JOHANNES ARNDT Der Kaiser und das Reich (1600-1648) |
I. Einleitung
Eine vierte Dimension ist noch hinzuzusetzen: die konfessionelle. Es gehörte zu den Pflichten des kaiserlichen Amtsinhabers, als Schützer der römischen Kirche aufzutreten. Diese Schutzpflicht galt gegenüber äußeren Feinden der Christenheit - im Mittelalter gegen Heiden, etwa den Langobarden, Ungarn, Wikingern oder Sarazenen, in der Neuzeit gegen die Türken -, aber auch im Umgang mit inneren Gegnern, d.h. gegen Ketzer und Schismatiker. [3] Im Rechtssystem des Heiligen Römischen Reiches folgte daher üblicherweise auf die Verhängung des päpstlichen Banns die kaiserliche Acht. Diesen vier unterschiedlichen Interessenfeldern sowie den Bezügen zwischen ihnen, die die Kaiser Ferdinand II. und Ferdinand III. stets zu komplizierten Entscheidungsprozessen nötigten, soll im folgenden nachgegangen werden.
II. Kaiser und Reich im konfessionellen Zeitalter
Es gehörte zur Rollenerwartung der Reichsstände gegenüber einem jeden Kaiser, daß dieser sich einer vorschnellen Parteinahme enthielt, um seine schiedsrichterliche Funktion ausüben zu können. Dies verlangte eine kluge Amtsführung, die das Recht und die praktisch-politische Vermittlung in den Vordergrund rückte. Da nur ein mächtiger Territorialfürst Kaiser werden konnte, waren Kollisionen zwischen den Interessen seines erblichen Territoriums und denen des kaiserlichen Amtes unvermeidlich: Der Amtsinhaber mußte in diesen Fällen Augenmaß und Fingerspitzengefühl beweisen. Je deutlicher der Kaiser für die Belange seiner Dynastie oder seiner Erblande eintrat, desto weniger wurde er von den Ständen als Vermittler akzeptiert.
Kaiser Ferdinand I. und Kaiser Maximilian II. wußten in ihrer Schiedsrichterrolle das Vertrauen der meisten Reichsfürsten zu finden. Anders Kaiser Rudolf II., der einerseits eine zunehmende Führungsschwäche und andererseits immer deutlichere Anzeichen einer gegenreformatorischen Politik zeigte. Der langjährige, schwere "Bruderstreit" zwischen dem Kaiser und einem seiner Brüder, Erzherzog Matthias, schwächte die kaiserliche Autorität zusätzlich und führte zum Verlust des habsburgischen Einflusses auf den konfessionellen Konflikt im Reich. Die Protestanten organisierten sich 1608 in der "Union", die katholischen Stände antworteten ein Jahr später unter Führung Bayerns mit der Gründung der "Liga", ohne daß der Kaiser darauf hätte einwirken können. Gleichzeitig schwand Rudolfs Einfluß auf die Reichskirche, da mehrere geistliche Fürsten auf eine enge Kooperation mit Herzog Maximilian von Bayern setzten. [4] Die kaiserliche Nicht-Präsenz zeigte sich auch in der Vorphase des Jülicher Erbfalls: Als Herzog Johann Wilhelm im März 1609 starb, scheiterte eine schnelle Regelung zugunsten der katholischen Interessenten. [5]
Kaiser Matthias trieb nach 1612 unter der Leitung seines Vertrauten, Kardinal Melchior Klesl, eine Politik der verbalen Beschwichtigung der Protestanten. Dahinter ließen sich praktische Maßnahmen zur Fortsetzung der katholischen Konfessionalisierung kaum verbergen. [6] Angesichts der anhaltenden Schwäche des Kaisers betrieb Erzherzog Ferdinand von Innerösterreich seine Nachfolge im Amt. Im Gegensatz zu Rudolf und Matthias besaß er den Willen und die Fähigkeiten, die herrscherlichen Aufgaben entschieden wahrzunehmen und gleichzeitig die Rechte der Kirche in vollem Umfang wiederherzustellen. In Innerösterreich hatte er dies zwei Jahrzehnte lang demonstrieren können, bevor er an die Reichsspitze trat. [7] Der Beifall der katholischen Reichsstände wie der römischen Kurie war ihm dafür bereits vorab sicher.
