JOHANNES BURKHARDT Die entgipfelte Pyramide. Kriegsziel und Friedenskompromiß der europäischen Universalmächte |
I
Die Herrscher an den Wänden repräsentieren die Hauptkriegsbeteiligten unter den Mächten, und das waren charakteristischerweise diejenigen, die sich mit den besten Chancen und größten Erfolgen um die Spitzenposition beworben haben. Eine Besonderheit ist, daß es vier Herrscher, aber nur drei Kandidaturen gab. Bei den Habsburgern beanspruchte die Dynastie die Universalgewalt und stützte sich dazu auf der einen Seite auf das Kaisertum Ferdinands II., auf der anderen Seite auf die weltumspannende spanische Krone Philipps IV. Was unter Karl V. noch in der Person des Kaisers vereint gewesen war, wurde zwar unter den Linien geteilt, war aber eigentlich eine Arbeitsteilung der Dynastie; der kooperative Handschlag der "beiden Ferdinande" auf dem Schlachtfeld von Nördlingen führte dies am Tag ihres größten Erfolges sinnbildlich vor Augen. Frankreich war, jetzt repräsentiert von Ludwig XIII. und geleitet von Richelieu, der stärkste und älteste Konkurrent, der sich schon im 16. Jahrhundert ein "Duell um Europa" (Heinrich Lutz) mit den Habsburgern geliefert hatte. Der Überraschungskandidat des Krieges aber wurde der Schwedenkönig Gustav Adolf, der mit weit schwächeren Ressourcen, aber der kriegerischsten Energie und Ideologie angetreten war. Das Kriegsziel aller drei Hauptkombattanten aber war, die vakante Spitzenposition in Europa zu besetzen und so Universalmacht zu werden oder dieses universalistische Selbstverständnis zu verteidigen. Das galt unter dem pyramidalen Ordnungsideal nicht von vornherein als illegitim, anders als spätere Hegemonialansprüche auf der Basis des Staatensystems. Denn in der Vorstellung der Zeit gab es ja die Pyramide, und man hielt den Gegner am besten von der nun einmal vorgesehenen Spitze fern, indem man sie selbst eroberte.
II
Das führt zu den historischen Legitimationen des universalistischen Anspruchs, die im Falle Gustav Adolfs die größte Dynamik entfalteten. Der schwedische Gotizismus, der davon ausging, daß Schweden die Heimat und die Schweden die eigentlichen Nachkommen des Völkerwanderungsvolkes der Goten seien, wurde im 15. und 16. Jahrhundert aufgebaut - auch in Konkurrenz zum Gotizismus in Spanien, wo die Westgoten schließlich angekommen waren - und erreichte im Dreißigjährigen Krieg seinen Höhepunkt. Als dem ältesten Land der Welt gebühre Schweden der Vorrang vor allen anderen, heißt es in des Königs Aufzeichnungen, und immer wieder stellte er in seinen Reden die Ruhmestaten der gotischen Ahnen in aller Welt als Vorbild heraus. Bei seiner Krönung 1617 schlüpfte der Redner gar selbst in die Rolle des Gotenkönigs Berik: Das Verlangen nach Ruhm und tapferen Taten lasse sich "nicht länger in die Grenzen des Vaterlandes einschließen, so groß es auch sei", und damit man das nicht für bloße Rollenprosa hielt, fügte "Berik" hinzu, daß die Goten nicht noch mehr von der Welt erobert hätten, um den Nachkommen noch etwas zu tun zu geben. [9] Gotenkrieger sollten auch als Figurenschmuck im königlichen Flaggschiff mitsegeln, das jedoch vorzeitig unterging. [10] Bevor Gustav Adolf dann tatsächlich nach Deutschland übersetzte, ermunterte er den Adel, sich weiterhin als "treue Erben und Abkömmlinge der alten Goten, die in ihren Tagen fast die ganze Welt erobert und viele Königreiche unterworfen haben" zu erweisen. [11] Flankiert wurde der großgotische Universalismus von einer Fülle weiterer historischer Verweise aus großskandinavischen und großpolnischen, dynastischen und maritimen Universalismen des Nordens, von Rückbezügen auf alttestamentliche und antike Helden und Eroberer und vor allem auf das Römische Reich, zu dessen Erben die Goten ja in gewisser Weise gehörten.
