1650 in Neapel der gefragteste Portraitbildhauer war. Die Statue entwickelt einen Typus weiter, der in Neapel große Tradition hatte. Im 16. Jahrhundert waren die Kirchen der Stadt von aufrecht stehenden, geharnischten Grabfiguren bevölkert worden. Zur Zeit ihrer Entstehung knüpfte die Statue Carlo Maria Caracciolos typologisch aber nicht mehr an eine aktuelle Ikonographie an, sondern ist als ein Rückgriff auf ältere Vorbilder zu verstehen. Der Typus des stehenden Kriegers mit dem Helm zu Füßen wurde jedoch im Sinne einer veränderten geistigen und religiösen Verfassung abgewandelt. Wie die Portraitfigur Marcello Caracciolos, einem Werk von Girolamo D'Auria aus dem Jahr 1573 (Abb. 2), steht Carlo Maria zwischen dem Altar und einem der beiden seitlichen Grabmäler, die sich die Stifter der Kapelle in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts errichten ließen. Die beiden Figuren korrespondieren dem Schema nach, aber in den verwandten Werken trifft der Geist zweier Zeitalter aufeinander: hier die auf Rechtfertigung bedachte Entsagung und Selbstweihe des gegenreformatorischen Glaubenskriegers, dort der pompöse, rein weltliche Kriegskult der Söldner des Dreißigjährigen Krieges.
Der ältere Caracciolo hatte aus frommer Ergriffenheit den Arm vor die Brust gelegt; eine Statue wie diese sollte den Glauben bekunden, auf den Tod vorbereiten, das Heil absichern. Sie sollte das Sinnbild eines soldatischen Ideals sein, das Weltverachtung und katholischen Glauben voraussetzte und verfocht. [5] War der Blick Marcellos auf Höheres gerichtet, ist sein Nachfahre ganz der Welt zugewandt. Dieser Galan könnte ebensogut im Begriff sein, das Schlachtfeld oder die militärische Ausrüstung zu inspizieren, wie auch gerade den Tanz zu eröffnen. Nur eines sicher nicht: sein Leben als gottgeweiht zu begreifen.
Hatte sich der Adel im späten 16. Jahrhundert über eine heroische Frömmigkeit definiert, die nicht ohne Auswirkungen auf die Form bildlichen Gedenkens geblieben war, so übernahm das Portrait nun vor allem die Aufgabe, das gesellschaftliche Gewicht einer sozialen Klasse zu vermehren. 1628 definierte Giovan Battista Manso die Funktion des Portraits damit, daß es nicht nur das Gedächtnis der Ahnen bewahre, sondern auch der "pompa del presente" diene. [6] Zu einer Zeit, da der neapolitanische Adel von der neuen Schicht bürgerlicher Aufsteiger wirtschaftlich überrundet wurde, setzte derselbe Adel verstärkt auf eine "ideologische Rentabilität" nach der Devise: Geld verdienen ist Gut, Ansehen aber ist besser. [7] Dieses Ansehen war für den Adel allein durch Schlachtenruhm zu erwerben, denn die militärische Laufbahn war nach aristokratischem Selbstverständnis "la condizione di Nobile, che ne' Cavalieri Napolitani si univoca con la profession di Soldato". [8] Die militärische Laufbahn war nach wie vor exklusiv dem Adel vorbehalten; aus Gründen der Selbstbehauptung legte die alte Feudalschicht auf ihre letzte Domäne übermäßigen Wert. In Neapel breitete sich ein regelrechter Kriegskult aus, der genius loci wurde im Genio bellicoso di Napoli geortet, wie der Titel der bekanntesten Familienhistoriographie des 17. Jahrhunderts nahelegt. Kriegerportrait und Schlachtenmalerei sind insofern die bildlichen Pendants zu einer ausgesprochenen Kriegsliteratur.