Es bedurfte jedoch noch einiger Familienvereinbarungen im Hause Habsburg, bevor Ferdinand für das kaiserliche Amt kandidieren konnte. Vermittelt durch den spanischen Gesandten Oñate schloß er 1617 mit König Philipp III. von Spanien einen Vertrag, der den Spaniern das Elsaß, dem Erzherzog dafür die spanische Unterstützung seiner Kaiserwahl einbringen sollte. [8] Auch der letzte lebende Sohn Maximilians II., Erzherzog Albert, verzichtete 1619 auf sein Erbfolgerecht zugunsten von Ferdinand. [9]
III. Der böhmische Aufstand und die kaiserliche Machtexpansion
Als die Krönungsfeierlichkeiten nach dem 19. Juni 1617 vorüber waren, hatte eine große Zahl der böhmischen Ständevertreter die Einsicht gewonnen, daß man mit dem Erzherzog von Innerösterreich nicht nur den Betreiber der Gegenreformation, sondern auch den Feind des Ständeregiments als König anerkannt hatte. Eine kleine Gruppe von scharfen Gegnern der habsburgischen Herrschaft trieb die gemäßigte Mehrheit durch immer radikalere Aktionen von der kaiserlichen Seite fort: Der Prager Fenstersturz war zu dem Zweck geplant, den Abfall unumkehrbar zu machen, um nach einem siegreichen Kampf einen neuen böhmischen Staat unter ständischer Dominanz entstehen zu lassen. [11]
Durch die Zuspitzung des böhmischen Aufstands war Ferdinand in doppelter Weise angegriffen: Ein Teil seines Herrschaftsgebietes hatte sich seiner Kontrolle entzogen, und die zu erwartende Wahl des Pfälzer Kurfürsten verschaffte diesem zwei Kurstimmen sowie den Protestanten im Reich vier, die Mehrheit im Kurkolleg. Unter den gegebenen Umständen mußte Erzherzog Ferdinand damit rechnen, nicht zum Kaiser gewählt zu werden. Da Kaiser Matthias bereits kränkelte, war mit dem Wechsel an der Reichsspitze in absehbarer Zeit zu rechnen. Das Ausmaß der Bedrohung bewegte ihn, bereits im Juni 1618 König Philipp III. um militärische Hilfe zu bitten.
Durch Matthias' Tod im März 1619 wurde das höchste Reichsamt vakant. In den folgenden Monaten liefen Ferdinands Bemühungen, zum Kaiser gewählt zu werden, zeitlich synchron mit den ständischen Königswahlvorbereitungen in Böhmen. Ende August 1619 erfolgte Ferdinands Kaiserwahl in Frankfurt, und fast gleichzeitig erhoben die Böhmen Friedrich V. von der Pfalz zu ihrem neuen König. Sogleich setzte Ferdinand das politische Kapital des neuen Amtes ein, um seinen Verhandlungspartnern in München und Dresden Zugeständnisse zu machen: Im Oktober 1619 sicherte er sich die bayerische Waffenhilfe durch das Versprechen, Herzog Maximilian die pfälzische Kurwürde zu übertragen; im April 1620 sagte auch Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen dem Kaiser seine Unterstützung zu, wofür er die Lausitzen als Pfandbesitz erhalten sollte. [12] Mit dieser Politik war nicht nur ein Ausgreifen des böhmischen Aufstands auf benachbarte Reichsgebiete ausgeschlossen, sondern die mächtigsten Fürsten im Reich standen über die konfessionellen Grenzen hinweg auf der kaiserlichen Seite.