Bei den Habsburgern war der Geschichtsbezug vor allem dynastischer Natur. Einerseits durch die Ansippung an die ersten Adressen in Bibel und Antike und genealogische Vereinnahmung der halben Welt [12], andererseits in realistischen Stammbüchern durch die Betonung der Einheit der beiden Zweige Austria Hispanica und Austria Germanica in bekränzten Medaillons. [13] Spanien und Frankreich konkurrierten hingegen im publizistischen Vorlauf des Krieges um Alter, Rechtgläubigkeit und damit Rang ihrer Kronen. Frankreich vereinnahmte über Troja und Gallien die prestigeträchtige Antike und meldete über die Franken und Karl den Großen den Anspruch auf halb Europa und das Kaisertum an. Nach dem salischen Recht gehöre der Krone "Frankreich" immer noch, was sie je besessen habe, lautete hier die territorialrechtliche Fassung des Universalismus in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges.
Im Bilde - und nicht zuletzt im geographischen Bilde - wurden universalistische Ansprüche oft noch schrankenloser erhoben. Ein besonders schönes Beispiel aus dem Vorlauf des Dreißigjährigen Krieges ist die silberne Weltallschale Kaiser Rudolfs II., in die eine Europakarte so eingraviert ist, daß sie zugleich als eine Frauengestalt erscheint. Den Kopf bildet die spanische Halbinsel, so daß die bekrönte spanische Monarchie als das Haupt Europas hingestellt wird. [14] Dieses Motiv war auch in Kupferdrucken verbreitet, und solche figürlichen Kartenbilder waren überhaupt beliebt - aber nur da, wo es politischen Sinn machte, nahmen sie gleich ganz Europa in Anspruch: der Spanien entsprungene niederländische Löwe deckte sich mit seinem ganzen Körper nur mit den Niederlanden. [15] Nach der Entdeckung der Neuen Welt und der europäischen Expansion bekommt mit der Phasenverzögerung fast eines ganzen Jahrhunderts der europäische Universalismus im Bilde auch eine weltweite Dimension, natürlich zuerst in Spanien mit Darstellungen, die mit überdimensionalen Erdkugeln imponieren sollen, die - zum Beispiel nachträglich mit Karl V. - spanisch signiert sind und oft von Atlas getragen werden. [16] Ein beliebtes Motiv sind die Abgesandten oder Personifikationen der vier Erdteile, die dem spanischen Thron huldigen oder sich aber wider alle Wahrscheinlichkeit auch vor Kaiser und Reich verneigen und natürlich prompt im Dreißigjährigen Krieg auch dem französischen Thron, warum auch immer, ihre Huldigung darbringen. Sehr deutlich wird hier, daß es sich nicht um eine Ausweitung des europäischen Universalismus handelt, die weltläufigen Bildmotive aber ein Mittel zum Zweck im europäischen Universalkampf darstellen. Eine andere Art bildgeographischer Propaganda findet sich in einer proschwedischen Flugblattserie: Der Schwedenkönig schließt in Polen Frieden und bekommt hinter einem die Bildhälfte teilenden Werk von einem Engel den Weg ins Reich gewiesen, das er im Triumphwagen durchquert, um in den Reichssaal einzutreten, in dem Kaiser und Kurfürsten thronen. Die Pointe ist, daß ihm durch die ganze Bildfolge ein Vogel mit seinem Feldherrenhut im Schnabel zum Thron voranflattert, wie dies nach Livius einst einem Feldherren wiederfahren sein soll, der dann in Rom König wurde. [17] Was hier sogar abgebildet wurde, war die Erlangung des Kaisertums, das dem Schwedenkönig vorbestimmt schien, wie auch andere providentielle Vorzeichen suggerierten, etwa die Buchstabengleichheit von Gustavus und Augustus.