Die Kriegsbegeisterung der neapolitanischen Nobilität wurde nur noch von ihrer grenzenlosen Eitelkeit und Schmucklust übertroffen. Der eingangs zitierte Jean-Jaques Bouchard beobachtete 1632 einen "culte de l'apparence et de l'exterieur". [9] Die übersteigerte Dünkelhaftigkeit sei der Hauptwesenszug der Neapolitaner: "Et d'abord il n'y a point de race au monde plus vaine que cette noblesse, estant toute dans l'apparence et l'exterieur". [10] Die spanischen Vorstellungen von Bescheidenheit und Zurückhaltung fanden kaum Beachtung, der Adel gab sich in Kleidung, Schmuck und Stoffen hemmungslosem Luxus hin. Mit der Statue in der Caracciolo-Kapelle steht er uns greifbar vor Augen, der "uomo che s'ammira / e va in punta di piedi / si pavoneggia e vanta", dem der Spott Giambattista Basiles in der 1634 veröffentlichten Märchensammlung des Pentamerone galt. [11] Der junge Caracciolo ist ganz à la mode gekleidet; mit großer deskriptiver Präzision wurden die nach französischer Art aufgeputzten Haare nachgestaltet, die französische cravate, der justeaucorps, eine Art kurzer Soutane, die spitzengeschmückte Schleife, die unter der Rüstung hervorschaut, die hohen Reitstiefel, die am Fuß mit dem gamaschenähnlichen surpied besetzt sind und auf der rechten Seite auch den zerknautschten, bas de botte genannten Überstrumpf sehen lassen. [12]
In den ersten zwei Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts waren die Portraitfiguren der neapolitanischen Grabmäler noch ausschließlich nach spanischer Sitte gekleidet gewesen. Anfang der 30er Jahre berichtete Bouchard, die Kleidung der Adligen sei eine Mischung aus spanischen und französischen Elementen. [13] Nochmals zehn Jahre später ist die Garderobe Caracciolos ein einziges Echo der französischen Mode, deren Verspieltheit von den Spaniern als skandalös empfunden wurde. Wie es scheint, haben gerade die Verbote durch die Regierung der Vizekönige für die Ausbreitung eines frankophilen Geschmacks gesorgt. [14] Mit ihren französischen Vorlieben - den "libertà francesi", wie der Chronist Fuidoro sie nannte [15] - signalisierten die Aristokraten Neapels, daß sie sich von der Zentralmacht nichts vorschreiben ließen. Die Provokation, die hier im Portrait verewigt wurde, war eine Form der Rebellion, eine stolze Demonstration ihrer ererbten Freiheit.
vDie Caracciolo-Figur ist kein Einzelfall; zur gleichen Zeit entstand, wahrscheinlich ebenfalls auf der Grundlage eines Finelli-Modells, die Grabfigur Paolo de Sangros für die Cappella Sansevero (Abb. 3). Mit der Statue Carlo Maria Caracciolos teilt sie die detailgenaue Wiedergabe der Kleidung, und wie sie hat sie im Dreißigjährigen Krieg ihren "Sitz im Leben". Über die Schultern de Sangros ist ein weiter, mit Spitzenlambrequins geschmückter collet vidé gelegt; wie die cravate verdrängte diese Kragenform in Europa die spanischen Rollen- und Stehkragen. Der collet vidé war unter Ludwig XIII. in Frankreich lanciert worden und hatte unmittelbare Aufnahme in Holland gefunden. [16] Wenn man bedenkt, daß Neapel die französische Mode hauptsächlich über die niederländischen Handelsleute kennen- und schätzenlernte, gewinnt die polemische Absicht noch deutlichere Konturen. Umgekehrt fand das Modell der neapolitanischen Kriegerfiguren in Holland unmittelbare Aufnahme; so stand die Caracciolo-Statue Pate für François Dieussarts vier Standbilder der Prinzen von Oranien-Nassau. [17] Die Figur de Sangros folgt der franko-holländischen Mode mit den trichterförmigen Stiefeln, die mit hohen Absätzen und großem Aufschlag versehen sind.