Der optimalen diplomatischen Vorbereitung folgten ein gelungener Feldzug der ligistischen und spanischen Truppen und binnen weniger Wochen die völlige kaiserliche Kontrolle über Böhmen. Die Länder der Wenzelskrone wurden wieder habsburgisch, die pfälzische Kurwürde konnte durch die Ächtung Friedrichs verfügbar gemacht und dem Bayernherzog übertragen werden, und die Lausitzen trat der Kaiser vertragsgemäß an Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen ab. Mochte die Verpfändung von böhmischen Gebieten noch zu den Vorrechten eines Territorialherren gehören, so überstieg die Ächtung eines Kurfürsten samt seiner Deszendenz und die Übertragung seiner Kurwürde ohne Zustimmung der Reichsstände die Kompetenzen des Kaisertums bei weitem. [13]
In Böhmen wurden 21 Hauptbeteiligte des Aufstands kurzerhand hingerichtet. Die Gegner des Hauses Habsburg überall in Europa sahen sich in ihren schlimmsten Befürchtungen bestätigt: Die Wiederkehr der "spanischen Servitut", der allgemeinen Dienstbarkeit gegenüber der mächtigsten Dynastie Europas, schien unmittelbar bevorzustehen. Ferdinand nutzte das Exil zahlreicher gegnerischer Adliger, um ihre Güter einzuziehen und seinen politischen Parteigängern zuzuwenden, von denen viele aus dem Reich oder den österreichischen Erblanden stammten. Die Vermögensverschiebungen nahmen ein erhebliches Ausmaß an und stärkten das deutsche Element gegenüber dem tschechischen innerhalb der böhmischen Stände.
Neben den Familien der kaiserlichen Parteigänger dominierten in den ständischen Gremien die wieder in ihre Besitzungen eingeführten Prälaten. Sie hatten seit Ausbruch der hussitischen Revolution zwei Jahrhunderte zuvor keine derart starke Stellung mehr besessen. Die übrigen böhmischen Stände wurden durch die 1627 verfügte absolutistische Verfassung, die "Verneuerte Landesordnung", um den größten Teil ihrer früheren Rechte gebracht. [14] Böhmen wandelte sich zu einer habsburgischen Erbmonarchie, und Ferdinand II. verlegte die Böhmische Hofkanzlei zwecks besserer Kontrolle nach Wien.
Nach dem verblüffend vollständigen Sieg bei nur geringen eigenen Mitteln hielt der Kaiser - mit göttlicher Hilfe - noch weitere politische Erfolge für möglich. Wo die herrschende politische Tugendlehre einen Ausgleich mit den besiegten Feinden im Sinne der Temperantia für nötig erachtet hätte, entschloß sich der Kaiser, den Konflikt fortzusetzen. Die Restitution des Pfälzer Kurfürsten in dessen Stammlanden lehnte er trotz spanischen und kursächsischen Drängens ab. Statt dessen belehnte er auf dem Regensburger Fürstentag 1623 Maximilian von Bayern mit der pfälzischen Kurwürde. [15]
Nach mehreren Siegen über die Reste der böhmisch-protestantischen Truppen und ihrer Heerführer etablierten sich die Armeen Tillys und später auch Wallensteins in weiten Teilen des Reiches. Nicht einmal der dänische König Christian IV., der sich als Kreisoberst des Niedersächsischen Kreises zum Schutz des Protestantismus und Norddeutschlands berufen fühlte, war den katholischen Heeren gewachsen. Nach einigen Niederlagen mußte er 1629 in Lübeck Frieden schließen und sich aus den Reichsgebieten südlich von Holstein zurückziehen. [16]
Während die Kämpfe gegen Christian IV. von Dänemark zu Lande erfolgreich verliefen, scheiterte das Bemühen der beiden Habsburger Linien, gemeinsam mit den Hansestädten eine Flottenmacht an Nord- und Ostsee aufzubauen und eine Front zur See gegen Schweden und die Vereinigten Niederlande zu eröffnen. [17] Nachdem die Hansestädte hinhaltenden Widerstand geleistet hatten und auch Verhandlungsversuche mit Dänemark und Polen ohne Ergebnis geblieben waren, beendete die gescheiterte Belagerung Stralsunds durch Wallenstein 1628 alle habsburgischen Seemachtsträume im Norden. [18]