Die Überordnung des eigenen Hauses über alle anderen wurde auch von den Anhängern und Ratgebern aufgenommen. Wenn man die Denkschriften des französischen und spanischen leitenden Ministers liest, dann wird das ganz deutlich: "Nachdem La Rochelle genommen ist, muß der König, wenn er sich zum mächtigsten Monarchen der Welt und zum angesehensten Fürsten machen will [...]" [18], beginnt eine Denkschrift Richelieus. Den spanischen König sieht sein Ratgeber Olivares schon im Besitze einer solchen Position: "Eure Majestät besitzen bereits mehr als ausreichend Länder, um als der erste Fürst in der Welt zu gelten". [19] Eben dies freilich ließ Richelieu nicht ruhen, wenn er dem König seine Optionen verdeutlichte, deren erste er später in die Tat umgesetzt hat: "Die Vorteile der ersten bestehen darin, daß man das ganze Haus Habsburg absolut ruinieren und damit auf immer von der Furcht, der Eifersucht und den Ausgaben frei sein könnte, zu denen seine Größe seit langer Zeit Frankreich nötigte; daß man aus seinen Trümmern nutzen ziehen und der König sich zum Haupt aller katholischen Fürsten der Christenheit und infolgedessen zum mächtigsten Herrscher Europas machen könnte". [20] So ließe sich diese Gegenüberstellung aus den internen Beratungen beider Seiten fortsetzen, wobei nicht nur die Zielsetzung, sondern auch die Prioritätsformeln und Suprematiebegriffe geradezu austauschbar erscheinen. Das hier von den Titulaturen über die historischen Legitimationen bis hin zu den geographischen Veranschaulichungen und den diplomatischen Dokumenten angedeutete Spektrum, aus dem sich einige Beispiele auch in der realen Ausstellung in Münster und Osnabrück wiederfinden, erschließt die Vorstellungswelt der drei aussichtsreichsten Mächte. Wenn man sich diesen Hintergrund vergegenwärtigt, dann erkennt man, wie gut das Haus Habsburg mit seinem kaiserlich-spanischen Doppelgipfel, die französische Superkrone und der großgotische Schwedenkönig für den Kampf um die Spitze Europas ideologisch gerüstet waren.
III
Nachdem man nämlich in Europa fast schon der Meinung hätte sein können, dank eines starken Spaniens habe Habsburg den Kampf um die Spitze bereits gewonnen, wurde im Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges eine schwere Krise offenbar. Politisch äußerte sie sich vor allem im drohenden Abbröckeln des eigentlichen Machtbereichs des Hauses. Im niederländischen Unabhängigkeitskrieg gegen den spanischen Zweig und in der sich lange anbahnenden böhmischen Ständeerhebung gegen den österreichischen drohten dem dynastischen Universalverband seine wichtigsten Nebenzentren verlorenzugehen. In dieser Situation nahm man unter dem neuen Kaiser Ferdinand II. und dem jungen Philipp IV. mit seinem Minister Olivares einen neuen Anlauf, erneuerte und koordinierte die Haus- und Aktionseinheit, die sich als überaus erfolgreich erwies. Spanien schien nach Ablauf eines Waffenstillstands gegen die Niederlande im Jahre 1621 mit seinem Heerführer Spinola auf der Siegerstraße zu sein, und in Deutschland gewann der Kaiser nicht zuletzt mit spanischer Geld- und Militärhilfe seine beiden Kriege - den "böhmisch-pfälzischen" und den "dänisch-niedersächsischen" Krieg -, wobei er seinen Machtbereich bis hin zur Ostsee ausdehnte.