Das Selbstbewußtsein des neapolitanischen Adels gegenüber den Spaniern, deren Schlachtreihen er nicht selten anführte, äußerte sich im Leben durchaus so exhibitionistisch und großspurig, wie es uns in der portraithaften Vergegenwärtigung vor Augen steht. Paolo de Sangro scheint das Schlachtfeld zu überblicken und wird dabei zum Sinnbild einer Epoche, in der Krieg zur Sucht, Blut zum Rausch und Schlachtenruhm zur einzig möglichen Befriedigung wurde. Seine Koketterie und Spitzigkeit wirken, obwohl sie mit Sicherheit von den Auftraggebern mit fatalem Ernst verstanden wurde, beinahe wie ein Spottlied auf die Kriegslüsternheit der nobiltà di Napoli. Es verwundert nicht, daß ein Benehmen, wie es diese Statue wiedergibt, schon von satirisch begabten Zeitgenossen dem Lächerlichen preisgegeben wurde: "con la mano al fianco, / sbuffa pestando i piedi", spottete Basile 1634 über den kriegerischen Adel seiner Heimatstadt: "gli dà fastidio fino una pagliuzza / e se la prenderebbe con le mosche". [18]
Gegenüber der Statue Carlo Maria Caracciolos befindet sich in derselben Kapelle die Bildnisbüste seines Vaters Carlo Andrea Caracciolo, Marchese di Torrecuso (Abb. 4). Sie stellt nicht nur die reifste Portraitleistung Finellis dar, sie ist zugleich das repräsentativste und originellste Bildnis des neapolitanischen Seicento. Die Biographie des Dargestellten setzt sich hauptsächlich aus militärischen Daten zusammen. [19] In seiner Heimatstadt hielt er sich zwischen den Feldzügen nur selten auf - zum letzten Mal 1643, als er sich, mit sechzig Jahren, von Finelli portraitieren ließ. Um eine Büste wie diese zu verstehen, müssen wir weniger nach dem künstlerischen Ingenium fragen als nach ihrem absichtsvollen Habitus. Mit der Politisierung des Bildnisses gewannen Kleidung, Gestik und Mimik eine sprechende Funktion. Eine Deutung des neapolitanischen Adelsportraits, die von dessen ideologischer Motivation ausgeht, setzt allerdings die Kenntnis der politisch-sozialen Umstände voraus, unter denen es entstand.
Die Eingliederung des Regno di Napoli in das spanische Imperium ist keineswegs mit der Assimilierung in einen unitarischen politischen Organismus zu verwechseln; trotz Vizekönigen war Neapel nie Provinz des spanischen Reiches. [20] Die Aristokratie behielt ihr soziales und politisches Gewicht, eine absolutistische Perspektive war von vornherein nicht gegeben. [21] Seit dem Beginn der spanischen Herrschaft war die Geschichte Neapels geprägt vom Antagonismus zwischen Vizekönigen und neapolitanischer Aristokratie, die ihre Autonomie einschließlich ihrer traditionellen Vorrechte gegen den Machtanspruch des spanischen Souveräns verteidigen wollte. Die Versuche der Vizekönige, die nobiltà in einen Hofstaat umzuwandeln, scheiterten [22]; nach gewissen Erfolgen unter der Regentschaft von Don Pedro de Toledo (1532-1552) begann mit dem sich abzeichnenden Niedergang des spanischen Königtums am Ende des 16. Jahrhunderts ein Phänomen, das die Historiker als "Refeudalisierung" bezeichnen. Zu Anfang des 17. Jahrhunderts pochten die baroni auf ihre Prärogativen rücksichtsloser denn je. Nachdem die Spanier den Feudaladel ein knappes Jahrhundert lang mehr schlecht als recht in Schach gehalten hatten, ging dieser zumal nach dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges zu einer Praxis regelrechter Erpressung über. Obwohl sie die staatliche Autorität unterminierten, war Spanien zur Finanzierung des Krieges auf die neapolitanischen baroni angewiesen. Diese konnten es sich nunmehr leisten, finanzielle Abgaben nur noch gegen die Zusicherung von Vorrechten und Immunität zu erbringen. Gönnerisch heißt es in einem Dokument von 1642, mit dem Willen des neapolitanischen Adels könne Ihre Majestät alles vom Königreich Neapel erhalten, wonach ihr verlange, denn er sei Herr über die meisten Städte des Regno und garantiere dafür, daß Tribute und Steuern gezahlt würden; mit seiner Tüchtigkeit setze er sich für die Erhaltung der Monarchie ein. [23]
Ordnen wir nach diesem historischen Exkurs die Büste des Torrecuso in die kulturellen und politischen Prozesse der 1640er Jahre ein, so finden wir uns einem vielsagenden Dokument für das Selbstverständnis der nobiltà di Napoli gegenüber. Mit der geometrisierenden Büstenform wird das metallene Klirren und Quietschen des Küraß fast hörbar. Der strenge Zuschnitt ist dazu angetan, die Selbstdefinition des Portraitierten über das Militärische auszudrücken. Der enorme horizontale Kragen trennt den heraldisch-unbelebten Schulterabsatz von dem höchst animierten, ausschließlich aus Rundungen aufgebautem Haupt. So starr und tot die Rüstung, so prall von momentanem Erleben ist der Kopf gestaltet. Carlo Andrea wendet ihn leicht zur Seite und erhebt den Blick; vor allem in leichter Untersicht, aus der die Büste wohl ursprünglich gesehen werden sollte [29], erzeugt dieses Streben nach rechts oben eine grandezza, die den Schlachtengeneral als solchen, nämlich im Vollzug seiner heroischen Taten kennzeichnet.