Trotz der ausgebliebenen Erfolge auf den Meeren hatte Kaiser Ferdinand II. bereits im Vorfeld des Lübecker Friedens damit begonnen, seine Politik als Gegenreformator im Reich zu realisieren. Es entsprach seinem Selbstverständnis als Schützer der Kirche, der katholischen Auslegung des Augsburger Religionsfriedens nun die offizielle Anerkennung zu verleihen: Was die altkirchliche Seite 1555 nicht hatte festschreiben können, jedoch danach vielfach gefordert hatte, wurde nun zum Recht erhoben - ohne daß der Kaiser die dafür notwendigen reichsrechtlichen Formalien beachtete. Weder die Kurfürsten noch die Reichsstände insgesamt wurden konsultiert, sondern der kaiserliche Wille in Gestalt eines Edikts publiziert. Da der wichtigste Gegenstand die Rückgewinnung aller geistlichen Einrichtungen mitsamt ihren Privilegien und Gütern war, erhielt dieser Rechtsakt den Namen "Restitutionsedikt". [19]
Ob der Kaiser, wie von protestantischer Seite gemutmaßt, tatsächlich die vollständige Ausrottung des Protestantismus im Reich beabsichtigte, ist nicht erwiesen. Nach allen Erfahrungen mit seiner bis dahin gezeigten Politik dürfte am wahrscheinlichsten sein, daß er schrittweise weitergehen und sich dabei auf die werbende und auch die drängende Kraft der gegenreformatorischen Orden stützen wollte, um im Laufe einer Generation den römischen Glauben wieder im gesamten Reich, vor allem in den protestantischen Territorien, zu verankern. Dazu kam es allerdings nicht.
IV. Der Wendepunkt des Krieges 1630 und der Niedergang der kaiserlichen Macht
Zur selben Zeit erzwangen die Kurfürsten auf der Regensburger Tagung die Abberufung Wallensteins und die Reduzierung seiner riesigen Armee, wogegen der Kaiser die Römische Königswahl für seinen ältesten Sohn, den späteren Ferdinand III., nicht durchsetzen konnte. Kaiser Ferdinand II. mußte erkennen, daß seine konfessionellen Parteigänger, die bis 1629 seinen Weg zum Restitutionsedikt begrüßt und unterstützt hatten, keinesfalls bereit waren, eine Veränderung im Kräftegleichgewicht zwischen Reichsoberhaupt und Kurfürsten zuzulassen. [21]
Es folgte der kurze Siegeszug des Schwedenkönigs Gustav Adolf, der allerdings die katholischen Reichsstände schwerer betraf als die kaiserlichen Erblande. Der König nahm in seinem Machtbereich Verfassungsänderungen vor, indem er geistliche Territorien zur Versorgung von eigenen Parteigängern verwandte. Wegen der Kürze seiner Herrschaft blieben seine reichspolitischen Zielvorstellungen unklar. Die drei wichtigsten Protagonisten des militärischen Elements im Dreißigjährigen Krieg, Gustav Adolf, Tilly und Wallenstein, starben binnen weniger Monate zwischen 1632 und 1634. Damit gewann der Primat des Politischen wieder an Gewicht, was den kaiserlichen Interessen nützte. Nach der Niederlage von Nördlingen konnten die schwedischen Truppen vorübergehend bis an den norddeutschen Küstensaum zurückgedrängt werden.
Kaiser Ferdinand II. zog aus der politischen Konstellation den Schluß, zunächst einen Frieden mit den Reichsständen zu vereinbaren, um anschließend die ausländischen Mächte vom Reichsboden zu vertreiben. Vor allem Kursachsen war in Prag im Frühjahr 1635 der Verhandlungspartner der Kaisers. In der konfessionellen Frage trennte sich Ferdinand II. von seinen ausgreifenden gegenreformatorischen Plänen, indem das Restitutionsedikt für 40 Jahre ausgesetzt wurde. Dafür versuchte er, seine Machtposition im Reich zu stärken: Eine Reichsarmee sollte unter seiner Führung den Frieden sichern, ein Projekt, das bis dahin am Mißtrauen der Stände gegenüber großer Truppenmacht in den Händen des Reichsoberhaupts gescheitert war. Da der Friede weder die geächteten Reichsfürsten noch die ausländischen Mächte berücksichtigte, ließen sich seine Bestimmungen nicht realisieren. [22]
Das Jahr 1637 brachte den Herrscherwechsel von Kaiser Ferdinand II. zu Ferdinand III. Letzterer sah sich einer wachsenden französischer Truppenpräsenz in Süddeutschland gegenüber, während kaiserliche Feldzüge mehrfach mit Desastern endeten. [23] Friedenssehnsucht war im gesamten Reich spürbar: Angesichts des wachsenden Gewichts Frankreichs und der spürbaren Abnutzungserscheinungen aller anderen Mächte wuchs die Einsicht, daß ein großer Frieden unter Einschluß aller Kriegsbeteiligten geschlossen werden müsse und daß die Grundlage für diesen Frieden nur die aktuelle Machtverteilung sein könne, so sehr dies auch von den Interessen, Zielen und Hoffnungen der jeweiligen Parteien abweichen mochte.
