Der Aufbau
Endlich treffen sie ein, endlich sind sie im Original zu betrachten, zu studieren, zu bewundern. Monatelang, jahrelang nur als Reproduktionen in Büchern, Katalogen, auf Kopien von Kopien angeschaut und in konzeptionellen Texten immer wieder beschrieben, werden sie jetzt aus beeindruckender Verpackung herausgeschält. Und sie sind alle ganz anders, als wir sie uns vorgestellt haben: die kostbaren Gemälde in schimmernden, schweren Rahmen, die beredten, klugen und drastischen Kupferstiche, die einstmals klirrenden, nun ruhenden Waffen und Rüstungen, die kleinen Schmuckstückchen und die bedeutenden Dokumente - durch ihre Präsenz bezaubern sie und beglücken alle, die mit ihnen nun in aller Nähe zu tun haben: bei der Installation einer großen Ausstellung.

Der Aufbau ist der Höhepunkt einer langen Phase der inhaltlichen Vorbereitung und einer oft weniger langen, aber dafür um so intensiveren Zeit der Ausstellungsorganisation. Viele hundert Briefe zwischen den Leihgebern - Museen, Archiven, Bibliotheken, privaten Sammlungen - und dem Leihnehmer - den Organisatoren der Europaratsausstellung - sind bereits gewechselt, wenn endlich eine Liste aller Exponate erstellt werden kann. Sie ist das A und O für alle weiteren Aktivitäten in Hinsicht auf die Realisierung der Ausstellung. Im Fall der Europaratsausstellung waren es schließlich über 300 Leihgeber, die sich von ihrem Besitz trennten, um am Feiern des Westfälischen Friedens teilzuhaben, und über 1300 Exponate füllten die Räume des Westfälischen Landesmuseums in Münster sowie der Dominikanerkirche und dem Kulturgeschichtlichen Museum in Osnabrück.

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Die Inszenierung

In dem knappen Begriff "Aufbau" kulminieren letztlich umfangreiche Aufgaben und umfassende Tätigkeiten: das Entwerfen und die Realisierung der Ausstellungsarchitektur, der Transport, die Sicherheit und die Installation der Werke. Die architektonische Gestaltung der Ausstellung, in enger Zusammenarbeit des Ausstellungsleiters mit dem Architekten erdacht, bestimmt nicht nur das Leitsystem, das dem Besucher die Orientierung in den Museumsräumen und zwischen den Phasen von Krieg und Frieden erleichtern soll; sie stellt auch die Entwürfe für Vitrinen und Raumaufteilungen bereit, legt die Farbmischungen fest, die den Kunstwerken zu einem besonderen Auftritt verhelfen und zudem symbolischen Gehalt vermitteln sollen (für die Zeit vor dem Krieg: ein aggressives Gelb; für den Krieg: ein bedrängendes Rot; dem Frieden: ein kräftiges, erfrischendes Türkis), und schließlich sorgt sie auch dafür, daß die Höhepunkte der Ausstellung im besonderen Rahmen präsentiert werden. In Münster kann man diese Inszenierungen im Saal mit den Friedensallegorien oder im "Vertragsraum" bewundern, wo die Dokumente liegen, um die sich die Ausstellung eigentlich dreht. Oder aber im Lichthof des Westfälischen Landesmuseums, in den der Architekt für die Präsentation und Konfrontation der Hauptpersonen von Krieg und Frieden ein Oval als Hängefläche hineinbauen ließ, es durch transparente Flächen optisch auf 9 Meter in die Höhe zog und die dunkel gestrichenen Holzwände schließlich mit Blattkupfer belegen ließ - eine aufwendige Handarbeit, die von unerschrockenen Architekturstudenten in überraschend kurzer Zeit, Blättchen für Blättchen, erledigt wurde. Ein schimmerndes Highlight im wahrsten Sinne des Wortes.

Der Transport von über 1300 Werken und Objekten aus Deutschland und ganz Europa - die längste Reise legte übrigens ein Porträt aus São Paulo zurück - und deren Unterbringung in drei Ausstellungshäusern an zwei verschiedenen Orten stellte hohe Anforderungen an die logistische Planung. Erfahrung, Überblick, nicht endenwollende Detailarbeit und bisweilen auch ein gehöriges Maß an Improvisationstalent waren gefragt, bis die wertvollen Objekte und Kunstwerke in ihrem Museum auf Zeit angekommen waren. Vom winzigen, in Elfenbein geschnitzten Gustav II Adolf im Sarg bis zur viele Tonnen wiegenden Kanone aus Schweden, die man, so die Erlaubnis des Leihgebers, sogar im Freien hätte abfeuern dürfen, vom siegelschweren Vertrag bis zum glanzvollen Friedensbild: in luftgefederten Lkw, in klimatisierten Kisten, in persönlich überbrachten Köfferchen, zwischen säurefreiem Seidenpapier, in Luftpolsterfolie und meistens in Begleitung von Kurieren - fast 100 für diese Europaratsausstellung - traf schließlich alles fristgerecht, in Transporten rund um die Uhr, ein und wurde in einer Rekordzeit von nicht einmal vier Wochen an die Wände gehängt, in Vitrinen plaziert, in den vorgesehenen Räumen installiert.