Carlo Andreas Aussehen erscheint nur auf den ersten Blick besonders individuell; in Wahrheit entspricht es der Selbststilisierung eines ganzen Standes so perfekt, daß die Büste wie eine bildliche Entsprechung zu Basiles "La Cappella" wirkt. Diese Posse innerhalb des "Pentamerone" ist ein Spottgedicht auf den militärischen Größenwahn des neapolitanischen Adels. Nirgendwo anders findet sich der typische Charakter, den der Torrecuso verkörpert, so exakt beschrieben: "C'è chi loda la guerra / la solleva alle stelle / e, quando viene l'ora / che si pianta l'insegna / che si scute il tamburo / va di corsa ad iscriversi / [...] / Se un amico gli dice: 'dove andiamo?' / risponde allegramente, / quasi non tocca terra: 'Alla guerra! alla guerra!' [30] Und präziser als jede der zahlreichen Apologien, die im 17. Jahrhundert der neapolitanischen Kriegslüsternheit das Wort redeten, drückt Basiles Satire Geist und Aussehen der Torrecuso-Büste aus: "Si picca e si presume / d'atterire la gente / di farti sbigotterie / con un sol giro d'occhi. / [...] il puntale erto in aria, / i mustacci rialzati; e con gli occhi stravolti". [31]
Der Dargestellte wird zur Verkörperung eines Typus, nicht nur durch die Rüstung, sondern bis in die Mimik hinein. Die buschigen Augenbrauen, die dicken Schlingen von Schnurrbart und Haaren kehren die habituelle Wildheit heraus, von der Basile spricht. Und auch, daß er unter seinem eigenen Stolz fast zusammenbreche - "l'orgoglio lo tormenta" [32] - nimmt man dem Portrait ohne weiteres ab. Will man die Physiognomik bemühen, die in Neapel außerordentliche Verbreitung fand, seitdem Giambattista della Porta sie dort neubegründet hatte, so war die Anmaßung des Torrecuso schon seinen Augenbrauen abzulesen: "Le ciglia lunghe verso le tempie significa l'huomo arrogante", worüber Giuseppe Ingegneri aufklärt [33]. Als der Bildhauer und Kunstschriftsteller Orfeo Boselli in seinen "Osservationi della Scoltura antica" (um 1650) auf das Portrait zu sprechen kommt, entwirft er eine Affektenlehre, wonach die Seele sich entweder "irascibile" (jähzornig), "concupiscibile" (gierig) oder "ragionevole" (vernünftig) geriere. Finelli hatte Boselli in Rom lange vor der Niederschrift der "Osservationi" kennengelernt. Seinen Anschauungen scheint er zu folgen, wenn er im Torrecuso "l'irascibile" überwiegen läßt: "quella parte guerriera, la quale pugna e castiga chi vuole opporsi alla raggionevole, questa arma il volto di sdegno, rigore, e gravità severa". [34] Den spanischen Gepflogenheiten, der protokollarischen Steifheit und Selbstbeherrschung, stehen bewußte Übertreibungen entgegen. Gegenüber der Formelhaftigkeit der Rüstung steht der Kopf ganz im Zeichen einer unbedingten Arroganz und Theatralik. Mit der Überzeichnung der Gesichtszüge verlieh Finelli dem Außerordentlichen seines Wesens Nachdruck, das nach Auskunft seiner Biographen stets nach dem Großen und Erhabenen strebte. Filamondo verglich Carlo Andrea mit dem Meer, das desto höhere Wellen schlage, je mehr es von den Winden gepeitscht werde. [35]
Den aufstrebenden Gesellschaftsschichten gilt die ausgesprochene Hochnäsigkeit, und die Kopfwendung ist auch als Sich-Abwenden von den Niederen zu verstehen. Eine ganz andere Auffassung des Im-Raum-Seins als in römischen Barockportraits drängt zur Erscheinung. Deren beherrschendes Prinzip ist das Bedürfnis nach Resonanz, der sichtbare Wille nach zwischenmenschlicher Kommunikation. Dieses Herüber- und Hinüberfluten geistiger Kräfte ließen auch Finellis römische Schöpfungen verspüren. Dahingegen spricht aus den Zügen Carlo Andreas Argwohn gegen jegliche Sozialität.