V. Die kaiserliche Politik auf dem Weg zum Frieden 1641-1648
Die kaiserliche Strategie, zunächst mit Schweden und Frankreich Frieden zu schließen, um dann die Angelegenheiten im Reich regeln zu können, wurde von den ausländischen Mächten durchkreuzt, indem diese alle Reichsstände zu den Verhandlungen hinzubaten. Der Kongreß schloß daher formal einen kompletten Reichstag mit ein. Schweden und Frankreich forderten Entschädigungen ("Satisfaktionen") für ihre kriegsbedingten Aufwendungen.
Kaiser Ferdinand III. war auf diese Weise von Anfang an in der Defensive, und da er einen Waffenstillstand während der Gespräche abgelehnt hatte, mußte er zur selben Zeit weitere militärische Niederlagen hinnehmen: Im März 1645 schlugen die Schweden nahe der böhmischen Stadt Jankau eine kaiserliche Armee und verschafften sich die Kontrolle über große Teile Böhmens. Ferdinand mußte sich und Philipp IV. eingestehen, daß er weder Geld noch Soldaten und geeignete Heerführer besaß. [25] Er entschloß sich, seinen Spitzendiplomaten, den Grafen Maximilian von Trauttmansdorff, mit weitreichenden Vollmachten nach Westfalen zu senden, um einen Frieden auch unter erheblichen Opfern zustandezubringen. [26]
Die Vorgaben für Trauttmansdorff sowie die weiteren Diskussionen im Geheimen Rat und anderen kaiserlichen Beratungsgremien deuten auf eine kaiserliche Prioritätenhierarchie hin, die sich wie folgt schematisieren läßt:
1. Sicherung der Erblande, die absolutistisch regiert werden und katholischen Glaubens bleiben sollten.
2. Erhaltung des Kaisertums beim Haus Österreich und die Bewahrung des Reiches als Hierarchie unter Vermeidung der reichsständischen Souveränität. Hierzu gehörte die Gewährleistung der kaiserlichen Gerichtshoheit und der katholischen Kurfürstenmehrheit.
3. Die Konfessionsverhältnisse im Reich sollten nach dem Normaljahrsstatus von 1627 und nur bei hartnäckigstem Widerstand nach dem Modus von 1618 geregelt werden.
4. Gebietsabtretungen zugunsten von Frankreich und Schweden sollten, soweit möglich, auf Kosten anderer erfolgen (Tiroler Linie, Kurbrandenburg, Reichskirche).
5. Ablösungszahlungen für die schwedische Armee müßten durch die Reichsstände geleistet werden.
Zunächst wurden im September 1646 und Februar 1647 die auswärtigen Mächte zufriedengestellt. Frankreich gewann ein Bündel an souveränen Rechten im Elsaß und einige Festungen im rechtsrheinischen Gebiet, Schweden wurde Reichslehnsträger für die Bistümer Bremen und Verden, Vorpommern und die Stadt Wismar. Damit kontrollierte die skandinavische Macht die wichtigsten deutschen Flußmündungen an Nord- und Ostsee. Ansprüche Schwedens auf Teile Schlesiens konnte der Kaiser abwehren. Während die Abtretungen im Elsaß auf Kosten der Tiroler Linie des Hauses Habsburg gingen, mußte Kurbrandenburg auf sein pommersches Erbrecht verzichten. Gebiete der Reichskirche dienten als Kompensationsmasse, nicht nur für Schweden, sondern auch für Kurbrandenburg, das für seinen Verzicht auf Pommern Minden, Halberstadt und die Anwartschaft auf Magdeburg erhielt.