Die anderen beiden universalistischen Aspiranten haben die habsburgischen Erfolge genau beobachtet, aber zunächst ihren unmittelbaren eigenen Machtbereich weiter ausgebaut - Richelieu durch die Eroberung von La Rochelle, Gustav Adolf gegen die baltischen und polnischen Ostseeanrainer - und zusammen mit den unmittelbar betroffenen Niederlanden das Gegenspiel organisiert. Es bestand darin, mit Geld und guten Worten erst einmal kleinere deutsche Fürsten und den Dänenkönig vorzuschicken oder begrenzte Vor- und Stellvertreterkriege zu führen, wie den schon die ganzen 1620er Jahre sich aufbauenden Mantuanischen Erbfolgekrieg Frankreichs mit Spanien. Den offenen Kriegseintritt riskierte 1630 zuerst der Schwedenkönig aus Anlaß des kaiserlichen Eindringens in die nach seinem Kriegsmanifest "uralte" schwedische Einflußsphäre an der Ostsee, die Gustav Adolf gerade aufbauen wollte. Der eigentliche Konkurrent wäre da allerdings Dänemark gewesen, das die Ostseezufahrt kontrollierte und noch halb Südschweden besaß, aber diesen Habsburg-Gegner schonte Gustav Adolf zunächst. Der Schwedenkönig hielt sich auch nicht lange an der Ostsee auf, sondern attackierte gleich seinen habsburgischen Hauptfeind. In einem beispiellosen Siegeszug drang er bis in die spanische Einflußzone am Rhein und bis zur kaiserlichen Reichsbasis um Nürnberg, Augsburg und München vor. Die Bündnisverträge, mit denen sich die Reichsfürsten mehr oder weniger freiwillig unter sein Protektorat stellten, hätten zum Kern eines neuen Reichs auf dem alten Reichsboden werden können. Aber Gustav Adolf kam in der Schlacht von Lützen ums Leben, und das Kriegsglück wendete sich erst einmal. Schweden war schon mit Frankreich im Bunde gewesen. Daß Frankreich offiziell erst 1635 in den Krieg eingriff, wiewohl es der habsburgischen Konkurrenz inoffiziell schadete, wo es nur konnte, hing auch mit seinen universalistischen Ansprüchen zusammen, die Richelieu, wie dessen Überlegungen verraten, fast vor das Problem der Quadratur des Kreises stellten. [21] Denn einerseits waren die den eigenen Ambitionen so gefährlichen Erfolge der Habsburger baldmöglichst mit einem Krieg aufzuhalten. Auf der anderen Seite aber gründete der "allerchristlichste König" seine Priorität mittlerweile auch auf sein Ansehen im katholischen Lager, das gefährdet gewesen wäre, wenn man sich im Bunde mit evangelischen Fürsten antreffen ließ. Der Ausweg war ein jahrelanger verdeckter Krieg, der erst nach dem neuerlichen Erfolg Habsburgs in der Schlacht von Nördlingen 1634 nicht länger aufrecht zu erhalten war und im darauf folgenden Jahr zum offenen Einsatz der eigenen Macht zwang.
Von Anfang an waren also alle drei universalistisch orientierten Mächte im Hintergrund in diesem Krieg engagiert, und das Grundmuster des Hauptkonfliktes trat immer deutlicher hervor, bis es zu Beginn der 1630er Jahre nicht mehr zu verkennen war. Damit wurde aber auch das Strukturproblem offenbar, daß der Wettlauf zur europäischen Spitze nur von einem der Kandidaten zu gewinnen war. Ein Konflikt mit einer solchen einander ausschließenden Zielsetzung der Hauptbeteiligten war eigentlich gar nicht lösbar. Das war der politisch-strukturelle Grund, warum der Krieg dreißig Jahre dauerte.