Liest man in den Chroniken der 40er Jahre, so lag in Neapel ein fortwährender Aufruhr wie Schwelbrand in der Luft. Es ist, als erhielten Finellis Portraits jener Zeit von dieser gereizten Stimmung ihren Lebensfunken. Das gilt sowohl für die Bildnisse des Adels als auch für jene Portraits, die er für die spanische Klientel anfertigte. 1643 entstand die Büste des Vizekönigs Medina de las Torres (Abb. 5) [36], unter dem die Konflikte mit der nobiltà di Napoli eskalierten. Der Kopf mutet wie aufgeblasen an, in seiner Wirkung unterstützt von den buschigen Haaren, die ihn umrahmen. An der linken Schläfe tritt die geschwollene Schlagader plastisch hervor, wie überhaupt das ganze Gesicht unter Hochdruck zu stehen scheint. Es kündet von einem aufbrausenden, sanguinischen Temperament, von Stolz, Brutalitität und Großspurigkeit. Und es verrät etwas von der Dauerspannung, aber auch von der Herablassung im Umgang mit dem neapolitanischen Adel, die schon Bouchard als "le plus grand vice des Espagnols" verbucht hatte. [37]
Stets hat Finelli die Persönlichkeit des Dargestellten erfaßt, indem er der Formgebung die Kriterien von Standesbewußtsein und konkreter historisch-sozialer Positionierung zugrunde legte. Man könnte einwenden, die Angespanntheit der Portraitierten sei vielleicht viel eher ein Stilmerkmal Finellis oder der neapolitanischen Bildhauerei im allgemeinen, als daß sie mit gesellschaftlichen Bedingungen erklärt werden müßtee. Dagegen spricht, daß Finellis Werkstatt sehr wohl auch "entspannte" Portraits verließen, und dies ebenfalls schichtspezifisch bedingt: Die Rede ist von den Bürgerlichen, unter denen die Rechtsgelehrten die stärkste Gruppe bildeten. Einer der bedeutendsten Juristen Neapels war Giovanni Camillo Cacace, der Finelli kurz vor dessen Fortgang 1650 mit seiner Grabbüste beauftragte (Abb. 6). Auf der Grundlage von Zeichnungen, wahrscheinlich auch eines Tonmodells übernahm der langjährige Bernini-Mitarbeiter Andrea Bolgi 1653 den Auftrag und übersetzte in einer stupenden technischen Leistung die Vorlage in Stein. [38] Giovanni Camillos Gesicht ist in einem Augenblick jovialer Gesprächigkeit eingefangen, ein gewitztes, hintergründiges Lächeln wird unter dem Schnurrbart sichtbar. Das Portrait strahlt taktische Schläue und ironische Selbstsicherheit aus. Das Interesse des Bildhauers ging jedoch einmal mehr über die Fixierung der Einzelpersönlichkeit hinaus: Das Portrait des bürgerlichen Giovanni Camillo Cacace geriet seinerseits zum Emblem eines neuen sozialen und wirtschaftlichen Status. Der ökonomische Abstieg des Adels hatte schon lange zuvor eingesetzt, wurde aber bis zur Jahrhundertmitte noch durch sein militärisches Gewicht überbrückt. Ein Satiriker wie Basile hatte aber schon längst Salz auf diese Wunde gestreut. Wieder wirken seinen Worte wie ein Kommentar auf die Torrecuso-Büste, wenn er schreibt: "gonfie ha le guancie, ma la bocca vuota / teso il collare, ma la borsa floscia; / aria contenta, ma senza un contante". [39] Doch erst nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges wurde die Krise offenbar. Das Mißverhältnis von Machtanspruch und finanzieller Ohnmacht führte dazu, daß der Adel von der Bourgeoisie nicht länger als dominierende politische Klasse akzeptiert wurde. [40]
Der neue Justiz- und Geldadel suchte die Assimilation mit der alteingesessenen Nobilität, was sich nicht zuletzt auch in der Übernahme ikonographischer Formeln dokumentiert. Während der Ausstattung seiner Familienkapelle in S. Lorenzo Maggiore hat Giovanni Camillo Cacace persönlich in die Planungen des beauftragten Cosimo Fanzago eingegriffen - mit der ausdrücklichen Absicht, sie der Cappella Firrao in der benachbarten Kirche S. Paolo Maggiore anzugleichen. [41] Und tatsächlich wurden dieselben formalen Mittel in gesteigerter Form aufgeboten, um das noble Vorbild zu übertrumpfen. Einer zeitgenössischen Quelle zufolge waren die Firrao ein Geschlecht, das nach Alter, Feudalbesitz, vornehmer Verwandtschaft und hervorgebrachten Kriegshelden zu den hervorragendsten des regno gehörte [42]: sämtlich Qualitäten, gegenüber denen die bürgerlichen Emporkömmlinge eine gewisse Unterlegenheit empfinden mußten. Die Portraitskulptur bot die Chance, die Standesunterschiede über die Ikonographie wenigstens bildlich zu nivellieren.