Das ungelöste Problem des geächteten Kurfürsten von der Pfalz hatte mehrfach zur Verlängerung des Krieges geführt. Die kurbayerischen Rechte wurden gewahrt, indem Kurfürst Maximilian die pfälzische Kurwürde und die Oberpfalz behauptete. Für Karl Ludwig von der Pfalz wurde eine neue, achte Kurwürde geschaffen; zudem erhielt er die Rheinpfalz zurück, vermindert um die kurmainzische Pfandschaft an der Bergstraße. Für den Kaiser hatte die Regelung den zusätzlichen Vorteil, daß die katholische Mehrheit im Kurkolleg gesichert blieb.
Die Reichsstände erhielten alle verfassungsmäßigen Rechte aus der Vorkriegszeit bestätigt und gewannen das internationale Bündnisrecht (unter Vorbehalt der Reichstreue) hinzu. Allerdings blieben die historischen Grundbedingungen des politischen Miteinanders zwischen Kaiser und Reichsständen, d.h. das System aus Reichstagen, Reichsgerichten, Reichskreisen und anderen Institutionen, erhalten. Damit setzten sich Vorstellungen, das Reich in eine lockere Föderation unter Schwächung der kaiserlichen Rechte zu verwandeln, nicht durch. Gesichert wurde das restituierte Rechts- und Verfassungsgefüge durch die Garantieklausel des Westfälischen Friedens, die allen Beteiligten, insbesondere den Kronen Frankreich und Schweden, eine politische Handlungsermächtigung zugestand für den Fall, daß jemand, d.h. der Kaiser, versuchen sollte, den Verfassungskompromiß auszuhöhlen oder gar aufzukündigen. [27]
In der Frage der Konfessionen hatte sich Schweden für eine Gleichberechtigung der Protestanten eingesetzt, während Frankreich der katholischen Seite weitreichende Vorteile belassen wollte. Trotz seiner Gewissensbedenken entschloß sich Kaiser Ferdinand III., für die Erlangung des Friedens den Protestanten die völlige Parität und einen gesicherten Besitzstand für vormals geistliche Güter in ihrer Hand zuzugestehen. [28] Auch die calvinistischen Reichsstände wurden in den Frieden mit eingeschlossen. Beide protestantischen Konfessionen wurden trotz ihrer erheblichen Lehrdifferenzen zu einer reichskirchenrechtlichen Gruppe, den "Augsburgischen Konfessionsverwandten", zusammengefaßt und standen als solche den Katholiken gegenüber. Immerhin gelang es dem Kaiser, seine Erblande im reinen katholischen Glauben zu behalten, auch und vor allem Böhmen; nur für Schlesien mußte er geringe protestantische Sonderrechte zugestehen. Über die Proteste des Papstes und einer kleinen Gruppe katholischer Fundamentalisten im Reich ging Ferdinand III. dabei hinweg. [29]
Es gehörte zu den schwersten Entscheidungen, die Kaiser Ferdinand III. während der Westfälischen Friedensverhandlungen zu fällen hatte, jegliche weitere Hilfe an Spanien zu unterlassen und mit Frankreich Frieden unter Ausschluß des Burgundischen Reichskreises zu schließen. [30] Erst die tatsächliche Ohnmacht, dem drohenden Einmarsch schwedischer Truppen nach Prag und anschließend nach Österreich etwas entgegensetzen zu können, veranlaßte ihn zu diesem gravierenden Schritt gegen die habsburgische Haussolidarität. Der Kaiser fürchtete überdies, daß die Reichsstände ohne ihn einen Frieden mit den Siegermächten schließen würden. [31] Später wurde dennoch kaiserliche Hilfe für Spanien, jedoch nur in kleiner Dosierung, geleistet. Durch die Truppenleistungen erreichte Ferdinand, daß die Spanier 1652 das besetzte Frankenthal räumten. In der Korrespondenz zwischen den habsburgischen Linien tauchte mehrfach die kaiserliche Befürchtung auf, daß der Widerwille gegen Spanien die Reichsstände auch nach dem Friedensschluß zu nachteiligen Verfassungsänderungen im Reich, zusammen mit Frankreich und Schweden, treiben würde. [32]