IV
Über den Universalmachtsanspruch der Habsburger allerdings besteht schon des längeren weitgehend Einigkeit, war er doch unter Karl V. so klar formuliert und durch seine praktischen Erfolge so offenkundig, daß gar kein Zweifel möglich war. Das Problem ist jedoch, daß die spanische und internationale Forschung einerseits und die deutsche und österreichische andererseits verständlicherweise an den Institutionen und Problemen ihres Landes interessiert sind und darüber die dynastischen Zielsetzungen und Kooperationen der Habsburger nicht voll in den Blick rücken. Selbst in den beiden Arbeiten zum Dreißigjährigen Krieg, in denen sie ausdrücklich untersucht werden, stehen doch eher die Interessenunterschiede und Konflikte im Mittelpunkt. Eberhard Straub hat sie in einer hispanophilen Perspektive der österreichischen Seite angelastet, die für die Friedenspläne von Olivares, also eine Pax Hispanica für Europa, zu wenig Verständnis aufgebracht habe. [23] Hildegard Ernst hat umgekehrt aus der institutionellen Perspektive von Kaiser und Reich die deutsche Interessenlage verteidigt, aber ebenso auf Verständigungsschwierigkeiten und die Unvereinbarkeit der Politik der beiden Alliierten hingewiesen. [24] In beiden Fällen wird jedoch nicht klar, warum die Allianz trotz allem 30 Jahre gehalten hat. Denn wenn man die sonst üblichen Streitigkeiten in Dynastien bedenkt und die Reibungsverluste unter Verbündeten in allen Kriegen dieser Welt, dann ist doch eben diese Standhaftigkeit das, was erstaunt und zu erklären ist. Das universalistische Kriegsziel muß hier in Rechnung gestellt werden, das keine der beiden Seiten allein hätte erreichen können.
Schwieriger scheint es mit Frankreich zu sein. Denn hier besteht zwar kein Zweifel, daß man seit Karl V. die habsburgische Universalmonarchie bekämpfte, aber dies wird oft asymmetrisch verstanden, so als ob Frankreich bereits das Recht des souveränen Einzelstaats dagegengestellt hätte. Dieser modernen Fehlvorstellung leistet auch in Deutschland das Schlagwort der "habsburgischen Umklammerung" Frankreichs Vorschub, des vermeintlich Schwächeren durch den Stärkeren. Dies ist eine den zeitgenössischen Vorstellungen ganz fremde geopolitische Einbildung des 19. Jahrhunderts, ähnlich der späteren "Einkreisung" Deutschlands, die aber in den Schulunterricht geraten ist und damit unwillkürlich über Generationen weitergeschleppt wird. Wenn schon anschauliche Geographie, dann sollte man lieber mit der internationalen Forschung auf die Gefährdung des militärischen Transportweges zwischen den habsburgischen Reichsteilen über die Alpenpässe und den Rhein verweisen, der von Frankreich leicht abgeriegelt werden konnte und gerade in den 1620er Jahren und im Mantuanischen Erbfolgekrieg wieder umkämpft war. [25] Noch folgenreicher aber ist für die Einschätzung der Rolle Frankreichs, daß die moderne Staatlichkeit hier überhaupt gern zu früh angesetzt wird. Das geht nicht zuletzt auf ein verbreitetes Bild von Richelieu zurück, das die modernen Züge des Kardinals überbetont. Aber Rationalismus ist nicht schon modernes Denken, und der große "Staatsmann" ist darum noch kein Mann des Staates im einzelstaatlichen Sinne. Zutreffend urteilt Hermann Weber über den Kardinal: "Für Richelieu selbst war dies bewußt kaum schon eine auf nationale Staatlichkeit ausgerichtete Machtpolitik. In seinem Denken leitete sie sich viel eher aus einer ins Universale und Imperiale drängenden Idee vom allerchristlichsten König ab". [26] Wer in Richelieus politischen Schriften liest, aus denen hier schon zitiert wurde, muß sehen, daß der Richelieu-Kenner recht hat. Die hohe Übereinstimmung mit dem habsburgischen Universalismus aber legt nahe, auch die praktische Politik Frankreichs gleich zu beurteilen.