All dies von Anfang bis Ende unter den wachsamen Augen und mit Hilfe des handwerklichen Geschicks der Restauratoren, die beim Auspacken des Objektes anwesend sind, ein Protokoll seines Zustandes anfertigen, die Hängung begleiten, die Vitrinen "einrichten" und später das Klima in den Ausstellungsräumen kontrollieren und gegebenenfalls korrigieren lassen. Womit das Thema der Sicherheit angesprochen wäre, das nicht nur eine Versicherung jedes einzelnen Kunstwerkes oder Objekes - hier sind sie alle über 300 Jahre alt und schon deswegen besonders schützenswert - "von Nagel zu Nagel" bedeutet. Auch heißt Sicherheit nicht nur die Außenhautsicherung des Museums, die direkte Alarmverbindung zur Polizei oder die Alarmsicherung einzelner Bilder oder Vitrinen. Sicherheit beinhaltet auch die adäquate konservatorische Behandlung eines jeden Exponats: ausreichende Luftfeuchtgkeit für die hochempfindlichen Gemälde auf Holz, niedrige Beleuchtungswerte für Handschriften auf Pergament oder Papier, klimatisierte Vitrinen für kostbare Rüstungen oder Waffen. Und natürlich auch die Bewachung der Räume während des Aufbaus und der Laufzeit der Ausstellung, die man bereits weit im Vorfeld organisieren muß.

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Rubens als Kraftakt

Der Aufbau im eigentlichen Sinne betrifft in erster Linie die "Hängeteams", die mit Sachverstand und Erfahrung unter der Leitung des Ausstellungskommissars die Kunst an die Wand bringen. Nicht selten sind dabei besondere Vorkehrungen zu treffen, bisweilen wird es sogar richtig kompliziert. So beim wertvollsten und berühmtesten Gemälde der Europaratsausstellung, der Friedensallegorie von Rubens, die mit einem Gesamtmaß von rund 2.40 x 3.50 Metern die Mannschaft vor einige Probleme stellte. Als die Riesenkiste (3.00 x 3.80 Meter) nach langen Operationen glücklich durch die Anlieferung ins Haus gebracht worden war, bestätigten sich die Vermutungen, daß man das Bild nicht im Aufzug ins zweite Stockwerk bringen konnte. Sechs starke Männer waren gefragt, um das Glanzstück vorsichtig über das zentrale Treppenhaus in den dafür vorgesehenen Raum zu tragen. Schließlich benötigte das Bild einen Spezialsockel als Unterstützung der Aufhängung, denn bei 150 Kilo wollten sich die Ausstellungstechniker nicht nur auf die Dübel verlassen. Die Inszenierung des größten und berühmtesten Exponats in Münster war schließlich nur eine etwas aufwendigere Aktion im geschäftigen Treiben des Aufbaus, das von früh um sieben bis in den späten Abend viele Mitarbeiter in Atem hielt: Neben den Hängeteams und Restauratoren waren dies die für die Inhalte verantwortlichen Wissenschaftler, die Mitarbeiter des Organisationsbüros und Fachleute der Kunstspeditionen, Werkstudenten und Praktikanten. Und nicht nur die Installation der Exponate war mit größter Sorgfalt vorzunehmen; Raumtitel und -texte mußten auf die Wände geklebt, Exponatenschildchen befestigt und alle Beschriftungen rechtzeitig angebracht werden.

Auch manche unangenehme Überraschung konnte die Arbeiten unterbrechen, aufhalten und in die Länge ziehen: die Prunkrüstung wurde fest auf einen Sockel montiert angeliefert - und paßte so nicht mehr in die vorgesehene Vitrine, ein Satz Graphiken traf, anders als geplant, ungerahmt ein und mußte erst in der Werkstatt hergerichtet werden, eine Kiste hatte sich nach Osnabrück verirrt, deren Inhalt aber eigentlich nach Münster gehörte. So ging es kurz vor der großen Eröffnung dann ziemlich hektisch zu. In aller Eile und in letzter Minute wurden Kunstkisten abtransportiert, Arbeitstische abgebaut, Verpackungsmaterial verstaut, Ordner zurück in die Büros gebracht und staubige Vitrinen noch schnell geputzt, bevor "die Sicherheit" das Ausstellungs-Terrain für sich beanspruchte. Der letzte organisatorische Akt vor dem glanzvollen Auftritt der Staatsoberhäupter war für einige Mitarbeiter dann die Beaufsichtigung der Polizeihunde, die, von ihren uniformierten Besitzern animiert, alle Ausstellungsräumen mit ihren guten Nasen und außerordentlich temperamentvoll nach verdächtigen Stoffen absuchten. Befund: negativ - und die hohen Herrschaften konnten kommen.

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