Im Vergleich zu den erheblichen Bedenken, die Ferdinand III. hinsichtlich der konfessionellen und dynastischen Zugeständnisse während der Friedensverhandlungen gehegt hatte, fiel ihm die Anerkennung der Souveränität der Vereinigten Niederlande und der Schweiz weniger schwer. Eine echte Entscheidung blieb ihm erspart: Die niederländischen Generalstaaten hatten in ihrem Vertrag mit Spanien schriftlich niedergelegt, daß der spanische König selbst um die Anerkennung durch den Kaiser einkommen mußte, und Ferdinand folgte der Bitte aus Madrid. [33] Auch die Anerkennung, daß die frühere Reichsstadt Basel von aller Rechtsprechung des Reichskammergerichts und des Reichshofrats befreit sei, konnte Ferdinand III. nach einigem Zögern aussprechen. [34]
Der Münsteraner Vertrag bekräftigte die Übertragung des Obereigentums und der Landeshoheit an der piemontesischen Stadt und Festung Pinerolo an Frankreich, wie schon im Frieden von Cherasco 1631 vereinbart worden war; dieser Friedensschluß wurde an späterer Stelle im Vertrag bestätigt. [35] Während die Reichsrechte in Oberitalien durch den Westfälischen Frieden nicht grundlegend berührt wurden, erfuhr Böhmen auf dem Wege der sicheren habsburgischen Aneignung auch eine stärkere Einbindung in das Reich. Bis zur vollen Wiederherstellung der böhmischen Kurstimme nicht nur bei Wahlen, sondern in allen politischen Fragen, mußten allerdings noch weitere 60 Jahre vergehen. Dennoch waren die böhmischen Lande ähnlich reichsnah wie die österreichischen Erblande der Habsburger. [36]
Das Gegenteil galt für den Burgundischen Reichskreis. Dieser westlichste der Kreise wurde durch den? 3 des Münsteraner Friedensinstruments aus dem Frieden ausgenommen bis zu einem allgemeinen Frieden zwischen Spanien und Frankreich. Tatsächlich wurde dieser Friede erst 1659 auf einer Insel im Pyrenäenfluß Bidassoa vereinbart und hatte territoriale Abtretungen an Frankreich zur Folge. Im folgenden Zeitalter Ludwigs XIV. mußte Spanien weitere Gebietseinbußen seiner niederländischen und burgundischen Besitzungen hinnehmen. Der Kaiser war an diesen Fragen nicht mehr unmittelbar beteiligt. Seine Rechte auf den Burgundischen Reichskreis kamen erst nach dem Aussterben der spanischen Linie der Habsburger im Jahre 1700 wieder zum Tragen und führten 1714 zum Erbanfall der südlichen Niederlande an die verbliebene, österreichische Linie der Familie.
VI. Einige Thesen
2. Angesichts radikaler Parolen vor allem aus dem schwedischen Lager bedeutete die Bewahrung des Kaisertums für die österreichischen Habsburger eine beachtliche Selbstbehauptung. Zwar mußte Ferdinand III. allen Ambitionen entsagen, die seinen Vater einmal angetrieben hatten, doch rekonstituierte sich das Reich neuerlich als ein hierarchischer Verband und entging damit der Gefahr, in einen losen Staatenbund verwandelt zu werden. Die katholische Kurfürstenmehrheit sicherte den Habsburgern auch künftig die Wahlchancen auf das Kaisertum. Problematische Forderungen nach einem Verbot der Wahl zweier aufeinanderfolgender Kaiser aus demselben Haus, nach dem Verbot der Römischen Königswahl zu Lebzeiten des Kaisers und nach einer ständigen Wahlkapitulation blieben unrealisiert. Zudem erhielt sich die kaiserliche Gerichtshoheit, in unmittelbarer Weise am Wiener Reichshofrat, aber auch in formalisierter Form am paritätisch besetzten Reichskammergericht in Speyer. Gemessen an den Machtpositionen, die die Könige von Frankreich und Spanien innehatten, mochte das wenig sein, doch konnten die Habsburger auf der Verfassungsordnung von 1648 aufbauen - ein Prozeß, der sich bis in die 1670er Jahre hinzog, als Kaiser Leopold I. bei gleichzeitiger Bedrohung des Reiches durch Frankreich und die Türken wieder die Rolle eines schützenden Koordinators aller Armierungsmaßnahmen erwarb. Ferdinand III. und Leopold I. nahmen demonstrativ von Versuchen Abstand, das System von Münster und Osnabrück auszuhebeln, und schufen dadurch ein Vertrauen auch der protestantischen Stände in die Zentralinstitutionen des Reiches, das bis ins späte 18. Jahrhundert hinein die Grundlage für das Funktionieren der Reichsverfassung darstellen sollte.