Und Schweden? Was Gustav Adolf im Dreißigjährigen Krieg zu suchen hatte, ist eine Frage, die in Schweden und Deutschland schon so oft gestellt worden ist, daß jede wissenschaftlich korrekte Bearbeitung nach einer Zählung von 1991 mindestens 166 relevante Vormeinungen zur Kenntnis zu nehmen hätte, darunter 65 schwedische und 71 deutsche, und seither sind noch einige hinzugekommen. Unlängst sind sie verdienstvollerweise auf 11 Erklärungstypen gebracht worden, und im Grunde lassen sie sich noch weiter reduzieren. [27]
Es gibt zwei Hauptperspektiven aus dem 19. Jahrhundert, die danach oft ratlos miteinander verknüpft wurden. Das eine ist die religiös-idealistische Interpretationstradition, die eigentlich der bildhaften Flugblattpropaganda aufsitzt und Gustav Adolf als Helden und Retter des deutschen Protestantismus - oder nicht minder selbstlos der "Libertät" der deutschen Fürsten - in den Kampf ziehen läßt. Dem steht gegenüber eine politische oder "realpolitische" Deutung, die in ihrer absurden Variante Schwedens nationale "Sicherheit" - offenbar hatte Gustav Adolf in Augsburg keine Landkarte dabei - in ihrer weithin akzeptierten Form der Ostseeherrschaft bedroht sah, was in der Tat der Anlaß war, aber nicht alles gewesen sein kann. Eine dritte und moderne Richtung betont heute vor allem in Schweden verschiedene Handels- und Finanzinteressen oder die militärische Eigendynamik, was sicher richtig ist, aber in der Gefahr steht, das Mittel mit dem eigentlichen Zweck zu verwechseln.
Neben älteren Irrwegen und neueren Umwegen gibt es in der Forschung auch weiterzuentwickelnde Bahnen. Daß Gustav Adolf das Kaisertum anstrebte, ist von der Mehrheit aller Historiker erkannt worden, aber dann oft mit unhaltbaren Einschränkungen versehen worden. Zum einen soll nur eine Art nordeuropäisches Kaisertum gemeint gewesen sein, was denn doch sehr deutlich das 19. Jahrhundert mit dem 17. Jahrhundert verwechselt, in dem mehrere Kaiser nebeneinander undenkbar gewesen wären. Daß zum anderen Gustav Adolf - nach einem rückblickenden Wort des schwedischen Reichskanzlers und politischen Nachlaßverwalters Oxenstierna, das er allerdings in einer bestimmten taktischen Situation gesprochen hat - dies nicht so geplant, sondern erst mit seinen Erfolgen auf diesen Einfall gekommen sei, ist angesichts der Vielzahl seiner politischen Optionen nicht ganz auszuschließen - aber was würde das ändern?
Eine ganze Reihe neuerer Forschungen hat auch ergeben, daß der schwedische König letztlich gegen den habsburgischen Universalismus zu Felde zog. Aber die vorschnelle Folgerung ist dann stets, daß er dies für das europäische "Gleichgewicht" getan habe, was zu Beginn des 17. Jahrhunderts auf jeden Fall zu früh angesetzt ist. Die Fixierung auf die Habsburger, die in den changierenden Erklärungen des Königs sogar gegen die eigenen Territorialinteressen stets als die eigentlichen Hauptgegner erscheinen, ist jedoch in der Tat auffällig, läßt sich aber triftiger aus der universalistischen Konkurrenzsituation erklären. Und endlich hat die schwedische Forschung sehr eindrucksvoll die Geschichte und den kulturellen Hintergrund des Gotizismus, manchmal auch gleich Großgotizismus (störgöticism) genannt, erschließen können. [28] Aber diese auch philologisch vorangetriebenen Forschungen sind lange nicht, und dann - aus Unkenntnis oder wegen der sich daraus ergebenden Konsequenzen - nur sehr zögernd und punktuell von den politischen Historikern mit dem Dreißigjährigen Krieg in Zusammenhang gebracht worden. Hier sind es in den letzten Jahren gleich mehrere Historiker, die - zum Teil unabhängig voneinander - eine Wende herbeiführen und dem Gotizismus in seiner Verbindung mit antiken, alttestamentlichen, protestantischen und anderen Verweisen die handlungsrelevante Kraft einer Ideologie zuerkennen. Dies kann allerdings verschieden gefaßt werden, am prononciertesten von Oredsson als Angriffs- und Eroberungsideologie, von Ringmar als übersteigerte historische Legitimation für eine nationale Identität mit besonderem europäischen Anerkennungsbedarf oder - wie hier vorgeschlagen - als die schwedische Variante des europäischen Universalismus. [29] Denn eines fehlt erstaunlicherweise nicht nur dieser interessanten neueren Interpretationsentwicklung, sondern fast der gesamten Auseinandersetzung mit der Rätselfrage nach den Gründen für die schwedische Intervention: ein ernsthafter europäischer Vergleich.