Die Bonhomie, die das Cacace-Portrait ausstrahlt, entspricht keineswegs dem, was Zeitgenossen vom Charakter Cacaces überliefern. Dort findet man ihn nämlich als sittenstrengen, bigotten Grobian geschildert, als zotischen Eiferer von düsterer Reserviertheit, anmaßendem Wesen und rohen Manieren. [43] Diese Beschreibungen stehen in krassem Widerspruch zu dem Bildnis in S. Lorenzo Maggiore. Ein größerer Widerspruch als der zwischen den Büsten Cacaces und des Marchese di Torrecuso ist kaum denkbar, obwohl beide charakterlich offenbar gar nicht so weit voneinander entfernt waren. Der Unterschied ist: Carlo Andrea Caracciolo hatte aufgrund seines Standesethos kein Interesse daran, sich über die portraithafte Selbstdarstellung als integres Element eines geordneten gesellschaftlichen Zusammenlebens zu empfehlen. Anders der Rechtsgelehrte, der sich innerhalb der spanisch dominierten Ordnung als harmloser, loyaler, gutmütiger Staatsbürger ausgibt. Während sich die Adligen in den Portraits so zeigen ließen, wie sie waren: anmaßend, arrogant, kriegslüstern, leidenschaftlich gläubig bis zum Aberglauben, so scheint es den bürgerlichen Aufsteigern darum gegangen zu sein, sich Denkmäler ihrer Integrität zu setzen, ihrer Arglosigkeit und Gesellschaftsfähigkeit - welch ein Gegensatz zu den großspurigen Posen des Adels. Wie verändert die Ausgangslage nach dem Westfälischen Frieden war, zeigt schon das quantitative Verhältnis zwischen den zahlreichen Bürgerportraits und den wenigen Adelsportraits, die jetzt noch entstanden. Finelli selbst begründete seinen Fortgang aus Neapel damit, daß er von jener Auftraggeberschaft, für die er 15 Jahre lang vornehmlich gearbeitet hatte, nicht mehr viel zu erwarten habe: "giàche in questa città non ritrova opere, con le quali si possa mantenere". [44] Doch in der Portrait- und Grabskulptur hat nach dem Krieg auch ein qualitativer Umschwung stattgefunden, der als Indikator für das gebrochene Selbstverständnis des Adels dienen kann. Waren die Adorantenfiguren der Cappella Firrao kurz nach 1640 für die reichste Händlerfamilie Neapels unmittelbar kopiert worden (Cappella d'Aquino, S. Maria la Nuova), so waren es jetzt umgekehrt die nobili, die sich den togati anpaßten. Die Halbfigur Flaminio Antinoris in SS. Apostoli [45] erinnert in ihrer zurückgenommenen Gestimmtheit eher an ein Juristenportrait als an den hochmütigen Marchese di Torrecuso. Obwohl Veteran der Flandernkriege, trägt Antinori keine Rüstung, die vordem das unverzichtbare Emblem standesmäßiger Überlegenheit darstellte. Aber auch in den geharnischten Portraits der zweiten Jahrhunderthälfte ist die Gemütslage der Dargestellten von ihren bürgerlichen Gegenstücken nicht mehr zu unterscheiden. Nicht mehr stürmisch-gebietend, sondern nüchtern-introvertiert präsentiert sich die Halbfigur eines Ritters im Londoner Victoria & Albert Museum, die ich als ein Werk Andrea Falcones ansprechen möchte (Abb. 7). [46] In Einrechnung des hier Gesagten will es scheinen, als blicke dieser Unbekannte von verlorenem Posten aus in eine gar nicht so ferne, doch für immer vergangene Ruhmesherrlichkeit zurück.
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