3. In bezug auf seine Erblande hatte der Kaiser einen vollen Sieg errungen: Was Ferdinand II. direkt nach der Niederschlagung des böhmischen Aufstands politisch und konfessionell gewonnen hatte, konnte sein Sohn trotz einiger Wechselfälle bis 1648 behaupten. Oberösterreich, das an Bayern verpfändet worden war, konnte dadurch ausgelöst werden, daß der Kaiser die Oberpfalz an den Münchener Herrscher übertrug. Die Übereignung von fast der Hälfte der böhmischen Güter an kaiserliche Parteigänger nach 1621 stiftete dort einen stabilen kaiserlichen Hofadel, der später allen Neigungen zum Frondieren widerstand. Böhmen und Österreich entsprachen in ihren ständischen und konfessionellen Verhältnissen weitgehend den kaiserlichen Vorstellungen ebenso wie denen des Papstes und der religiösen Orden. Die schwedischen Versuche, die Rechte der Protestanten in den Erblanden und besonders die der rückkehrwilligen protestantischen Exulanten zu stärken, scheiterten fast gänzlich bis auf wenige Sonderrechte, die der Kaiser den Schlesiern zugestand. Die Abtretung erbländischer Besitzungen im Elsaß wog dagegen gering, zumal diese Gebiete bereits 1617 den Spaniern als Lohn für ihre Hilfe versprochen worden waren.
4. In Hinsicht auf die Stellung der Konfessionen im Reich ist der Westfälische Friede als das Scheitern gegenreformatorischer Bestrebungen des Kaisers, des Papstes und der geistlichen Fürsten interpretiert worden. In der Tat freundeten sich die katholischen Reichsstände nicht ohne Mühen mit dem Gedanken an, auf Dauer mit Andersgläubigen in einem Territorienverband zusammenleben zu müssen. Die extensive katholische Auslegung des Augsburger Religionsfriedens wurde obsolet, beide protestantischen Bekenntnisse wurden in den Schutz der Reichsrechtsordnung einbezogen. Die Normaljahrsregelung erwies sich als kompliziert, aber dauerhaft: Die alte Kirche behauptete den größten Teil ihrer Stifte, die nach wie vor nicht durch konvertierende Kirchenfürsten säkularisiert werden durften. Im Reichstag und im Reichshofrat waren die Katholiken immer noch in der Mehrheit, wobei eine funktionale Regelung die Majorisierung der Protestanten verhinderte. Nur das Reichskammergericht wurde paritätisch besetzt. Für Kaiser Ferdinand III. waren zwei Regelungen besonders wichtig: Zum einen behielt das kaiserliche Amt seine traditionelle Bindung an den Schutz der Kirche, wie sie in einer der Krönungsfragen niedergelegt war. Zum anderen hing die Mehrzahl der Kurfürsten dem römischen Bekenntnis an, was die Katholizität des Amtes ebenso wie die Wahlchancen der Habsburger stabilisierte.
5. Für die habsburgischen Kaiser, die den Dreißigjährigen Krieg ohne eine Armee begonnen hatten und auch ohne ein militärisches Gegengewicht gegen Frankreich und Schweden beendeten, war das Ergebnis des Westfälischen Friedenskongresses zwar alles andere als ein Sieg, aber nicht ganz so negativ, wie es bisweilen interpretiert worden ist. Als Kaiser Ferdinand III. die Ratifikationsexemplare unterschrieb, konnte er unter Abwägung aller Umstände die Überzeugung hegen, "einen annehmbaren Frieden erreicht zu haben". [37]
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