Eine solche komparatistische Perspektive läßt die Situation aller drei Mächte begreifen und erlaubt auch einer Geschichtsschreibung, die nach dem Sturz allzu idealisierter Perspektiven auf die Protagonisten friedensbewußter geworden ist, eine gerechte Beurteilung im europäischen Rahmen der Zeit. Dies nicht etwa nur, weil die anderen Potentaten auch nicht besser waren, sondern weil letztlich alle dasselbe wollten, dies aber nur einmal zu haben war. Wenn die schwedische Krone allein für die Bagatellen, die Gustav Adolf in seinem taktisch zu verstehenden Kriegsmanifest aufgelistet hat, oder die französische Krone für die bescheidenen Grenzgewinne, die sie schließlich heimgebracht hat, oder Habsburg nur weil es ein schlechter Verlierer war, diesen Krieg inszeniert und dreißig Jahre am Laufen gehalten hätten, dann wäre das in der Tat ein mehr als fragwürdiges Spiel gewesen. Aber es ging eben darum, wer zur Ordnungsmacht Europas werden würde, und gerade die Anerkennung dieses Maximalzieles beläßt allen drei am Ende gescheiterten Unternehmen eine gewisse historische Würde. Wie aber sollte man dann von diesem hochgespannten Kriegsziel wieder herunterkommen, um den Krieg überhaupt je beenden zu können?
V
Die im territorialen Bereich geschlossenen Übereinkünfte zeigen, daß alle drei Mächte zu Konzessionen bereit waren, um den nun schon jahrzehntelang andauernden Krieg zu beenden. Dabei wurde man nun sogar in Verhandlungsformen und Titularfragen konziliant, wenn diese nicht mehr als universalistischer Anspruch, sondern mit rationalen oder historisch-konventionellen Argumenten präsentiert wurden. So wurden Frankreich Konzessionen für den Gebrauch des zur Verkehrssprache werdenden Französisch gemacht [30], während dem Kaiser seine eingeführte Titulatur zugestanden wurde, obwohl sie universalistisch vorbelastet war. Die Schweden wollten die Nennung des Titels semper Augustus nicht zulassen, aber als die kaiserlichen Gesandten ihnen nachwiesen, daß die schwedischen Könige diese Bezeichnung gegenüber den habsburgischen Kaisern schon früher verwendet hatten, gaben sie nach. [31] Letztlich aber mußte unbeschadet einzelner universalistischer Versatzstücke auch ein neues Denken gefunden werden, das die hierarchische Struktur als solche zur Seite räumte.
Die Friedensverträge selbst sind dafür das beste Zeugnis. Denn es waren ja aus der großen Zahl der Kombattanten eben die drei universalistischen Mächte, die nun auch als die eigentlichen Vertragspartner den Frieden abschlossen. Das geschah in der Präambel der Friedensschlüsse des Kaisers mit der französischen und mit der schwedischen Krone in genau paralleler Stilisierung der Kontrahenten und ihres Verhältnisses zueinander. Der Friedensschluß selbst mit seinem Protokoll und Zeremoniell sowie dem Versprechen ewiger Gültigkeit ist eines der stärksten Mittel, das noch schwer fallende gleichordnende Denken einzuüben, und die immer wieder auch nach künftigen Kriegen beschworene Rückkehr zu den Grundlagen des Westfälischen Friedens sollte auch an diese egalitäre Grundvereinbarung der Staaten erinnern.
Dieses neu auszubildende Verhältnis der Mächte als Verhandlungspartner auf gleicher Ebene drückt sich auch in einigen Bildern zum Westfälischen Frieden aus. [32] Insbesondere bei den illustrierten Flugblättern finden sich Beispiele für ein gleichberechtigtes Nebeneinander der Herrscher Frankreichs, Schwedens und des Reiches. Das Flugblatt "Abbildung deß hocherwünschten Teutschen Friedens" zeigt alle drei Potentaten auf einem Podest bei einem versöhnlichen Händedruck. [33] Der Kaiser wird dabei noch leicht hervorgehoben, denn er sitzt auf einem Thron, während der französische König und die schwedische Königin ihm daneben stehend die Hand reichen, aber das hängt auch etwas mit dem großen Altersgefälle der Vertragspartner zusammen. Auch in der eingängigen Darstellung von Kleeblättern, der Verbindung dreier Herzen oder dreier Tauben wird auf die sich zum Frieden zusammenschließenden Potentaten angespielt. Noch eindeutiger ist die Gleichordnung der Mächte auf dem Flugblatt "AVGVRIVM PACIS" zu erkennen. [34] Hier bilden in einer sinnfälligen Symbolik die mit den Wappen Frankreichs, Schwedens sowie der österreichischen und spanischen Habsburger geschmückten Rosse nun ein Mächtegespann, das gemeinsam den Wagen des Friedens zieht.
Als Ergebnis brachte der Westfälische Friede aber nicht nur die zunehmende Gleichordnung der am Konflikt beteiligten Hauptmächte, sondern es wurde auch der Kreis der etablierten Staaten erweitert. Denn zum einen blieben Spanien und Frankreich noch elf Jahre im Krieg miteinander, so daß die habsburgischen Linien auseinanderdividiert und damit zum Kern selbständiger Staatsbildungen wurden. Zum anderen wurden sich aus dem habsburgischen Verband lösende Nebenlande zu selbständigen Staaten. Die Niederlande konnten nach einem über achtzig Jahre dauernden Kampf 1648 die staatliche Souveränität gewinnen, und in gewisser Weise wurde die schon lange eigene Wege gehende Schweizerische Eidgenossenschaft nun auch mit einer eigenen Bestimmung aus dem Reich entlassen. Während so auf der einen Seite der lang andauernde Dreißigjährige Krieg den Mächten Frankreich, Schweden und Habsburg zeigte, daß das langfristige Ziel einer Spitzenstellung in Europa nicht mehr durchzusetzen war, erreichten andere Staaten in dem Frieden ihre endgültige Anerkennung. Europa war damit auf dem Weg zur Ausbildung eines Staatensystems, in dem mehrere Mächte gleichberechtigt nebeneinander existieren konnten.
VI
Aber das Modell des Friedensschlusses hat sich doch in den Köpfen der Zeitgenossen festgesetzt und zur Überwindung der alten Universalmachtsvorstellungen beigetragen. Das Gleichgewichtsdenken, das im Bilde einer Waage eingefangen wurde, die sich in einem ausgeglichenen Zustand befinden muß, begann die Machtverhältnisse in Europa in der Folgezeit zu bestimmen und hat die universalen Ansprüche des französischen Königs auch in deutschen Flugschriften zurückgewiesen: "Man siehet ja, daß dessen Macht formidabel genug ist und daß die Staats-Waage zwischen ihme und anderen Potentaten gar nicht gleich stehet; als ist es ja demnach hohe Zeit, daß man dieses Reich wiederum gegen denen andren in eine Gleichheit bringe." [38] So kam das Pyramidenmodell seit dem Westfälischen Frieden ins Wanken. Der Dreißigjährige Krieg hatte gezeigt, daß keine Macht die Spitzenposition in Europa erreichen konnte. Wie muß man sich das Modell also nach dem Westfälischen Frieden vorstellen?
VII
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